Foto: Laurentiu Iordache/unsplash

Liebe Leserin, lieber Leser,

unfassbar, was Menschen einander antun können. Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord. Entsetzen und Ratlosigkeit sind oft die vorherrschenden Gefühle der meisten Menschen im Rest der Welt nach einer solchen Eskalation der Gewalt – besonders in Bezug auf Völkermord. „Nie wieder!“ – war das nicht das Credo nach dem Zweiten Weltkrieg? „Immer wieder“ scheint stattdessen eher die unmenschliche Antwort der Menschheit darauf zu sein.

Genozide sind in der Vergangenheit bis in die Gegenwart so oft vorgekommen, dass sie nicht unerklärlich und unvorhersehbar sein können. Sie sind keine Naturkatastrophen wie Erdbeben. Sie sind menschengemachtes Leid. Der Genozid-Forscher Gregory Stanton hat ein Modell entwickelt, das zehn Phasen eines Völkermordes benennt. Wenn wir die Logik hinter einem Völkermord erkennen, können wir ihn verhindern und weiteren vorbeugen. Die letzte Phase eines Völkermordes ist die Leugnung. Sie spricht den Überlebenden erneut das Lebensrecht ab, führt zu Retraumatisierung und bildet die Grundlage für neue Gewaltexzesse.

Damit aus einem „nach dem Genozid“ also kein „vor dem Genozid“ wird, liegt es in der Verantwortung einer Gesellschaft, Leugnung schärfstens und entschieden zu widersprechen sowie Unrecht aufzuarbeiten. Eine solche Aufarbeitung, das Erschaffen einer Erinnerungskultur, dauert Jahrzehnte und ist kontinuierliche Arbeit. Deutschland ist dafür das beste Beispiel: Das Erinnern der deutschen Gegenwartsgesellschaft an den Holocaust findet international breite Anerkennung. Beim Erinnern an den Porajmos sieht das aber schon anders aus. Und von einer Anerkennung der Verantwortung für den Genozid an den Herero und Nama sind wir wohl noch weit entfernt.

Doch es tut sich weiter etwas. Erst kürzlich hat der Bundestag eine Ergänzung der Vorschrift gegen Volksverhetzung beschlossen. Sie muss im November noch durch den Bundesrat. Künftig soll es in Deutschland strafbar sein, Kriegs- und Menschheitsverbrechen zu leugnen oder „gröblich“ zu verharmlosen. Es ist eine Vorgabe der Europäischen Union, die mit dieser Ergänzung umgesetzt wird. Einen Bezug der Verbrechen zu Deutschland braucht es nicht.

Wie wird sich dieses Gesetz auswirken? Ein Leugnen des Genozids an den Armenier*innen, wie manch ein*e Anhänger*in des türkischen Präsidenten Erdoğan es in Deutschland praktiziert, dürfte strafbar werden. Das Leugnen des Völkermordes von Srebrenica oder von russischen Kriegsverbrechen ebenfalls. Ist Schweigen und Ignoranz ebenfalls Leugnung? Dann bekommen deutsche Unternehmen vielleicht Probleme in Bezug auf ihre Haltung zum Genozid an den Uigur*innen…

Aufarbeitung und Eintreten gegen Genozid-Leugnung sind die Schlüssel zu einer gerechteren Welt. Beides sind wir den Opfern der Vergangenheit und der Gegenwart schuldig. Beides sind wir auch den Überlebenden und den Nachfahren schuldig. Und beides sind wir uns selbst um einer friedlicheren Zukunft willen schuldig.

Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre!

Herzliche Grüße

Johanna Fischotter



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