10.09.2008

Verletzungen der Menschenrechte in Hamburgs Partnerstadt Schanghai

Menschenrechtsreport Nr. 56: Schanghai

Zusammenfassung

In Hamburgs Partnerstadt Schanghai werden Menschenrechte massiv verletzt. Der vorliegende Report dokumentiert willkürliche Verhaftungen und Folter von Falun Gong Praktizierenden, den Tod von Regimekritikern in Gefängnissen und Arbeitslagern, die Verfolgung von Rechtsanwälten und Universitätsdozenten sowie die Unterdrückung der Internet- und Pressefreiheit. Bittsteller, die sich mit ihren Petitionen auf das chinesische Recht berufen, werden kriminalisiert, Wanderarbeiter diskriminiert. Wer sich nicht einschüchtern lässt, dem droht die Einweisung in psychiatrische Kliniken, die regelmäßig missbraucht werden, um Kritiker mundtot zu machen. In dem Report werden auch Vorwürfe ehemaliger Häftlinge darüber dokumentiert, dass Krankenhäuser in Schanghai in den Handel mit Organen getöteter Falun-Gong-Anhänger verwickelt seien und in Arbeitslagern sowie Gefängnissen Produkte in Zwangsarbeit hergestellt würden. Der Report umfasst Menschenrechtsverletzungen, die im Zeitraum zwischen Januar 2006 und August 2008 begangen wurden.

Drei Viertel der in dem Zeitraum verhafteten Falun-Gong-Praktizierenden in Schanghai sind Frauen. Viele sind älter als 60 Jahre und bereits mehrfach in Arbeitslagern oder Gefängnissen festgehalten worden. In dem Report werden die Festnahmen von 173 Frauen und 51 Männern dokumentiert, die wegen ihres religiösen Bekenntnisses zu der Meditationsbewegung verhaftet wurden. Keine andere politische, ethnische oder religiöse Gruppe wird in Schanghai so massiv verfolgt. Falun-Gong-Praktizierende werden nicht nur systematisch von den Behörden überwacht und willkürlich festgenommen, sondern leiden auch am meisten unter der in Polizeiwachen, Gefängnissen und Arbeitslagern weit verbreiteten Folter. Drei Todesfälle aufgrund von Folter sind in dem Report dokumentiert, weitere zehn Falun Gong Praktizierende kamen zwischen den Jahren 2000 und 2005 in Schanghai in Gewahrsam der Sicherheitskräfte durch Gewalteinwirkung zu Tode.

Auch Christen werden in Schanghai in ihrer Religionsausübung eingeschränkt, sofern sie sich nicht zu den offiziell zugelassenen Religionsgemeinschaften bekennen. Dies gilt vor allem für die rund 6000 protestantischen "Hauskirchen" in Schanghai. So werden Bibeltreffen gewaltsam von der Polizei aufgelöst und Hauskirchen-Gemeinden geschlossen.

Neben der Verfolgung von Falun-Gong zählt die Repression gegen die Bittsteller zu den größten Menschenrechtsproblemen in der Partnerstadt Hamburgs. Obwohl das chinesische Rechtssystem es ausdrücklich gestattet, Petitionen bei den Behörden einzureichen, werden diese Bittsteller in Schanghai systematisch kriminalisiert. In dem Report werden 556 Übergriffe auf Petitionäre dokumentiert: von Hausdurchsuchungen über Verhöre, Folter, Einweisungen in psychiatrische Kliniken bis hin zur Verhängung mehrjähriger Haftstrafen. Die meisten Bittsteller fühlen sich als Opfer des Wirtschaftsbooms in Schanghai. Sie protestieren gegen durch den Bau neuer Hochhäuser entstandenen Verlust ihrer Häuser und wenden sich gegen Immobilienspekulation oder Korruption, in die auch höchste Kreise der Kommunistischen Partei verwickelt sind. Niemand anders als diese Bittsteller verdeutlichen eindrücklicher die Schattenseiten des Booms in der Metropole.

Auch die Diskriminierung der 4,4 Millionen im Großraum Schanghai lebenden Wanderarbeiter wird zum immer größeren Problem für die Hafenstadt. Nur sieben Prozent der aus den ländlichen Regionen zugewanderten Arbeiter sind zufrieden mit ihrem Status. Zwar hat Schanghai inzwischen Wanderarbeiter mit festen Arbeitsverträgen juristisch mit den Bürgern der Hafenstadt nahezu gleichgestellt, aber rund 60 Prozent der Wanderarbeiter werden weiterhin diskriminiert, weil sie nicht in festen Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind. Sie leiden unter katastrophalen Arbeitsbedingungen, geringen Löhnen, mangelnder Krankenversicherung, unzureichendem Wohnraum sowie ungenügenden Bildungschancen für ihre Kinder.

