10.12.2015

Gefangen im Teufelskreis

Zwangsmigration von Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter aus dem Kosovo (Report)

An der Grenze zwischen Ungarn und Serbien. Foto: © Flavijus via Flickr

In den letzten Jahren war die Situation der Roma, Aschkali und der Balkan-Ägypter im Kosovo – und insbesondere die Situation derer, die bereits aus Westeuropa wieder in ihr Herkunftsland abgeschoben wurden – Thema mehrerer Publikationen. Dieser Bericht nimmt einen bisher wenig beachteten Aspekt ihrer Situation in den Blick, nämlich dass sowohl die westeuropäische Rückführungspolitik als auch die Wiedereingliederungspolitik im Kosovo Tausende Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter in einen fortwährenden Migrationskreislauf zwingen. Sie finden in Europa buchstäblich keinen Platz zum Bleiben.

Zehntausende Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter waren vor, während oder im Anschluss an den Konflikt von 1998/1999 gezwungen, vorübergehend Zuflucht in Westeuropa zu suchen. Jene, die diesen vorübergehenden Schutzstatus wieder verloren haben und in den Kosovo zurückzukehren mussten, sind dort entweder nie angekommen oder haben den Kosovo kurz darauf wieder verlassen. Diejenigen, die nicht in den Kosovo zurückgekehrt sind, haben entweder versucht, in anderen westeuropäischen Ländern unterzukommen und ihren Lebensunterhalt zu verdienen – oder sie sind im ursprünglichen Aufnahmeland untergetaucht. Die deutsche Bundesregierung schätzt, dass 75 % derjenigen, die einen Ausweisungsbescheid erhalten, vor ihrer geplanten Rückführung in den Untergrund gehen. Jene, die repatriiert wurden, entscheiden sich in der Regel, den Kosovo wieder zu verlassen. Entweder beschließen sie, in einem der Slums in Serbien zu wohnen – oder sie machen sich erneut auf den Weg zurück nach Westeuropa. Im Zeitraum von 2004 bis 2013 haben allein in Deutschland rund 28 000 Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter ihren temporären Aufenthaltsstatus verloren und waren folglich gezwungen, Deutschland wieder zu verlassen. Ein paar tausend Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter waren in anderen westeuropäischen Ländern wie Österreich, Belgien, Frankreich, der Schweiz und in Schweden mit derselben Situation konfrontiert. Auch gab es Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter, die freiwillig von Westeuropa zurück in den Kosovo wollten: Es gibt rund 7400 registrierte Fälle, in denen Roma, Aschkali oder Balkan-Ägypter aus den Nachbarländern (Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Montenegro und Serbien) in den Kosovo zurückgekehrt sind.

Der Regierung im Kosovo muss die Tatsache bekannt sein, dass die eigenen Bürger – Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter – aufgrund der gescheiterten Integrationspolitik fortziehen. Doch den Behörden im Kosovo ist auch klar, dass Westeuropa sie für die gescheiterte Integrationspolitik gegenüber den Roma, Aschkali und Balkan-Ägyptern nicht ernsthaft kritisieren wird. Primär geht es der Regierung im Kosovo darum, die Voraussetzungen für die Visaliberalisierung und den Zugang zur Europäischen Union – zumindest auf dem Papier – zu erfüllen. Gleichzeitig scheint die Europäische Union zufrieden zu sein, wenn die Vorgaben zumindest formal erfüllt sind. Die Kosovo-Regierung hat auch in der Vergangenheit mehrfach erklärt, dass es die Kapazitäten des Landes überschreiten würde, wenn alle ausgewiesenen Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter innerhalb eines kurzen Zeitraums zurückkehren würden.

Andererseits herrscht Einigkeit darüber, dass Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter im Kosovo diskriminiert werden, dass die überwiegende Mehrheit in prekären Verhältnissen und in extremer Armut lebt – und dass jene, die gewaltsam aus Westeuropa wieder in ihr Herkunftsland abgeschoben werden, davon noch stärker betroffen sind. Weiterhin sind sich alle relevanten Akteure darüber einig, dass die bestehenden Strategien und Gesetze zur Integration der Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter im Allgemeinen, sowie insbesondere der RückkehrerInnen, bisher kaum umgesetzt werden.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker fordert daher die Europäische Union, die Regierungen in Westeuropa sowie die Regierung des Kosovo auf, die Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter nicht länger in einen Kreislauf permanenter Migration und in ein Leben in der Illegalität und in Unsicherheit zu drängen.

Sie können sich die deutsche Zusammenfassung hier herunterladen: Download (pdf)

Den vollständigen Bericht in englischer Sprache finden Sie auf gfbv.ch/kosovo


Header Foto: Flavijus via Flickr