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Liebe Leserin, lieber Leser,

Leichenfunde in dem abgelegenen Wald Shakahola versetzten die Menschen in Kenia Ende April 2023 in Grauen: Der selbsternannte Pastor Paul Mackenzie hatte seine Anhänger*innen sich zu Tode hungern lassen. Zuvor hatte er ihnen das Ende der Welt prophezeit. Unter den mehr als 100 Toten waren auch viele Kinder. Unvorstellbar – aber nicht unerklärbar.

Der kenianische Religionswissenschaftler Stephen Akaranga erläutert im Interview mit der Nachrichtenwebseite Der Spiegel, wie es zu diesem schrecklichen Szenario kommen konnte. Leute wie Mackenzie könnten Menschen gut manipulieren. Sie würden dafür die Religion, aktuelle Nachrichten, die erdrückende Armut der Menschen – noch verschärft durch die Folgen der Pandemie – und einen Mangel an Bildung bei ihrem Zielpublikum nutzen. Danach dominieren sie das Leben ihrer Anhänger*innen.

Prediger wie Mackenzie gibt es nicht nur in Kenia, sondern in allen Ländern der Welt. Mit Sekten oder religiösen Strömungen wollen sie schnelles Geld verdienen oder Macht ausüben. Um Macht über Menschen auszuüben, werden Religionen weltweit verdreht, verzerrt und missinterpretiert. Der politische Islam ist dafür wohl das aktuell prominenteste, sehr weit gefasste Beispiel: von der Terrorherrschaft der Taliban in Afghanistan, über das im Januar verschärfte Blasphemiegesetz in Pakistan bis zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan.

Aber auch in Indien instrumentalisiert eine kleine politische Elite „den“ Hinduismus so, wie er ihre Macht am besten erhält. Dafür schreibt die Regierung die Geschichte Indiens um und erschwindelt sich eine sogenannte Hindu-Mehrheit im Land. In Tibet drängt sich die Kommunistische Partei Chinas in den Buddhismus, indem sie religiöse Ämter nach eigenen Vorstellungen mit Personal besetzt. Sie lauert geradezu auf den Tod des aktuellen Dalai Lama, um das wichtigste Amt der Religion für sich in Anspruch zu nehmen. In Bosnien wiederum und jetzt in Russland und in der Ukraine spielen die Orthodoxen Kirchen unrühmliche Rollen.

Alle diese Entwicklungen, der Missbrauch von Religionen auf verschiedenste Weise, wirken niederschmetternd. Doch es gibt Hoffnung. Vier Faktoren können Religionen durchaus resistenter gegen eine Instrumentalisierung machen: Religiöse Bildung, Öffentlichkeit, ein Bewusstsein für den Unterschied zwischen Sakralem und Weltlichem und eine religiöse Autonomie der Gemeinschaften. Gleichzeitig ist die Religion aber auch immer nur eine Komponente in einem Geflecht aus Macht, geo- und wirtschaftlichen Interessen.

Mit dieser Ausgabe wollen wir das Geflecht etwas entspinnen und zumindest dem Instrument „Religion“ etwas von seiner Wucht nehmen.

Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre!

Herzliche Grüße

Johanna Fischotter



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