20.02.2013

Tibet

Written Statement (deutsche Fassung)

Menschenrechtssituation im Autonomen Gebiet Tibet und den angrenzenden Gebieten, in denen Tibeter leben


Bezüglich des Fehlens eines funktionierenden Rechtssystems, unabhängiger Richter und gerechter Gerichtsprozesse in China.

Ein essentieller Aspekt eines funktionierenden Menschenrechtssystems, das die Freiheit seiner Mitglieder garantieren kann, ist die Herrschaft des Gesetzes und die Unabhängigkeit der Judikative. Die Abwesenheit eines funktionierenden und gerechten Rechtssystems ist eines der wesentlichen Probleme der tibetanischen Minderheit in China und führt zu einem Mangel an richterlicher Unabhängigkeit und der Verweigerung von fairen Gerichtsverfahren. Dies fällt mit der Tatsache zusammen, dass chinesische Strafverfolgungsbehörden weitgehend freie Hand gelassen wird. Jede öffentliche Aussage, die der Ideologie der kommunistischen Partei Chinas widerspricht, kann zu Inhaftierung oder Deportation in Straflager führen. Die Erzwingung von Geständnissen durch Folter ist dort an der Tagesordnung. Gefangene werden dort häufig über Jahre ohne Prozess festgehalten.

Obwohl die Volksrepublik China ein Mitglied der UN Konvention gegen Folter ist, werden tibetische Bürger weiterhin der Gewalt durch chinesische Beamte ausgesetzt. Trotz der Tatsache, dass willkürliche Internierung und Folter in verschiedenen Menschenrechtsabkommen verurteilt und untersagt werden, kommen sie weiterhin tagtäglich vor. Eine Hauptursache hierfür besteht in dem Fehlen eines funktionierenden Rechtssystems in China.

Artikel 5 der Strafprozessordnung der Volksrepublik China legt die Unabhängigkeit richterlicher Gewalt von staatlichen Organen, zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie Individuen fest. Die Artikel 33 bis 41 behandeln die Rechte von Angeklagten im Bezug auf Verteidigung und Repräsentation. In der Volksrepublik China lebenden Tibetern werden diese Rechte systematisch vorenthalten. Dies wird schon anhand der Verurteilung vieler Tibeter nach deren öffentlichen Protesten und Selbstverbrennungen im März 2008 deutlich, die allesamt unter Missachtung der Rechtsordnung und ohne Rechtsbeistand für die Angeklagten erfolgten. Chinesischen Anwälten für Menschenrechte, die die Verteidigung freiwillig übernehmen wollte, wurden mit der Drohung erpresst, ihre Zulassung könnte ihnen aufgrund solcher Handlungen entzogen werden.

Aufgrund der Abwesenheit von funktionierenden Mechanismen im Rechtsetzungsprozess und eklatanten Missständen bei der Verteidigung von Angeklagten, kann das chinesische Rechtssystem unmöglich internationalen Standards gerecht werden. Die fehlende Durchsetzungsfähigkeit der Rechte von Minderheiten in China versetzt Regierungsbehörden in eine Machtposition, in der sie grundsätzlich willkürlich handeln können. Regierungsbehörden sind täglich an Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen beteiligt, welche eine klare Verletzung nicht nur des chinesischen Strafprozessrechts, sondern auch des Recht gemäß internationaler Verträge darstellen

Verweigerung des Rechts auf Repräsentation vor Gericht, Familienbesuche, gerechte Verhandlungen und Transparenz

Seit Jigme Guri (auch bekannt als Labrang Jigme oder Jigme Gyatso) am 20. August 2011 inhaftiert wurde, wurde ihm sein Recht auf unabhängige rechtliche Vertretung sowie sein auf Familienbesuche systematisch vorenthalten. Jigme Guri, ein Mönch des Labrang Klosters in der chinesische Provinz Kanlho (Chinesisch:Gannan), wurde seit Protesten in den von Tibetern besiedelten Gebieten im Jahr 2008 bereits dreimal verhaftet. Nachdem er aus der Haft entlassen wurde, fertigte er einen Videobericht über die menschenunwürdige und brutale Behandlung in chinesischen Haftanstalten und seine Ansichten im Bezug auf chinesische Politik an. Dieses Video verbreitete er über Youtube, wo es schnell ein breites Publikum erreichte. Am 1. Januar verkündeten chinesische Behörden, dass Jigme aufgrund seiner Handlungen angeklagt werde, da sein Verhalten darauf abziele, das “Land zu spalten”.

