24.06.2005

Vietnams Minderheiten fordern ein Ende der Verfolgung

Für Glaubenfreiheit und Landrechte

Zusammenfassung

Trotz wirtschaftlicher Reformen werden auch 30 Jahre nach dem Ende des Vietnam-Krieges ethnische und religiöse Minderheiten in dem südostasiatischen Staat noch immer brutal verfolgt. Die führenden Würdenträger der oppositionellen Vereinten Buddhistischen Kirche stehen seit fast 25 Jahren unter Hausarrest, buddhistische Pagoden werden streng überwacht und ihre Nonnen und Mönche eingeschüchtert oder verhaftet. Der stellvertretende buddhistische Patriarch Thich Quang Do richtete erst kürzlich einen dringenden Hilferuf an die Welt und forderte ein Ende der Glaubensverfolgung.

Mit einem neuen Religionsgesetz und Verordnungen legalisierte Vietnam in den letzten Monaten die Christenverfolgung. Neben katholischen Christen werden vor allem Angehörige der nicht offiziell anerkannten protestantischen "Hauskirchen" an ihrer Religionsausübung gehindert. Systematisch versucht der Staat jede Form der Religionsausübung zu kontrollieren, um jede regierungskritische Aktivität zu unterbinden.

Die im Bergland Zentralvietnams und im Nordwesten des Landes lebenden Ureinwohner leiden unter einer doppelten Verfolgung als Christen und indigene Völker. Als sie mit friedlichen Demonstrationen in den Jahren 2001 und 2004 gegen die Verletzung ihrer Religionsfreiheit und ihrer Landrechte protestierten, reagierte die Staatsführung mit brutaler Gewalt. Eine bis heute unbekannte Zahl von Demonstranten wurde getötet, Hunderte wurden verhaftet. Rund 2.000 Ureinwohner suchten im benachbarten Kambodscha Zuflucht, wo sie jedoch bis heute von der Abschiebung in ihren Verfolgerstaat bedroht sind.

Mit ihren Protesten richteten sich die Ureinwohner auch gegen den Kaffeeboom in Vietnam, der ihre Lebensgrundlage immer mehr zerstört. Denn immer mehr Angehörige der Kinh-Mehrheitsbevölkerung kommen in die Kaffee-Anbaugebiete, um Plantagen einzurichten und verdrängen die dort lebende Urbevölkerung. Mit der Rodung der Wälder ist das ökologische Gleichgewicht in der Bergregion zerstört worden. Für die indigenen Völker ist der Kaffeeboom zum Fluch geworden, da er sie rechtlos macht und ihre Marginalisierung weiter vorantreibt. Kein anderes Land importiert so viel Kaffee aus Vietnam wie Deutschland. Seit drei Jahren ist Vietnam der zweitwichtigste Kaffeelieferant Deutschlands. Dass die Kaffeeproduktion in Vietnam Menschenrechte grob verletzt und für die Urbevölkerung Vietnams zum Fluch geworden ist, wird in Deutschland bislang nicht wahrgenommen.

Auch der im Herbst 2004 vereinbarte freiwillige Verhaltenskodex der internationalen Kaffeewirtschaft ignoriert den Landraub indigenen Völker.

Auch weltweit hat der von der Weltbank und den Geberländern Vietnams jahrelang geförderte Boom des Billigkaffees aus Südostasien katastrophale Folgen. So raubt er rund 25 Millionen Kaffeebauern in Süd-, Mittelamerika und Afrika die Existenz, da sie nicht zu ähnlich günstigen Preisen produzieren können. Die Billigproduktion ist entscheidend für weltweite Kaffeekrise verantwortlich.

Empfehlungen der Gesellschaft für bedrohte Völker

  • Die internationalen Geberländer Vietnams sollten nachdrücklich darauf dringen, dass sich die Menschenrechtssituation in dem südostasiatischen Staat bessert. Die Zusage neuer Entwicklungsprogramme sollte von einer spürbaren Verbesserung der Menschenrechtslage anhängig gemacht werden. Insbesondere sollte Glaubens-, Meinungsäußerungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit gewährt werden. Auch sollten die Rechte der indigenen Völker respektiert und ein Zugang zum Internet für alle Bürger sichergestellt werden.
  • Die Kaffee-Industrie sollte von einer weiteren Ausweitung ihrer Produktion in Vietnam absehen und nicht tolerieren, dass neue Waldflächen gerodet werden. Alle neuen Entwicklungsvorhaben sollten mit der traditionell dort lebenden Urbevölkerung vorab erörtert und gemeinsam geplant werden.
  • Unverzüglich sollten alle politischen Gefangenen in Vietnam freigelassen werden. Insbesondere sollten alle Ureinwohner freigelassen werden, die nach den Demonstrationen 2001 und 2004 in Gewahrsam genommen worden sind.
  • Jede Rückführung vietnamesischer Flüchtlinge aus Kambodscha sollte unterbleiben, so lange ihre Sicherheit in Vietnam nicht gewährleistet werden kann.
  • Der Verhaltenskodex der Kaffee-Industrie sollte um den Schutz der Rechte indigener Völker ergänzt werden.

Vietnam: 30 Jahre nach dem Ende des Krieges

30 Jahre nach dem Ende des Krieges präsentiert sich Vietnam als wirtschaftlich erfolgreiches Schwellenland mit immer größeren politischen Ambitionen in Südostasien. Nach der Liberalisierung der Wirtschaft im Rahmen des 1986 begonnenen Doi Moi-Programmes (Erneuerungsprogrammes) entwickelte sich das Land zu einem der bedeutendsten Reis- und Kaffeeproduzenten der Welt. Rund 140.000 privatwirtschaftliche Betriebe wurden in den letzten fünf Jahren gegründet. Europas stagnierende Volkswirtschaften können nur träumen von Vietnams jährlichen Wachstumsraten von 7,7 Prozent. Nur die Volksrepublik China weist in Asien ein noch größeres Wirtschaftswachstum auf. Vielfältige Ressourcen, unerkundete Erdgasreserven und billige Arbeitskräfte machen Vietnam auch für ausländische Investoren interessant. Schon macht die expandierende Textil- und Schuhindustrie mit einer massiven Steigerung ihrer Exporte in die Europäische Union (EU) von sich reden. Niemals besuchten so viele ausländische Touristen Vietnam. Mit zweistelligen Zuwachsraten beim Zustrom ausländischer Urlauber hebt sich Vietnam deutlich von seinen Nachbarstaaten ab.

Doch die wirtschaftliche Liberalisierung hat nicht überall die Lebensbedingungen der Bevölkerung spürbar verbessert. Zwar nahm die Armut in vielen Landesteilen ab, doch noch immer ist Vietnam auf Entwicklungshilfe angewiesen, um dringende Infrastrukturprogramme zu finanzieren. Die EU ist das zweitwichtigste Geberkonsortium, das mit allen seinen Mitgliedstaaten im Jahr 2000 Vietnam Entwicklungshilfe im Wert von 2,58 Milliarden Euro zusagte. Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, mit ihrer Hilfe vor allem "weniger entwickelte ländliche Gebiete" zu fördern (1). Denn diese ländlichen Zonen sind heute schon die großen Verlierer des Wirtschaftsbooms. So ist die Kluft zwischen verarmender Landbevölkerung und wirtschaftlich besser gestellten Städtern seit der Wirtschaftsliberalisierung deutlich größer geworden.

Katastrophale Menschenrechtsbilanz

Trotz der wirtschaftlichen Öffnung hat sich die Lage der Menschenrechte nicht gebessert und ist das Land heute von Freiheit und Demokratie weiter denn je entfernt. Noch immer ist Vietnam ein Ein-Parteien-Staat, in dem die Kommunistische Partei einen absoluten Machtanspruch vertritt. Zwar hat Vietnam vor 23 Jahren den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Rassendiskriminierung ratifiziert, doch zu einer Verbesserung der Lage der Menschenrechte haben diese Ratifizierungen nicht beigetragen. Vor allem die Glaubens-, Presse- und Meinungsäußerungs- sowie die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit werden von den vietnamesischen Behörden systematisch verletzt.

