08.08.2006

Indigene Völker - ausgegrenzt und diskriminiert

Menschenrechtsreport Nr. 43: Zum Internationalen Tag der Indigenen Völker

ZUSAMMENFASSUNG

Indigene Völker: Wer sind sie und wie ist ihre Stellung im internationalen Recht

Indigene Völker sind die Hüter der kulturellen Vielfalt der Erde. Ihr Reichtum sind ihre vielen Sprachen und Kulturen, die Weisheit ihrer Religionen und ihres Umgangs mit der Natur. Weltweit wird derzeit von 350 bis 400 Millionen Menschen ausgegangen, die einem der ca. 5.000 indigenen Völker in 75 Staaten angehören. In den vergangenen drei Jahrzehnten hat sich die Situation der indigenen Völker im internationalen Recht grundlegend gewandelt. Wichtige Marksteine sind die Einrichtung der UN-Working Group for indigenous Populations 1983 sowie die Schaffung eines UN-Sonderberichterstatters für indigene Belange und des Permanenten Forums für Indigene Belange während der ersten UN-Dekade für die Indigenen Völker der Welt 1994 bis 2004. Auch der "Internationale Tag der Indigenen Völker der Welt" am 9. August geht auf diese Dekade zurück. Im Januar 2005 begann die zweite Dekade. Eine Deklaration der Rechte der indigenen Völker wurde vom Menschenrechtsrat, der die Menschenrechtskommission bei seiner ersten Sitzung im Juni 2006 abgelöst hat, angenommen und an die UN-Vollversammlung zur endgültigen Verabschiedung überwiesen. Auch die Konvention 169 zu indigenen und in Stämmen lebenden Völkern der International Labour Organisation ILO hat als Grundrechtekatalog nach wie vor als Bestandteil des internationalen Rechts große Bedeutung für die Menschenrechte indigener Völker. In Deutschland bemüht sich die Gesellschaft für bedrohte Völker, Mitglied im Koordinierungskreis ILO 169, um eine Ratifizierung der Konvention durch die Bundesregierung.

SIBIRIEN

Reichtum Russlands – Fluch für die indigene russische Bevölkerung

Sibirien ist die Schatzkammer der Russischen Förderation. Neben Erdöl und -gas werden hier Gold, Diamanten, Silber, Kupfer und weitere Rohstoffe gefördert. Es ist auch die Heimat der indigenen Bevölkerung Russlands, die sich aus 43 Völkern mit jeweils weniger als 50.000 Angehörigen zusammensetzt. Insgesamt sind es rund 200.000 Menschen. Die rücksichtslose Öl- und Gasförderung durch die Sowjets und seit der politischen Wende auch vermehrt ausländischer Konzerne hat zu schweren ökologischen Schäden geführt, vor allem in Westsibirien, dem Zentrum der russischen Ölindustrie. Dort leben die Chanten, Mansen und Nenzen. Ihre Lebenserwartung liegt rund zehn Jahre unter dem russischen Durchschnitt. In ihrer Republik sind über 100 Flüsse und Bäche verseucht. Durch das jahrzehntelange Abfackeln der Begleitgase ist die Luft so stark verschmutzt, dass Krebs- und Atemwegserkrankungen weit verbreitet sind. Die Arbeitslosigkeit unter den Indigenen ist extrem hoch, Kriminalität und Alkoholismus sind die Folgen. Deutschland ist eines der Hauptabnehmerländer von russischem Öl und Gas. 30% des dort verbrauchten Öls und 38% des Gases kommen aus Russland – insbesondere aus Westsibirien. Der Gasanteil könnte bei Fertigstellung der Ostseepipeline, deren Aufsichtsratsvorsitzender Altbundeskanzler Gerhard Schröder ist, sogar auf über 60 % steigen. Um das Land noch stärker wirtschaftlich ausbeuten zu können, werden Land, Wasser und Wald privatisiert. Die indigenen Gruppen stellt dies vor neue existentielle Probleme. Neue Förderprojekte erschließen bislang weniger stark industrialisierte Regionen, zum Beispiel Sachalin und Kamtschatka im äußersten Nordosten der Russischen Förderation. Rechte für die Ureinwohnergruppen sind zwar teils in der Verfassung verankert, werden jedoch auf regionaler Ebene nicht umgesetzt. Die ILO-Konvention 169 hat Russland bislang nicht ratifiziert, obwohl die Selbstorganisation der Indigenen RAIPON dies seit langem fordert.

