Die Farben des Widerstands

Friedensstiftende Wandmalereien

Die Nasa aus Toribío in Kolumbien wollen den Friedensprozess nicht allein der Regierung überlassen. Die Aufarbeitung des Krieges und die Wiederherstellung des Friedens muss den Nasa zufolge von innen nach außen geschehen. Seit Jahren kämpfen sie für die Demilitarisierung ihres Territoriums und werden nicht müde, immer wieder neue Aktionen des Widerstands umzusetzen.

Eine dieser Aktionen ist die sogenannte Minga* de Muralismo del pueblo Nasa, die sie vom 17. bis 25. September 2016 in Toribió in der Provinz Cauca organisierten. Unter dem Motto „Los Colores de la Memoria y la Resistencia“ – „Die Farben der Erinnerung und des Widerstands“ luden sie mehr als 60 Künstler ein. Für die Nasa ist die Wandmalerei ein Mittel, um ihr Territorium zu verteidigen. Sie wollen ihre Sprache Nasa Yuwe stärken und ihre Kultur sowie Geschichte darstellen. Die Minga de Muralismo ist auch eine Antwort auf das Graffiti der FARC-Guerilla, die immer wieder Porträts ihrer Anführer an die Hauswände in Toribío sprühte.

Viele der Graffiti-Kunstwerke und Wandmalereien Minga zeigen wichtige Symbole der Nasa. Die Metapher des Webens, die Farben des Regenbogens, Berge und Lagunen, Bäume, Kolibris, Schmetterlinge und die Sonne erscheinen immer wieder auf den Wänden. Auch der Holzstab der Guardia Indígena ist ein häufig verwendetes Motiv, das für den gemeinsamen friedlichen Widerstand steht. Foto: Centro Nacional de Memoria Histórica

Der Künstler Milton Nache aus Pitayó in der Provinz Cauca gehört den Nasa an und hat an dem Projekt mitgewirkt. Im Gespräch mit Anna Brietzke erzählt er, wie Wandmalerei und der Friedensprozess in Kolumbien zusammenhängen.

Milton, erzähl erst einmal etwas über dich.

Geboren wurde ich 1973 in Pitayó. Ich bin Dozent für Bildende Künste an der Universidad del Cauca in Popayán, der Hauptstadt von Cauca, und schreibe auch lyrische und dramatische Texte. Das Theater gefällt mir sehr. Seit 20 Jahren bin ich Kulturmanager.

Wie hast du deine Leidenschaft für Graffiti entdeckt?

Noch größer als meine Leidenschaft für Graffiti ist die für Wandmalerei. Die habe ich schon seit meiner Schulzeit.

Vergangenes Jahr hast du an der Minga de Muralismo in Toribío teilgenommen. Wie hast du dieses Projekt wahrgenommen?

Ich habe an beiden Versionen mitgewirkt, 2013 und 2016. Die letzte Minga war sehr gut organisiert. Die künstlerische Atmosphäre und die Kultur der Nasa waren deutlich zu spüren, das war schon besonders. Die Organisatoren waren engagiert und die Künstler fröhlich. Alle haben sich richtig ins Zeug gelegt. Es war ein richtig schönes Gefühl der Zusammenarbeit, wie es bei einer Minga eben sein muss.

Wie entstand die Idee, eine Minga de Muralismo in Toribío zu machen?

Der Künstler Milton Nache stellt mit diesem Wandgemälde die Bedeutung der Mutter Erde im Weltbild der Nasa dar. Foto: Proclama del Cauca

Unsere Nasa-Brüder aus Toribío sagen, dass es eine künstlerische und kulturelle Art war, Widerstand gegen den Krieg zu leisten, der den Norden von Cauca immer wieder stark getroffen hat. In diesem Gemeindebezirk verübten die Guerillagruppen zahlreiche Anschläge. Das hat das Leben der Menschen schwer gemacht. Toribío war national und international als ein „Mekka“ der Gewalt bekannt. Doch dann haben sich junge Menschen – Nasa und Künstler – zusammengeschlossen und diese wunderschöne Idee gehabt. Sie haben es geschafft, dass der Blick auf dieses Territorium ein anderer wird. Denn Toribío ist nicht so, wie es die Medien malen, sondern so, wie es seine Künstler und Einwohner malen.

Von den mehr als 60 Künstlern, die teilgenommen haben, gehören einige dem Volk der Nasa an, andere sind aus verschiedenen Orten in Kolumbien wie Popayán, Cali und Bogotá und manche sogar aus Mexiko und Argentinien. Was haben sie auf die Wände von Toribío gemalt?

Es waren mehr als hundert Wände. Ich muss sagen, dass ich leider nicht alle sehen konnte, aber auf Fotos habe ich Worte auf Nasa Yuwe, der Sprache der Nasa, entdeckt. Auch Porträts von Kindern und älteren Menschen aus der Region vor ganz bunten Hintergründen wie zum Beispiel einem Regenbogen. Es gab auch ein ganz besonderes Kunstwerk, das war von Guri Calle, einem bekannten argentinischen Graffiti-Künstler. Er hat mehrere karikaturistische Figuren gemalt, sehr bunt und frisch. Dann gab es noch Wände, die an Nasa-Autoritäten erinnerten, die während des Widerstands getötet wurden. Insgesamt haben die Künstler vor allem die lokale Geschichte thematisiert sowie die Lebensrealität der Nasa-Kultur und die Träume des indigenen Volkes.

