Von Michaela Böttcher
„Ich werde als ausländische Agentin bezeichnet“, postete die junge Schorin Yana Tannagasheva im November 2017 auf ihrer Facebook-Seite und bezog sich dabei auf einen Artikel, der in einem russischen Online-Magazin über ihren Protest erschienen ist. Die Bezeichnung „ausländische Agenten“ bezieht sich auf ein Gesetz, das 2012 in Russland verabschiedet wurde. Organisationen, die politische Arbeit leisten und ihre Projekte aus dem Ausland finanziert bekommen, werden seitdem als solche Agenten eingestuft. Das Gesetz macht internationale Arbeit von russischen NGOs unmöglich. Aber die Bezeichnung „ausländischer Agent“ ist mittlerweile zu einem geflügelten Wort in Russland geworden, mit dem kritische Stimmen diffamiert werden. Kritische Stimmen wie Yana Tannagasheva, die sich gegen den Kohleabbau in ihrer Region einsetzt.
In den vergangenen zehn Jahren hat Russland seine Steinkohleexporte verdreifacht. Damit ist das Land heute weltweit der fünftgrößte Exporteur von Steinkohle. Auch Deutschland importiert mit über 30 Prozent einen Großteil seiner Kohle aus der Russischen Föderation. Eins der größten Kohlereviere in Russland ist das Gebiet Kemerowo im Südosten Sibiriens, in dem unter anderem das indigene Volk der Schoren lebt. Sie leiden massiv unter den negativen Auswirkungen der Steinkohleförderung: Verschmutzte Flüsse, verseuchte Fische und Vertreibung sind die Folgen des Steinkohleabbaus. Zudem werden alle Aktivisten, die auf diese Folgen aufmerksam machen, unter Druck gesetzt und verfolgt.
Tannagasheva hat vor Jahren ihre Anstellung als Lehrerin verloren, weil sie sich gegen die Kohleindustrie auflehnt. Doch sie protestiert weiter, steht mit Schildern auf der Straße. Und sie macht die internationale Öffentlichkeit auf die Situation der Schoren aufmerksam. Eine dieser Möglichkeiten bot sich ihr diesen November, als sie beim International Rights of Nature Tribunal während der UN-Klimakonferenz in Bonn über die Situation ihres Volkes und die aktuelle Umweltzerstörung in der Kemerowo-Region vorstellen konnte.
Das International Rights of Nature Tribunal ist eine Bürgerinitiative, die Menschen aus aller Welt die Möglichkeit bietet, öffentlich über Umweltzerstörung auszusagen.
Umweltzerstörungen, die teilweise nicht nur von Regierungen und Unternehmen erlaubt, sondern oft für wirtschaftliche Gewinne bewusst gefördert werden. In einer Welt, in der Umweltzerstörung und die Nichtbeachtung indigener Rechte in den meisten Fällen keine juristischen Konsequenzen haben, gehen die Organisatoren und Teilnehmer des Tribunals davon aus, dass Ökosysteme Rechte besitzen müssen. Denn wenn sie Rechte hätten, könnten sie, oder ihre Vertreter, diese vor einem Gericht einklagen.
Die Idee zum Tribunal entstand 2010 in der bolivianischen Stadt Cochabamba, erklärt Robert Wager von End Ecocide und Mitorganisator des Tribunals. Damals hätten verschiedene Organisationen, die sich mit Naturrechten und den Rechten indigener Völker beschäftigen, gemeinsam einen Beschluss gefasst, auf dessen Grundlage die Universal Declaration for Rights of Mother Earth (Allgemeine Erklärung der Rechte von Mutter Natur / UDRME) verfasst wurde. In dieser Erklärung legten die Organisationen fest, dass Mutter Erde ein lebendes Wesen sei und alle Wesen, ob organisch oder anorganisch, ob Mensch oder eine andere Spezies, alle dieselben Rechte hätten. Die UDRME ist demnach eine antizipierte Rechtsgrundlage, so Wager, auf deren Grundlage alle Probleme und Situationen, die in der Welt entstehen, bewertet werden.
Die Rechte, die allen Lebewesen zustehen, werden beim Tribunal verteidigt. Nachdem es 2014 in Peru und Ecuador und 2015 in Paris stattfand, tagte das Tribunal dieses Jahr im November in Bonn. Die Veranstaltungsorte sind dabei nicht zufällig gewählt. Vielmehr wird das Tribunal immer parallel zur UN-Klimakonferenz abgehalten. Denn die Maßnahmen, die bei diesen Gipfeln von Regierungen ausgehandelt werden, seien nicht ausreichend, um Mutter Erde zu retten, teilten die Global Alliance for Rights of Nature (GARN), die das Tribunal ausrichtet, in ihrer abschließenden Pressemitteilung mit. So lange Regierungen weiterhin Kohlebergwerke, Ölbohrungen, Fracking und das Abschöpfen von Grundwasser genehmigen, werden die Unternehmungen gegen den Klimawandel ineffektiv sein.
Das Bonner Tribunal setzte sich aus neun Richtern zusammen, die aus sieben verschiedenen Ländern stammen. Vorsitzender war in diesem Jahr der berühmte indigene Umweltaktivist Tom Mato Awanyankapi Goldtooth vom Indigenous Environmental Network (Indigenes Umweltnetzwerk). Innerhalb von zwei Tagen präsentierten 53 Personen aus 19 Ländern schwerwiegende Fälle von Umweltzerstörung und Missachtung der Rechte indigener Völker und Mutter Erde. Darunter waren bewegende Zeugenaussagen, die beschrieben wie ihr Leben neben Frackingförderstellen, Ölraffinerien und Kohlegruben aussieht. Und wie sie, die versuchen die Umwelt zu retten, verfolgt, attackiert, kriminalisiert werden. Augenzeugen wie Yana Tannagasheva, die Morddrohungen gegen ihren Ehemann erhält und miterleben musste, wie das Haus ihres Vaters angezündet wurde.
Für Yana Tannagasheva ist das Tribunal eine Möglichkeit, den Hilferuf ihres Volkes in die Öffentlichkeit zu bringen. Und es ist ein Moment des Krafttankens für die junge Schorin. Denn hier sprechen ihr andere indigene Umweltaktivisten Mut zu, tauschen mit ihr Erfahrungen aus und zeigen ihr, dass sie in ihrem Kampf um die Rechte ihres Volkes und gegen Umweltzerstörung nicht alleine ist.
Und auch Mirian Cineros von der Sarayaku-Gemeinschaft in Ecuador schätzt die Chance, die das Tribunal den Betroffenen gibt. „Meine Gemeinschaft sieht die Notwendigkeit über das zu sprechen, was uns widerfährt. Sonst wären wir schon längst vergessen“, betont sie während ihrer Aussage vor dem Tribunal. „Wir haben hier internationale Solidarität und das ist wichtig, denn Einheit macht uns stark. Um mehr zu erreichen, müssen wir gemeinsam kämpfen.“
Foto: International Rights of Nature Tribunal
Michaela Böttcher ist Onlineredakteurin bei der Gesellschaft für bedrohte Völker. Sie hat einen M.A. in Englischer Literaturwissenschaft und in Mittlerer und Neuerer Geschichte. Sie war für drei Tage während der Weltklimakonferenz in Bonn.
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