Jigme Gyatso alias Golog Jigme unterstützte Dhondup Wangchen bei seiner Arbeit an der 2008 veröffentlichen Dokumentation “leaving fear behind”. Das Werk stellte das tägliche Leben in China aus nächste Nähe dar. Jigme and Dhondup wurden im März 2008 verhaftet. Dhondup wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt und befindet sich derzeit in einem Gefängnis in Xichuan. Jigme wurde nach sieben Monaten Haft ohne Anklage entlassen, allerdings wurde er während dieser Zeit von chinesische Beamten gefoltert. Seit 2008 befand sich Jigme unter konstanter Überwachung durch chinesische Behörden und wurde wiederholt inhaftiert. Jigme Gyatso ist seit September 2012 verschwunden. Die chinesische Polizei erließ am 28. November 2012 einen Haftbefehl gegen ihn aufgrund des Verdachts des Mordes. Weiterhin wurde eine Belohnung von 200.000 Yuan für hilfreiche Informationen ausgeschrieben. Es besteht die Befürchtung, dass ihm, sollte er gefasst werden, die Todesstrafe droht. Golog Jigme, ein Mönch des Labrang Klosters, wurde 1969 in Serthar geboren.

Der 33-jährige Logya wurde aufgrund seiner Teilnahme an Demonstrationen in Ngaba (Chinese: Aba) in der Provinz Sichuan am 23. Januar 2012 festgenommen und zu vier Jahren Haft verurteilt. Er kam aus Meruma Stadt in Ngaba und hatte an der Protesten teilgenommen. Zusammen mit Choepa, 24, der ebenfalls an der Protesten teilnahm, gelang es ihm, einer Inhaftierung für einige Zeit zu entgehen. Am 10. August 2012 setzte sich Choepa in Brand und starb in Meruma Stadt. Logya wurde kurze Zeit später in Mema Stadt in der Gansu Provinz festgenommen. Im Anschluss an seine Verhaftung wurde er über Monate in Barkham festgehalten, wo er geschlagen und gefoltert wurde. Ihm wurde ein gerechtes Verfahren sowie ein Rechtsbeistand verweigert. Zusätzlich wurde seine Familie nicht über seine Inhaftierung und Anklage informiert. Letztlich wurde Logya aufgrund seiner friedlichen Demonstration zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Zurzeit befindet er sich im Mianyang Gefängnis in der Provinz Sichuan. In einem nachfolgenden Richtspruch verurteilte der chinesische Volksgerichtshof in Barkham Tsering Dugkar, einen Tibeter aus Mema Stadt zu zwei Jahren haft, da er Logya angeblich Unterkunft geboten hatte, woraufhin dieser sich dem Zugriff der chinesischen Behörden entziehen konnte.

Am 25. August 2012 wurde Jigme Dolma, 17, vom chinesischen Volksgerichtshof in Kandze zu drei Jahren Haft verurteilt, nachdem sie bezüglich des Vorwurfs der “Spaltung Chinas” für schuldig befunden wurde. Am 24. Juni 2012 hatte Jigme Dolma eine Einzelprotestaktion durchgeführt, indem sie symbolisch tibetisch-buddhistische Karten verstreute und die Rückkehr des Dalai Lama sowie die Freilassung politischer Gefangener forderte. Sie wurde schwerster physischer Misshandlung durch Beamte ausgesetzt, bevor sie letztendlich inhaftiert wurde. Trotz wiederholter Anfragen an das ansässige Büro für öffentliche Sicherheit, wurden ihr Familienbesuche während der ersten sechs Tage ihrer Haft verweigert. Ihr derzeitiger Aufenthaltsort ist unbekannt. Am 28. August 2012 war es ihrer Familie möglich, sie zwei mal nach der Verkündung des Urteils zu sehen. Später wurde sie in ein staatliches Gefängnis der Volksrepublik China verlagert. Zum Zeitpunkt dieses Berichts wurde ihre Familie noch immer nicht über ihren Aufenthaltsort informiert.

