05.05.2005

Zur Lage der Menschenrechte in Tibet

Genf
Zur Frage der Verletzung der Menschenrechte und grundlegenden Freiheiten, einschließlich rassischer Diskriminierung, Segregation und Apartheid, in allen Staaten, unter besonderer Berücksichtigung kolonisierter und anderer abhängiger Staaten und Gebiete: Bericht der Sub Commission im Auftrag der Menschenrechtsresolution 8 (XXIII)

1. Die gravierende und systematische Verletzung der Menschenrechte und grundlegenden Freiheiten des Tibetischen Volkes durch die Behörden Chinas wird weiterhin dokumentiert. Seit Verabschiedung der Resolution 1991/10 durch die Sub Commission haben die Menschenrechtsverletzungen an Zahl und Schwere zugenommen. Bezogen auf die einzelne Person verlangen diese Menschenrechtsverletzungen nach der Aufmerksamkeit der Sub Commission. Kollektiv betrachtet ist das Muster so um sich greifend und anhaltend, dass eine unverzügliche Verurteilung und sofortige Maßnahmen erforderlich sind.

2. Das Muster der Menschenrechtsverletzungen und dessen Ursachen wurden im Bericht der Internationalen Juristenkommission zu Tibet von 1997 anerkannt, in dem es heißt, dass Tibet unter "fremder Herrschaft" steht und der ein Referendum für das tibetische Volk fordert, damit es selbst bestimmen kann, wie es regiert zu werden wünscht. Tatsächlich ist die Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts durch die Tibeter der einzige Weg, die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in Tibet zu beenden. Am 10 März diesen Jahres stellte Seine Heiligkeit der Dalai Lama in seiner Gedenkrede zum 42. Jahrestag des Tibetischen Volksaufstands vom 10. März 1959 fest: "Wenn die Tibeter tatsächlich vollkommen zufrieden sind, sollte es für die chinesische Regierung kein Problem sein, ein Referendum abhalten zu lassen. Einige tibetische Nichtregierungsorganisationen haben bereits damit begonnen, für eine solche Volksabstimmung zu werben. Sie vertreten das Argument, dass ein ohne Behinderung abgehaltenes Referendum der in Tibet lebenden Tibeter über ihr eigenes Schicksal der einzig mögliche Weg zu einer dauerhaften Klärung dieser Frage ist. Sie fordern, dass dem tibetischen Volk die Möglichkeit gegeben wird, für sich selbst zu sprechen und zu entscheiden. Auch ich selbst habe immer die Auffassung vertreten, dass das tibetische Volk in der Lage sein muss, selbst über die Zukunft Tibets zu entscheiden. Ich würde aus vollem Herzen das Ergebnis eines solchen Referendums unterstützen."

3. Seit mehr als 20 Jahren verfolgt die Exilregierung Tibets unter Führung Seiner Heiligkeit des Dalai Lama eine Politik des Dialogs mit China, um die Tibetfrage beizulegen. Im Geiste der Versöhnung und Kompromissfindung wurden von Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama zahlreiche Vorschläge unterbreitet. Die chinesische Regierung lehnt jedoch weiterhin jegliche bedingungslosen Verhandlungen ab, obwohl der Dalai Lama nachweislich geäußert hat, dass er nicht nach der Unabhängigkeit Tibets strebt. Stattdessen hat China mit einer ruchlosen Kampagne begonnen, die dem tibetischen Volk auch in Zukunft Menschenrechte und grundlegende Freiheiten vorenthalten soll. Als er kürzlich Litauen besuchte, sagte der Dalai Lama, die Litauer könnten hilfreich sein, indem sie die Frage der Autonomie Tibets in Gespräch brächten. "Wir streben nicht die Unabhängigkeit an, sondern Autonomie und eine gegenseitige Verständigung, die nutzbringend und akzeptabel ist für beide Seiten", sagte er vor Journalisten. "Wann immer Sie mit chinesischen Intellektuellen, Geschäftsleuten oder Regierungsvertretern zusammentreffen, erinnern Sie sie stets daran, dass wir ihre Prioritäten der Einheit und Stabilität nicht zerstören wollen. Beides streben auch wir an, aber es muss von innen heraus wachsen, nicht durch Gewalt oder Waffengebrauch", fügte der Dalai Lama hinzu.

