10.05.2005

Indonesische Transmigrations-Politik provoziert Unruhen

Resumee

Die schweren Unruhen auf Borneo und der Molukken-Insel Ambon im ersten Quartal 1999 wurden nach Auffassung der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) durch die indonesische Umsiedlungspolitik provoziert. Systematisch ändert Djakarta seit Jahrzehnten die Bevölkerungsstruktur in den Randgebieten seines Herrschaftsbereiches. So wurden im Rahmen des Transmigrationsprogrammes mehr als acht Millionen Menschen von dichter bevölkerten Inseln auf die Molukken, nach Westpapua, Kalimantan (Borneo) und Osttimor umgesiedelt. In allen Umsiedlungsgebieten gibt es Spannungen zwischen den Neusiedlern und der ortsansässigen Bevölkerung.

Die bürgerkriegsähnlichen Zustände auf Kalimantan und Ambon könnten sich jederzeit in Westpapua oder Osttimor wiederholen. Das Umsiedlungsprogramm wird von der Urbevölkerung Indonesiens mit Landraub, Entrechtung und der Zerstörung ihres traditionellen Lebensraumes sowie ihrer Identität gleichgesetzt. Die Unruhen auf den Molukken sind kein Glaubenskrieg, da jahrzehntelang christliche und muslimische Molukker friedlich zusammenlebten. Mit der gezielten Ansiedlung von Zehntausenden muslimischen Siedlern aus Sulawesi, Sumatra und Java wurde dieses Gleichgewicht bewußt gestört, so daß christliche Molukker in den letzten Jahren immer mehr ihre Benachteiligung beklagten. Die Wirtschaftskrise in Indonesien hat mit dazu beigetragen, daß die seit längerem bestehenden Spannungen nun offen ausgebrochen sind.

Pogrome auf Borneo

Ende März 1999 erregten blutige Konflikte zwischen Dayak und eingewanderten Maduresen auf der Insel Borneo (Provinz Westkalimantan) weltweit Aufsehen. Die etwa vier Millionen Dayak sind die Ureinwohner Borneos und leben in den vier indonesischen Provinzen (West-, Süd-, Ost-, Zentralkalimantan) sowie in Brunei und den malaysischen Territorien Sarawak und Sabah. Ungeachtet der mehr als 400 Sprachgruppen ähneln sich die Kultur, die Bräuche und die Lebensweise vieler dieser indigener Völker. Rund 200 Menschen wurden seit Ausbruch des Konfliktes bereits getötet, Tausende Häuser wurden niedergebrannt. Mindestens 15.000 Maduresen aus dem Bezirk Sambas flohen in die 145 Kilometer entfernte Provinzhauptstadt Pontianak. Bereits im Februar 1999 war es zu Kämpfen zwischen Maduresen sowie Dayak und Malaien gekommrn, bei denen 19 Menschen getötet wurden. Die Bewohner der vor der Nordküste Javas gelegenen Insel Madura waren seit den 60er Jahren im Rahmen des Transmigrationsprogrammes auf Borneo angesiedelt worden. Noch machen die Neusiedler nur acht Prozent der Bevölkerung aus, während Dayak und Malaien jeweils rund 40 Prozent und die chinesische Minderheit 12 Prozent stellen. Die meisten Malaien und auch die Maduresen sind muslimischen Glaubens. Dem Konflikt liegen somit keine religiösen Ursachen zugrunde. Schon im Dezember 1996 waren bei bürgerkriegsähnlichen Unruhen zwischen Maduresen und Dayak mindestens 300 Menschen getötet und mehr als 1.000 Häuser zerstört worden.

