Ein Haus der Andacht der Bahá’í findet sich mittlerweile auf allen Kontinenten. Die Collage zeigt die Häuser in Deutschland, Indien, Kambodscha und Panama.

Foto: © Bahá’í International Community

Die Stifter der Bahá’í-Religion bestimmten zwei Pilgerstätten für ihre Gemeinschaft: eine im Iran, eine im Irak. Beide sind heute zerstört und unerreichbar. Denn gerade im Iran sind die Bahá’í einer Verfolgung „von der Wiege bis ins Grab und darüber hinaus“ ausgesetzt. Doch der heiligste Ort der Bahá’í liegt im heutigen Israel.

Von Jascha Noltenius

Die Bahá’í sind eine eigenständige Religionsgemeinschaft. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde ihre Religion im heutigen Iran gestiftet. Mittlerweile ist sie weltweit verbreitet und auf jedem Kontinent befindet sich mindestens ein Bahá’í Haus der Andacht. Das internationale Zentrum der Bahá’í befindet im heutigen Israel, denn dort liegen die beiden Religionsstifter begraben. Im Iran war dies nicht möglich. Dort werden die Bahá’í seit 175 Jahren verfolgt.

Der Ursprung des Bahá’í-Glaubens liegt im Jahr 1844, als ein junger persischer Kaufmann namens Siyyid Ali-Muhammad in seinem Geburts- und Wohnhaus in der Stadt Schiras verkündete, dass er eine göttliche Botschaft überbringen würde. Er trug fortan den Namen Báb (arabisch: „das Tor“), denn seine zentrale Botschaft war die Ankündigung eines schon bald erscheinenden weiteren Gottesoffenbarers, der die Menschheit in das globalisierte Zeitalter führen würde. Zehntausende Perser bekannten sich in den kommenden Jahren zu der neuen Religion. Dadurch zogen sie den Zorn der schiitischen Geistlichkeit auf sich. Da der Klerus erheblichen Einfluss auf die Regierung hatte, wurde der Báb im Jahr 1850 öffentlich hingerichtet. Seine leiblichen Überreste wurden von seinen Anhängern in Sicherheit gebracht und jahrzehntelang aufbewahrt. In seinem Heiligen Buch bestimmte der Báb sein Haus in Schiras zum Ziel einer verpflichtenden Pilgerreise seiner Anhängerschaft.

Der vom Báb angekündigte Gottesoffenbarer trat kurze Zeit später in Erscheinung. Mirza Husayn-Ali, bekannt unter seinem Ehrentitel Bahá’u’lláh (arabisch: „Herrlichkeit Gottes“), war selbst ein Anhänger des Báb und wurde deshalb aus Persien in das damalige Osmanische Reich nach Bagdad verbannt. Dort lebte er sieben Jahre am Ufer des Tigris und verkündete der wachsenden Gemeinde im Jahr 1863, dass er der vom Báb und allen vorigen Religionen Verheißene sei. Sein Wohnhaus, das er nun für weitere Verbannungswege verlassen musste, setzte er in seinem Heiligen Buch als weiteren Pilgerort ein. Seine Anhänger konnten fortan entscheiden, zu welchem der beiden Orte – Schiras oder Bagdad – sie eine Pilgerreise unternehmen würden – sofern ihnen dies möglich sei, wie Bahá’u’lláh einschränkte.

 

Der Schrein Bahá’ú’lláh in der Nähe von Akka ist für die Bahá’í der heiligste Ort auf Erden. Die Stätten in Akka und Haifa sind die einzigen Pilgerziele, die für die Bahá’í noch erreichbar sind.
Foto: © Bahá’í International Community

Pilgern nach Israel

Das Weltzentrum der Bahá’í befindet sich heute in der israelischen Hafenstadt Haifa. Bahá’u’lláh war zuletzt in die osmanische Gefängnisstadt Akka (Akko), nicht weit von Haifa, verbannt worden. In einem nahegelegenen Landhaus starb er. An dieser Stelle wurde ein Schrein errichtet, der für die Bahá’í der heiligste Ort auf Erden ist. Zuvor bestimmte Bahá’ú’lláh, dass die noch immer geschützten leiblichen Überreste des Báb am Hang des Berges Karmel in Haifa beigesetzt werden sollten. Dies setzte 1909 sein ältester Sohn und testamentarisch bestimmter Nachfolger Abdul-Bahá um. Er errichtete ein Mausoleum für den Báb, das seit 1953 mit einer goldenen Kuppel verziert und seit 2001 von einer Gartenanlage umgeben ist.

Beide Schreine sind Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Für die Bahá’í haben sie darüber hinaus die Bedeutung, dass Abdul-Bahá sie ebenfalls zu Pilgerorten bestimmte. Mit freundlicher Genehmigung des Staates Israel, in dem die Bahá’í ihren Glauben freiwillig nicht missionieren, pilgern daher zehntausende Bahá’í jährlich nach Haifa und Akka.