Die vietnamesische Staatsführung reagiert nicht nur gereizt auf jede internationale Kritik an der katastrophalen Menschenrechtslage und weist schroff Berichte des US-Außenministeriums über die fortgesetzte Verletzung der Religions-. Meinungs- und Versammlungsfreiheit als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Vietnams zurück. Auch in den Vereinten Nationen zeigt Hanoi keine Bereitschaft zu einem konstruktiven Dialog über die Defizite bei der Durchsetzung der Menschenrechte im eigenen Land. Ganz im Gegenteil, kaum ein Staat reagiert in der UN-Menschenrechtskommission so entrüstet auf Kritik an der Menschenrechtslage. So betrieb Vietnam im Jahr 2004 gezielt die Suspendierung des UN-Status der Nichtregierungsorganisation Transnational Radical Party, die engagiert die Verfolgung von Buddhisten und indigenen Völkern angeklagt hatte. Nur durch Intervention zahlreicher demokratischer Staaten und vieler Nichtregierungsorganisationen konnte eine Suspendierung der NGO verhindert werden. Bei der nachfolgenden 61. UN-Menschenrechtskommission im Frühjahr 2005 kritisierte Vietnam erneut massiv die Sprecher der Transnational Radical Party und warf ihnen vor, sich mit ihrem Plädoyer für mehr Rechte für die indigenen Völker zum "Handlanger von Separatisten" zu machen.

Seit 2001 ist Vietnam Mitglied der UN-Menschenrechtskommission, doch zu einer Verbesserung der Menschenrechtslage oder zu einem wachsenden Menschenrechtsbewusstsein hat diese ständige Auseinandersetzung mit Menschenrechtsfragen nicht beigetragen.

Keine Freiheit für die Medien

In der weltweiten Rangliste zum Stand der Pressefreiheit der Organisation "Reporter ohne Grenzen" bildet Vietnam fast das Schlusslicht und belegt Platz 161 von 167 vergebenen Plätzen. Bei der Zusammenstellung der Rangliste wurden gewalttätige Übergriffe, Morde und Verhaftungen von Journalisten sowie staatliche Zensur und Kontrolle der Medien berücksichtigt. Offiziell gewährt die Verfassung des Landes Pressefreiheit, doch sowohl das Strafgesetzbuch als auch die Verfassung gestatten Einschränkungen der Pressefreiheit, um die nationale Sicherheit und den Schutz der Regierung zu gewährleisten. So praktizieren die Medien eine Selbstzensur, deren Einhaltung vom zuständigen Ministerium für Kultur und Information ständig überwacht wird. Zwar darf das Verhalten lokaler Behörden in beschränktem Umfang gerügt werden, doch jede grundsätzliche Kritik an der vietnamesischen Regierung, der Kommunistischen Partei oder jedes Werben für eine demokratische Öffnung des Landes sind strikt untersagt. Erschwerend kommt hinzu, dass Journalisten laut Pressegesetz demjenigen, den sie kritisieren, zu Schadensersatz verpflichtet sind, selbst wenn ihnen keine Pflichtverletzung nachzuweisen ist und ihre Berichte der Wahrheit entsprechen. Der Empfang ausländischer Fernsehsender per Satellit bleibt führenden kommunistischen Funktionären, Ausländern und Luxushotels vorbehalten. Immer wieder werden ausländische Radio- und Fernsehsender gestört oder die Verbreitung ausländischer Zeitschriften und Zeitungen untersagt, wenn sie sich kritisch mit der Lage in Vietnam auseinandersetzen. So wird beim Kabelfernsehen der Empfang der Nachrichtensender BBC und CNN unterbunden, Sendungen von Radio Free Asia, der Far East Broadcasting Corporation und von Radio Sweden werden gestört.

Ausländische Journalisten müssen sich bei der Pressestelle des Außenministeriums registrieren lassen und dort alle Reisewünsche, Interviews, Fototermine etc. genehmigen lassen. Ihre Bewegungsfreiheit ist stark eingeengt, wie sich insbesondere auch wieder nach der blutigen Niederschlagung von Unruhen der Urbevölkerung Ostern 2004 zeigte. Damals wurde ausländischen Journalisten jede Einreise in das Unruhegebiet untersagt. Erst Wochen später durften ausgewählte ausländische Berichterstatter im rahmen einer staatlich geführten Informationsreise die Region besuchen.

Als im Vorfeld des ASEM-Gipfels im Oktober 2004 viele ausländische Journalisten Interesse an dem zeitgleich in Hanoi von Nichtregierungsorganisationen veranstalteten "Forum der Menschen aus Asien und Europa" zeigten, auf dem kritisch Fragen der Globalisierung und der Demokratie erörtert wurden, verweigerten die vietnamesischen Behörden die Akkreditierung zahlreicher ausländischer Journalisten.

Internet darf nicht frei genutzt werden

Rund 6,5 Millionen der 82 Millionen Bürger Vietnams nutzen inzwischen das Internet (2). Jeden Monat nimmt die Zahl der Nutzer, obwohl ein freier Zugang zum weltweiten Netz nicht gewährleistet ist. Offiziell sind zwei Millionen Menschen mit einem Internetzugang registriert.

Mehrfach wurden Dissidenten, die im Internet Aufruf zu mehr Demokratie verbreiteten, zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. So wurde am 8. November 2002 der Oppositionelle Le Chi Quang zu vier Jahren Haft und anschließendem dreijährigen Hausarrest verurteilt, weil er im Internet die Regierung kritisiert hatte. Das Urteil wurde nach einem nur dreistündigen Prozess gefällt, in dem ihm jeder Rechtsbeistand verweigert wurde. Auch durften ausländische Journalisten dem Gerichtsverfahren nicht beiwohnen. Im Juli 2004 wurde der Regimekritiker vorzeitig aus der Haft entlassen. Noch drakonischer wurde im Juli 2003 der Arzt Pham Hong Son bestraft, der in einem nur eintägigen Verfahren wegen Spionage und Verbreitung regierungskritischer Schriften im Internet zu 13 Jahren Gefängnis und anschließendem dreijährigen Hausarrest verurteilt wurde. Im August 2003 wurde seine Strafe auf fünf Jahre reduziert. Der ehemalige Journalist Nguyen Vu Binh wurde sogar in einem weniger als drei Stunden dauernden Verfahren am 1. Januar 2004 zu sieben Jahren Haft verurteilt, weil er im Internet ein Grenzabkommen kritisiert hatte, das zwischen Vietnam und China unterzeichnet worden war. Auch in seinem Fall durften Vertreter ausländischer Botschaften oder Medien nicht während des Prozesses anwesend sein.

Die 4.000 Internet Cafés müssen seit dem Jahr 2002 das Surfen ihrer Kunden überprüfen. Seit Januar 2004 müssen Betreiber von Internet Cafés gemäß dem vom Ministerium für öffentliche Sicherheit verabschiedeten Erlass 71 die Identität jedes Nutzers feststellen. Auch müssen die Internet Cafés sicherstellen, dass niemand "Staatsgeheimnisse" im Internet offenbart oder die öffentliche Sicherheit bedroht. Im August 2004 wurde nach chinesischem Vorbild eine Internet-Polizei eingerichtet, die unter anderem auch den Missbrauch des Internets für Kritik an der Regierungspolitik ahnden soll. Schon zwei Wochen später ordnete die neue Polizei-Einheit die Schließung von 65 Internet Cafés im Süden Vietnams an (3). Vietnam gilt angesichts dieser repressiven Politik weltweit als einer der Staaten, in der der freie Zugang zum Internet am meisten behindert wird.

Einheitspartei beharrt auf Machtmonopol

Systematisch verhindert die Kommunistische Partei öffentliche Proteste gegen die Regierungspolitik und die Gründung oppositioneller Gruppen und Parteien. Nachdem am 4.Mai 2004 eine Gruppe von Rechtsanwälten in Hanoi die Nichtregierungsorganisation "Rechtsanwälte für Gerechtigkeit" gegründet hatte, um den opfern staatlicher Willkür zu helfen, wurde die Organisation nur eine Woche später von den Behörden verboten und aufgelöst.

