09.08.2016

Schutzsuchende Roma-Flüchtlinge verhaftet: Kirchliche Obhut war „böse Falle“

Räumung von Pfarrhaus in Regensburg als „Schande für die Kirchen“ bezeichnet (Pressemitteilung)

Im Pfarrhaus St. Emmeram in Regensburg hatten zwischenzeitlich bis zu 45 Roma Schutz vor drohender Abschiebung gesucht, zuletzt waren es noch 16 gewesen. Nahrungsmittelspenden an sie wurden verhindert. Foto via Wikimedia Commons

Als eine „Schande für beide Kirchen“ hat Tilman Zülch, Präsident der Gesellschaft für bedrohte Völker – International (GfbV), die polizeiliche Räumung des katholischen Regensburger Pfarrhauses St. Emmeram am gestrigen Montagabend bezeichnet. Die „kirchliche Obhut“, die den schutzsuchenden und um Kirchenasyl bittenden Roma dort angeboten wurde, habe sich als „böse Falle“ erwiesen, kritisierte der Menschenrechtler am Dienstag in Göttingen. Im Pfarrhaus St. Emmeram hatten zwischenzeitlich bis zu 45 Roma Schutz vor drohender Abschiebung gesucht.

Schon vor der Räumung hatte die Kirche nach Angaben des bayerischen Flüchtlingsrates versucht, die letzten 16 noch im Pfarrhaus verbliebenen Flüchtlinge „auszuhungern“, indem sie Nahrungsmittelspenden an sie verhinderte. Das Bistum Regensburg hatte auf diesen Vorwurf unmittelbar vor der Räumung mit einem halben Dementi reagiert. „Die Flüchtlinge bekommen Nahrung, aber nicht im Pfarrheim. Jeder kann heraustreten und sich versorgen“, wurde ein Domsprecher in den Medien zitiert.

„Diese Verlautbarung war zynisch“, kritisierte Zülch. Denn nach Informationen der GfbV wären die fünf von Abschiebung bedrohten Flüchtlinge beim Verlassen des Pfarrhauses sofort verhaftet worden. Die Polizei wartete vor dem Gebäude auf sie, weil gegen sie ein Haftbefehl vorlag und ihre Daten an die Sicherheitskräfte weitergegeben worden waren.

Bei einer mazedonischen Familie, die am heutigen Dienstagmorgen um 10 Uhr dem Haftrichter vorgeführt wurde, wollte eine evangelische Kirchengemeinde nach sicherer Kenntnis der GfbV prüfen, ob nicht Kirchenasyl gewährt werden könne. Die Familie hatte es versäumt, Rechtsmittel gegen die Ablehnung ihres Asylantrags einzulegen. Die für eine Prüfung durch die Kirche notwendige Akte des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) traf jedoch wochenlang nicht ein und schließlich war die Familie aus der Obhut der evangelischen Kirchengemeinde weiter in die der katholischen geflüchtet, weil sie sich dort schnellere Hilfe erhofft hatte. Zusätzlich hatte die Familie schriftlich erklärt, freiwillig ausreisen zu wollen. Jetzt befindet sie sich in Abschiebehaft.

„Solch eine Erklärung kann allenfalls ein Trick sein, die Ausreisewilligen in falscher Sicherheit zu wiegen“, monierte Zülch. Die Gefahr sei nun, dass die Familie nicht mehr in ein Land ihrer Wahl außerhalb der EU ausreisen könne, sondern zwangsweise nach Mazedonien abgeschoben werde, obwohl diese Roma-Familie zur Minderheit der osmanischen Mazedonier gehöre, die problemlos und legal in die Türkei hätte einreisen können und wollen.

Noch härter ist Zülch zufolge eine dreiköpfige Familie aus dem Kosovo betroffen, die nach dem Kosovo-Krieg nach Deutschland geflohen ist. Sie hat nach Kenntnis der GfbV Videoaufnahmen bei sich, die zeigen, wie ihr Haus nach dem Einmarsch der Bundeswehr und anderer NATO-Kräfte im Jahr 1999 von Kosovo-Albanern zerstört wird. „Das ist kein Einzelschicksal“, klagte Zülch an, „von 74 traditionellen Roma-Dörfern im Kosovo wurden damals 70 zerstört. Die Familien wurden vertrieben.“

„Wie die Tochter dieser Familie, die hier aufgewachsen ist und zur Schule ging, werden jetzt Tausende Roma-Kinder aus ihrer Heimat vertrieben, die für diese Generation Deutschland heißt“, kritisierte der Menschenrechtler. „Diese jungen Menschen sind die Bauernopfer, mit denen die Bundesregierung zur AFD abwandernde Wähler offenbar zurückgewinnen möchte. So müssen die höchstens noch rund 30.000 hier seit Jahren oder Jahrzehnten lebenden Roma-Familien den Preis für eine Million Flüchtlinge bezahlen, deren Aufnahme im vergangenen Jahr von einem Tag auf den anderen beschlossen wurde. Das ist der Gipfel der Heuchelei einem Land, in dem jeden Tag die jüdischen Opfer des Holocaust beklagt werden, während man Roma-Flüchtlinge und ihre Kinder deportiert.“

Unterstützt von großen jüdischen Persönlichkeiten wie Simone Veil, Simon Wiesenthal und dem Präsidenten des Zentralrats der Juden Heinz Galinski sowie von der indischen Ministerpräsidentin Indira Gandhi und Willy Brandt, hatte Zülch bereits 1979 und 1981 mit zwei Großveranstaltungen in der KZ-Gedenkstätte Bergen Belsen und in der Universitätsstadt Göttingen an diese „anderen“ Opfer des Holocaust erinnert, den nationalsozialistischen Völkermord an mehr als 500.000 Roma öffentlich gemacht und eine Wiedergutmachungslösung initiiert.

Seiner Auffassung nach ist die Abschiebung weniger tausend, seit Jahrzehnten in Deutschland lebender Roma und ihrer hier geborenen Kinder ein unentschuldbarer Rückfall in längst überwunden geglaubte Zeiten.