FINNLAND

Sámische Rentierzüchter fordern Landrechte und Schutz ihrer traditionellen Lebensweise

Die 7.000 innerhalb der finnischen Grenzen lebenden Sámi hoffen darauf, dass die finnische Regierung noch in diesem Jahr die seit langem umstrittene Landrechtsfrage rechtlich klärt und im Zuge dessen auch die ILO-Konvention 169 unterzeichnet. Mit der massiven Abholzung der alten Wälder im Norden des Landes durch die staatliche Holzwirtschaft hat Finnland die Kultur und traditionelle Landnutzung der Sámi seit Anfang der 90er Jahre missachtet. Besonders die samische Rentierhaltung ist von dem intakten Lebensraum Wald abhängig. Im Herbst 2005 hatte die finnische Regierung den Einschlag in Nellim, in der Region Inari auf Empfehlung der UN-Menschenrechtskommission unterbrochen, nachdem sich drei Sámi Hilfe suchend an diesen Ausschuss gewandt hatten. Doch nur die verfassungsrechtliche Anerkennung ihrer Rechte kann die Sámi, ihre Kultur und Wirtschaftsweise wirksam schützen.

KANADA

Ausverkauf des Landes der Lubicon Cree Nation für die Teersandförderung

Die heute etwa 500 Cree vom Lubicon Lake in der kanadischen Provinz Alberta laufen Gefahr, ihr Land und damit ihre Lebensweise endgültig zu verlieren. Denn obgleich die Verhandlungen zwischen ihnen und den Regierungen der Provinz und der Bundesregierung in Ottawa keineswegs abgeschlossen sind, vergibt Alberta bereits Abbaulizenzen für Teile des umstrittenen Landes. Die Lubicon haben kein Landrechtsabkommen mit dem Staat abgeschlossen, denn als 1899 kanadische Beamte durchs Land reisten, um Verträge mit den First Nations, den Ureinwohnern Kanadas, auszuhandeln, wurden sie ganz einfach übersehen. 40 Jahre später wurden sie "entdeckt", man versprach ihnen ein Reservat, das sie nie erhalten haben. 1979 wurde im Norden Albertas Erdöl entdeckt. Die Provinz wurde zum Öl-Dorado Kanadas. Jetzt soll die groß angelegte Ausbeutung der Teersandvorkommen folgen, die sich tief unter dem Land der Lubicon befinden. Dazu sind Verfahren notwendig, die extrem viel Land, Energie und Wasser verbrauchen.

USA

Das Alaska National Wildlife Refuge ist für die Gwich’in der "Ort, an dem alles Leben beginnt"

Für die etwa 7000 Gwich’in Indianer in Alaska ist das Alaska National Wildlife Refuge (ANWR) heilig, denn hier bringen die Kühe der etwa 152.000 Tiere großen Porcupine Karibu Herde ihre Kälber zur Welt, hier ziehen sie sie auf. "Wir Gwich’in sind Menschen des Karibus", sagt Sarah James, ihre Sprecherin. "Die Pocupine-Herde ist Teil unserer Sprache, unserer Lieder und Geschichten." Die Heimat der Gwich’in sind 15 Dörfer, die südlich des Bergmassivs der Brooks Range entlang des Wanderwegs der Porcupine Herde im Nordosten Alaskas und Nordwesten Kanadas liegen. Der Gwich’in Darius Kassi sagt: "Unser ganzes Leben dreht sich um das Karibu. Es gibt uns mehr als 80 Prozent unserer Nahrung." Deshalb nennen die Gwich’in das ANWR "Izhik Gwats’an Gwandaii Goodlit" – "Ort, an dem alles Leben beginnt". Für die US-Regierung von George W. Bush ist das ANWR zum Gegenstand eines erbitterten Tauziehens geworden, denn während die meisten Angehörigen der Demokratischen Partei, Umweltschützer und natürlich die Gwich’in es unbedingt als Schutzgebiet erhalten wollen, ist für die Regierung und die Mehrheit der Republikanischen Partei die Öffnung des ANWR für die Ölindustrie eine Frage des nationalen Interesses. Präsident Bush will das Öl aus dem ANWR und anderen heimischen Quellen nutzen, um die USA von Ölimporten aus dem Nahen Osten oder aus Venezuela unabhängiger zu machen und den Benzinpreis zu senken. Doch dafür ist das Ölvorkommen im ANWR viel zu klein. Da es außerdem noch mindestens 10 Jahre dauern würde, bis der erste Tropfen Öl an US-amerikanische Zapfsäulen gelangt, kann eine Ausbeutung des Vorkommens auch auf die derzeitige Preisgestaltung keinen Einfluss nehmen.