Im Juli 2004 wurden Hauptmann Pham Que Duong und Tran Khue zu neunzehn Monaten Haft verurteilt, weil sie im Jahr 2001 die "Vereinigung des Volkes zur Unterstützung der Partei und des Staates im Kampf gegen Korruption" gegründet hatten. Später hatten sie im Internet Petitionen zur Förderung der Demokratie verbreitet.

Glaubensfreiheit wird verweigert

Ausdrücklich erkennt die vietnamesische Verfassung von 1992 das Recht jedes Bürgers auf Religionsfreiheit in Artikel 70 an. Doch die in der Verfassung garantierte Religionsfreiheit wird durch viele Verordnungen eingeschränkt. Die bedeutendsten Einschränkungen des Rechts auf freie Religionsausübung formulierte die Regierung in dem am 19. April 1999 verabschiedeten Dekret 26, das die Details der Religionsausübung regelt. Demgemäß sind alle Aktivitäten verboten, die sich das Interesse des Staates richten, die Einheit des Landes oder den sozialen Frieden gefährden. Nach chinesischem Vorbild müssen alle religiösen Organisationen von staatlicher Seite zugelassen werden. Erlaubt sind nur religiöse Aktivitäten im Rahmen der von staatlichen Stellen registrierten religiösen Gemeinschaften. Jede Ausübung der Religionsfreiheit außerhalb dieses engen Rahmens staatlich sanktionierter religiöser Gruppen ist illegal. Glaubensgemeinschaften, die gegen diese Regeln verstoßen, können verboten werden. Hauptziel staatlicher Religionspolitik ist somit die Kontrolle der Religionsausübung.

Am 15. November trat eine Religionsverordnung der vietnamesischen Regierung in Kraft, die nochmals bekräftigte, dass jeder Bürger das Recht auf freie Religionsausübung besitzt und dass jede Verletzung dieses Rechtes unter Strafe steht. Einschränkend heißt es in der Verordnung jedoch auch, dass jeder Missbrauch der Religionsausübung strafbar ist. Illegal ist auch jede Religionsausübung, die Einheit des Staates, den Frieden und die Unabhängigkeit des Landes gefährdet. Verboten ist auch jede religiöse Tätigkeit, die sich negativ auf die kulturellen Traditionen auswirkt. Auch in dieser Religionsverordnung macht die vietnamesische Führung unmissverständlich deutlich, dass der Staat das Recht in Anspruch nimmt, jede Religionsausübung strikt zu kontrollieren und alle Glaubensgemeinschaften zu überwachen. Jede Form der Mission, der Ausbildung neuer Theologen, der Bau von neuen Gotteshäusern sowie alle Aktivitäten außerhalb der Kirchen müssen gemäß der Religionsverordnung von staatlicher Seite zuvor gestattet werden.

Die Buddhisten stellen mit rund 50 Prozent der Bevölkerung die größte Religionsgemeinschaft Vietnams. Rund 9 Prozent der Vietnamesen gehören der Römisch Katholischen Kirche an, zwei Prozent Protestantischen Kirchen, drei bis vier Prozent der einheimischen synkretistischen Cao Dai Sekte sowie dem Hoa Hao Buddhismus. Muslime, Hindu, Bahai'i und Zeugen Jehovas stellen zahlenmäßig sehr kleine Glaubensgemeinschaften.

Ähnlich wie im benachbarten China hat die vietnamesische Staatsführung in den letzten Jahrzehnten offiziell die meisten Religionsgemeinschaften registriert und anerkannt, um sie wirksamer kontrollieren zu können. Millionen Gläubige haben sich jedoch von diesen offiziell sanktionierten und staatlich kontrollierten Kirchen abgewandt und sich im Untergrund existierenden Glaubensgemeinschaften angeschlossen. Einigen Religionsgemeinschaften, wie zum Beispiel der Vereinten Buddhistischen Kirche Vietnams (Unified Buddhist Church of Vietnam, UBCV) und Protestantischen Hauskirchen, wird bis heute die offizielle Anerkennung verweigert, so dass sie nur im Geheimen ihre Gottesdienste abhalten können und ihr Gläubigen stetiger Verfolgung ausgesetzt sind.

Buddhisten werden verfolgt

Nach der Wiedervereinigung Nord- und Südvietnams im Jahr 1976 beschlagnahmten die Behörden alle buddhistischen Schulen, Krankenstationen, Universitäten und Pagoden und verhafteten die Führer der staatlich nicht kontrollierten Vereinten Buddhistischen Kirche Vietnams (UBCV). Nachdem die Sicherheitspolizei im November 1977 die An Quang Pagode in Ho-Chi-Minh-Stadt stürmte, verhaftete sie führende buddhistische Würdenträger.

Einer dieser buddhistischen Repräsentanten, Thich Thien Minh, wurde 1978 von den Sicherheitskräften zu Tode gefoltert. Im Juli 1982 stürmten erneut Polizisten die An Quang Pagode und stellten hunderte Nonnen und Mönche unter Hausarrest.

Systematisch drängte die Staatsführung alle Buddhisten und Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften, ihre alten buddhistischen Glaubensgemeinschaften und Organisationen aufzugeben und sich der Vaterländischen Front anzuschließen. Eigens gründeten die Behörden die staatlich kontrollierte Buddhistische Vereinigung Vietnams (Buddhist Association of Vietnam), die offiziell alle Buddhisten und ihre Belange vertreten soll. Do Trung Hieu, ein führender ehemaliger kommunistischer Funktionär, der von der Kommunistischen Partei (KP) mit der Vereinigung aller buddhistischer Organisationen betraut worden war, hat in einem 1995 veröffentlichten Bericht ausführlich beschrieben, wie die atheistische Staatsführung nach der Wiedervereinigung Nord- und Südvietnams systematisch versucht hat, alle buddhistischen Organisationen unter ihre Kontrolle zu bringen. Die KP habe um jeden Preis eine führende Rolle der unabhängigen UBCV verhindern wollen, da sie fürchtete, die neue Organisation könne sich zu einer großen Volksbewegung entwickeln, die von der Staatsführung nicht mehr zu kontrollieren sei und die Stellung der KP gefährden könne, erklärte der ehemalige kommunistische Funktionär (4). Die Staatsführung hatte kein Interesse an einer buddhistischen Volksbewegung, sondern wollte mit der Gründung einer buddhistischen Dachorganisation nur wirksamer die Aktivitäten buddhistischer Nonnen und Mönche kontrollieren und die Buddhisten zu einer Phantomorganisation der KP machen. Von den neun buddhistischen Organisationen, die an der Vereinigungsfeier am 4. November 1981mitwirkten, seien acht bereits unter der Kontrolle der KP gewesen. Nur die UBCV habe sich gegen die Vereinnahmung durch die totalitäre atheistische Staatsführung gewehrt, erklärt der ehemalige KP-Funktionär.

Bis heute entzieht sich die UBCV dem Einfluss der Behörden, doch die in ihr zusammengeschlossenen Nonnen und Mönche haben für ihren Widerstand einen hohen Preis zu zahlen. So wurde die UBCV 1981 verboten. Ihr Oberster Patriarch, Thich Huyen Quang, wurde 1982 aus Ho-Chi-Minh-Stadt ausgewiesen und in den Ort Quang Nai verbannt, wo er nun schon seit 23 Jahren de facto unter Hausarrest lebt. Auch der stellvertretende Führer der UBCV, Thich Quang Do, wurde unter Hausarrest gestellt und lebt seit mehr als 20 Jahren weitgehend ohne Kontakt zu den Gläubigen. Ähnlich erging es auch vielen Nonnen und Mönchen, die ihre Pagoden zum Teil während mehrerer Jahre nicht verlassen durften.