In einem ähnlichen Fall vom 4. Juli 2012 verteilte Kelsang Tenzin, 22, öffentlich Flugblätter in Kardze und forderte die Rückkehr des Dalai Lama und die Freilassung politischer Gefangener. Während seiner Inhaftierung wurde er massivst körperlich misshandelt. Seiner Familie wurden Besuche untersagt und sein Aufenthaltsort ist bis heute unbekannt.

Geständnisse durch Folter

Die Polizei dominiert im chinesischen Rechtssystem und nutzt systematisch Folter, um Geständnisse zu erzwingen. Diese Praktiken sind weiterhin weit verbreitet und der Amtsmissbrauch chinesischer Beamter ist ein alltägliches Phänomen. Tibetische politische Gefangene im ?hushur Gefängnis, ca. 48 Kilometer südwestlich von Lhasa, sind regelmäßig Opfer von Folter und anderen Formen körperlicher und psychischer Misshandlung. “Wir wurden im Gefängnis jeden Tag gefoltert” berichtete ein Mann, der anonym zu bleiben wünschte, dem “Radio Free Asia“. Er fügte hinzu: „Manchmal wurde wir an die Decke gehängt, unsere Hände und Beine gefesselt. Essen bekamen wir nur in unregelmäßigen Abständen, doch wenn wir es bekamen, mischten die Wärter Sand unter, damit wir durstig wurden. Viele von uns waren gezwungen, unseren eigenen Urin zu trinken.“ Der Mann berichtete, dass die die chinesischen Vernehmungsbeamten die Gefangenen wiederholt verhörten, um herauszufinden, wer Einfluss auf die Proteste in der autonomen Region Tibet hatte. „Sie wollten wissen, wer uns zu den Demonstrationen gegen die chinesische Regierung angestiftet hatte. Sie sagten uns, der Dalai Lama würde uns nicht helfen, wenn wir ihn brauchten und dass es nur die kommunistische Partei sei, die uns wirklich helfen könne.“

Obwohl die Volksrepublik China ein Unterzeichner der UN Konvention gegen Folter ist, bleibt Folter und Misshandlung, nach der Meinung von Sophie Richardson, ihrerseits „China Director“ des washingtoner Büros für Menschenrechte, weiterhin eine vielverwendete Strategie, mit der Menschen zu Kooperation mit chinesischen Behörden oder der Herausgabe von Informationen gezwungen werden.

Am 01. September 2012 enthielt die amerikanische Datenbank für politische Gefangene der “Congressional-Executive Commission on China” 626 Einträge von tibetischen politischen Gefangenen, von denen angenommen wird, dass sie von chinesischen Behörden festgehalten werden. Nach dem CECC Jahresbericht 2012 wurden 597 dieser Gefangenen nach dem 10. März 2008 inhaftiert, als tibetische Proteste überall in der Region Tibets aufflammten.

Die Polizei der Provinz Sichuan inhaftierte Lorang Konchock, einen 40-jährigen Mönch und seinen 31 Jahre alten Neffen inn Ngaba, nachdem diese eine Gruppe von acht Personene dazu angetrieben hatten, sie in Brand zu setzen. Es ist wahrscheinlich, dass die zwei Tibeter aufgrund ihres Geständnisses bezüglich dieser Aktionen gefoltert und eingesperrt wurden.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker fordert den UN-Menschenrechtsrat auf, die Volksrepublik China im Rahmen einer notwendigen Verbesserung der Menschenrechtssituation in ihrem Land, zu den folgenden Schritten zu bewegen:

- Freilassung aller politischen Gefangenen, insbesondere Minderjähriger

- Durchführung der notwendige Veränderungen der chinesischen Strafprozessordnung

- Unterzeichnung und Ratifikation aller relevanten UN-Konventionen

- Einladung des UN-Sondergesandten für die Unabhängigkeit von Richtern und Anwälten wie bereits am 1. Juni 2011