MEXIKO

Plan Puebla-Panama und Freihandelszone NAFTA gefährden das Überleben der indigenen Völker

Die etwa 10 Millionen Angehörigen von mehr als 56 indigenen Völkern sehen sich in allen Teilen Mexikos mit einer neuen Dimension von Landraub und Verlust der natürlichen Ressourcen konfrontiert. Grundbedürfnisse wie Wasser und Land werden nicht befriedigt, während die Regierung – v. a. im Rahmen des Plan Puebla-Panama – auf die Ausbeutung der natürlichen Rohstoffe und Bodenschätze, Billiglohnfabriken, Ölförderung, Straßenbau und Staudämme setzt. Vielerorts wird den Indigenen die Lebensgrundlage durch Landenteignungen und Vertreibungen entzogen. Statt das vor 10 Jahren vereinbarte "Abkommen über indigene Rechte und Kultur" von San Andrés in die Tat umzusetzen verletzt Mexiko die Rechte der indigenen Völker systematisch. Wo sie sich wehren, reagiert der Staat mit Repression, v. a. durch die Militarisierung der indigenen Gebiete. Die Entstehung einer starken indigenen Bewegung in Mexiko geht zurück auf den Aufstand der zapatistischen Bewegung (EZLN) im südlichsten mexikanischen Bundesstaat Chiapas, der im Januar 1994 zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) begonnen hat. "Ya basta!” "Es reicht!" – Dieser Aufschrei der Tzotzil, Tzeltal, Tojolabal, Chol, Zoque und Mam wurde zum Symbol ihrer Forderungen nach Land, Nahrung, Bildung, Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden.

ECUADOR

Huaorani werden von Holzfirmen und Ölkonzernen überrannt

Die etwa 2500 Huaorani leben in einem Gebiet des ecuadorianischen Regenwaldes, das teilweise innerhalb des weltberühmten Yasuní-Nationalparks liegt. Aufgrund seiner weltweit größten Artenvielfalt wurde Yasuní bereits 1979 zum Nationalpark erklärt. 1989 deklarierte die UNESCO den Park zum Biosphären-Reservat. Einige Huaorani-Gruppen wie die Tagaeri und Taromenane leben in freiwilliger Isolierung und lehnen jeden Kontakt mit der Außenwelt ab. Die Huaorani werden zurzeit von Holzfirmen und transnationale Ölkonzernen wie der brasilianischen Petrobas und der spanisch-argentinischen Repsol YPF überrannt. Die seit Jahren andauernde Ausbeutung von Holz, Öl und anderen Ressourcen ging wiederholt mit Massakern einher, die bisher ungeahndet geblieben sind. Wo immer die Huaorani durch ihr angestammtes Regenwaldgebiet im Yasuní Nationalpark und seiner Umgebung streifen, um zu jagen und zu sammeln, zu fischen oder Feldbau zu betreiben, treffen sie heute auf Bohrlöcher, verseuchte Flüsse, auf Straßen und gerodeten Wald. Illegale Holzfäller schlagen die Bäume, transnationale und nationale Ölkonzerne teilen das Gebiet in Blöcke auf, die sie dann ausbeuten: Der spanisch-argentinische Konzern Repsol YPF ist in Block 16, der französische Perenco in Block 7 und 21, agip aus Italien in Block 10, der brasilianische Petrobras in Block 31 und Andes Petroleum, bestehend aus den staatlichen chinesischen CNPC und Sinopec, in Block 17 tätig. Die ecuadorianischen Unternehmen Tecpecuador und Petroecuador haben im Mai 2006 Block 15 von der US-amerikanischen Occidental übernommen. Zudem sucht die ecuadorianische Regierung nach Investoren für einen neuen als ITT (Ishpingo-Tapococha-Tiputini) bezeichneten Block im Osten des Yasuni-Parks. Das ecuadorianische Militär sichert die Ölförderanlagen und reagiert entsprechend entschieden auf Proteste gegen die Verseuchung.