Bezeichnend für die Härte, mit der die vietnamesischen Behörden regimekritische Buddhisten verfolgen, ist das Schicksal des früheren buddhistischen Mönches Thich Tri Luc. Der heute 51 Jahre alte Buddhist wurde 1992 ohne Anklage zehn Monate in Haft gehalten, weil er gegen die Verfolgung der Buddhisten protestiert hatte. Im November 1994 wurde erneut verhaftet, weil er an einem Hilfseinsatz für Flutopfer im Mekong-Delta teilgenommen hatte. Im August 1995 wurde er daraufhin zu zweieinhalb Jahren Haft und einer fünfjährigen Bewährungsstrafe verurteilt, weil er die "Demokratie ausgenutzt habe, um den Interessen des Staates und seiner Bürger zu schaden". Immer wieder wurde er unter Hausarrest gestellt oder festgenommen, bis er schließlich Anfang 2002 in das Nachbarland Kambodscha floh. Dort wurde er im Juni 2002 von dem UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) als politischer Flüchtling anerkannt. Doch wie viele vietnamesische Flüchtlinge wurde auch er in Kambodscha bedrängt. Vietnam arbeitet eng mit den kambodschanischen Sicherheitsbehörden zusammen, so dass vietnamesische Flüchtlinge dort nicht sicher vor ihren Verfolgern sind. Auf offener Straße wurde er am 25. Juli 2002 von kambodschanischen und vietnamesischen Sicherheitskräften überwältigt, in ein Auto gezerrt und geschlagen. Die kambodschanische Sicherheitspolizei kümmerte sich nicht um seinen Status als anerkannter politischer Flüchtling und fuhr ihn am folgenden Tag nach einem Verhör zur vietnamesischen Grenze, wo er seinen Verfolgern übergeben wurde. Am 12. März 2004 wurde er in Ho-Chi-Minh-Stadt wegen "Verletzung der nationalen Einheit" und "Kontakt zu feindlichen Gruppen, die die innere Sicherheit gefährden", zu 20 Monaten Gefängnis verurteilt. Nach Anrechnung seiner Haftzeit wurde er bereits am 26. März 2004 freigelassen und konnte schließlich am 23. Juni 2004 in ein skandinavisches Land ausreisen, dass ihm Zuflucht gewährte.

Annäherung und neue Repression

Nach zwei Jahrzehnten der Repression wurde im März 2003 dem schwerkranken buddhistischen Patriarchen Thich Huyen Quang aus gesundheitlichen Gründen gestattet, den Hausarrest zu verlassen und sich in Hanoi einer Krebsoperation zu unterziehen. Der buddhistische Würdenträger wurde am Krankenbett nicht nur von verschiedenen westlichen Diplomaten besucht, sondern am 2. April 2003 auch on Ministerpräsident Phan Van Khai zu einem Gespräch über die Lage der Buddhisten in Vietnam empfangen . In Europa und den USA war man immer besorgter über die anhaltende Verfolgung der Buddhisten. Eine Delegation des Europäischen Parlaments hatte bei einem Vietnam-Besuch im September 2002 sogar angesichts der religiösen Verfolgung gefordert, die Entwicklungshilfe der EU zu überprüfen.

Im Mai 2003 konnte Thich Huyen Quang erstmals seit der Verhängung des Hausarrests 1982 Ho-Chi-Minh-Stadt besuchen. Auf verschiedenen Kongressen im In-und Ausland gab sich die UBCV im Herbst 2003 eine neue Führung von 41 Mönchen und bestätigte Thich Huyen Quang als Vierten Obersten Patriarchen.

Doch die vermeintliche Liberalisierung der vietnamesischen Religionspolitik endete abrupt, als die Sicherheitskräfte am 8.Oktober 2003 den Patriarchen, seinen Stellvertreter Thich Quang Do und neun weitere führende Repräsentanten der UBCV daran hindern wollten, nach Ho-Chi-Minh-Stadt zu reisen. Zwar erzwangen buddhistische Nonnen und Mönche mit friedlichen Protesten, dass nach zehn Stunden die Weiterfahrt der Delegation gestattet wurde, doch am folgenden Tag wurden alle Insassen des Kleinbusses festgenommen. Der Patriarch und sein Stellvertreter wurden in Klöster zurückgebracht und unter strengen Hausarrest gestellt. Im Oktober 2003 wurden daraufhin alle der neuen Führung der UBCV angehörenden Mönche entweder massiv eingeschüchtert und bedroht oder verhaftet. Viele der Mönche wurden unter Androhung von Gewalt aufgefordert, ihre Funktionen in der UBCV-Führung aufzugeben. Manche wurden wegen Verletzung der "nationalen Sicherheit" angeklagt und zu mehreren Jahren Administrativhaft verurteilt, andere wurden ohne Verurteilung in der Haft festgehalten oder unter Hausarrest gestellt. Telefonleitungen wurden unterbrochen, Laptops und Handys beschlagnahmt. Pagoden werden seither systematisch rund um die Uhr von Sicherheitskräften bewacht, die mit hochmodernem technischen Geräten ausgestattet sind, um alle Kommunikationsverbindungen mit den oppositionellen Buddhisten lückenlos zu überwachen.

Zwei Jahre nach dem Beginn des kurzen politischen Frühlings in Hanoi und der vorsichtigen Annäherung zwischen der Staatsführung und den regimekritischen Buddhisten ist die die Verfolgung oppositioneller Buddhisten in Vietnam heute schlimmer denn je zuvor. Dringend bat das stellvertretende Oberhaupt der UBCV, Thich Quang Do, in einem im April 2005 an die UN-Menschenrechtskommission, sich für ein Ende der religiösen Verfolgung in Vietnam einzusetzen. Der auf Kassetten aufgezeichnete Appell war von einem Mönch aus der streng bewachten Pagode herausgeschmuggelt worden. Der Mönch wird seither von vietnamesischen Sicherheitskräften in Gewahrsam gehalten.

Neben der UBCV verfolgen die vietnamesischen Sicherheitskräfte auch die buddhistische Hoa Hao-Sekte, die rund vier Millionen Anhänger in Vietnam hat. Das 82 Jahre alte Oberhaupt der Glaubensgemeinschaft, Le Quang Liem, wurde im März 2001 wegen seiner Kritik an der Regierungspolitik für zwei Jahre unter Hausarrest gestellt worden. Die Strafe wurde am 26. August 2004 wegen "guter Führung" auf 17 Monate reduziert. Mit einer Selbstverbrennung protestierte eine Anhängerin der Sekte gegen die Verfolgung der Glaubensgemeinschaft.

Katholische Kirche kritisiert staatliche Religionspolitik

Als im Jahr 2004 das Staatliche Religionsbüro die Legalisierung von 22 Untergrundpriestern beschloss und 44 Priesteramtskandidaten die Priesterweihe gestattete, sofern sie einen zweijährigen Theologiekurs besuchten, feierten katholische Medien in Europa dies als "Durchbruch" nach Jahren der Verfolgung. Doch der Preis für dieses Zugeständnis der Religionsbehörde ist hoch und in der katholischen Kirche Vietnams nicht unumstritten. Denn die Priesteramtskandidaten müssen sich während der zweijährigen Ausbildung der staatlichen Indoktrination stellen und die Religionsbehörde wird nichts unversucht lassen, um die jungen Priester der staatlichen Kontrolle zu unterwerfen.

So werden die neuen Religionsverordnungen auch nur von einer Minderheit in der katholischen Kirche als großer Fortschritt gesehen. Denn die wenigen Zugeständnisse, die der Staat den Kirchen in ihrer Alltagsarbeit darin einräumt, werden teuer bezahlt mit einer stärkeren Einbettung der katholischen Kirche in die staatliche Religionspolitik. Kein Zweifel kann daran bestehen, dass die atheistische Staatsführung nicht an einer weiteren Ausbreitung der Religion interessiert ist, sondern mit ihrer Politik nur darauf abzielt, den Einfluss der Religion einzudämmen und Glaubensgemeinschaften wirksamer zu kontrollieren und für eigene Zwecke zu nutzen.

Auch die katholischen Bischöfe Vietnams haben sich kritisch zur staatlichen Religionspolitik geäußert. Auf ihrer Bischofskonferenz 1999 beklagten sie, dass im April 1999 verabschiedete Dekret 26 trage noch weiter zu einer Behinderung der Religionsausübung bei anstatt die Ausübung des Glaubensbekenntnisses zu erleichtern.

