25.04.2021

Prozessauftakt gegen Selahattin Demirtas (26.4.)

Unerträgliche Doppelstandards in Bezug auf Oppositionelle (Pressemitteilung)

Am morgigen Montag, den 26. April, beginnt in der Türkei der Prozess gegen den kurdischen Oppositionspolitiker Selahattin Demirtas und weitere Angeklagte. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) kritisiert nicht nur den politisch motivierten Prozess, sondern auch die westlichen Doppelstandards in Bezug auf Oppositionelle in autoritären Regimen: „Es ist schwer zu ertragen, dass einem friedlich und demokratisch gesinnten Politiker wie Demirtas kaum Solidarität entgegengebracht wird, während jemand wie Nawalny Unterstützung aus höchsten Regierungskreisen erfährt“, findet GfbV-Nahostexperte Dr. Kamal Sido. „Der türkische Präsident Erdogan sperrt seit Jahren systematisch politische Konkurrenten ein. Weil die Türkei aber in der Nato ist, wird ihm jedes antidemokratische Verhalten verziehen.“ Einzig das Programm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“, das verschiedene Bundestagsmitglieder unterstützen, hat eine Patenschaft für Demirtas übernommen.

Der HDP-Politiker sitzt seit dem 3. November 2016 in Haft. Politisch und menschlich steht er für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage, für eine echte Demokratisierung und für Glaubensfreiheit in der Türkei. Weiter setzt er sich für die sprachliche, politische, aber auch die kulturelle Gleichberechtigung der kurdischen, assyrisch / aramäischen und armenischen Bevölkerungsgruppen ein. Die Verhaftung der beiden HDP-Vorsitzenden, neben Demirtas auch die Co-Vorsitzende Figen Yüksekdag, erfüllte keine rechtsstaatlichen oder humanitären Standards. Die Informationen, die zur Anklage führten, stammten aus abgehörten Telefongesprächen. Diese haben ohne Aufhebung der Immunität der beiden zu der Zeit Abgeordneten des türkischen Parlaments stattgefunden. 

„Die Verhaftung von Selahattin Demirtas sollte Erdogans politische Konkurrenz einschüchtern. Zugleich werden türkische Gerichte weiter politisiert und vom Präsidenten abhängig gemacht“, so Sido. „Das zeigt sich auch darin, dass türkische Gerichte Demirtas‘ Haftstrafe von 142 Jahren bekräftigt haben, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schon seit 2018 seine Freilassung fordert.“ Diese Forderung wiederholte der EGMR erst am 22. Dezember 2020. Neben der Verletzung des Rechtes auf freie Meinungsäußerung und des Rechtes auf Freiheit und Sicherheit liegt dem Urteil zufolge auch eine Unterdrückung des Pluralismus vor. Dies erfülle den Zweck, die Freiheit der politischen Debatte einzuschränken. Das Urteil des EGMR wurde von den türkischen Richtern nicht ins Protokoll aufgenommen und auch nicht der Gerichtsakte beigefügt.