27.04.2005

"Uns bleibt nur der Staub der Lastwagen"

In Chile kämpfen Mapuche-Gemeinden gegen multinationale Forstunternehmen und gegen eine staatliche Politik, die ökonomisches Wachstum vor den Schutz indigener Völker stellt

Kilometer um Kilometer ziehen sich die Kiefernbäume in ordentlichen, langen Reihen über die Hügellandschaft zwischen Lumaco und Purén, hin und wieder unterbrochen vom Graugrün einer Eukalyptus-Plantage. Hohe Bäume, die kurz vor der "Ernte" stehen und junge Pflanzen, die zwischen den Stümpfen ihrer Vorgänger in die Erde gesetzt wurden.

Die natürlichen Bedingungen im Süden Chiles sind optimal: 25 Jahre benötigen die Kiefern, zehn Jahre die Eukalyptus-Setzlinge, um eine stattliche Größe zu erreichen und einen ebenso stattlichen Preis auf dem weltweiten Holz- und Papiermarkt zu erzielen. 2,1 Millionen Hektar dieser Monokulturen zählte die chilenische Forstbehörde CONAF im Jahre 2001. Ein Großteil davon im historischen Siedlungsgebiet der Mapuche, im mittleren Süden Chiles zwischen Bío-Bío Fluss und der Insel Chiloé – Monokulturen mit großen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Der einheimische temperierte Regenwald der Region wich im Zuge dieser Forstexpansion immer weiter zurück und mit ihm einzigartige Bäume der Region, wie Roble, Raulí, Lingue, Alerce oder die schuppenblättrige Araukarie.

Für die Mapuche bedeutet diese Entwicklung den Verlust einer seit Jahrhunderten vertrauten und traditionell genutzten Umwelt mit extremen Auswirkungen auf alle Bereiche des Gemeindelebens. Die Mapuche-Organisationen sehen die Forstexpansion daher als neuerlichen Angriff auf das Überleben ihrer Kultur – nach der gewaltsamen Annektierung des Mapuche-Territoriums Ende des 19. Jahrhunderts, der drastischen Reduzierung des Landes auf Reservate (reducciones) und der fortschreitenden Privatisierung des Gemeindelandes. Grundlage der neuen Bedrohung ist eine neoliberale Forstpolitik, die ihren Ursprung in Diktaturzeiten hat und keine Rücksicht auf soziale und kulturelle Kosten nimmt. Das 1974 unter Augusto Pinochet verabschiedete Gesetz 701 subventionierte bis 1998 den großflächigen Anbau von Kiefern- oder Eukalyptusplantagen mit 75 Prozent der Investitionssumme. Zwischen 1976 und 1992 wurden so vom chilenischen Steuerzahler 110 Millionen US-Dollar an Subventionen zum Aufbau einer auf dem Weltmarkt konkurrenzfähigen Holzindustrie finanziert. Es entstanden große Unternehmensgruppen, unter anderem die Marktführer Arauco und CMPC, die heute zusammen 47% aller Pflanzungen des Landes kontrollieren. Die Ende der Siebziger Jahre privatisierten Unternehmen konnten auf diesem Wege beinahe kostenlos Kiefern- und Eukalyptus-Pflanzungen auf Land anlegen, das sie günstig vom Staat erhielten – zum Teil ehemaliges Mapuche-Land, das unter Salvador Allende an die Mapuche zurückgegeben worden war und nach dem Staatsstreich erneut enteignet wurde. Auf der Grundlage alter Landtitel fordern die Gemeinden dieses Land heute von den Forstunternehmen zurück.

"Das Gesetz 701 ist eines der tragischsten Gesetze für die Mapuche", sagt Pablo Huaiquilao, Forstexperte der übergreifenden und dezentralen Mapuche-Organisation Coordinación de Identidades Territoriales. "Es hat das primäre Ziel, die Exportzahlen im Forstsektor zu erhöhen, ohne dabei Rücksicht auf die lokale Situation zu nehmen." Mit Erfolg: 2003 stiegen die chilenischen Forst-Exporte um 9,7% gegenüber dem Vorjahr auf die Rekordsumme von 2,524 Milliarden US-Dollar. Hauptabnehmer der chilenischen Forstprodukte sind nach den USA, Japan, China und Mexiko vor allem die Länder der Europäischen Union, mit denen Chile im Jahre 2002 ein Freihandelsabkommen unterzeichnete.