Seit der Wiedervereinigung Nord- und Südvietnams mangelte es nicht an Konflikten zwischen der Staatlichen Religionsbehörde und der katholischen Kirche. So versuchte die KP die katholischen Priester und Bischöfe in den 80er Jahren zu zwingen, in dem von der Partei aufgebauten "Einheitskomitee der Patriotischen Katholiken" Mitglied zu werden. Streit gab es auch die Ernennung des neuen Erzbischofs von Ho-Chi-Minh-Stadt, nachdem der Vorgänger im Juli 1995 verstarb. Mehrfach verweigerte Hanoi dem vom Papst vorgeschlagenen Nachfolger die Zustimmung. Erst drei Jahre später wurde der Streit schließlich beigelegt.

Das Verhältnis zum Vatikan und der katholischen Kirche wurde auch beeinträchtigt durch die Auseinandersetzung um die Heiligsprechung "vietnamesischer Märtyrer" aus den letzten zweihundert Jahren, die 1988 von Papst Joannes Paul II. selig gesprochen wurden. Die KP kritisierte massiv die Heiligsprechung, da die geehrten Missionare "Handlanger des Kolonialismus" gewesen seien. So gibt es immer wieder Streitpunkte zwischen der Katholischen Kirche und der Obersten Religionsbehörde, die die Katholiken verdächtigt, eine von außen gesteuerte Kraft zu sein, die das sozialistische Regime überwinden wolle.

Protestanten leiden unter Verfolgung

Noch schwieriger als die Lage der Katholiken ist die Situation vieler Protestanten. Denn rund 50 Prozent der mehr als eine Millionen Protestanten stehen "3.000 Hauskirchen" nahe, die nur geheim im Untergrund operieren können. Ungeachtet der Verfolgung hat die Zahl ihrer Glaubensanhänger in Vietnam in den letzten zehn Jahren sehr deutlich zugenommen. So bekannten sich 1976 nur 150.000 Menschen in Vietnam zum protestantischen Glauben. Jahrelang verboten die Behörden den Protestanten die Einberufung einer nationalen Konferenz, um sich wirksamer zusammenzuschließen. Im April 2001 wurde schließlich die "Evangelische Kirche Südvietnams" von der Nationalen Religionsbehörde anerkannt. Auch erlaubte die Regierung die Eröffnung eines Priesterseminars. Doch zugleich hielt die Repression weiter an. So wurden sechs vietnamesische Mennoniten am 12. November 2004 wegen "Widerstands gegen die Staatsgewalt" verurteilt. Der Generalsekretär der Mennoniten Kirche Vietnams, Nguyen Hong Quang, wurde zu drei Jahren Haft verurteilt, die anderen erhielten geringere Strafen. Die 21 Jahre alte Le Thi Hong Lien brach unter der Folter zusammen und erlitt schwere psychische Störungen. Zwar forderten Angehörige eine angemessene gesundheitliche Versorgung der kranken Inhaftierten, doch die Behörden verweigern noch immer jeden Zugang zu der jungen Frau. Weitere 19 Mennoniten wurden am 27.Februar 2005 in Ho-Chi-Minh-City festgenommen.

Die Vietnam Evangelical Fellowship, eine Koalition von 30 nicht offiziell registrierten Hauskirchen, kritisierte im September 2004 das neue Religionsgesetz Vietnams und forderte die Behörden auf, endlich Glaubensfreiheit zu gewähren. Das neue Gesetz legalisiere nur die Christenverfolgung, kritisierten die Hauskirchen.

Doch am schlimmsten ist nicht die Verfolgung der protestantischen Christen in den großen Städten, sondern in dem weitgehend von ethnischen Minderheiten bewohnten Bergland Zentralvietnams. Die dort lebende Urbevölkerung wird in doppelter Weise verfolgt: Als Christen und Ureinwohner.

Vietnams Ureinwohner werden marginalisiert

Zwei Drittel der in Vietnam lebenden Protestanten sind Angehörige ethnischer Minderheiten. Die 53 ethnischen Minderheiten stellen heute rund 12 Millionen Menschen. Manche dieser ethnischen Gruppen umfassen wie die Odu nur 200 Menschen, andere zählen wie die Tay mehr als 1,5 Millionen Seelen. Drei Viertel dieser nicht der Kinh-Mehrheitsbevölkerung angehörenden ethnischen Gemeinschaften leben heute relativ zurückgezogen im Bergland Nordwestvietnams oder Zentralvietnams. Da die meisten dieser indigenen Gemeinschaften in Bergregionen leben, bezeichnet man sie seit der französischen Kolonialzeit auch als "Montagnards", Bergbewohner. Ihre Sprachen, Kultur und Traditionen unterscheiden sich zum Teil sehr. Doch trotz ihrer vielfältigen Kultur werden sie von der Mehrheitsbevölkerung oft abschätzig als unterentwickelte "Wilde" (Moi) angesehen. So teilen sie das Schicksal von Millionen Ureinwohnern in aller Welt, die im Alltagsleben von der Mehrheitsbevölkerung missachtet und diskriminiert werden.

Zwar bemüht sich die Staatsführung in den offiziellen Medien, den Eindruck zu erwecken, die ethnischen Minderheiten würden besonders gefördert und gleichberechtigt am sozialen und politischen Leben teilnehmen. Jeden Monat gibt es Erfolgsmeldungen über die Armutsbekämpfung in den Bergregionen und über spezielle Fördermaßnahmen für die Minderheiten. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Nirgendwo ist in Vietnam die Armut größer als unter der indigenen Bevölkerung: Während 1998 nur 31 Prozent der Mehrheitsbevölkerung nach amtlichen Statistiken unter der Armutsgrenze lebten, klagten 75 Prozent der Ureinwohner über ärmliche Lebensbedingungen (5). In ihren Siedlungsgebieten fehlt es an Schulen, Krankenhäusern, Straßen und Kommunikationseinrichtungen. Die Analphabetenrate ist vergleichsweise sehr hoch. So sind rund 97 Prozent aller Hmong-Frauen Analphabeten und auch unter den Hmong-Männern können 83 Prozent nicht lesen und schreiben. Bei anderen indigenen Völkern, die stärker in die vietnamesische Gesellschaft integriert sind, ist die Analphabetenrate geringer. Der Lebensstandard der Minderheiten ist bei einem Durchschnittseinkommen von 50 US-Dollars deutlich geringer als das der Mehrheitsbevölkerung (370 US-Dollars).

Wachsende Unruhe unter indigenen Völkern

Angesichts ihrer fortschreitenden Verarmung und Marginalisierung, des Landraubes durch Kaffeebauern und staatliche Entwicklungsplaner, der Zerstörung ihrer natürlichen Lebensgrundlagen, der religiösen Verfolgung und der staatlichen Politik der Assimilierung wuchs Ende der 90er Jahre die Unzufriedenheit unter der in Bergregionen Zentralvietnams lebenden Urbevölkerung. Die Verzweiflung der Ureinwohner über ihre wachsende Bedrohung und Entrechtung entlud sich im Februar 2001 in öffentlichen Protesten in verschiedenen Städten des Hochlands. Die Ureinwohner protestierten öffentlich vor allem gegen den Landraub und die Verletzung ihrer Religionsfreiheit. Mehr als 300 protestantische Kirchen waren geschlossen worden, immer wieder wurden Priester und Gläubige verhaftet und eingeschüchtert. Mit wachsender Besorgnis verfolgte die kommunistische Partei, dass seit Beginn der 90er Jahre sich zehntausende Ureinwohner den verboten "Hauskirchen" zugewandt hatten, die ihnen die Möglichkeit gaben, ihre traditionelle Kultur und Siedlungsweise mit ihrem Glauben zu vereinbaren. So entwickelte die KP auch Programme zur "Umerziehung" protestantischer Geistlicher und verstärkte mit der willkürlichen Verhängung von Geldstrafen und der Anordnung von Zwangsarbeit den Druck auf christliche Ureinwohner. Anders als in den städtischen Zentren gingen die Sicherheitskräfte sowie die Parteidienststellen in der Provinz mit besonderer Härte gegen die aufbegehrenden Christen vor, die immer lauter ihre verfassungsrechtlich garantierten Rechte einforderten.