BRASILIEN

Landraub und Morde an indigenen Völkern

"Die indigenen Völker fühlen sich allein gelassen und von den Behörden verfolgt", heißt es im Bericht des UN-Sonderberichterstatters zu Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenangst und jeglicher Formen der Diskriminierung Doudou Diène, den er nach einer im Oktober 2005 durchgeführten Reise durch Brasilien im Februar 2006 vorlegte. "Ein Dialog zwischen Indigenen und Regierung findet nicht statt und das Verhältnis zur staatlichen Indianerbehörde FUNAI ist angespannt. Der Präsident der FUNAI behauptet, dass das Treuhandverhältnis noch immer existiert und bricht damit geltendes Recht, er äußert sich diskriminierend gegen die Indianer, entscheidet selbst, wer Indianer ist und wer nicht und verletzt damit die Konvention 169 zu Indigenen und in Stämmen lebenden Völkern der International Labour Organisation, und er leistet den Indigenen nicht die erforderliche Unterstützung." Die Situation der mehr als 730.000 Angehörigen von 235 indigenen Völkern Brasiliens ist nach wie vor katastrophal. Armut und Landraub haben mehr als die Hälfte von ihnen in die Elendsviertel der städtischen Siedlungszentren vertrieben. Gemessen an der Gesamtbevölkerung leben 15,5 % der Bevölkerung Brasiliens in extremer Armut, unter der indigenen Bevölkerung sind es 38 % (Zahlen nach der letzten Erhebung des Brasilianischen Instituts für Geografie und Statistik von 2000).

CHILE

Mapuche ohne Rechte - Indianische Führer werden zu "Terroristen" gemacht

Die Mapuche, die mit rund 1,3 Millionen Angehörigen fast zehn Prozent der 15,8 Millionen Einwohner Chiles stellen, kämpfen um ihr Land, das sie Jahrhunderte lang gemeinschaftlich und nachhaltig genutzt haben. Sie sind das größte der indigenen Völker Chiles. Ende des 19. Jahrhunderts wurde ihr Land mit der Entstehung der Staaten Chile und Argentinien in mehr als 3.000 kleine Reservate aufgeteilt. Durch die Landreform unter der Regierung Salvador Allende (1970-1973) hatten sie zwar 700.000 Hektar zurückerhalten. Doch nach dem Putsch von Diktator Augusto Pinochet, der Chile zwischen 1973 und 1989 regierte, wurden sie meist wieder enteignet. Wo ihre Urwälder einst wuchsen, pflanzen heute Großunternehmer in Holzplantagen schnell wachsende Bäume wie Kiefern und Eukalyptus vor allem für die Zellstoffindustrie an. Beides sind keine einheimischen Arten. Gerade Eukalyptus verbraucht viel zu viel Wasser, schädigt die Böden, senkt den Grundwasserspiegel und führt letztlich zur Erosion. Mapuche, die sich gegen den Landraub wehren, werden kriminalisiert. Einige ihrer Wortführer wurden nach dem umstrittenen Anti-Terrorismusgesetz (Ley 18.314) zu hohen Geld- und Haftstrafen verurteilt. Die im Januar 2006 gewählte Präsidentin Chiles Michelle Bachelet, bezeichnete im Wahlkampf eine Besserstellung der indigenen Völker Chiles ausdrücklich als eines ihrer wichtigsten Vorhaben. Doch auch sie hat bislang weder das auch von internationalen Menschenrechtlern heftig kritisierte Anti-Terrorismusgesetz abgeschafft oder wenigstens mit dem Mechanismus einer vorzeitigen Entlassung auf Bewährung versehen, noch den Ureinwohnern Chiles durch Ratifizierung der Konvention 169 der International Labour Organisation endlich Grundrechte und Verfassungsrang gegeben.