Mittlerweile sind die heiligen Stätten im heutigen Israel die einzigen Pilgerorte, die von Bahá’í besucht werden können. Denn sowohl das Haus des Báb in Schiras als auch das Haus Bahá’u´lláhs in Bagdad wurden zerstört. Das Haus des Báb wurde bereits 1955 erheblich beschädigt, als ein Mob durch die Radioansprache eines geistlichen Hasspredigers massiv aufgehetzt wurde. Ein weiterer Angriff erfolgte, als die schiitische Geistlichkeit durch die Islamische Revolution 1979 die staatliche Macht im Iran übernahm. Noch im selben Jahr zerstörte eine von einem Kleriker angepeitschte Menge, geschützt durch 25 Revolutionsgardisten, das Haus des Báb endgültig. Das Haus Bahá’u’lláhs in Bagdad wurde 2013 zerstört.

Bahá’í im Iran: verfolgt von der Wiege bis ins Grab

Im Iran war die Zerstörung des Geburtshauses des Báb erst der Anfang der brutalen systematischen Verfolgung dieser religiösen Minderheit. In den ersten Jahren seit der Machtübernahme der schiitischen Geistlichkeit wurden mehr als 200 Bahá’í einzig wegen ihrer Religionszugehörigkeit getötet. Durch den massiven Druck der internationalen Staatengemeinschaft veränderte sich die Unterdrückung der Bahá’í in den 1990er Jahren von einer blutigen Verfolgung zu einer ebenso dramatischen Form der stillen Strangulation. Der ehemalige Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit der Vereinten Nationen, Prof. Heiner Bielefeldt, beschrieb die Lage der Bahá’í im Iran als Verfolgung „von der Wiege bis ins Grab und darüber hinaus“.

Bereits in Kindergärten und Schulen sind Bahá‘í Diskriminierungen und Hetze ausgesetzt, da ihre Religion in Kinderbüchern dämonisiert wird und sie von Lehrern schikaniert werden. Als Jugendliche werden Bahá’í vom Studium ausgeschlossen. Die Bahá’í haben deshalb eine Ersatz-Universität gegründet, die sie ehrenamtlich betreiben. Die Kurse müssen unter strengen Sicherheitsvorkehrungen stattfinden, weil die Studierenden und Dozenten sonst festgenommen würden.

In den öffentlichen Dienst werden Bahá’í nicht eingestellt. Viele eröffnen daher kleine Geschäfte, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Aber wenn sie ihre Geschäfte an ihren Feiertagen geschlossen halten, erkennt der Geheimdienst, dass die Ladenbesitzer Bahá‘í sind und lässt ihnen die Geschäftslizenzen entziehen. In letzter Zeit werden zunehmend Bahá‘í, die kleine landwirtschaftliche Grundstücke besitzen, enteignet und vertrieben. Selbst die Gräber der Bahá‘í werden geschändet und oft sogar mit Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht. Auch Verhaftungen und langjährige Haftstrafen sind Teil der Unterdrückung. Allein im August 2022 waren 245 Bahá’í von solchen Verfolgungsmaßnahmen des Regimes betroffen.

Häuser der Andacht

Im diametralen Gegensatz zu diesen systematischen Menschenrechtsverletzungen im Iran werden Bahá’í in vielen Ländern der Welt als friedliche und progressive Religionsgemeinschaft geschätzt und anerkannt. So wurde den Bahá’í-Gemeinden auf jedem Kontinent bis dato die Errichtung mindestens eines Hauses der Andacht gestattet. 15 solcher Gebetshäuser, die allen Menschen offenstehen und in denen die Heiligen Schriften aller Religionen vorgetragen werden, sind bereits errichtet oder im Bau befindlich. Mögen diese Gebäude, die bald um soziale und karitative Einrichtungen ergänzt werden, zu einer friedlicheren und gerechteren Welt beitragen. Entsprechend dieser Verheißung aus dem Heiligsten Buch Bahá’u’lláhs sollen sie den Menschenherzen Licht spenden:

„O Volk der Welt! Bauet Andachtshäuser in allen Landen im Namen dessen, der der Herr aller Religionen ist. Macht sie so vollkommen, wie es in der Welt des Seins möglich ist, und (…) feiert darin in Freude und Heiterkeit den Lobpreis eures Herrn, des Allbarmherzigen. Wahrlich, Sein Gedenken erheitert das Auge und füllt das Herz mit Licht.“

 

[Der Autor]
Jascha Noltenius ist Beauftragter für Menschenrechtsfragen der Bahá’í-Gemeinde in Deutschland. Er studierte Rechtswissenschaften mit Schwerpunkt im Internationalen Recht.



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