15.05.2023

Wahlen in der Türkei

Unregelmäßigkeiten in kurdischen Gebieten

Die gestrigen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen waren vor allem in den kurdischen Gebieten der Türkei weder fair noch demokratisch. Wie die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) berichtet, wurden in der kurdischen Provinz Siirt am Wahltag zwei Mitglieder einer spanischen Wahlbeobachtungsdelegation festgenommen. „In der kurdischen Provinz Sirnak sollen türkische Sicherheitskräfte aus gepanzerten Fahrzeugen wahllos Tränengasgranaten in Straßen und Wohnviertel geschossen haben. Auch bewaffnete Anhänger Erdogans hätten wahllos das Feuer eröffnet“, berichtete GfbV-Nahostexperte Dr. Kamal Sido im Nachgang der Wahl. „Das Militär und die bewaffneten Anhänger Erdogans wollten die Menschen einschüchtern, damit sie nicht wählen gehen. Denn die Kurden unterstützen mehrheitlich das kleinere Übel: den Oppositionskandidaten Kilicdaroglu.“ Auch wenn die Mehrheit der Kurden in der Türkei nicht viel von der Opposition halte, die eine friedliche Lösung der Kurdenfrage ablehnt, wollten die Kurden einen politischen Wechsel in der Türkei.

Während sich der Oppositionskandidat Kilicdaroglu auf die säkularen, aber extrem türkisch-nationalistischen Ideen des türkischen Staatsgründers Atatürk beruft, setzt Erdogan sowohl auf einen aggressiven türkischen Nationalismus als auch auf einen sunnitischen Islamismus. Im Wahlkampf spielt Erdogan immer wieder die sunnitisch-islamische Karte und hetzt gegen die alevitische Bevölkerung in der Türkei. Erdogan ist Sunnit, Kilicdaroglu Alevit.  Schützenhilfe erhielt Erdogan auch vom internationalen sunnitischen Islamismus. Der Führer der Internationalen Union der muslimischen Gelehrten (IUMS), Ali Al-Qaradaghi, und rund 65 Islamisten weltweit riefen kurz vor den Wahlen die Gläubigen in der Türkei auf, für Erdogan und seine Partei AKP zu stimmen. „Al-Qaradaghi ist Kurde aus Sulaimaniya, Irakisch-Kurdistan, besitzt aber wie führende Köpfe der IUMS die katarische Staatsbürgerschaft und dient Erdogan und dem Emir von Katar“, erklärte Sido. „Die IUMS ist bekannt für ihre Hetze gegen Aleviten, Yeziden, Christen, aber auch gegen Juden und Israel.“ Die IUMS finanziere auch islamistische Siedlungen, unter anderem in yezidischen Dörfern im syrisch-kurdischen Afrin, das seit 2018 von der Türkei besetzt ist.

In den kurdischen Gebieten der Türkei herrschen seit jeher das türkische Militär, die Gendarmerie und die Polizei mit harter Hand. Nach dem gescheiterten Putschversuch 2016 wurden die wenigen kurdischen Medien verboten und tausende Medienschaffende, gewählte Bürgermeister und andere Volksvertreter unter Terrorismusverdacht für viele Jahre inhaftiert. Kurz vor den Wahlen wurde die prokurdische Partei HDP mit einem Parteiverbot bedroht. Darum musste die HDP auf Listen einer anderen Partei, „Yesil Sol Parti“, an den Wahlen teilnehmen. Im Vorfeld der Wahlen kam es immer wieder zu Razzien der türkischen Sicherheitskräfte gegen kurdische Wahlkämpfer, von denen viele verhaftet wurden.