ZENTRALAFRIKA

Pygmäen werden wie "Untermenschen" behandelt

250.000 Angehörige der indigenen Völker in den zentralafrikanischen Ländern werden unter der abwertenden Bezeichnung "Pygmäen" zusammengefasst. Batwa, Efe, Mbuti, Baka und andere Gruppen leben in den heutigen Grenzen der Demokratischen Republik Kongo, der Republik Kongo, in Gabun, Kamerun, Ruanda, Burundi, Uganda und der Zentralafrikanischen Republik. .Die Jagd ist traditionell der Aufgabenbereich der Männer, das Sammeln von Nahrung derjenige der Frauen. Durch die massive Abholzung der Wälder, in denen sie seit Tausenden von Jahren als Jäger und Sammlerinnen einer halbnomadischen Lebensweise nachgegangen waren, sind die Pygmäen vielerorts ihrer Lebensgrundlage beraubt und vertrieben worden. Den Mehrheitsgesellschaften gelten sie als "Untermenschen", und sie werden diskriminiert und ausgebeutet. Gleichzeitig werden sie – z.B. bei Gesundheitsversorgung und Schulbildung - vollständig ignoriert. Als ärmste und verletzlichste gesellschaftliche Gruppen sind sie Gewalt und Krieg in besonderem Maße ausgesetzt. Von vielen Regierungen werden Pygmäen noch nicht einmal als Staatsbürger anerkannt.

MALI UND NIGER

Nomaden vom Hunger bedroht

3,5 Millionen Tuareg- und Peulh-Nomaden leben in Niger und Mali. Periodisch auftretende Hungersnöte, Überweidung und Vernichtung ihrer Viehherden, Konflikte um Land- und Weiderechte mit Bauern, Verelendung und mangelnde Unterstützung durch die Behörden bedrohen das Fortbestehen der Nomadengesellschaft. Für viele unter anhaltender Trockenheit leidende Regionen ist die nomadische Lebensweise die einzige Wirtschaftsform, die ökologisch vertretbar ist und die Böden nicht langfristig zerstört. Die große Flexibilität der Nomaden und geringe Kosten für die Unterhaltung der Herden waren lange vorteilhaft für den Ausbau dieses Wirtschaftszweiges. Weltweit wird ein Viertel allen Landes noch heute von Nomaden genutzt, deren 20 Millionen Haushalte 10 Prozent der globalen Fleischproduktion erzeugen. Doch wachsende Hygiene-Anforderungen, eine zurückgehende Nachfrage nach Milchprodukten und zunehmende Konkurrenz durch Billigfleisch-Importe aus Industrieländern bedrohen die Lebensgrundlage der Nomaden.

AUSTRALIEN

Howard-Regierung setzt Entmündigung der Aborigines fort

Die meisten der etwa 500.000 Angehörigen der indigenen Völker Australiens, d.h. der Aborigine und Torres Strait Islander, werden durch die aktuelle Regierungspolitik immer stärker in die Rolle von Bittstellern gedrängt, die am Rande der weiß dominierten Gesellschaft in einer alarmierenden sozialen Situation leben. Ihr Alltag ist gekennzeichnet von gesundheitlichen Problemen, Sucht und häuslicher Gewalt. Alkoholmissbrauch oder Schnüffeln von Benzin oder Klebstoff sind verbreitet. Die Lebenserwartung der Ureinwohner liegt 17 Jahre unter derjenigen der Bevölkerungsmehrheit. Es mangelt ihnen an Bildung und Arbeit. Der Rassismus gegenüber den Ureinwohnern spiegelt sich auch in einem überproportional großen Anteil an indigenen Gefängnisinsassen und in Konflikten um Uranabbau und andere wirtschaftliche Nutzung des Landes, das für sie von zentraler religiöser Bedeutung ist, wider. Das staatliche Vorgehen gegen die Identität, Selbst-Vertretung, die eigenen Institutionen und politische Selbstbestimmung der Ureinwohner hat 2005 mit der Auflösung des halbstaatlichen indigenen Selbstverwaltungsorgans "Aboriginal and Torres Strait Islanders Commission" (ATSIC) einen aktuellen Höhepunkt gefunden. Dabei hatten viele Aborigines selbst Reformbedarf bei der ATSIC gesehen, doch statt mit ihnen zusammen notwendige Schritte zu deren Umgestaltung einzuleiten, schaffte die Regierung die Kommission kurzerhand ab.