Bürgerkrieg auf den Molukken

Seit Januar 1999 liefern sich Christen und Muslime auch auf der Molukken-Insel Ambon schwere Auseinandersetzungen. Nach offiziellen Angaben starben bislang mindestens 200 Menschen. Berichte von Flüchtlingen lassen jedoch auf merh als 2.000 Todesopfer schließen. Während Christen muslimische Mitbürger überfallen, rufen Muslime zum Jihad, dem Heiligen Krieg, auf und rekrutieren fanatische Glaubenskämpfer. 40.000 Menschen sind vor dem Gemetzel auf Nachbarinseln geflohen. Dennoch sind die Unruhen kein Glaubenskrieg, denn beide Konfessionsgruppen lebten jahrzehntelang friedlich miteinander. Nach Auffassung der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) konnte die Eskalation der Gewalt nur deshalb so erschreckende Ausmaße annehmen, weil sich christliche Molukker aufgrund der staatlich geförderten Einwanderung muslimischer Indonesier benachteiligt fühlen. Tatsächlich haben sich so viele Muslime von dichter besiedelten Inseln auf den Molukken niedergelassen, daß sich dort heute Christen und Muslime als gleich große Bevölkerungsgruppen gegenüberstehen. Molukker beklagen seit Jahren ihre Benachteiligung im öffentlichen Leben und fordern mehr Autonomie für ihre Inseln.

Transmigrationsprogramm soll indonesische Vorherrschaft sichern

Mit der Umsiedlung landloser Bauern aus dichter besiedelten Gebieten in die Randregionen des indonesischen Herrschaftsbereiches verändert die indonesische Regierung seit Jahrzehnten systematisch und gewaltsam die Bevölkerungsstruktur. Die auf den verschiedenen Inseln ursprünglich dominierenden Volksgruppen werden zur Minderheit im eigenen Land gemacht. Entwurzelung und Verlust der Identität sind die Folge. So kann nicht verwundern, daß die ortsansässige Bevölkerung Ressentiments gegenüber den Neusiedlern hat. Diese Vorbehalte sind in Regionen, die wie in Westpapua zwischen der Armee und Freiheitsbewegungen umkämpft sind, besonders groß. Denn mit ihrer Trangsmigrationspolitik will die Regierung den Widerstand der Ureinwohner zerschlagen. So wurde in dem bis 1997 gültigen Transmigrationsgesetz auch die "Stärkung der nationalen Sicherheit" als Ziel genannt. Drei Formen der Umsiedlung sind in dem neuen Transmigrationsgesetz definiert, das 1997 in Kraft trat:

Die staatlich geförderte Umsiedlung, die von der Regierung betrieben wird, die teils "spontane", teils vom Staat unterstützte Transmigration, bei der die Regierung mit Wirtschaftsunternehmen zusammenarbeitet, die "spontane" Umsiedlung, bei der verarmte Indonesier in Eigeninitiative in andere Regionen des Landes auswandern. Seit 1969 siedelten nach offiziellen Angaben 1.652.683 Familien um, 785.556 von ihnen durch staatliche Programme und 867.127 aus eigener Initiative (Transmigration in Indonesia, eine Publikation des Ministry of Transmigration and Forest Squatter Resettlement, Jakarta 1998). Indonesische Familien haben im Durchschnitt fünf Angehörige. Demnach wurden mehr als acht Millionen Menschen im Rahmen des Transmigrationsprogrammes in 2.445 Siedlungen verbracht. Zwischen 1999 und 2004 sollen gemäß dem neuen Fünf-Jahres-Plan weitere 450.000 Familien umgesiedelt werden.

Neusiedler zerstören Lebensgrundlage der Ureinwohner

Das Umsiedlungsprogramm wird von der Urbevölkerung Indonesiens mit Landraub und Entrechtung, mit der Zerstörung ihres traditionellen Lebensraumes und ihrer Identität gleichgesetzt. Allein zwischen 1969 und 1993 wurden 1,7 Millionen Hektar Land für Umsiedler zur Verfügung gestellt. Der größte Teil davon war angestammtes Siedlungsgebiet der Ureinwohner, denen es meist ohne Entschädigung genommen wurde. Für die Ansiedlung indonesischer Zuwanderer werden auf Kalimantan und in Westpapua gigantische Regenwaldgebiete gerodet. Die Transmigranten werden vor allem in der Nähe neuer Reis- und Ölpalmen-Plantagen angesiedelt, deren Produktion für den Export bestimmt ist. Die seit Generationen ansässige Urbevölkerung soll ihre traditionellen, der Natur angepaßten, Bewirtschaftungsmethoden aufgeben und Anbautechniken aus Java übernehmen. Diese sind den lokalen Bodenverhältnissen jedoch oft nicht angepaßt. Dann scheitern solche Projekte kläglich und Ureinwohner wie Zuwanderer leiden gleichermaßen. Neben diesen weitreichenden wirtschaftlichen und ökologischen Konsequenzen hat die staatlich geförderte Umsiedlung den Niedergang der traditionellen Gesellschaft und Kultur der Urbevölkerung zur Folge.

