Die Blume von Srebrenica ist ein Zeichen der Solidarität mit den Opfern des Völkermordes in Srebrenica 1995 und deren Angehörigen.
Foto: © GfbV

 

Mit Liedern, T-Shirts und Plakaten werden Täter bis heute für Verbrechen, die sie im Bosnienkrieg begangen haben, gefeiert. Als Helden verklärt bekommen sogar verurteilte Kriegsverbrecher und Massenmörder Statuen zu ihren Ehren. Genozidleugnung ist allgegenwärtig. Ein Gesetz soll dem einen Riegel vorschieben. Doch die Umsetzung stockt. 

Von Jasna Causevic

Wikipedia; gemeinfrei
Bearbeitung: studio mediamacs Bozen

Der Völkermord von Srebrenica sei der „größte Schwindel des 20. Jahrhunderts“. Das erklärte Milorad Dodik im Jahr 2015, also 20 Jahre nach dem Bosnienkrieg (1992 bis 1995). Genozidleugnung. Damals war Dodik Präsident der Republika Srpska. Ab 2018 bis zu den letzten Wahlen im Oktober 2022 war er Mitglied des dreiköpfigen Staatspräsidiums und erneut von November 2020 bis Juli 2021 Vorsitzender des Staatspräsidiums und damit Staatsoberhaupt von Bosnien und Herzegowina. 2015 hatte das Vereinigte Königreich anlässlich des 20. Jahrestags des Völkermordes von Srebrenica eine Resolution, die einen Gedenktag zum Ziel hatte, beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingebracht. Auf Ersuchen der Führung der Republika Srpska und Serbiens wurde sie von Russland mit einem harten Veto abgelehnt. Als dann auch noch Peter Handke, der den Völkermord leugnet und mit gewalttätigem, serbischem Extremismus sympathisiert, 2019 den Literaturnobelpreis erhielt, erreichte die Leugnung des Völkermords von Srebrenica (1995) eine neue Stufe der Legitimierung auf der Weltbühne.

Die Republika Srpska (RS) als eine der Entitäten Bosnien und Herzegowinas ist durch „ethnische Säuberungen“, Morde und Massenvertreibung von Nichtserben entstanden. Ihre Existenz„berechtigung“ erlangte sie 1995 durch das Friedensabkommen von Dayton (mehr dazu siehe Memorandum der Gesellschaft für bedrohte Völker: „25 Jahre nach Dayton“ im Online-Shop auf www.gfbv.de; Anm. d. Red.). Eine verhängnisvolle und hartnäckige Form der Leugnung in der RS ist die Verherrlichung verurteilter Kriegsverbrecher: Im Jahr 2014 wurde für Ratko Mladić, den ehemaligen bosnisch-serbischen General und verurteilten Kriegsverbrecher, eine Gedenktafel auf dem Vraca-Hügel an einer Stelle angebracht, von der aus während der Belagerung der bosnischen Hauptstadt Sarajevo die Zivilbevölkerung angegriffen wurde. Im Jahr 2016 wurde Radovan Karadžić, politischer Führer der bosnischen Serben, der auch wegen Völkermordes, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, ein Studentenwohnheim in der Stadt Pale gewidmet. Und auf dem Gelände des Konzentrationslagers Trnopolje nahe Prijedor steht ein Denkmal für die Täter.

Bosniakische Überlebende der Verbrechen dagegen werden per Verbot oder durch Einschüchterung daran gehindert, in der RS Gedenkstätten für die Opfer zu errichten. So fehlt beispielsweise bis heute eine Gedenkstätte im Konzentrationslager Omarska. Überlebende dürfen den Ort (eine private Bergbauanlage) nur an einem Tag im Jahr für eine Gedenkfeier besuchen.

Mit der Verherrlichung von Kriegsverbrechern geht einher, dass die Gräueltaten nicht als Verbrechen angesehen werden, sondern als Heldentaten. Die Leugnung des Völkermordes ist ein Akt des Hasses und der Diskriminierung. Durch die Leugnung wird der Gemeinschaft der Opfer abgesprochen, Empathie oder Schutz zu erfahren. Gregory Stanton, Professor für Vergleichende Völkermordforschung und Völkermord-Prävention an der George Mason University in Fairfax (Vereinigte Staaten) schreibt, eine solche Leugnung sei einer der sichersten Indikatoren für weitere völkermörderische Massaker. In Bosnien hat die Leugnung des Völkermordes zudem ein neues Phänomen hervorgebracht. Professor Hariz Halilovich bezeichnet es als „Triumphalismus“: Die Täter feiern ihre Verbrechen mit Gesängen, T-Shirts und Plakaten.