 

Obwohl die meisten der Proteste der Urbevölkerung Dak Laks Anfang Februar 2001 friedlich waren, reagierten die staatlichen Sicherheitsbehörden mit verstärkter Repression. Mehr als 200 Ureinwohner wurden bei der systematischen Durchkämmung aller Dörfer im Hochland verhaftet, viele der Festgenommenen wurden gefoltert. Planmäßig wurde die Bewegungsfreiheit der Urbevölkerung massiv beschränkt, auf allen Verbindungswegen wurden Straßensperren errichtet, Kirchen wurden geschlossen und alle öffentlichen Veranstaltungen und Treffen wurden untersagt. Systematisch wurde das gesamte Gebiet über Monate von der Außenwelt abgeriegelt. Ausländische Besucher konnten die Region nur noch im Rahmen staatlich organisierter und überwachter Rundreisen besuchen. Im Oktober 2002 ordnete die KP in einer internen Anordnung die Zerstörung des Protestantismus unter der Urbevölkerung an. Um jedes neue Aufbegehren der Urbevölkerung zu verhindern, wurden im Dezember 2002 alle Weihnachtsmessen und andere Treffen der Ureinwohner im Bergland verboten. Währenddessen wurden weiterhin Ureinwohner wegen ihrer Beteiligung an Protesten verhaftet. Viele der Festgenommenen mussten monatelang auf ihr Gerichtsverfahren warten, um dann schließlich in einem unfairen Prozess ohne unabhängigen Rechtsanwalt unter Ausschluss der Öffentlichkeit wegen "Bedrohung der nationalen Sicherheit" oder "illegaler Migration" nach Kambodscha zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt zu werden. Zwischen Februar 2001 und April 2003 wurden nach Recherchen der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch gegen mindestens 70 Ureinwohner aus politischen Gründen Haftstrafen verhängt (6).

Monatelang hielt die Repression an und auch noch Ende des Jahres 2001 wurden Ureinwohner wegen ihrer Beteiligung an den Protesten zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Angesichts dieser brutalen Verfolgung schenkte die Urbevölkerung den Beteuerungen der Regierung, sich für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der indigenen Völker einsetzen zu wollen, wenig Glauben. Im April 2001 wurde auf dem Neunten Kongress der Kommunistischen Partei Vietnams mit Nong Duc Manh erstmals ein Ureinwohner vom Volk der Tay zum KP-Generalsekretär gewählt. Doch die langjährige Erfahrung mit der Personalpolitik totalitärer kommunistischer Systeme zeigt, dass ethnische Abstammung noch lange nicht bedeutet, dass die entsprechende Person auch eine Politik betreibt, die die Interessen der ethnischen Gruppe, aus der er abstammt, auch berücksichtigt.

Hinzu kommt ein grundsätzliches Missverständnis zwischen den kommunistischen Machthabern in Hanoi und den indigenen Völkern. Während die Führung in Hanoi nur auf eine materielle Verbesserung der Lebensbedingungen der Urbevölkerung hinarbeitet und an ihrer schnellen Assimilierung interessiert ist, fordern die indigenen Völker ihre Rechte ein. So wollen sie insbesondere ihre Landrechte und ihr Recht auf freie Religionsausübung endlich respektiert sehen. Der totalitäre Machtapparat in Hanoi ist jedoch von jeder maßgeblichen Konzession in dieser Frage der Rechte indigener Völker noch weit entfernt, so dass der Konflikt weiter zu eskalieren droht. Solange der Staatsführung nichts anderes einfällt, als bei der Analyse der Ursachen der Unzufriedenheit der Ureinwohner jede eigene Verantwortung auszuschließen und "feindliche ausländische Kräfte" zu verdächtigen, das Regime destabilisieren zu wollen, ist mit einer baldigen friedlichen Lösung des Konflikts nicht zu rechnen.

Indigene Völker erheben sich erneut

Angesichts der drohenden Zerstörung der Lebensgrundlagen der indigenen Völker war es nur eine Frage der Zeit, wann es erneut zu Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskräften und der Urbevölkerung kommen würde. Während des Oster-Wochenendes lehnte sich am 10. und 11. April 2004 erneut die Urbevölkerung auf. Tausende Demonstranten forderten in den Provinzen Dak Lak, Gia Lai und Dak Nong ein Ende der religiösen Verfolgung, Bewegungsfreiheit und die Anerkennung ihrer Landrechte. Wieder einmal reagierten die vietnamesischen Sicherheitskräfte mit unverhältnismäßig großer und brutaler Gewalt. So setzte die Polizei Ketten und Macheten, Tränengas, Wasserwerfer sowie Elektro-Schlagstöcke ein, um die Demonstranten auseinander zu treiben. Dutzende Menschen wurden getötet. Bis heute ist das wahre Ausmaß der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste nicht bekannt, da die vietnamesischen Behörden beharrlich jede unabhängige Untersuchung des Vorfalls ablehnen. Auch wurden die Verantwortlichen der blutigen Beendigung der Proteste niemals juristisch zur Rechenschaft gezogen. Wieder einmal wurde das Bergland de facto unter Kriegsrecht gestellt und systematisch von Soldaten, Artillerie und Panzern von der Außenwelt isoliert. Überall patrouillierten Soldaten, verhafteten Dorfbewohner und mindestens ein Dutzend Pastoren. Neun Ureinwohner wurden wegen ihrer Beteiligung an den Protesten am 13. August 2004 zu Gefängnisstrafen zwischen fünf und zwölf Jahren verurteilt. Am 22. November 2004 wurden gegen weitere zehn Ureinwohner wegen der Mitwirkung an den Demonstrationen und "Gefährdung der nationalen Sicherheit" zu Haftstrafen von bis zu zehn Jahren verhängt.

Flüchtlinge sind in Kambodscha nicht sicher

Nach beiden Aufständen flohen insgesamt mindestens 2.000 Ureinwohner vor der Repression in das benachbarte Kambodscha. Doch aus politischer Rücksichtnahme auf das Nachbarland verweigert Kambodscha immer wieder Flüchtlingen aus der Bergregion Zentralvietnams die Aufnahme als politische Flüchtlinge und schiebt die Hilfe suchenden Ureinwohner in die Hände ihrer vietnamesischen Verfolger ab. So wurden im Mai 2004 erneut 80 Ureinwohner nach Vietnam abgeschoben, obwohl sich der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) für ihre Aufnahme eingesetzt hatte. Mehrfach wurden vietnamesische Flüchtlinge gegen ihren Willen von vietnamesischen Sicherheitskräften aus Kambodscha entführt. Nur wenige Verfolgte finden tatsächlich dauerhaft Schutz. So einigten sich in langwierigen Verhandlungen die USA und Kambodscha im März 2002, dass rund 900 Montagnards, die nach den Unruhen im Februar 2001 nach Kambodscha geflohen waren, von den USA als Flüchtlinge aufgenommen werden durften.

Allein zwischen Juli und November 2004 meldeten sich 441 Montagnards-Flüchtlinge beim UNHCR in Kambodscha. Der UNHCR zeigte sich besorgt über die wachsende Zahl von Flüchtlingen. Während Vietnam eine zügige Rückführung aller Flüchtlinge in ihre Heimat fordert, lehnen die Flüchtlinge jede Rückkehr ab, so lange in Vietnam nicht ihre Sicherheit von unabhängiger Seite garantiert ist.

Kambodscha, Vietnam und der UNHCR unterzeichneten am 25. Januar 2005 ein Abkommen, dass die "freiwillige Rückführung" von Flüchtlingen vorsieht, die in Kambodscha nicht anerkannt wurden. Im Mai 2005 sollen 75 Montagnards nach Vietnam abgeschoben werden, die nicht als Flüchtlinge anerkannt wurden. Sie werden in einer kambodschanischen Regierungseinrichtung in Phnom Penh festgehalten und von Militärpolizisten bewacht. Doch in Zukunft wird es noch schwerer für die Montagnards, ihren Verfolgern zu entgehen. Denn Vietnam und Kambodscha vereinbarten am 11. April 2005 eine Verstärkung der Sicherheitsmassnahmen an der gemeinsamen Grenze. Sie wollen nicht nur die "illegale Einwanderung" bekämpfen, sondern auch Informationen über die "Tätigkeit feindlicher Kräfte" austauschen.