Die Ureinwohner stellen heute nur noch einen relativ geringen Anteil an der Gesamtbevölkerung Indonesiens. Mehr als 90 Prozent der 204 Millionen Einwohner sind Malaien. Neben Melanesiern, wie den Papua und Molukkern, bilden die kleinwüchsigen Negritos sowie die Proto-Malaien, zu denen auch die Dayak gezählt werden, größere Gruppen der Urbevölkerung. Vertreter der 200 indigenen Völker forderten auf einer Konferenz Mitte März 1999 in Djakarta nicht nur die Aufhebung diskriminierender Gesetze, die ihre traditionellen Gesellschaftsstrukturen und Kultur mißachten, sondern auch die Respektierung ihrer Landrechte.

Transmigration auf der Insel Timor

Gezielt unterstützte Djakarta seit 1982 im indonesisch besetzten Osttimor die Ansiedlung von Indonesiern. Mehr als 180.000 indonesische Einwanderer ließen sich in der ehemaligen portugiesischen Kolonie nieder, so daß 20 Prozent der Bevölkerung inzwischen Immigranten sind. Mit der gezielten Förderung der Einwanderung wollte die indonesische Regierung die Unabhängigkeitsbestrebungen der Osttimoresen nachhaltig bekämpfen. Insbesondere sollte sichergestellt werden, daß sich bei einer Volksabstimmung eine Mehrheit für ein Verbleiben bei Indonesien entscheidet. Auch im Westteil der Insel Timor kam es im vergangenen Jahr zu Übergriffen. Nachdem am 30. November 1998 junge melanesische Christen in Kupang Geschäfte und Häuser indonesischer Umsiedler angegriffen hatten, brannten Muslime als Antwort darauf am 5. Dezember 1998 auf der Insel Sulawesi eine christliche Kirche in Ujung Pandang nieder.

Neusiedler sind in Westpapua unbeliebt

Auch in Westpapua (offizieller Name Irian Jaya) nehmen die Spannungen zwischen der Papua-Urbevölkerung und Umsiedlern ständig zu. So entführte am 16. März 1999 die Papua-Freiheitsbewegung OPM 109 aus dem Westen Indonesiens eingewanderte Bauern aus dem Bupul Umsiedler-Dorf nahe der Stadt Merauke. Die indonesische Regierung will mit ihrem Transmigrationsprogramm auch ihren Zugriff auf rohstoffreiche Regionen verstärken. So soll die systematische "Besiedlung" Westpapuas nicht nur helfen, die Papua-Freiheitsbewegung OPM zu zerschlagen, sondern auch die Ausbeutung der reichen Kupfer-, Gold- und Uranvorkommen sowie der Regenwälder sichern helfen. Seit 1979 kamen mehr als 400.000 Siedler von Java, Sumatra und anderen Inseln nach Westpapua. Im Rahmen des Transmigrationsprogrammes wird auch die lokale Urbevölkerung in neuen Siedlungszentren konzentriert. In den kommenden Jahren will Djakarta Umsiedlungen nach Westpapua forcieren, da Arbeitskräfte für neue Ölpalmen-Plantagen sowie für ein gigantisches Industrieansiedlungsprojekt benötigt werden. Nach dem Willen von Staatspräsident Bacharuddin Jusuf Habibie soll in bislang noch weitgehend unberührten Regenwaldgebieten entlang des Mamberamo-Flusses einer der größten Industriekomplexe Südostasiens entstehen.