Zum Jahrestag erinnert die GfbV-Regionalgruppe Karlsruhe an den Völkermord. Ihre Mahnung: Nicht zu vergessen!
Foto: © GfbV-Archiv

Gesetz gegen Genozid-Leugnung – ein Hoffnungsschimmer für den Vielvölkerstaat

Angesichts derartiger Provokationen und Drohungen forderte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) eindringlich Gesetze, die die Leugnung des Völkermordes und die Verherrlichung verurteilter Kriegsverbrecher verbieten. Die Appelle richtete die Menschenrechtsorganisation an die europäische Gemeinschaft und rief den Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina und den Friedensimplementierungsrat dazu auf, die entsprechenden Gesetze in Bosnien im Zusammenhang mit dem Rahmenbeschluss der Europäischen Union zur „strafrechtlichen Bekämpfung von Äußerungen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ umzusetzen. Der EU-Rahmenbeschluss sieht vor, dass „[...] das öffentliche Billigen, Leugnen oder gröbliche Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen“ in allen Mitgliedstaaten unter Strafe gestellt wird.

Der ehemalige Hohe Repräsentant Valentin Inzko hat kurz vor Ablauf seines Mandats im Juli 2021 auf seine weitreichenden Vollmachten zurückgegriffen und ein solches Gesetz in Bosnien erlassen. Die GfbV begrüßte diesen Schritt als essenziellen Beitrag für die Versöhnung in der Region. Mit diesen Gesetzesänderungen rücke Bosnien und Herzegowina näher an das Recht und die Werte der Europäischen Union. Es liege jetzt an der internationalen Gemeinschaft, dem Friedensimplementierungsrat in Bosnien und Herzegowina und der EU, gemeinsam die Rechtsstaatlichkeit in Bosnien zu gewährleisten: Die Staatsanwaltschaft Bosnien und Herzegowinas sollte befähigt werden, das Gesetz umzusetzen. Junge Menschen sollten sensibilisiert werden, um auf gefährlichen Revisionismus zu reagieren.

Es bleibt ein langer Weg, bis das multinationale, multireligiöse und multikulturelle Bosnien als einheitlicher Staat in die EU findet. Aber die Änderungen des Strafgesetzbuches sind ein erster Schritt gegen serbischen Nationalismus, Hassrede und Diskriminierung. Alles dies hat die allgegenwärtige Leugnung insbesondere des Genozids in Srebrenica sowie der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in Prijedor, Foča, Višegrad und anderen Gemeinden seit Ende des Krieges in Bosnien angeheizt. Inzko hatte gehofft, die politischen Institutionen Bosniens könnten dieses seit Langem, auch von vielen Menschen in Bosnien verlangte, notwendige Gesetz selbst erlassen. Es habe sich jedoch gezeigt, dass diejenigen, die nach allen gegenteiligen Beweisen immer noch Lügen hegten, nicht freiwillig aufgeben würden, begründet Inzko seine Entscheidung, einzugreifen.

Ein Jahr später gibt es kein Anzeichen dafür, dass die Änderungen des Strafgesetzbuches ernsthaft umgesetzt werden. Vor allem im serbischen Teil Bosnien und Herzegowinas, der RS, wird das Gesetz nicht anerkannt und Inzkos Entscheid als illegitim bezeichnet. Auch in Serbien ist die kriegstreiberische Praxis Alltag. Serbische Nationalisten untergraben die Stabilität des Westbalkan, säen Hass und Zwietracht. Die Gräueltaten werden weiterhin zu Heldentaten verklärt, die Urteile nationaler und internationaler Strafgerichte nicht akzeptiert. Das macht erneute Gewalt wahrscheinlicher.

Mindestens 40 Strafanzeigen (Stand Juli 2022) sind wegen Verherrlichung verurteilter Täter in der RS in den vergangenen zwölf Monaten gestellt worden. Keine davon wurde verfolgt. Stattdessen lähmen und sabotieren serbische Politiker den bosnischen Staat. So verhindern sie Fortschritte beim EU-Beitritt des Landes und nachhaltigen Frieden in der gesamten Region. Inzkos Nachfolger im Amt, der Hohe Repräsentant Christian Schmidt, muss die Staatsanwaltschaften und Gerichte zur Umsetzung der neuen Regeln weiter ertüchtigen. Er kämpft dabei gegen massive Widerstände in der RS. Die Europäische Union, der Friedensimplementierungsrat und die internationale Gemeinschaft sind aufgerufen, ihn bei der Bewältigung seiner Aufgaben zu unterstützen. Doch Serbien und Russland tun ihr Mögliches, die Arbeit des Hohen Repräsentanten zu behindern.

Russland hat als einziges der 55 Länder des Friedensimplementierungsrats gegen Schmidt als neuen Hohen Repräsentanten gestimmt. Auch Serbien möchte Bosnien gerne in Russlands Einflusssphäre sehen. Um Schmidt und sein neues Amt zu torpedieren, hatten Russland und China noch am 23. Juli eine Resolution in den Weltsicherheitsrat eingebracht, die das Amt des Hohen Repräsentanten komplett abschaffen sollte. Außerhalb dieser beiden Länder fand sie keine Unterstützung – zum Glück für die Menschen in Bosnien. Denn die meisten von ihnen wünschen sich eine Annäherung an die EU und langfristig die volle Mitgliedschaft.

 

[Die Autorin]
Jasna Causevic ist Referentin für Genozid-Prävention und Schutzverantwortung bei der Gesellschaft für bedrohte Völker. Einer ihrer Schwerpunkte liegt seit vielen Jahren auf der Situation auf dem Westbalkan.



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