4. Die Regierung Chinas untergräbt auch weiterhin die Ausübung des Tibetischen Buddhismus. Sie verweigert Besuchern nach wie vor, den Gesundheitszustand des elften Panchen Lama Tibets, Gedhun Choeki Nyima, zu überprüfen. Menschenrechtsgruppen und Regierungen berichten, dass unzählige Mönche und Nonnen verhaftet oder aus ihren Klöstern verbannt wurden, weil sie sich gegen eine derzeit fortgesetzte "Umerziehungskampagne" wehrten oder sich weigerten, den Dalai Lama zu verurteilen. Das Tibet Zentrum für Menschenrechte und Demokratie in Indien verzeichnete 862 Vertreibung aus Klöstern im Jahr 2000, darunter auch 147 Nonnen, die eine unmittelbare Folge der "patriotischen Umerziehungskampagne" waren. Nach Angaben des Tibet Zentrum für Menschenrechte und Demokratie hat sich damit die Gesamtzahl der im Rahmen der Kampagne vertriebenen Mönche und Nonnen auf 12.271 erhöht.

5. Im Juni 2001 drangen Berichte aus Tibet nach außen, denen zu Folge der an Zahl wachsende Klerus des Serthar Buddhist Institute in der sogenannten "Tibetischen Autonomen Präfektur Karze" in der Provinz Sichuan einer zunehmenden Überwachung seitens des chinesischen Staates unterzogen wird. Im Frühjahr diesen Jahres kamen Beamte aus 13 verschiedenen Distrikten Kanzes, Dartsedos, Derges, Nyarongs, Sershuis und Serthars (Sertas), Distrikte von Kham, in das Serthar Buddhist Institute oder das Larung Ngaring Nagten Institute. Diese Beamten hatten direkte Anweisungen von der Regierung in Beijing / Peking und der Provinzregierung in Chengdu, den Klerus der beiden Institute, dem insgesamt 10.000 Menschen angehören, auf 1.500 zu reduzieren. Die Beamten sagten, die ausgeschlossenen Angehörigen des Klerus hätten in ihre jeweiligen Distrikte und Länder zurückzukehren, die dann leerstehenden klösterlichen Räumlichkeiten seien zu zerstören. Der Klerus im Serthar Buddhist Institute setzt sich aus mehreren Nationen zusammen. Dort leben etwa 1.000 ethnische Chinesen sowie Studenten des Institutes aus Singapur, Malaysia und Hong Kong, darunter auch 4.000 Nonnen, die im Nonnenkloster leben. Die meisten Bewohner des Instituts waren Tibeter.

6. Im Juni 2000 fand in den Häusern von 18 tibetischen Mitgliedern der in Lhasa beheimateten Tibetan Opera Association Razzien statt. Dabei wurden religiöse Artefakte, Altare und Stauten beschlagnahmt. Dies ist ein Hinweis darauf, dass für Beijing der tibetische Nationalismus mit seiner religiösen und kulturellen Identität verbunden ist. Strikte Befehle wurden in Tibet herausgegeben, die das Feiern traditioneller tibetischer Feste, so auch des Geburtstages des Dalai Lama, untersagten. Die chinesischen Behörden haben ihre Politik verstärkt, Tibet in eine atheistische Region zu verwandeln, um die sogenannte kommunistische "spirituelle Zivilisation" voranzutreiben.

