08.04.2011

Klassenzimmer als Mittel für den Erhalt der sorbischen Kultur

Sorben in der Lausitz

Aus bedrohte völker_pogrom 265, 2/2011

Lenka springt fröhlich durch die Einkaufshalle und singt dabei "Wse ptaski swaizbu sewse …, Fidiralala, Fidiralalalala…". Am Gemüseregal huscht sie vorbei und flitzt in die Spielwarenabteilung: "Nur mal gucken, ja?", ruft sie und saust davon.

Ich bin einkaufen mit meiner achtjährigen Schwester, eigentlich heißt sie Lena. Lenka ist ihr sorbischer Spitzname, den sie von ihren Freundinnen in der Schule erhalten hat. "Fidiralalalala" tönt es aus der Zeitschriftenecke. Einige andere Einkäufer drehen sich nach Lena um. Die Sprache, in der sie singt, verwirrt die Leute offensichtlich und sorgt immer wieder für neugierige Blicke. Lenka singt das Kinderlied "Die Vogelhochzeit" von Rolf Zuckowski. Nur eben nicht auf Deutsch, sondern auf Sorbisch.

In meiner Heimat ist es gar nicht so unwahrscheinlich, einen Sorben zu treffen, im Radio eine sorbische Sendung zu hören oder durch Zufall auf eine sorbische TV-Sendung zu stoßen. Meine Heimat ist die Lausitz – eine Region vom Süden Brandenburgs, bis zum Osten Sachsens und dem westlichen Teil Polens. Hier leben seit mehr als 1.400 Jahren die Sorben, ein altes westslawisches Volk mit eigener Sprache und Kultur. Geschätzte 60.000 Sorben sollen heute noch in der Lausitz leben.

Bereits in der DDR gab es Anordnungen zur Bewahrung des Sorbischen. Heute noch sichtbar sind die zweisprachigen Ortsschilder vom Spreewald (B?ota) über Chošebuz (Cottbus) bis nach Budyš (Bautzen). Anfangs wurde die westslawische Sprache gezielt gefördert. So war Sorbisch damals zweite Amtssprache, es gab sorbischen Schulunterricht sowie zweisprachige Behördendokumente. An der Universität Leipzig wurde 1950 das bis heute deutschlandweit einzige Institut für Sorabistik gegründet, um dort Sorbisch-Lehrer auszubilden. Die Nachfrage nach den Absolventen ist heutzutage sehr hoch, da viele Sorbisch-Lehrer in Pension gehen. Der Freistaat Sachsen vergibt daher feste Arbeitsverträge an Sorbisch-Lehramtsabsolventen.

Allerdings waren die Ambitionen für eine "zweisprachige Lausitz" in der DDR nicht von langer Dauer. Schon in den 1960-er Jahren wurde der Sorbisch-Unterricht immer weiter eingestellt. Der "Minderheitenschutz" der Sorben in der DDR war im Großen und Ganzen jedoch eher eine "ideologische Bevormundung und Kontrolle", erklärt Roland Schulze von der Fachhochschule Potsdam. Es gab andere Prioritäten: 73 sorbische Dörfer wurden zugunsten der Braunkohleförderung abgerissen. Im Laufe der Zeit wurde die sorbische Kultur und Sprache so immer weiter verdrängt. Laut UNESCO-Weltatlas der bedrohten Sprachen zählt Sorbisch derzeit zu den 2.500 bedrohtesten Sprachen der Welt.

Seit der Wende gehören die Sorben neben den Friesen, Dänen sowie Sinti und Roma zu einer der vier anerkannten Minderheiten in Deutschland. Der Dachverband der Sorben "Domowina" sowie die "Stiftung für das sorbische Volk" fördern wichtige sorbische Einrichtungen und Projekte, die zur Erhaltung der sorbischen Kultur und Identität beitragen.

Immer mehr (auch nichtsorbische) Kinder in meiner Heimat durchlaufen einen zweisprachigen Bildungsweg. Meine Schwester Lena besuchte seit ihrem zweiten Lebensjahr einen sorbischsprachigen Kindergarten, der zum 2001 gegründeten WITAJ-Sprachzentrum mit Sitz in Bautzen gehört. Inzwischen geht Lena auf eine WITAJ-Grundschule, wo sie auf Sorbisch und Deutsch unterrichtet wird. Durch Lieder, Gedichte und Feste wird den Kindern auf den WITAJ-Schulen und Kindergärten die sorbische Kultur näher gebracht. Seit einem Jahr lernt sie dort auch Englisch.


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