Leben mit den fremden Bäumen

"Vom Reichtum der Forstunternehmen sehen wir nur den Staub der Lastwagen", sagt Hugo Parra, Beamter der Abteilung Soziales in der Kommunalverwaltung von Lumaco. Er holt einige Statistiken aus einer Schublade hervor, in der auch eine Kopie der Gesetzgebung für die indigene Bevölkerung von 1993 liegt. "Wir sind eine der ärmsten Kommunen des Landes." An die 40% der Bevölkerung lebt in Armut, die Böden sind von starker Erosion betroffen, Arbeitsmöglichkeiten gibt es kaum, über 40% der Fläche der Kommune ist von Kiefern- und Eukalyptusplantagen bedeckt – die Holztransporter der Forstunternehmen fahren Tag und Nacht. "Die Unternehmen ziehen ihre Gewinne aus der Kommune, aber tragen in keiner Weise zu ihrer Entwicklung bei", bestätigt auch Francisco Huircaleo von der Vereinigung der Mapuche-Gemeinden in Lumaco. "Sie zahlen ihre Abgaben in Santiago und stellen noch nicht einmal lokale Arbeitskräfte ein."

Eine Studie der Internationalen Arbeitsorganisation von 1999 wies nach, dass nur 15% der Arbeitskräfte in den Pflanzungen aus der entsprechenden Kommune kommen. Der Arbeitskräftebedarf ist in der Forstwirtschaft ohnehin wesentlich geringer als in der herkömmlichen Landwirtschaft. Mit der Ausbreitung der Pflanzungen auf ehemaligem Farmland schwanden so auch viele Arbeitsplätze dahin. Eine gravierende Folge dieser Situation ist die Abwanderung (vor allem der jungen Bevölkerung) in die Städte und landwirtschaftlichen Zentren des Landes; in Lumaco lag die Migrationsrate zwischen 1992 und 2002 bei über 8%.

Neben der ökonomischen Lage beklagen die Gemeinden vor allem den negativen Wandel der lokalen Umwelt, so zum Beispiel den Verlust der einheimischen Flora und Fauna. "In den Pflanzungen gibt es kaum noch die Tiere und Pflanzen, die vorher Teil unseres Lebens waren", sagt Huircaleo. Die Plantagen reichen oft bis an die Grenze des heutigen Gemeindelandes heran und bestimmen so das tägliche Leben. Einige Gemeinden sind von Plantagen regelrecht eingekreist. "Für uns ist es, als ob wir in einer Ruine leben." Besonders gravierend sei der Rückgang der natürlichen Wasserläufe durch den erhöhten Bedarf der schnell wachsenden Kiefern- und besonders der Eukalyptusbäume. "Im Sommer haben wir hier fast kein Wasser mehr, die Gemeindeverwaltung muss jedes Jahr Trinkwasser verteilen, weil die Bäche und Quellen versiegen", berichtet Huircaleo. Auch die Verschmutzung der Gewässer und die Gefährdung der Gesundheit durch Pestizide und Düngemittel, die von den Forstunternehmen zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit eingesetzt werden, ist eine Sorge der Gemeinden.

In vielen Fällen haben die eingezäunten Plantagen zudem alte Wege zwischen benachbarten Mapuche-Gemeinden unterbrochen und diese voneinander isoliert, mit Auswirkungen auf die regelmäßig durchgeführten Nguillatún-Rituale und traditionellen Hockeyspiele, die die Gemeinden verbinden. Private Sicherheitsfirmen überwachen das Land der Unternehmen, oft werden den angrenzenden Gemeinden selbst das Weiden der Tiere und das Suchen von Brennholz jenseits des Zaunes verboten. Wachtürme stehen dort, wo es zu Problemen mit der örtlichen Bevölkerung kam.

Für die Mapuche bedeutet der Verlust der traditionellen Umwelt zudem eine Bedrohung der Bindung an die Natur und die ihr innewohnenden Kräfte – ein Verlust des spirituellen Gleichgewichts. Die Machis, Heilerinnen und religiöse Experten in den Gemeinden, sind von diesem Wandel besonders betroffen. "Heute müssen die Machis tagelang nach einer bestimmten Medizinalpflanze suchen, an den Orten, wo ein bisschen Naturwald übrig geblieben ist", erklärt Huaiquilao von der Coordinación de Identitdades Territoriales. "Manche von ihnen unternehmen Reisen in die Cordillera, um die nötigen Pflanzen zu finden." Im traditionellen Weltbild der Mapuche ist die Natur von Geistern belebt, die als Besitzer der natürlichen Gegebenheiten auftreten. Aufgrund der Ausbreitung der Forstplantagen, verschwinden diese Wesen aus ihren Orten, etwa der Herr des Wassers (Ngenko) aus einem austrocknenden Bach. "Die Heilpflanzen dieser Orte haben nicht mehr die ausreichende Kraft, um ihre Wirkung im Körper zu entfalten", erklärt Huaiquilao.