Wie haben die Künstler entschieden, was sie malen?

Zu Beginn wurde uns Künstlern viel zu der Kultur der Nasa erzählt und wir haben Filmmaterial gesichtet. Wir haben uns ausgetauscht und wurden von traditionellen Heilern in Einklang gebracht. Jedem Künstler wurde ein bestimmter Ort zugeteilt, an dem er zusammen mit den Einwohnern von Toribío eine Wand gestalten konnte. Eine Wand, die die Kultur, die Sprache sowie die Traditionen der Nasa zeigt und die ein neuer Schauplatz für den Frieden ist.

Ist die Minga de Muralismo für dich eine Form des Widerstands?

Ja, und zwar mit der Absicht, dass dieses Projekt die Handlungen unserer Zukunft bestimmt!

Auf welche Weise stärkt die Wandmalerei die Wiederherstellung des Friedens in der Region?

Die Kunst gibt uns die Möglichkeit, Situationen zu reflektieren, die Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Durch die Kunst werden wir sensibilisiert. Wenn wir also die Kunst als Handwerkszeug nutzen, werden wir kreativ und lernen, Situationen und Konflikte mit unserem Verstand und unserem Geist anzugehen. Doch daran muss man ständig arbeiten, das ganze Leben über.

Was kannst du über die aktuelle Situation in Cauca sagen?

Die Gewalt hat deutlich abgenommen. Dafür treten jetzt andere Probleme ans Tageslicht. Zum Beispiel die prekäre Situation im Gesundheits- und Bildungswesen. Fälle von Korruption gelangen mehr an die Öffentlichkeit, die die positiven Entwicklungen der indigenen Gemeinschaften behindern. Und der legale und illegale Bergbau in der Region machen den Menschen und der Umwelt schwer zu schaffen.

Viele Künstler gestalteten die Wandbilder zusammen mit den Einwohnern. Hier sind Schüler aus Toribío am Werk. Foto: Centro Nacional de Memoria Histórica

* Der Begriff „Minga“ kommt ursprünglich aus der indigenen Sprache Quechua und bezeichnet in vielen Teilen Südamerikas eine Form der Gemeinschaftsarbeit.

Das Interview wurde von Anna Brietzke auf Spanisch geführt und anschließend übersetzt.


Alle Kunstwerke der Minga de Muralismo del pueblo Nasa sind zu bestaunen unter:

www.centrodememoriahistorica.gov.co/micrositios/minga-muralista


Toribío und der bewaffnete Konflikt

Toribío ist eine Ortschaft im gleichnamigen Gemeindebezirk in der Provinz Cauca im Südwesten Kolumbiens. Cauca gehört zu den Provinzen mit dem höchsten Anteil indigener Bewohner in Kolumbien. Auch in Toribío leben etwa 90 Prozent Indigene. Sie gehören vorwiegend den Nasa an, dem zweitgrößten indigenen Volk des Landes. Die indigene und die afrokolumbianische Bevölkerung litten besonders unter dem bewaffneten Konflikt zwischen den Guerilla-Gruppen – so zum Beispiel der FARC und der ELN –, der Regierungsarmee und den Paramilitärs. Mehr als 50 Jahre lang war die Bevölkerung von Toribío Opfer dieser gewaltvollen Auseinandersetzungen. Attentate, Morde, Entführungen und Zwangsrekrutierungen gehörten in Toribío zum Alltag der Menschen. Weltweite Aufmerksamkeit erregte 2011 ein Attentat in der Ortsmitte von Toribío. Die FARC zündete in einem Kleinbus eine Bombe. Drei Menschen starben, mehr als hundert wurden verletzt und etwa 500 Häuser zerstört.

Die Bewohner von Toribío erklärten sich als „neutral“ und forderten, dass alle bewaffneten Gruppen sich aus ihrem Territorium zurückziehen. Sie gründeten die Guardia Indígena, eine indigene Wachgruppe, und verteidigen sich seitdem ohne Waffen gegen die Guerillas, Paramilitärs und die Armee. Ihr Erkennungszeichen sind Holzstäbe mit rot-grünen Bändern an den Enden: in Toribío Symbole für den Frieden.

Im Herbst 2016 stimmten 85 Prozent der Einwohner Toribíos für das Friedensabkommen zwischen der Regierung und der FARC, das jedoch in ganz Kolumbien nur knapp keine Mehrheit erhielt. Der Friedensvertrag wurde Ende 2016 überarbeitet und vom Kongress angenommen. Die kolumbianische Regierung ist weiterhin in Verhandlungen mit den Guerilla-Gruppen FARC und ELN.


Anna Brietzke absolvierte im Frühjahr 2017 ein Praktikum in der Redaktion der bedrohte Völker - pogrom. Sie hat Lateinamerika- und Altamerikastudien (Bachelor) in Bonn studiert und ein Auslandssemester in Mexiko gemacht. Für ihre Bachelorarbeit über Mobilität und Zugehörigkeiten junger Menschen im ecuadorianischen Andenhochland recherchierte sie vier Wochen in Ecuador.




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