7. Im April diesen Jahres wurde bekannt, dass eine fünf Meter hohe, aus Gold und Bronze gearbeitete Statue des Maitriya Buddha (der künftige Buddha), die das Grab des 7. Dalai Lama zur Schau stellt, aus Tibets Hauptstadt Lhasa nach Shanghai geschafft worden ist. Diese Entdeckung und weitere Nachrichten, dass Statuen und Kunstgegenstände aus einem anderen Schrein des Potala Palastes gerade dafür vorbereitet werden, so schnell wie möglich nach Shanghai transportiert zu werden, wecken im Volk von Tibet großen Schmerz und Sorge. Tsering Dorje Gashi, Autor des 1980 veröffentlichten Werkes "New Tibet - Memoirs of a Graduate of the Peking Institute of National Minorities", schreibt in seinem Buch: "Unschätzbar wertvolle Arbeiten der Kunst und der Literatur sowie religiöse Relikte und Gegenstände, die beispielhaft waren für die Perfektion und Errungenschaft tibetischer Kunstschaffender, wurden aus dem Potala und anderen Klöstern entfernt. ... Religiöse Statuen und Bilder, die aus Gold, Silber, Messing, Edelsteinen und wertvollen Metallen gefertigt waren, wurden nach China geschafft und gelangten schließlich in den Antiquitätenhandel in Hong Kong, Shanghai und Tokio, wo Sammler aus westlichen Staaten sie zu extrem hohen Preisen erwarben. Eine grobe Schätzung der Devisen, die China aus dem Verkauf religiöser und weltlicher tibetischer Kunst eingenommen hat, beläuft sich auf mehr als 80 Milliarden US Dollar".

8. Obgleich China die Konvention über die Abschaffung aller Formen der Diskriminierung von Frauen ratifiziert hat, ist staatlich geförderte Gewalt gegen tibetische Frauen weit verbreitet. Artikel 16 der Konvention gibt Frauen das Recht, über die Anzahl ihrer Kinder und den Zeitpunkt der Geburt selbst zu entscheiden und verbietet obligatorische Sterilisierung oder Abtreibung. In der Praxis wird in Tibet jedoch eine restriktive Geburtenkontrolle unter Anwendung von Zwang und Gewalt durchgeführt. Während des Jahrs 2000 machten chinesische Behörden widersprüchliche Angaben über die Bevölkerungsplanung für die "zurück gebliebenen westlichen Teile des Landes", zu denen auch Tibet gerechnet wird. Offiziell werden verschiedene negative Entwicklungen in den westlichen Regionen der steigenden Bevölkerungsdichte zugeschrieben, wobei sich die Gegenmaßnahmen jedoch auf eine repressive Geburtenkontrolle gegenüber Tibeterinnen beschränken. Dies weist auf eine zunehmende Anwendung und Erzwingung illegaler Verfahrensweisen der Geburtenkontrolle gegenüber "ethnischen Minderheiten" hin, die zuvor davon "ausgenommen" waren, unter deutlicher und öffentlich bekannt gegebener Missachtung bestehender Gesetze. Im Zusammenhang mit der gleichzeitig stattfindenden Ansiedlung von Millionen Chinesen in Tibet wirft diese Politik ernsthaft die Frage danach auf, ob es sich hier um eine Verletzung der Konvention zur Verhinderung und Bestrafung von Genozid handeln könnte.

9. Beijing hat seine Politik gegenüber "Spaltereien" verschärft, was zu einer zunehmenden Repression in ganz Tibet führte, mit der politisch Andersdenkende ausgeschaltet werden sollen. Diese gegenwärtige Intensivierung der politischen Repression ist Ergebnis einer chinesischen Regierungspolitik, die in den offiziellen Stellungnahmen führender Politiker deutlich zum Ausdruck kommt. Während der siebten Konsultativen Konferenz des Chinesischen Volkes (Chinese People's Consultative Conference) am 22. Mai 2000 sagte Lechog, Vorsitzender der sogenannten "Autonomen Region Tibet": "Regierungsangestellte sollten die Ortsansässigen und ihre Untergebenen anweisen, sich der "Spalterei" entgegenzustellen und ihre Verbindungen zum Dalai Lama abzubrechen. Die Dalai Lama - Frage sollte genau untersucht werden; alle Untergrundorganisationen in Tibet sollten durchleuchtet und ausgemerzt werden".

10. Abschließend fordern wir die Sub Commission zur Vermeidung von Diskriminierung und zum Schutz der Minderheiten auf, das Muster der anhaltenden Menschenrechtsverletzungen am tibetischen Volk anzuerkennen. Dieses Muster ist ein Hinweis darauf, dass den Tibetern als Volk die Zerstörung droht, wenn ihnen nicht endlich das Selbstbestimmungsrecht zugestanden wird. Wir fordern die Sub Commission daher auf, eine Studie zur gegenwärtigen Situation von Völkern, die Fremdherrschaft und Kolonialismus ausgesetzt sind, durchzuführen.