18.08.2023

Yezidische Dörfer in der Türkei von „Dorfschützern“ bedroht

Bundesregierung muss sich für Yeziden auch in ihrer Heimat einsetzen

--- Göttingen, den 18. August 2023 --- Mit großer Sorge blickt die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) auf die von „Dorfschützern“ im Dienst des Staates akut bedrohten yezidischen Dörfer in der Türkei. „Vor allem Dorfschützer versuchen, yezidische Dörfer samt Acker- und Weideland regelrecht zu rauben oder zu plündern“, berichtete der GfbV-Nahostexperte Kamal Sido am Donnerstag in Göttingen. „Wenn die rechtmäßigen yezidischen Besitzer auf ihr Eigentum bestehen, werden sie bedroht und auch von Behörden abgewiesen. Wir fordern die Bundesregierung dringend dazu auf, sich beim Nato-Partner Türkei für die Yeziden einzusetzen.“ Zehntausende Angehörige der yezidischen Glaubensgemeinschaft mussten ihre Dörfer in den 1980er oder 1990er Jahren verlassen und ins Ausland fliehen, auch weil sie keine Dorfschützer werden und gegen die kurdische PKK kämpfen wollten. Deutschland hat Zehntausende von ihnen aufgenommen. In der Türkei leben nur noch rund 600 Yeziden. Sie fordern in derzeit  30 bis 40 Dörfern in den Provinzen Urfa, Mardin, Batman, Sirnak oder Diyarbakir ihr Eigentum zurück.

„Bundesaußenministerin Baerbock, die sich jüngst für 'neue Gespräche über die Beziehungen zur Türkei' ausgesprochen hat, muss sich dafür einsetzen, dass die wenigen in der Türkei verbliebenen Yeziden in Frieden leben können und ihr eigenes Land an sie zurückgegeben wird“, forderte Sido. Es bestehe die Gefahr, dass die letzten Yeziden das Land für immer verlassen. Gerade nach der Anerkennung des Völkermordes an den Yeziden im Irak durch den Deutschen Bundestag sei die Bundesregierung dazu verpflichtet, die Verfolgung der Yeziden auch in der Türkei zu verurteilen. „Sie muss alles dafür tun, dass yezidisches Leben in der Türkei nicht endgültig ausgelöscht wird.“ Yeziden werden dort stark diskriminiert. Das Yezidentum ist in der türkischen Verfassung nicht als eigenständige Religion anerkannt.

Viele Yeziden in Deutschland und im Ausland fordern die Abschaffung des berüchtigten Dorfschützersystems (türkisch: koruculuk sistemi). Es existierte bereits im Osmanischen Reich. Die Dorfschützer waren maßgeblich am Völkermord an der christlichen Bevölkerung sowie den alevitischen und yezidischen Religionsgemeinschaften in Kurdistan/Türkei beteiligt. „Unter der heutigen Regierung Erdogan instrumentalisieren die Dorfschützer zunehmend den Islam und hetzen gegen Minderheiten wie die kurdischen Aleviten und Yeziden sowie die christlichen Assyrer/Aramäer/Chaldäer“, kritisierte Sido. Den Dorfschützern werden Tausende von schweren Straftaten seit den 1990er Jahren angelastet wie Morde, Drogendelikte, Brautraub, illegaler Waffenhandel oder Entführungen. Mindestens 60.000 Dorfschützer gibt es in der Türkei. Sie werden vom Staat wie Beamte bezahlt und haben Anspruch auf staatliche Leistungen wie Gesundheitsfürsorge. 

Kontakt: Dr. Kamal Sido, k.sido@gfbv.de, 0551 499 06 18