Bitterer Kaffee aus Vietnam

Der Lebensstandard der indigenen Bevölkerung bessert sich kaum, weil sie aufgrund der Ansiedlung von Millionen Tieflandbewohnern in ihren Regionen in immer unwirtlichere Gebiete verdrängt werden. Mehr als zehn Millionen Menschen wurden seit 1976 von staatlicher Seite in ihren Gebieten angesiedelt oder ließen sich auf eigene Initiative seither in der Bergregion nieder. Stellten die Montagnards 1940 noch einen Bevölkerungsanteil von 99 Prozent in der Region, so bilden sie heute nur noch knapp 30 Prozent der Gesamtbevölkerung im Hochland.

Im Rahmen offizieller Umsiedlungsprogramme haben die Behörden in den 90er Jahren rund 250.000 Angehörige der Kinh-Mehrheitsbevölkerung jedes Jahr umgesiedelt. Weitere 400.000 Kinh aus Nordvietnam siedelten sich aus eigener Initiative und mit Billigung der Behörden in Südvietnam an. Viele dieser neuen Siedler ließen sich im Bergland Zentralvietnams nieder. So ergab eine Volkszählung im Jahr 1989, dass im Zeitraum zwischen 1979 und 1989 die Zahl der Bewohner dieser Region jedes Jahr um 5,6 Prozent zunahm (7). Lebten in der Provinz Dak Lak 1976 nur 360.000 Menschen, so hat sich diese Zahl bis zum Jahr 2000 auf 1,6 Millionen Menschen erhöht. Angezogen vom Kaffeeboom haben sich seit 1996 mehr als 400.000 Angehörige der Mehrheitsbevölkerung Vietnams in Provinz Dak Lak niedergelassen.

Die traditionell von der Subsistenzwirtschaft lebenden Bauern werden immer mehr von den neuen Siedlern aus den Tieflandregionen verdrängt, die sich die fruchtbarsten Felder aneignen. Denn seit Vietnam mit Unterstützung der Weltbank und der internationalen Geberländer seit den 90er-Jahren in den Hochlandgebieten systematisch die landwirtschaftliche Produktion für den Export ausbaut und dort riesige Kaffee-, Cashewnüsse- und Pfefferplantagen anlegen lässt, müssen sich viele Ureinwohner in noch unwirtlichere Regionen zurückziehen.

Das größte Kaffeeanbaugebiet Vietnams liegt heute in der Hochland-Provinz Dak Lak im Zentrum des Landes. Die Land- und Forstwirtschaft stellen mit 70 Prozent der Produktivität das Rückgrat der Wirtschaft in der Provinz. Wurde dort 1975 Kaffee auf nur auf 21.828 Hektar Land angebaut, so hat sich die Anbaufläche inzwischen auf 163.000 Hektar Land ausgeweitet (8).Die Provinz Dak Lak verdient mit den Landwirtschaftsexporten täglich 800.000 US-Dollars, doch nur die wenigsten dieser Einnahmen, kommen der indigenen Bevölkerung zugute. Zwar hat die Provinz nach Rekordeinnahmen aus der Ausfuhr landwirtschaftlicher Produkte Programme zur Armutsbekämpfung aufgenommen und Familien indigener Völker 4.072 Hektar Land für den Hausbau und die Anlage von Feldern zur Verfügung gestellt (9). Doch angesichts der stetigen Ausweitung der landwirtschaftlichen Produktionsflächen für den Export können diese Kleinprojekte die Verdrängung der indigenen Bevölkerung aus den landwirtschaftlich besonders interessanten Anbaugebieten nicht stoppen.

Diese Landwirtschaftsexporte sind auch für die gesamte Volkswirtwirtschaft Vietnams von großer Bedeutung. Im Jahr 2004 exportierte das Land landwirtschaftliche Erzeugnisse im Wert von 4,2 Milliarden US-Dollars, eine Wertsteigerung von 32 Prozent gegenüber dem Jahr 2003 (10). Kaffee zählt zu den zehn wichtigsten Exportgütern des Landes. So führte allein Dak Lak mehr als 320.000 Tonnen Kaffee im Jahr 2004 aus. In den 70er Jahren exportierte Vietnam nur 6.000 Tonnen jährlich, im Jahr 2004 waren es bereits mehr als 800.000 Tonnen. In der Ernteperiode 2005/2006 will Vietnam diesen Erntertrag sogar auf 1 Million Tonnen Kaffee steigern. Auch sollen sich die Exporterlöse aus der Ausfuhr landwirtschaftlicher Produkte im Jahr 2005 auf 4,5 Milliarden US-Dollars erhöhen. Die Kaffee-Ausfuhr brachte Vietnam im Jahr 2004 Einnahmen von 594 Millionen US-Dollars, eine Steigerung von 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr (11). Vietnams Berglandprovinzen exportieren Kaffee in 59 Staaten. Deutschland und die USA sind die wichtigsten Absatzmärkte für vietnamesischen Kaffee. 47 Prozent der Kaffeeproduktion Vietnams werden heute in die EU exportiert, 14,6 Prozent in die USA ausgeführt. Allein in den ersten sechs Monaten des Jahres 2004 hat Vietnam seine Exporte nach Deutschland um 33 Prozent erhöhen können und dabei einen Erlös von 543 Millionen US-Dollars erzielt (12). Auf den Kaffeeexporterlös nach Deutschland entfielen in diesem Zeitraum 69 Millionen US-Dollars. Dies bedeutet eine Steigerung von 72 Prozent gegenüber dem Vorjahr (12).

Vietnams Billigproduktion zerstört Weltkaffeemarkt

Mit der systematischen Förderung der Kaffee-Billigproduktion in Vietnam haben die Weltbank sowie europäische Geberländer dem Weltkaffeemarkt einen Todesstoß versetzt. Da Vietnam mit sehr billigeren Löhnen kalkulieren kann und mit großen Mengen seit Ende der 90er Jahre vor allem den Markt der Kaffeesorte Robusta überschwemmt, ist die Existenz von rund 25 Millionen überwiegend indianischen Kaffeeanbauern- und pflückern in den traditionellen Kaffeeexportnationen Süd- und Mittelamerikas akut gefährdet.

Hatte Robusta 1960 noch einen Marktanteil von nur 20 Prozent, so ist er bis zum Jahr 2003 auf 38 Prozent gestiegen. Die weltweit rund vier Milliarden Robusta-Kaffeepflanzen sind gegenüber den 10 Milliarden Arabica-Kaffeepflanzen preislich günstiger und werden vor allem für preisgünstigen Kaffee und Instant-Kaffee verwandt. Noch ist Brasilien deutlicher Marktführer beim Arabica-Anbau, doch bei der Robusta-Ernte belegt Vietnam bereits Platz zwei hinter Brasilien. In Deutschland wurden im Jahr 2002 rund 71 Prozent Arabica-Kaffee und 29 Prozent Robusta-Kaffee importiert (13). Vietnam ist inzwischen nach Brasilien (33 Prozent) mit 12,5 Prozent der zweitwichtigste Kaffeelieferant Deutschlands (14). Mitte der 90er Jahre waren noch Kolumbien und El Salvador die wichtigsten Kaffeelieferanten Deutschlands.

Angesichts eines höheren Lohnniveaus können die süd- und mittelamerikanischen Länder mit der Billigproduktion aus Südostasien nicht mithalten, so dass vielen Bauern der Verlust ihrer Existenz droht. Doch nicht nur Einzelpersonen und ganzen Branchen, die eng mit der Kaffeeindustrie verwoben sind, droht in diesen Staaten der Zusammenbruch. In einigen Ländern Mittelamerikas hat die Kaffeeindustrie auch volkswirtschaftlich eine so große Bedeutung, dass die Kaffeekrise auch die gesamte wirtschaftliche Entwicklung dieser Staaten ernsthaft gefährden wird. Schon gibt es in zahlreichen Staaten Mittelamerikas massive Proteste gegen die Billigkonkurrenz aus Vietnam.