Schwache Schutzgesetze

Versuche, mit den Unternehmen direkt in Dialog zu treten, sind in fast allen Fällen fehlgeschlagen. "Die großen Forstunternehmen sind jeglicher Art von Dialog verschlossen, insbesondere in Bezug auf die Revision ihrer Eigentumsrechte", sagt José Aylwin, Rechtsanwalt und Professor am Institut für Indigene Studien der Universität der Frontera in Temuco. "Viele haben an Stelle des Dialogs eine paternalistische Politik der guten Nachbarschaft entwickelt, sie spenden Dächer für Häuser oder Schulmaterialien für die Kinder." Auch der Staat trägt nicht bedeutend zur Lösung des Konfliktes bei, sondern fördert vielmehr das zu Diktaturzeiten entstandene, auf Exportmaximierung ausgerichtete Entwicklungsmodell durch Gesetze und öffentliche Institutionen, wie beispielsweise die nationale Forstbehörde CONAF oder das Forstinstitut INFOR.

Zwar existiert seit 1993 ein Schutzgesetz für die Interessen der indigenen Bevölkerung (Gesetz 19.253), aber es stellt weder wirksame Mechanismen für eine Konfliktvermittlung zur Verfügung, noch funktioniert es als Begrenzung der expansionistischen Forstpolitik. "Jegliches ökonomisches oder politisches Interesse kann das Gesetz umgehen", sagt Pablo Huaiquilao.

Ebenso schwach zeigt sich die Umweltgesetzgebung, die bei Großprojekten Studien zur Ermittlung der Auswirkungen vorsieht, bei denen auch die lokale Bevölkerung befragt wird. "Die Unternehmen umgehen diese Studien, indem sie die Pflanzungen in vielen kleinen Flächen anlegen", erklärt Aylwin. Auch die aus der Gesetzgebung für die indigene Bevölkerung hervorgegangene Behörde CONADI ist in der Realität relativ machtlos. Sie kauft Ländereien, um sie an indigene Gemeinden zurück zu geben, hat aber nur geringe finanzielle Mittel. "Die CONADI löscht nur akute Brandherde, hat aber keinen Lösungsansatz für den Konflikt als Ganzes", so Aylwin.

Einen umfassenderen Lösungsansatz präsentierte der im Oktober 2003 veröffentlichte Bericht der von der Regierung geschaffenen "Wahrheits-Kommission" (Comisión de Verdad Historica y Nuevo Trato). "Die Kommission schlug eine Reihe von Alternativen in Bezug auf die Mitbestimmung und die Rechte indigener Völker auf natürliche Ressourcen vor, aber keine dieser Vorschläge wurde bislang von der Regierung aufgegriffen", bemängelt Aylwin.

Die Schwäche der chilenischen Schutzgesetzgebungen gegenüber ökonomischen Interessen – sowohl in Bezug auf indigene Rechte, als auch in Bezug auf Umweltschutz – zeigte bereits die Realisierung des Staudammprojekts "Ralco". Der Stausee am Oberlauf des Biobío-Flusses, der im September 2004 eingeweiht wurde, überflutete 3.500 Hektar des historischen Siedlungsgebiets der Mapuche-Pehuenche und forderte die Umsiedlung von rund 500 Familien.

