Ein Junge reitet auf einem Esel in der syrischen Kurdenregion nahe der Stadt Amuda. Schon lange gelten Esel den Kurden als zuverlässige Lasttiere. Doch das Wort Esel wurde auch zum Schimpfwort.
Foto: © arta.fm
 

 

Warum wird nicht der Mensch verachtet, der Krieg führt und tötet, sondern der Esel? Der Esel hält keine Waffe in der Hand, er kämpft nicht für diese oder jene Seite. Allenfalls werden auf seinem Rücken Waffen für den Krieg transportiert. Und doch gilt ein Kollaborateur in Kurdistan als „Esel“. Eine Partei hat sich um mehr Respekt vor dem Tier bemüht.

Von Kamal Sido
 

Obwohl es die Eselpartei in Irakisch-Kurdistan nicht mehr gibt, steht die Eselstatue noch auf dem Marktplatz von Sulaymaniyah.
Foto: © Hozan Afrini

„Gib diesen Hunden und Eseln etwas Joghurt, damit sie uns nicht belästigen“, forderte eine alte Kurdin ihre Tochter auf Kurdisch auf und zeigte auf eine Gruppe türkischer Armeeangehöriger, die irgendwo in den entlegenen Bergen Kurdistans im Einsatz gegen kurdische Freischärler waren. Die Soldaten verstanden zwar nicht, was die Frau sagte, waren aber dankbar für den Joghurt. Als die Gruppe den Hof verließ, blieb ein Soldat zurück. Er sprach die alte Frau an: „Tante, du hast mich auch als Hund und Esel bezeichnet, aber ich bin kein Türke, sondern Kurde!“ Die alte Frau antwortete zornig: „Du bist nicht nur ein Esel, sondern ein Eselsohn! Sonst würdest du nicht an der Seite des türkischen Staats gegen die eigenen Leute kämpfen.“

Unter den Kurden in allen Teilen Kurdistans – im Irak, im Iran, in Syrien oder in der Türkei – gibt es die wildesten Geschichten und Diskussionen über das Mitgeschöpf Esel und seine Rolle im Kampf der Kurden für die Freiheit, gegen die Tyrannei und gegen die Besatzungsmächte. In den schwer zugänglichen Bergen Kurdistans war der kurdische Esel das wichtigste Transportmittel nicht nur für Lebensmittel, sondern auch für Waffen der in den Bergen kämpfenden Kurden.
Dennoch bezeichneten die Kurden in Irakisch-Kurdistan bereits in den 1960er Jahren Kollaborateure, die der irakischen Armee gegen das eigene Volk halfen, als „Jahsh (Jash)“. „Jash“ bedeutet aus dem Kurdischen und Arabischen wörtlich übersetzt „Esel“. Die Bezeichnung der Kollaborateure als „Jahsh“ wurde auch in anderen Teilen Kurdistans, im Iran, in der Türkei und in Syrien übernommen. Der Begriff wurde unter Kurden zu einem Schimpfwort: Jeder kann den anderen, vor allem den politischen Gegner, einen „Jahsh“ nennen.

 

Vom Schimpfwort zur Partei

Doch warum heißen die Kollaborateure in Kurdistan „Jahsh“? Diese Frage lässt sich nicht genau beantworten. Manche sagen: vielleicht, weil der Esel ein geduldiges Tier ist, das keine Ansprüche stellt, fast alles frisst und sich alles gefallen lässt. Deshalb vergleichen die Kurden den Esel mit jenen Menschen, die die Unterdrückung durch fremde Mächte hinnehmen, keinen Widerstand gegen ihre Peiniger leisten oder sogar mit Unterdrückern kollaborieren.
Umso überraschender war das Ereignis, über das deutsche und internationale Medien im April 2012 aus der Stadt Sulaymaniyah im irakischen Kurdistan berichteten: Die Eselpartei stellte eine Statue ihres Symbols auf dem Markt auf. Tatsächlich war auf den Bildern eine Eselstatue aus Bronze zu sehen, die den Kopf, die Schultern und einen Teil der Brust eines Esels abbildete, der mit Anzug, Hemd und Krawatte bekleidet war. 
Als ich mich im Oktober 2023 entschloss, diesen Beitrag zu schreiben, bat ich meine Bekannten vor Ort in Kurdistan, sich die Statue genauer anzusehen, sie mir zu beschreiben und Fotos zu machen. Die Eselstatue ist 1,5 Meter hoch und einen Meter breit. Sie wurde von dem kurdischen Bildhauer Zirak Mira geschaffen, der dafür sieben Monate brauchte. Sie hat 2.500 irakische Pfund gekostet. Die Kosten wurden von der „Eselpartei“ getragen. Die Statue steht in der Nali-Straße, einer der belebtesten Straßen Sulaymaniyahs.

