28.04.2005

Indianische Gemeinschaften suchen Auswege aus dem Drogenanbau in Lateinamerika

Koka - Krieg und Korruption

Die Vereinten Nationen schätzen den Umsatz des illegalen Drogenhandels auf jährlich 300 bis 500 Milliarden US-Dollar, d.h. zwischen 4,6 und 7,6 Prozent des Welthandels. Neben Erdöl und Waffenhandel ist er somit das größte Einzelsegment der Weltwirtschaft. Die internationale Finanzwelt fragt allenfalls diskret nach der Herkunft großer Kapitalflüsse, die nach komplexen Geldwaschaktionen riesige Finanzmärkte sowohl in den Ländern des Nordens – etwa der Schweiz – als auch des Südens speisen. Besser nicht zu genau hinsehen.

Ungefähr 80 Prozent der Gewinne aus dem Kokainhandel verbleiben in den USA. Es ist sicher kein purer Zufall, dass der berüchtigte Plan Colombia im wesentlichen unter der Federführung der USA zustande kam. Ein Plan, der das Drogenproblem mit militärischen Mitteln zu lösen versucht und absehbar zur sozialen Aufstandsbekämpfung mutiert. Übrigens bleiben auch von den im Plan Colombia vorgesehenen US-Geldern zur Drogenbekämpfung etwa 60 Prozent in Form von Ausrüstungs- und Ausbildungshilfe in den USA.

Der Klassiker unter den illegalen Drogen aus Lateinamerika ist Kokain ....

.... , das zu fast 100 Prozent aus den Andenländern Bolivien, Peru und Kolumbien kommt. Die Gesamtfläche an Koka-Pflanzungen wird auf 200.000 Hektar geschätzt; ca. 120.000 Hektar in Kolumbien, 38.000 Hektar in Bolivien, 51.000 Hektar in Peru. Hinzu kommen knapp 12.000 Hektar für Schlafmohn. Die Koka-Pflanze erlaubt bis zu vier Ernten pro Jahr mit einem durchschnittlichen Ertrag von 1.350 Kilo Kokablättern pro Hektar, aus denen 1,45 Kilo Kokain extrahiert wird.

Riesige Gewinne aus dem Drogenhandel fließen in allen drei Ländern vornehmlich in die Bereiche Waffenhandel, Dienstleistungen, Bauwirtschaft und Immobilienhandel oder kommen durch Schmuggelgut und Dollardevisen direkt in den Geldkreislauf. Die Kriminellen mit "weißem Kragen" sind dabei naturgemäß schwerer zu fassen, als die Koka-Produzenten auf den offen erkennbaren Flächen. Entsprechend gering ist der Anteil ersterer unter Gefängnisinsassen oder gesundheitlich schwer Geschädigten.

Beratungen im kolumbianischen Parlament über eine Gesetzesinitiative, die eine die Konfiszierung von Eigentum ermöglichen sollen, das nachweislich durch Drogenhandel erworben wurde, ziehen sich bemerkenswert in die Länge. Wesentlich problemloser werden im Zuge der Antidrogenbekämpfung Kleinbauern und Ureinwohner vertrieben und kriminalisiert, eignen sich Viehzüchter die dadurch verwaisten Flächen an und wandeln sie in Weidegebiete um. In Kolumbien sind dieselben Viehzüchter oft zuvor Zwischenhändler für den Schlafmohn, verdienen also doppelt.

Die Maßnahmen gegen Drogenanbau und –handel fördern häufig Gewalt und ein Milieu sozialer Ängste.

Der kommerzielle Anbau der Koka-Pflanze und die Entsorgung der Chemikalien zur Herstellung der Kokapaste als Grundstoff für Kokain verseuchen im ökologisch sensiblen Amazonasbecken ganze Landstriche und Gewässer. Der Anbau von Schlafmohn hat ähnlich katastrophale Folgen durch großflächiges Abholzen von unberührten Wäldern und massives Ausbringen von chemischen Düngemitteln im Hochland der Anden. Die Drogenwirtschaft durchdringt und korrumpiert Politik und Sicherheitsapparate vor allem in den Erzeugerländern, untergräbt oder liquidiert rechtsstaatliche Institutionen, lässt paramilitärische Banden und Mafia-Organisationen entstehen, die skrupellos und mit Brachialgewalt ihren illegal erworbenen Reichtum sichern.

Opfer dieser Gewalt sind nicht zuletzt die indigenen Gemeinschaften, die seit jeher auf ihren traditionellen Territorien leben und für die diese Erde einschließlich der spirituellen Bezüge ihr Universum, ihre Existenz und Identität bedeutet. Ihre Grundrechte, ihre Autonomie und kulturellen Werte werden umfassend und systematisch verletzt. Sie sprechen zu Recht von einer modernen Form der kolonialen Invasion ihrer Territorien mit den klassischen Folgen von Landraub und Vertreibung.

