28.04.2005
Türkische Minderheit in Westthrakien
An den Rand gedrängt
"Mit dem Fahrrad kommt der Muezzin zur Moschee in Komotini, steigt auf den Balkon des Minaretts und singt in alle Himmelsrichtungen den Gebetsruf", so ein Reisender aus der griechischen Region Westthrakien, wo die türkische Minderheit lebt. Konkrete Angaben zur Zahl der muslimischen Minderheiten in Westthrakien finden sich in der Studie der Athener Akademie von 1995. Demnach sind es 105.000 Moslems mit griechischer Staatsbürgerschaft, darunter 48 Prozent Minderheitstürken. Etwa die Hälfte der Einwohner Komotinis – türkisch Gümülcine - sind Türken. Sie gehören auch heute noch zur ärmsten und am stärksten benachteiligten Schicht in dieser ärmsten Region Griechenlands.
Seit 1999 wandelt sich die Politik ihnen gegenüber. Hintergrund ist die Unterstützung des in der Türkei inhaftierten PKK Führers, Abdullah Öcalan: Nach dessen Festnahme in Kenia trat nämlich zutage, dass Griechenland ihm die Einreise erlaubt und ihn in seiner kenianischen Botschaft untergebracht hatte. Der Skandal weitete sich zu einer Regierungskrise aus, in deren Folge der griechische Außenminister Pangalos zurücktreten musste. Sein Nachfolger Papandreou leitete eine moderatere Politik gegenüber der Türkei und der türkischen Minderheit in Griechenland ein. Der Alltag der Türken in Westthrakien bleibt jedoch von schwerer Benachteiligung geprägt.
Nach offizieller griechischer Lesart gibt es keine "türkische" Minderheit sondern nur eine "muslimische". Es war daher eine kleine Sensation, als Außenminister Papandreou in diesem Zusammenhang nicht von "griechischen Muslimen" sondern von der "türkischen Minderheit" sprach. Auch die im griechischen Gesetz festgeschriebenen Benachteiligungen sind fast alle nach und nach beseitigt worden. Die Ungleichbehandlung ist jedoch bereits so stark institutionalisiert, dass sich die Reformen im Alltagsleben der Türken kaum niederschlagen.
Seit spätestens dem 14. Jahrhundert siedeln ethnische Türken in Thrakien. Unter dem Lausanner Vertrag von 1923 wurden der Minderheit weitgehende Rechte eingeräumt. Auf dem Rücken der türkischen Minderheit wurde jedoch - insbesondere seit 1963 - der politische Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland ausgetragen. Dies und die kontinuierliche Benachteiligung der Türken im griechischen Alltag hat zur relativen Unterentwicklung dieser Minderheit geführt. Die wenigen Schulen, an denen in Türkisch unterrichtet wird, sind überfüllt. Jahrelang wurden Türken, die in der Türkei ein Studium abgeschlossen haben, nicht in den Schuldienst eingestellt. Die Qualität des Unterrichts ist daher unbefriedigend, so die Betroffenen. Die Schulbücher sind vollkommen veraltet. Angehörige der türkischen Minderheit beklagen zudem, dass sie verstärkt von der Polizei kontrolliert würden, dass ihre Meinungsfreiheit eingeschränkt würde.
Ein großer Fortschritt in der griechischen Behandlung der Türken war die Abschaffung des Artikel 19 des griechischen Zivilgesetzbuchs am 11. Juni 1998. Auf seiner Grundlage war 60.000 Bürgern Griechenlands zwischen 1955 und 1998 die Staatsbürgerschaft entzogen worden. Die meisten von ihnen waren türkischstämmige Griechen. So wurde versucht, die demographische Balance in Thrakien zu Gunsten der ethnischen Griechen zu verschieben. Allerdings erhielten die Ausgebürgerten keineswegs ihre Bürgerrechte zurück. Denn, so die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in ihrem Menschenrechtsreport "The Turks of Western Thrace" (1999), die Abschaffung des Artikel 19 ist nicht rückwirkend gültig. Wer einmal ausgebürgert ist, hat also keinen Anspruch auf Wiedereinbürgerung. Nach Schätzungen von Human Rights Watch gibt es demzufolge noch etwa 1.000 bis 4.000 Staatenlose in Griechenland. Die große Mehrheit der auf Grundlage von Artikel 19 Ausgebürgerten wanderten überdies aus und hat inzwischen die Staatsbürgerschaft anderer Staaten angenommen. Staatenlose werden in sozialen Belangen stark benachteiligt. So profitieren sie nicht vom staatlichen Gesundheitssystem und können nur unter Auflagen die staatlichen Schulen besuchen.
Auch die im Lausanner Vertrag garantierte religiöse Autonomie wird systematisch eingeschränkt. So werden z. B. Muftis in Verletzung des Lausanner Vertrages vom Staat eingesetzt, die von der Gemeinde gewählten Würdenträger hingegen schikaniert. Der 1990 von seiner Gemeinde gewählte Mufti von Xanthi wurde seit 1993 in bislang mehr als 80 Verfahren zu einer Gesamtstrafe von 139 Monaten verurteilt. Prozesse, die von Vertretern der türkischen Minderheit gegen die Einsetzung von Muftis durch den Staat angestrengt werden, werden immer wieder verzögert.
Quellen: Human Rights Watch: The Turks in Western Thrace, Januar 1999, Hugh Poulton: "The Balkans, Minorities and Governments in Conflict, 1993, Tagesanzeiger, 8.10.1998 "Außenseiter der griechischen Gesellschaft, Sevasti Trubeta: Die Konstitution von Minderheiten und die Ethnisierung sozialer und politischer Konflikte. Eine Untersuchung am Beispiel der im griechischen Thrakien ansässigen Moslemischen Minderheit, Prof. Dr. Faruk Sen, Zentrum für Türkeistudien, Essen: "Kurzbericht über die Lage der türkischen Minderheit in Griechenland, 1.12.2000