INDIEN

Die Ureinwohner der Andamanen und Nikobaren im Indischen Ozean sind akut bedroht

Das Archipel der Andamanen und Nikobaren im Indischen Ozean besteht aus mehr als 500 Inseln, die von Indien verwaltet werden. Nur 36 der Inseln sind bewohnt. Zu den Ureinwohnern der Andamanen zählen besonders zurückgezogen lebende Gruppen von oft nur wenigen Dutzend Menschen (51 Groß-Andamaner, 322 Jarawa, 99 Onge, 389 Shompen, 100 Sentinelesen), die weltweit als die am meisten bedrohten Völker angesehen werden. Aufgrund ihrer Bedrohung stehen diese Gruppen offiziell unter dem besonderen Schutz Indiens. Per Gesetz ist Fremden jede Kontaktaufnahme mit ihnen untersagt. Auf der Inselgruppe der Nikobaren leben rund 30.000 Nikobaresen, die regen Kontakt zur eingewanderten indischen Bevölkerung unterhalten. Insbesondere die Jarawa sind akut bedroht. Eine Masernepidemie, die sich im Frühjahr 2006 unter ihnen ausbreitete, wurde von den indischen Behörden anfangs geleugnet. Erst als auch Ärzte den Ausbruch der Masern bestätigten, erhielten die Jarawa medizinische Hilfe. Indische Ethnologen und Umweltschützer sind in großer Sorge um dieses kleine Volk. In einem Brief an Sonia Gandhi, die Vorsitzende der Indischen Kongress Partei, protestierten sie gegen das Eindringen von Wilderern und Siedlern in die Gebiete der Jarawa, die Alkohol und Tabak einschmuggeln und im Gegenzug sexuelle Dienstleistungen von den Jarawa-Frauen fordern würden. Die Regierung unternehme zu wenig, um die Menschen vor derartiger Willkür zu schützen.

BORNEO

Kahlschlag des Regenwaldes gefährdet Penan und andere indigene Völker

In der malaysischen Provinz Sarawak auf der Insel Borneo leben 27 verschiedene ethnische Gruppen. Die Orang Ulu oder Dayak, wie die indigenen Völker zusammenfassend bezeichnet werden, stellen 5,5 Prozent der 2,2 Millionen Bewohner Sarawaks. Zu ihnen gehören unter anderem die Völker der Penan, Punan, Iban, Bidayuh, Kayan, Murut, Kenyah und Kelabit. Bedroht sind diese indigenen Völker durch die fortschreitende Rodung des Regenwaldes und die Zerstörung ihres Lebensraumes.

VIETNAM

Diskriminierung und Verfolgung der Ureinwohner hält an

Die 53 ethnischen Minderheiten Vietnams stellen heute rund 12 Millionen Menschen. Manche dieser ethnischen Gruppen umfassen wie die Odu nur 200 Angehörige, andere wie die Tay mehr als 1,5 Millionen. Drei Viertel dieser nicht der Kinh-Mehrheitsbevölkerung Vietnams zugehörigen ethnischen Gemeinschaften leben heute relativ zurückgezogen im Bergland Nordwestvietnams oder Zentralvietnams. Daher bezeichnet man sie seit der französischen Kolonialzeit auch als "Montagnards", Bergbewohner. Ihre Sprachen, Kulturen und Traditionen unterscheiden sich zum Teil sehr voneinander. Doch trotz dieser Vielfalt werden sie von der Mehrheitsbevölkerung oft abschätzig als unterentwickelte "Wilde" (Moi) angesehen. In ihren Siedlungsgebieten fehlt es an Schulen, Krankenhäusern, Straßen und Kommunikationseinrichtungen. Die Analphabetenrate ist hoch. Immer mehr Ureinwohner werden durch den Ausbau der Kaffeeplantagen aus ihren Siedlungsgebieten verdrängt. Seit 1996 haben sich mehr als 400.000 Angehörige der Mehrheitsbevölkerung Vietnams auf den fruchtbarsten Flächen der Hochland-Provinz Dak Lak niedergelassen und die dort traditionell von der Subsistenzwirtschaft lebenden indigenen Bauern in immer unwirtlichere Gebiete verdrängt. Der Kaffeeanbau zerstört durch großflächige Rodungen des ursprünglichen Waldes auch das ökologische Gleichgewicht im Hochland Vietnams. 2001 und 2004 wehrten sich die Ureinwohner mit Unruhen gegen diese fortschreitende Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen.

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