Aufgrund der Kritik auch von süd- und mittelamerikanischen Regierungen und entsprechender Appelle der Internationalen Kaffee Organisation, in der Kaffee-Anbauländer und -konsumenten zusammengeschlossen sind, reduzierte Vietnam seit dem Jahr 2002 seine Robusta-Produktion. So stellte es Juni 2004 Pläne vor, rund 90.000 Hektar minderwertiger Kaffeeanbaufläche im Zentralen Bergland für den Anbau von Pfeffer, Kakao und Cashewnüssen zu nutzen (15). Doch auch dies wird keine Lösung für die weltweiten Probleme der Kaffeeindustrie sein. Denn schon arbeitet Vietnam an einer Qualitätsverbesserung für seine Kaffeeproduktion. So will es nicht mehr nur den Billigmarkt beliefern, sondern auch seine hochwertigere Arabica-Produktion ausbauen. So plant Vietnam die Einrichtung neuer Arabica-Plantagen, um den bislang auf 50.000 Hektar beschränkten Anbau von Arabica auszuweiten (Robusta wird auf 450.000 Hektar Land gepflanzt) (16). Im Jahr 2010 will Vietnam jährlich 180.000 Tonnen Arabica-Kaffee produzieren (17). Dann wird die Billigproduktion aus Vietnam nicht nur den Robusta -Weltmarkt nachhaltig beeinträchtigt haben, sondern auch zu einem tief greifenden Wandel in der Arabica-Produktion herbeiführen.

Zwar verständigte sich die internationale Kaffee-Industrie in Zusammenarbeit mit NGO's im Herbst 2004 auf einen freiwilligen Verhaltenskodex für die Kaffeewirtschaft, doch die Rechte indigener Völker sind darin nicht ausdrücklich geregelt.

Katastrophale ökologische Folgen des Kaffeebooms

Der Kaffeeboom hat zu einer schwerwiegenden Schädigung des ökologischen Gleichgewichts im Bergland Zentralvietnams geführt. In die Region eingewanderte Kaffeebauern haben mehr als 74.000 Hektar Wald seit Mitte der 90er Jahre für die Anlage neuer Plantagen gerodet (18). Vietnams Wälder weisen eine große Artenvielfalt auf und beherbergen rund zehn Prozent des Artenreichtums der Welt. Doch dieses Weltnaturerbe ist massiv bedroht, da allein in den letzten zehn Jahren angesichts des Kaffeebooms die landwirtschaftliche Anbaufläche um 38 Prozent ausgeweitet wurde. In den letzten 50 Jahren reduzierte sich der ursprüngliche Primärwald in Vietnam von 43 auf 29 Prozent. Rund 50 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Böden sind ausgelaugt aufgrund von Rodungen, Erosion und intensivem, nicht Umwelt schonendem Anbau. Erst langsam reift in den Behörden die Einsicht, dass der Raubbau an der Natur gestoppt und verstärkt aufgeforstet werden muss. Doch der Verlust an Primärwald und die damit einhergehende Auslaugung und Erosion der Behörden ist nur schwer zu stoppen.

Erschwerend kommt hinzu, dass zur kurzfristigen Profitmaximierung im Kaffeeanbau weitgehend darauf verzichtet wurde, die Kaffeepflanzen im Schatten von Bäumen gedeihen zu lassen, um die Böden zu schonen. Inzwischen rächt sich dieser in vielen Kaffeeanbauländern verpönte Raubbau an der Natur, da die Böden noch schneller ausgelaugt sind und noch immer kostenintensive und wenig Umwelt schonende Düngemittel benötigen.

Die sehr fortgeschrittene Bodenerosion hat dazu geführt, dass immer mehr Naturkatastrophen viele Menschenleben fordern. Denn wegen der Rodung der Wälder nehmen die Böden nicht mehr ausreichend Wasser auf, so dass immer größere Flächen durch sintflutartige Regenfälle überflutet und Menschen werden von den Wassermassen in den Tod gerissen werden. So starben im Jahr 2004 mindestens 82 Menschen im Bergland bei Überschwemmungen, rund 170.000 Häuser wurden überflutet.

Auch ist der Kaffeeanbau sehr auf eine regelmäßige Bewässerung angewiesen. Dies hat nicht erst seit der nun Monate andauernden Dürre in Zentralvietnam zur Folge, dass immer mehr Staudämme und Bewässerungsbecken gerade auch in der Nähe der Kaffeeanbaugebiete errichtet werden. Immer häufiger werden deshalb Ureinwohner umgesiedelt. So müssen für den Bau des Bewässerungsprojektes Buon Yong in der Provinz Dak Lak mindestens einhundert Familien umgesiedelt werden (19). Im August 2002 beschloss die vietnamesische Regierung den Bau von mindestens vier Staudämmen am Se San Fluss in der Provinz Gia Lai. Auch in dieser neben Dak Lak gelegenen Provinz gibt es große Kaffeeplantagen.

So hat die Förderung des Kaffeeanbaues in Vietnam nicht nur katastrophale Folgen für den Weltkaffeemarkt und die anderen Kaffeeanbauländer in Amerika, Afrika und Asien, sondern auch weit reichende Konsequenzen für die Ökologie in Vietnam. So zerstört der Kaffeeanbau die Lebensgrundlage vieler Ureinwohner und trägt noch weiter zu ihrer Marginalisierung in Vietnam bei. Statt Wohlstand zu bringen, ist er für die meisten indigenen Völker zum Fluch geworden. Nur wenige Ureinwohner haben als Bauern von dem Kaffeeboom kurzfristig profitieren können. Doch auch in ihrem Falle stellt sich die Frage, wie lange angesichts der Auslaugung der Böden und anderer ökologischer Probleme eine intensive Bewirtschaftung der Böden im Hochland überhaupt aufrechterhalten werden kann.

Indigene Völker fordern Rechte

Die Unruhen unter der Urbevölkerung im Jahr 2001 und 2004 machen deutlich, dass die indigenen Völker Vietnams nicht länger ihre Marginalisierung widerstandslos hinnehmen werden. Angesichts anhaltender religiöser Verfolgung und der fortschreitenden Zerstörung der Lebensgrundlage der indigenen Völker wird sich die Lage in den Bergregionen Zentralvietnams erst beruhigen, wenn die Behörden die in der Verfassung garantierte Glaubensfreiheit der Urbevölkerung nicht länger vorenthalten und die Rechte der indigenen Völker anerkennen. Insbesondere sollten die Landrechte der Urbevölkerung respektiert werden und der weitere Ausbau der Plantagenwirtschaft nur in enger Abstimmung mit der indigenen Bevölkerung erfolgen und Grundprinzipien nachhaltiger Wirtschaft beachten. Denn ein weiterer Raubbau an der Natur wird nicht nur die Lebensgrundlage der Urbevölkerung zerstören, sondern langfristig auch die wirtschaftliche Entwicklung Vietnams gefährden.

Anmerkungen

(1) EC-Vietnam, Country Strategy Paper, 2002-2006, S. 15

(2) Vietnam Agency, 13.4.2005

(3) Reuters, 17.9.2004

(4) Vietnam, Projet d'Ordonnance: Une Nouvelle Politique Religieuse?, Comité Vietnam pour la Défense des Droits de l'Homme, Genf, März 2001, S. 14

(5) UNDP, Fact Sheet, Ethnic Minority Groups, S.2

(6) Vietnam: New Documents Reveal Escalating Repression, A Human Rights Watch Briefing Paper, April 2003

(7) Development and its Impacts on the Indigenous and Highland Peoples of South East Asia, Jens Christian Wandel, 2002, S.10

(8) Vietnam News Agency, 10.3.2005

(9) Vietnam Economy, 4.3.2005

(10) Vietnam Agency, 15.12.2004

(11) Vietnam Economy, 7.1.2005

(12) Vietnam News, 4.8.2004

(13) European Coffee Report 2002, European Coffee Federation, S.18

(14) Zahlen 2002, Deutscher Kaffee Verband

(15) Vietnam Agency, 22.6.2004

(16) Vietnam Economy, 18.2.2005

(17) BBC, 6.9.2002 / Vietnam Agency, 23.6.2004

(18) World Rainforest Movement Bulletin Nr. 46, Mai 2001

(19) Vietnam Agency, 16.4.2004