Sulaymaniyah, kurdisch Silêmanî, ist eine Metropole in Kurdistan im Nordosten des Iraks mit rund zwei Millionen Einwohnern. Sie hat mehrere Universitäten, gilt als Kultur- und Bildungszentrum Irakisch-Kurdistans und ist ein beliebtes Touristenziel nicht nur für Menschen aus dem Irak, sondern auch aus dem benachbarten Iran. Die Stadt wurde 1784 vom kurdischen Prinzen Ibrahim Pascha Baban gegründet. Von 1922 bis 1924 war Sulaymaniyah Hauptstadt des Königreichs Kurdistan, eines kurzlebigen, nicht anerkannten Staats, den die irakischen Kurden nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reichs 1918 ausgerufen hatten.

Der Name „Sulaymaniyah“ soll auf den Vater des Prinzen zurückgehen: „Sulayman“. Es gibt auch andere Legenden über die Gründung und den Namen der Stadt. So heißt es, dass beim Bau der Stadt ein Ring gefunden wurde, der dem Propheten Sulayman (Salomon) gehört haben soll. Eine andere Legende erzählt, dass ein schönes Mädchen aus dem Dorf Malakandi in der Nähe der heutigen Stadt den Pascha während seiner Jagdpausen unterhielt und ihn überredete, seinen Wohnsitz dorthin zu verlegen.
Sulaymaniyah war seit seiner Gründung ein Zentrum großer Dichter, Schriftsteller, Historiker, Politiker, Gelehrter und Sänger. Aus diesem Grund hat die Eselpartei beschlossen, die Eselstatue in der Nali-Straße aufzustellen. Nali (1798-1855) war ein bekannter kurdischer Dichter, der ein berühmtes Gedicht über Esel geschrieben hatte.

Motive für die Gründung der Eselpartei

Die Eselpartei selbst wurde im Jahr 2005 in Kurdistan gegründet. Der Gründer und Generalsekretär der Partei, Omar Kalol, sagte im Juli 2010 gegenüber dem arabischsprachigen Nachrichtensender al-Arabiya: „Der Esel ist ein Tier, das die meiste Arbeit macht, müde wird, unglücklich ist und alles erträgt, aber überhaupt nicht gut behandelt wird; der Esel hat viele kurdische und andere Politiker und Führer gerettet, indem er sie auf seinem Rücken über Berge und Schluchten in Sicherheit gebracht hat.“ Deshalb habe er den Esel ehren wollen, indem er die Partei gründete.

Es gibt aber auch Beobachter, die vermuten, dass Omar Kalol mit der Gründung dieser Partei auf die Politikverdrossenheit in der Region aufmerksam machen wollte, die unter anderem auf die Existenz der vielen Parteien zurückzuführen sei: Es gibt zwar viele Parteien, aber Kurdistan und die Kurden kommen nicht voran. Unter den kurdischen Parteien und Politikern herrschen ständige Feindschaften und Streitereien. Nicht selten führen sie Krieg gegeneinander. 

In ihrer Parteistruktur waren die Gründer der Eselpartei sehr konsequent. Parteimitglieder wurden „Eselchen, Eselin oder Esel“ genannt, je nach Dauer der Mitgliedschaft. Wichtigste Voraussetzung für die Aufnahme in die Partei war die Fähigkeit, einen kräftigen „Rückwärtsstoß“ mit dem Fuß ausführen zu können. Außerdem mussten Mitglieder jederzeit in der Lage sein, laut „iah“ rufen zu können – auch im Gespräch mit Journalisten.

2014 musste die Eselpartei ihre Auflösung bekannt geben. Der Gründer der Partei erklärte gegenüber Journalisten der Nachrichtenwebsite arabi21.com: „Wir haben es offensichtlich nicht geschafft, eine Kultur des Respekts gegenüber diesem „geduldigen“ Tier zu etablieren. Wegen des Namens der Partei waren wir ständig Beschimpfungen und Spott ausgesetzt.“

Die Partei existiert nicht mehr, aber die Eselstatue steht im Herzen der Stadt Sulaymaniyah. Die Aufstellung der Eselstatue und die Gründung der Partei haben unter den Kurden zu einer lebhaften Diskussion geführt und das Bewusstsein für den Schutz der Tierwelt in Kurdistan erhöht.

Kurdische Weisheit: Da sprach der Esel zum Löwen: „Ich bin der, der den Menschen hilft und ihre Lasten trägt, und wenn sie jemanden beleidigen, nennen sie ihn einen Esel? Und du, oh Löwe, frisst sie und tötest sie und erschreckst sie, und dennoch loben sie dich und nennen jeden, der mutig ist, einen Löwen. Warum?“ Der Löwe antwortete und sprach: „Weil die Menschen undankbar sind.“ 
Foto: © Hozan Afrini
 

[Der Autor]
Dr. Kamal Sido ist Referent für ethnische, religiöse und sprachliche Minderheiten und Nationalitäten bei der Gesellschaft für bedrohte Völker. Sein Schwerpunkt liegt auf dem Nahen Osten.
 



GfbV-Zeitschrift im Abo

Wir würden uns besonders darüber freuen, wenn Sie unsere Zeitschrift regelmäßig lesen möchten: Das Abonnement umfasst sechs Ausgaben im Jahr und kostet inklusive Versand 25 Euro pro Jahr (ermäßigt 20 Euro).

Jetzt Zeitschrift abonnieren oder kostenloses Probeheft anfordern.

Lesen Sie weiter