Kriminalisierung legitimer Proteste

Aus Unzufriedenheit über fehlende Maßnahmen des Staates und um Druck auszuüben, besetzen Gemeinden in Kooperation mit verschiedenen Organisationen immer wieder Land der Forstunternehmen, holzen Bäume ab, blockieren Zugangsstraßen und organisieren Protestmärsche. Besonders seit Ende der neunziger Jahre kam es zur Mobilisierung vieler Gemeinden und zu punktuellen Gewaltausbrüchen – 1997 gingen dabei in der Nähe von Lumaco drei Lastwagen des Unternehmens Arauco in Flammen auf. Die konservativen Medien beschworen ein zweites Chiapas herauf, mit Fotos von vermummten Bola-Kämpfern im Krieg gegen "Recht und Ordnung", Barbarei gegen Zivilisation. In diesen Tonfall stimmten auch die Unternehmen ein, die große Gewinnverluste durch Sabotageakte beklagten und die Regierung zum Schutz ihrer Investitionen und zur Durchsetzung des "Rechtsstaates" anhielten. Der Staat demonstrierte eine eiserne Hand mit Verurteilungen von Mapuche-Führern – teilweise unter einer Anti-Terrorismus-Gesetzgebung, die ihren Ursprung in der Diktatur hat und (zu Demokratiezeiten leicht modifiziert) weiter besteht. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch klagte in einem Bericht vom Oktober 2004 die ungerechtfertigten Terrorismusvorwürfe und das Prozedere der Prozesse gegen Mapuche-Führer an, bei denen unter anderem "gesichtslose" Zeugen angehört werden. Einige Aktivisten wurden über ein Jahr in Schutzhaft gehalten, bevor die Anklage fallen gelassen wurde, andere, denen Gewalt gegen Polizisten vorgeworfen wurde, wurden vor spezielle Militär-Tribunale gestellt. Auch der Sonderberichterstatter für die Belange indigener Völker, Rodolfo Stavenhagen, der Chile im Juli 2003 besuchte, verurteilte in seinem Bericht die gesonderte rechtliche Behandlung und die ungerechtfertigte Kriminalisierung legitimer Proteste der Mapuche.

Land und Territorium

"Ich denke es ist die Pflicht des Staates zu intervenieren und die notwendigen Instrumente zu schaffen, um in diesem Konflikt zu vermitteln", sagt Huaiquilao. Eine solche Initiative müsse mit der verfassungsrechtlichen Anerkennung der Mapuche als Volk und der Unterzeichnung der ILO-Konvention 169 beginnen. "Beides sind notwendige Schritte auf dem Weg zur Anerkennung unserer Rechte in diesem Konflikt." Den Gemeinden geht es dabei vor allem um die Kontrolle der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Auswirkungen auf lokaler Ebene, sowie um die Mitbestimmung über lokale Ressourcen und mindestens einem Anteil an den Gewinnen, die aus der Kommune gezogen werden. Auf der anderen Seite fordern viele von ihnen auf der Grundlage alter Landtitel die Rückgabe von Ländereien, die zu Diktaturzeiten enteignet wurden und heute Eigentum der Forstunternehmen sind. Manche Organisationen, allen voran das einflussreiche Consejo de Todas las Tierras, verbinden mit der Lösung des Konfliktes zudem politisch-territoriale Forderungen auf der Grundlage des historischen Mapuche-Territoriums und kolonialzeitlicher Verträge zwischen der spanischen Krone und den damals autonomen Mapuche. "Wir haben die Verträge und Parlamente mit der spanischen Krone nicht vergessen, für uns bleiben diese Übereinkommen rechtskräftig", sagt Manuel Santander vom Consejo de Todas las Tierras. Im Diskurs dieser Organisationen verschmelzen die konkreten Forderungen im Zusammenhang mit den Auswirkungen der Forstexpansion mit einem umfassenden Anspruch auf ein autonomes Territorium der Mapuche als Nation.

Neue Strategie

Nach über zwanzig Jahren staatlicher Subventionierung übertrug 1998 eine Änderung des Gesetzes 701 die Subventionen auf mittlere und kleinere Landbesitzer, mit bis zu 90% der Investitionssumme für die ersten 15 Hektar. "Die Unternehmen kaufen heute kaum noch große Flächen, weil für sie die Subventionen ausbleiben und es zu Konflikten mit Mapuche-Gemeinden kommen kann", erklärt José Aylwin. "Die neue Strategie des Staates und der Unternehmen zur Ausweitung der Forstpflanzungen und Erhöhung der Exporte ist die Einbeziehung der vielen mittleren und kleinen Landbesitzer – CONAF fördert heute in offener Absprache mit dem privaten Sektor den Anbau von Eukalyptus und Kiefern in den Mapuche-Gemeinden", so Aylwin. Die großen Unternehmensgruppen ziehen ihre Gewinne dabei aus dem Kauf von Holz und der Weiterverarbeitung zu Zellulose und Papier in den eigenen Fabriken. Viele Mapuche wollen aufgrund ihrer oft für die Landwirtschaft ungeeigneten Böden und der schlechten wirtschaftlichen Lage in den Gemeinden diese attraktiven Subventionen erhalten. "Hier beginnt ein neuer Kampf der Organisationen, um Mitbestimmung der Baumarten und gegen die forcierte Subventionierung von Monokulturen auf Gemeindeland."

Mirco Lomoth, Ethnologie-Student und freier Journalist