22.04.2005

Roma in Polen

Als wären sie geistig behindert

In Polen leben etwa 30.000 Roma – wenig im Vergleich zu den anderen mittel- und osteuropäischen Ländern. Die Roma erleben Diskriminierungen und Anfeindungen, verhältnismäßig oft werden sie Opfer von rassistisch motivierten Angriffen; selbst in ihren Häusern sind sie vor Angriffen von Skinheads nicht sicher.

Eine im Jahr 2002 durchgeführte Untersuchung des European Roma Rights Center (ERRC) in der 200.000 Einwohner-Stadt Zabre macht deutlich, dass die dort lebenden Roma immer Angst haben müssen, erneut Opfer der zahlreichen brutalen Angriffe zu werden. "Es passiert meistens zwischen 2 und 3 Uhr in der Nacht. Sie rufen dann "Vergast die Zigeuner" oder "Haut ab, ihr Dreckschweine". An den Wochenenden kommen sie sogar tagsüber, nach den Fußballspielen. Freitag, Samstag und Sonntag sind die schlimmsten Tage," berichtet Anna Mirga, eine Roma aus Zabre. Die Skinheads werfen mit Steinen Fenster ein, beschädigen Autos, rufen rassistische Parolen oder attackieren die Roma körperlich. Diese gehen nur in den seltensten Fällen gegen die Angreifer gerichtlich vor, da sie eine Zunahme der Drohungen und Angriffe fürchten. Zudem erwarten die Roma von der Polizei keine Hilfe, werden sie doch von der Polizei diskriminiert: Nach Razzien kommt es zu willkürlichen Verhaftungen und Beschlagnahme ihres Eigentums. Wenn sich Roma nach Übergriffen beschweren, werden die Vorfälle unzureichend und voreingenommen untersucht. Mit besonderer Härte geht die Polizei gegen rumänische Roma vor, die sich illegal in Polen aufhalten. Wenn es zu Verhaftungen kommt, werden Kinder von ihren Eltern getrennt und in staatliche Heime gebracht. Den Eltern wird oft keine Information über den Aufenthaltsort ihrer Kinder gegeben.

Ursprünglich sollten die Kinder in den so genannten "Roma-Klassen" besondere Hilfestellungen erhalten, um schließlich in integrierte Klassen wechseln zu können. In der Realität erleichtert der Unterricht in Roma-Klassen jedoch nicht den Übergang zu integrierten Klassen, in denen Roma mit Kindern der Mehrheitsbevölkerung zusammen lernen, sondern verstärkt die Isolierung der Roma-Kinder. In den Roma-Klassen hat der Unterricht ein deutlich niedrigeres Niveau, die Ausstattung mit Lehrmaterialien ist schlecht. Nur etwa 10 % der Kinder wechseln nach Absolvierung der "Roma-Klassen" in integrierte Klassen, die anderen verlassen die Schule.

Die wenigen Kinder, die nicht in den Klassen für geistig Behinderte landen, sondern den Zugang zu integrierten Klassen schaffen, sind dort meist dem diskriminierenden Verhalten von Mitschülern und Lehrern ausgesetzt. Viele Eltern der Nicht-Roma protestieren, dass ihre Kinder mit Roma in eine Klasse gehen müssen. Aus diesem Grund verweigern mittlerweile Schulleiter die Einrichtung von integrierten Klassen.

Die Benachteiligung der Roma-Kinder im Bereich der Bildung erschwert ihnen später den Zugang zum Arbeitsmarkt erheblich, zudem wird das Vorurteil gestärkt, Roma seien dumm. Die polnische Regierung erkennt die hohe Arbeitslosigkeit der Roma, in manchen Gegenden liegt sie bei 90 bis 100%, als Problem an. Doch das liege an den Roma selbst, wird argumentiert: Sie seien schlecht ausgebildet, besäßen nicht die erforderlichen Qualifikationen und würden die polnische Sprache nicht ausreichend beherrschen. Auch in den Augen der Mehrheitsbevölkerung sind die Roma an ihrer Situation selbst schuld. Sie werden als faul abgestempelt. Die Helsinki Foundation for Human Rights verweist auf eine Studie, der zufolge 93,9 % der Roma sofort arbeiten würden, doch viele Arbeitgeber weigern sich, Roma einzustellen. Die 27-jährige Iwona Goindowska-Mirga bekam nach einem Vorstellungsgespräch einen Brief des Unternehmens, in dem stand, dass Ausländer nicht angestellt werden. Als sie erklärte, dass sie keine Ausländerin, sondern polnische Staatsbürgerin sei, wurde das Wort "Ausländerin" durchgestrichen und mit "Zigeuner" überschrieben.