18.04.2005

OFFENER BRIEFAn Bundeskanzler Gerhard Schröder Widerrufen Sie Ihr Engagement für die Freilassung des "Vaters" des irakischen Giftgas-Programms, Amir al-Saadi!

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

Sie setzen sich für die Freilassung des ehemaligen irakischen Vizeministers Amir al-Saadi aus amerikanischer Haft in Bagdad ein, berichten der Spiegel und das Hamburger Abendblatt. Doch Ihnen, Herr Bundeskanzler, und dem Auswärtigen Amt muss seit langem bekannt sein, dass der 66-Jährige zwar formal 1974 bis 1987 an der Spitze der öffentlichen Gesellschaft für technische Industrien stand und ein Jahr später Vizeminister wurde. Doch er spielte auch eine entscheidende Rolle bei der Verlängerung der Reichweite der irakischen Scud-Raketen. Vor allem gilt er jedoch als "Vater" des irakischen Chemiewaffen-Programms.

 

Nur dadurch wurde es möglich, dass dann der Cousin Saddam Husseins, Ali Hassan al-Majid, 1986-1988 die von Giftgasbombardements begleitete so genannte Anfal-Offensive gegen die kurdische Bevölkerung führen konnte. Ihr fielen 180.000 kurdische und assyro-chaldäische Frauen, Kinder und Männer zum Opfer. Nach einem Report der Vereinten Nationen seien die Giftgasangriffe so furchtbar gewesen, dass nur wenige Präzedenzfälle seit den Weltkriegen zu finden seien. überlebende Opfer in den kurdischen und christlichen Siedlungen wurden liquidiert, Hunderttausende ins Innere des Landes getrieben. Kurdische Menschenrechtler haben gemeinsam mit Human Rigths Watch vier Millionen Dokumente des Saddam Hussein-Regimes durchgesehen und die Zahl der Anfal-Toten bestätigt. Ali Hassan al-Majid selbst hatte behauptet, mehr als 100.000 seien es nicht gewesen.

 

Ohne die Planung und technische Umrüstung der Scudraketen durch Al-Saadi wäre auch die Beschießung Israels im Frühjahr 1991 nicht möglich gewesen. Mit einer vierköpfigen Delegation der Gesellschaft für bedrohte Völker erlebte der Unterzeichner damals in Israel den Schrecken, den diese Raketenangriffe verbreiteten. Ihnen fielen zahlreiche israelische Bürger zum Opfer.

 

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, wir sind fassungslos darüber, dass Sie einen Kriegsverbrecher, der für Völkermord mitverantwortlich ist, in Freiheit sehen wollen und so offensichtlich auch die am Aufbau der Giftgasindustrie beteiligten deutschen Firmen entlasten wollen. Wir bitten Sie dringend,

 

* dass Sie das Engagement für den Kriegsverbrecher al-Saadi widerrufen und fordern, dass er vor ein Tribunal gestellt wird.

* die Öffentlichkeit über seine Mitverantwortung an dem Genozid an 180.000 Kurden und assyro-chaldäischen Christen sowie am Aufbau der Scud-Raketen informieren

* dafür sorgen, dass endlich eine Untersuchungskommission von der Bundesregierung eingesetzt wird, die die Beteiligung der deutschen Firmen an diesen Verbrechen untersucht und die überlebenden kurdischen und assyro-chaldäischen Opfer entschädigt.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Tilman Zülch

 

(Generalsekretär)

 

PS: Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass die GfbV bereits 1986-1988 kontinuierlich die Giftgasverbrechen im Irak bekannt gemacht hat, die für den Aufbau der Giftgasindustrie verantwortlichen Firmen, insbesondere die hessische Karl Kolb GmbH und ihre Tochterfirma Pilot Plant, öffentlich angeklagt, vom Bonner Landgericht deswegen am 4. August 1987 zweimal mit 500.000 DM Bußgeld bedroht und erst am 11. Januar 1988 vom Kölner Oberlandesgericht wieder "freigesprochen" wurde. Die GfbV hatte bereits im späten Frühjahr 1991 auf einer Pressekonferenz mit von Scud-Raketen-Angriffen betroffenen Israelis in Bonn einzelne deutsche Firmen verantwortlich gemacht.

 

Wir erlauben uns, diesen offenen Brief auch den kurdischen Ministern in der irakischen Regierung, Außenminister Hoshar Zebari, dem Vizepräsidenten Rosch Chawes und dem stellvertretenden Premierminister Bahram Salih, sowie dem Generalsekretär der PUK Jalal Talabani, dem Präsidenten der KDP Masud Barzani, dem Vorsitzenden der assyrisch-chaldäischen Gemeinschaft Yonadam Kanna, dem Botschafter des Staates Israel in Deutschland, Herrn Shimon Stein, und dem Vorsitzenden des Zentralrates der Juden, Herrn Paul Spiegel, zuzustellen.