In Westpapua regt sich immer mehr Widerstand gegen die Industrialisierung, die Transmigration und die indonesische Herrschaft. Die am Mamberamo-Fluß lebenden Papua bildeten 1998 einen Stammesrat, der das gigantische Industrieprojekt eindeutig ablehnt. Auch mit der geplanten Erweiterung der riesigen Grasberg-Mine, in der der Bergbaukonzern Freeport Kupfer und Gold abbaut, sind viele Ureinwohner nicht einverstanden. Wenige Tage nachdem Habibie der Ausweitung des Tagebaus zugestimmt hatte, kritisierten Vertreter der Papua in einem Gespräch mit dem Staatschef diese Politik. Darüber hinaus forderten 100 im Rahmen des "Nationalen Dialogs" nach Djakarta gereisten Repräsentanten von Nichtregierungsorganisationen, Kirchen, Frauengruppen und Stammesorganisationen die Unabhängigkeit Westpapuas.

Militär an Eskalation der Gewalt interessiert

Teile der indonesischen Armee haben größtes Interesse an einer Eskalation der Gewalt. Sie wollen die in Indonesien begonnene Demokratisierung stören und die für Juni 1999 geplanten Parlamentswahlen verhindern. Augenzeugen berichten immer wieder, daß die Armee den Ausschreitungen auf den Molukken tatenlos zuschaut und erst nach Stunden reagiert. Kirchenvertreter warfen dem Militär Brutalität vor, nachdem Soldaten am 14. Februar 1999 auf der Insel Haruku ohne Vorwanung molukkische Flüchtlinge beschossen und dabei fünf Menschen getötet hatten (AFP, 16. Februar 1999). Die "brutalen und provokativen Aktionen des Mili-tärs" würden nicht zur Aussöhnung und zum Wiederaufbau beitragen, kritisierte das Krisenzentrum der Kirche. Auch der ehemalige Staatspräsident Suharto, der noch immer größten Einfluß auf die Politik der indonesischen Regierung hat, ist an einer Destabilisierung des Landes interessiert, um seine Strafverfolgung sowie eine weitere Demokratisierung zu verhindern.

Empfehlungen der GfbV

Schon zu Beginn der 80er Jahre protestierte die GfbV gegen das Transmigrationsprogramm. Wir trugen dazu bei, daß sich die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) und die Weltbank aus Transmigrationsprojekten zurückzogen. Doch die indonesische Regierung will das Programm fortsetzen. Als einem der wichtigsten Investoren in Indonesien dürfen Deutschland die bürgerkriegsähnlichen Zustände auf Kalimantan und den Molukken sowie die explosive Lage in Westpapua nicht gleichgültig sein.

Die GfbV appelliert an Außenminister Joschka Fischer, gegenüber dem indonesischen Außenminister während des ASEM-Gipfels in Berlin die tiefe Besorgnis Europas über die anhaltenden Unruhen auszudrücken. Bitte fordern Sie die indonesische Regierung auf, sofort wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um die Ausschreitungen zu stoppen und die begonnene Demokratisierung Indonesiens fortzuführen.

Angesichts der latenten Spannungen in zahlreichen Regionen sollten die Außenminister der Europäischen Union an die indonesische Regierung appellieren, das umstrittene Transmigrationsprogramm unverzüglich zu stoppen.

Eine umfassendere Autonomie-Regelung für die Südmolukken würde erheblich zu einer Beruhigung der Lage auf Ambon beitragen.

In den letzten 30 Jahren wurden die Rechte der Urbevölkerung von Djakarta systematisch ignoriert. Weitere gewaltsame Proteste der rund 200 indigenen Völker können nur verhindert werden, wenn die Ureinwohner nicht länger im Namen der "nationalen Entwicklung" marginalisiert werden. Insbesondere sollten diskriminierende Gesetze abgeschafft und die Landrechte der Urbevölkerung respektiert werden.

Um das Flüchtlingselend wirksam zu bekämpfen sollten die indonesischen Behörden humanitären Organisationen freien Zugang zu den Krisengebieten und den Flüchtlingslagern gestatten sowie den Wiederaufbau nach allen Kräften unterstützen.