In Schanghais Gefängnissen sind auch prominente chinesische Menschenrechtler inhaftiert. So wurde die 47 Jahre alte Menschenrechtlerin Mao Hengfeng im Januar 2007 in einem nur zehn Minuten dauernden Gerichtsverfahren wegen der Zerstörung von zwei Tischlampen in der Haft zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Sie protestiert seit den 80er Jahren gegen die staatlich verordnete Ein-Kind-Politik. Aufgrund ihrer Proteste verlor sie ihren Arbeitsplatz und wird immer wieder festgenommen. Neben Hengfeng und anderen Menschenrechtlern werden in Schanghais Gefängnissen noch immer fünf Regimekritiker festgehalten, denen vorgeworfen wird, im Juni 1989 die friedlichen Proteste der Studenten und Arbeiter auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking unterstützt zu haben. Die Proteste wurden damals blutig von Soldaten niedergeschlagen. Bis heute ist Chinas Führung nicht bereit, dass Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens neu zu bewerten und die damals verhafteten Anhänger der Demokratiebewegung freizulassen.

Im Vorfeld der Olympischen Spiele wurde die Bewegungsfreiheit von Regimekritikern massiv eingeschränkt. Dissidenten wurden unter Hausarrest gestellt oder zur Unterzeichnung von Verpflichtungserklärungen gezwungen, in denen sie zusicherten, während der Olympiade nicht zu demonstrieren. Trotzdem kam es zu Festnahmen. Bürgerrechtler wurden geschlagen, um sie einzuschüchtern.

Rechtsanwälte werden ebenfalls eingeschüchtert und an der Vertretung von Regimekritikern gehindert. Gerichtsprozesse geraten zur Farce, weil dem Rechtsbeistand der Beschuldigten grundlegende Rechte vorenthalten werden. So wird auch anhand der Gerichtsbarkeit und den Behörden Schanghais deutlich, dass die Volksrepublik noch weit davon entfernt ist, ein Rechtsstaat zu sein.

Auch in Schanghai wird die Internetfreiheit massiv unterdrückt. In dem Report wird dargelegt, wie 1.325 Internetcafés in der Stadt lückenlos überwacht werden, sechs Internetportale kritischer Journalisten geschlossen, Computer beschlagnahmt sowie

Internet-Journalisten unter Hausarrest gestellt oder verhaftet wurden. So wurde die Internet-Journalistin und Schriftstellerin Li Jianhong im Jahr 2007 sogar unter Hausarrest gestellt, um sie daran zu hindern, eine Auszeichnung des chinesischen PEN-Clubs entgegenzunehmen. Aufgrund ihres Engagements für die Internet- und Pressefreiheit verlor sie ihre Arbeitsstelle und wurde kurzzeitig verhaftet. Auch die Medien- und Pressefreiheit wird eingeschränkt.

Trotz der wirtschaftlichen Öffnung der Stadt besteht die Kommunistische Partei Schanghais im Bildungssektor auf der Vorherrschaft des Sozialismus. So wurden im Mai 2007 neue Geschichtsbücher, die an der Universität Schanghai von Historikern entwickelt worden waren, auf Anordnung der Schulbehörde wieder eingezogen, weil sie nicht den marxistischen Grundanschauungen des Klassenkampfes entsprachen. An den Schanghaier Universitäten wurden mehr als ein Dutzend Studenten und Dozenten festgenommen und zu teilweise langjährigen Haftstrafen verurteilt, weil sie sich zu Falun- Gong bekannten. In den Räumen einer Universität wurden sogar Studenten gefoltert.

Ähnlich wie in der früheren Sowjetunion wird auch in China die Psychiatrie für politische Zwecke missbraucht. So wurden mindestens fünf Falun-Gong-Praktizierende oder Gewerkschafter und andere Regimekritiker in Schanghai gegen ihren Willen in psychiatrische Kliniken eingewiesen, obwohl sie zum Zeitpunkt der Einweisung gesund waren. Auch in der Hafenstadt sollen Krankenhäuser in den umstrittenen Handel mit Organen von Falun-Gong-Häftlingen verwickelt sein, versichern ehemalige Insassen von Arbeitslagern und Gefängnissen. Recherchen von Falun-Gong deuten darauf hin, dass zwei Organ-Transplantationszentren der Universitäten in Schanghai Organverpflanzungen gegen den Willen von Falun-Gong-Praktizierenden vorgenommen haben.

Auch sollen politische Gefangene in Arbeitslagern und Gefängnissen in Schanghai zwangsweise für die Fertigung von Spielzeug, Bekleidung und Elektroartikeln eingesetzt worden sein, berichteten viele Falun-Gong-Anhänger nach ihrer Freilassung übereinstimmend. Die ehemaligen Gefangenen lieferten eine Fülle von Detailinformationen über an der Zwangsarbeit beteiligte Unternehmen. Angesichts der ablehnenden Haltung der chinesischen Behörden können diese Indizien nicht von unabhängiger Seite vor Ort untersucht werden, doch erscheinen sie sehr stichhaltig und glaubwürdig.

Herausgegeben von der Gesellschaft für bedrohte Völker und der Tibet- Initiative Deutschland e.V.,Regionalgruppe Hamburg, im September 2008

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