Dennoch versucht die Zivilgesellschaft immer wieder, dem Drogenproblem zu entgehen und eigene Institutionen im lokalen Rahmen zu schaffen, die das soziale Leben autonom nach humanen Grundsätzen regeln. Die große Mehrheit der Bevölkerung z.B. in Kolumbien wünscht sich nichts sehnlicher, als den Terror von allen aktiv am Drogenhandel Beteiligten schnellstmöglich beendet zu sehen. Kleinbauern und Ureinwohner in den Departments Cauca und Putumayo im Süden Kolumbiens etwa nehmen sogar persönliche Risiken und Einkommensverluste in Kauf, um Alternativen der Unterhaltssicherung zu erproben und für ihre Nachkommen Lebensqualität und Sicherheit zu erhöhen.

Durch Verbote und Strafverfolgung allein sind Produktion und Konsum illegaler Drogen nicht zu stoppen.

Solange es eine Nachfrage gibt, wird es auch am Angebot nicht mangeln. Eine drogenfreie Gesellschaft ist eine Illusion. Zu allen Zeiten und in allen Kulturen nahmen Menschen Stoffe ein, um Neues und Übersinnliches zu entdecken oder auch nur dem Alltag für eine gewisse Zeit zu entfliehen. Die meisten Kleinbauern und Ureinwohner bebauen ihre Felder mit Koka oder Schlafmohn, damit ihre Familien überleben können. Naturgemäß wählen sie diejenigen Pflanzen für ihre oft kargen Böden, die den besten Preis erzielen. Die einzig wirksame Methode zur Drogenbekämpfung muss daher sein, den Produzenten der Rohstoffe Alternativen zu erschließen.

Stattdessen wurde der mit enormem Finanzaufwand geführte Krieg gegen die Kokabauern zur zentralen Strategie gegen die Drogenwirtschaft insgesamt. Notwendige ordnungspolitische Maßnahmen gegen Geldwäsche und die Nutznießer des enormen illegalen Geldumlaufs unterbleiben weitgehend. Erfolgreich war die Strategie nicht. In Kolumbien vergrößerten sich die Anbaufläche für Koka von 54.000 Hektar im Jahre 1995 trotz großflächiger Entlaubungseinsätze aus der Luft bis 2000 um mehr als das Doppelte. Der Anbau hat sich lediglich in andere Regionen verlagert. Heute noch davon verschonte Staaten wie Ecuador, Venezuela und Brasilien fürchten, dass der "Plan Colombia" den Koka-Anbau auf ihr Staatsgebiet verdrängen wird.

Wer über Alternativen zur Rohstofferzeugung für Kokain nachdenkt, wird an den Erfahrungen und Kenntnissen der lokalen Bevölkerung ansetzen und die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten der Koka-Pflanze einbeziehen müssen, die über die Drogenproduktion weit hinausgehen. Dies ist aufgrund internationaler Rechtsvereinbarungen – noch – nicht möglich, aber die Diskussion sollte wieder angestoßen werden.

Die Entkriminalisierung der Kokabauern...

... und der Aufbau eines partnerschaftlichen Verhältnisses, die schon jetzt beginnen könnten, wären die Voraussetzung für lokale Alternativen, in denen die soziale, politische und kulturelle Verschiedenheit und Besonderheit der Bewohner der Regionen berücksichtigt wird. Dies schließt ein, die politische Verantwortung auf die Gemeinden und Gemeinschaften bzw. die Reservationen (Resguardos) zu übertragen. Ohne internationale Unterstützung und ein grundsätzliches Überdenken der Strategie der Drogenbekämpfung werden sich die verheerenden Folgen der bisherigen Kriegsoffensiven jedoch nicht abwenden und die kulturelle wie biologische Vielfalt nicht aufrecht erhalten lassen.

Quellen

 

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (gtz); Drogen und Entwicklung. Politik, Strategien und Erfahrungen der Drogenkontrolle in der Entwicklungszusammenarbeit. 2. überarbeitete Auflage, Bonn, 1999

Friedrich-Ebert-Stiftung (Hg.); Illegale Drogen: Gesellschaftliche Bedrohung und politische Herausforderungen für Europa und Lateinamerika. Dialogreihe Entwicklungspolitik Nr. 13, Bonn - Erkrath, 2000

Robert Lessmann; Drogenökonomie und internationale Politik. Vervuert Verlag Frankfurt / Main, 1996

Alfredo Molano Bravo; Medio Ambiente, Cultivo Ilícitos y Guerra. Revista Número 25, Bogotá, Dezember 2000

Bruno Rütsche, Peter Stirnimann (Hrsg.); Drogen und Dritte Welt. Plädoyer für eine neue Nord-Süd-Drogenpolitik. Edition Exodus, Luzern 1997

Tageszeitung El Colombiano, Bogotá; "El 67% de los Sembrados Están en el País. Colombia Domina Negocio de la Coca." 12.01.01, via kolko@egroups.de

Tageszeitung New York Times; Editorial "Containing Colombia's Troubles." 15.01.01, via kolko@egroups.de