Das rote Fulani ist eine von zwei häufigen Rinderarten in der Séno-Ebene.
Foto: Michel Rohan/Dormeur74/pixabay; Pixabay Lizenz

 

Trampeln Rinder über Hirsefelder in der Séno-Ebene in Mali, ist die Ernte dahin. Ersetzen Hirsefelder saftige Weiden, verhungern die Rinder. Am Ende verlieren Landwirte wie Hirten. Doch so eindimensional ist der seit Jahren andauernde Konflikt zwischen nomadischen Fulani und sesshaften Dogon nicht. Er hat beide Gemeinschaften in eine Spirale der Gewalt gezerrt. Friedensinitiativen versuchen, diese zu durchbrechen.

von Christoph Hahn

Wikipedia; gemeinfrei
Bearbeitung: studio mediamacs Bozen

 

„Zuerst müssen wir alle entwaffnen. Jeder Dorfbewohner, einer nach dem anderen, muss seine Waffen abgeben, damit wir Bauern auf das Land zurückkehren und diesen Krieg beenden können", fordert Fanta Ongoiba, eine vertriebene Angehörige der Dogon in einem Al Jazeera-Bericht von Januar 2021. Ein vertriebener Angehöriger der Fulani stellt klar: „Dogon, Fulani, wir sind das gleiche Volk: Wir sind alle Malier. Wir brauchen ein Friedensabkommen, das die Sicherheit für alle garantiert. Das ist es, was wir brauchen, um wieder Seite an Seite leben zu können“. Doch der Kommentator des Berichts hat die Ursache der Gewalt bereits ausgemacht, „niedriger Regenfall und Dürre haben Malis nährstoffreiches Land zu einer Quelle von Konflikten gemacht.“ (Zitate übersetzt aus dem Englischen.)
Solch einfache Erklärungsversuche einer durch den Klimawandel beeinflussten Landknappheit zeigen nur den Bruchteil einer Wahrheit der als „Fulani-Dogon-Konflikt“ bezeichneten gewaltsamen Auseinandersetzungen. Diese haben alleine innerhalb von Mali zur Vertreibung von mehr als 2 Millionen Menschen geführt. Die nomadisch lebenden Fulani-Viehhirten, sogenannte Pastoralisten, genau wie die hauptsächlich agrarwirtschaftlich geprägten Dogon-Gemeinschaften, leben jedoch weit über die Grenzen Malis hinaus verbreitet. Beides sind heterogene Gemeinschaften, die im Widerspruch zu der Bezeichnung „Fulani-Dogon-Konflikt“ keineswegs grundsätzlich einander feindlich gesinnt sind.

Dass stattdessen Vielschichtigkeit und Komplexität die Auseinandersetzungen prägen, macht ein Blick in die Séno-Ebene in Mali deutlich. Der Konflikt ist Symptom einer verworrenen Gemengelage, verpasster Chancen und hat mehr Gesichter, als häufig dargestellt.

 

Wayre: Gemeinschaften und Differenzen

Das Dorf Wayre in der nördlichen Séno-Ebene verdeutlicht, wie Dogon vis-a-vis Fulani leben. Wayre, zunächst von Dogon Familien gegründet, beheimatet neben den hauptsächlich dort wohnhaften Dogon auch andere Gemeinschaften, die sich dort durch ihre gemeinsame Ackerbau-fokussierte Lebensweise niederließen. Die Bewohner*innen bauen vorrangig Hirse in einem Gebiet an, dessen Besitz nie schriftlich festgehalten wurde. Für Dogon bestimmen Gewohnheitsrecht und das Gedächtnis der Älteren den Besitz einer Fläche. Deswegen bewirtschaften Dogon-Familien möglichst viel Land, um den gewohnheitsrechtlichen Anspruch durchsetzen zu können. 
In der Trockenperiode lassen sich auch Fulani-Familien mit ihren Rinderherden aus der umliegenden Region in Wayre nieder. Zwar bauen sie ebenfalls in der Gegend Hirse an; diese ist in der Regel jedoch weniger ertragreich, als die Hirse der Dogon. Die Fulani-Familien profitieren in der Zeit des geringen Niederschlags von den Wasserquellen im Dorf für ihre Rinder und der Hirse der Dogon, die sie gegen Butter und Milch ihrer Rinder eintauschen. Die einmütige Gemeinschaft greift ineinander wie ein Uhrwerk: ein Zahnrad in das andere. Teilweise helfen sich die Menschen gegenseitig bei der Fütterung der Rinderherden, der Kuhdung nützt bei der Bewirtschaftung der Felder. Eine Vielzahl weiterer Dörfer in der Séno-Ebene ähneln Wayre.Dennoch gab es auch in Wayre stellenweise Auseinandersetzungen, etwa wenn Rinderherden über Ackerflächen trotteten. Vor der Ankunft der Dogon war das Gebiet hauptsächlich Weideland für die Tiere der Fulani. Harte Arbeit und technologischer Fortschritt ermöglichten eine zunehmend expansive Landwirtschaft der Dogon.

Doch entgegen des Eindrucks, dass der Verteilungsdruck an sich das Problem wäre, ist eher der unzureichende Umgang der lokalen Administration Ursache dafür. Die Ausweitung des Ackerbaus trifft auf Unverständnis und findet ohne die Beteiligung der örtlichen Fulani Eliten statt. Vor der französischen Kolonialzeit besaßen die Eliten Konsultationsrechte bei solchen Verteilungsfragen. Die Kolonialbehörden übergingen sie. Eine offizielle Wiedereinsetzung als Autorität fand während der Dekolonisierung bis heute nicht statt. So führte die Ausdehnung des Ackerbaus zusammen mit unzureichender Verwaltung in der Vergangenheit zu kleineren Auseinandersetzungen. Dabei ist wichtig hervorzuheben, dass selbst innerhalb der Fulani-Gemeinschaften keine Einmütigkeit zwischen traditionellen Eliten und den gewöhnlichen Pastoralisten herrscht.

Die Fulani leben nicht nur in Mali, sondern in großen Teilen Westafrikas. Dieses Foto einer Fulani Frau vor einem Dorf wurde in Nigeria aufgenommen.
Foto: Agber Henry/Wikipedia CC BY-SA 4.0

Die Gemeinschaften machen gewaltsam mobil 

Die gewaltsamen Auseinandersetzungen im Séno sind auch kein primäres Resultat des Klimawandels. Im Gegenteil stellte eine Studie in der Séno-Ebene sogar fest, dass zwischen 1982 und 2010 der jährliche Niederschlag zunahm und bis 2020 auch die mit Wald bedeckte Fläche deutlich anwuchs. Während also häufig der Klimawandel als Ursache im Zusammenhang mit dem Fulani-Dogon-Konflikt genannt wird, sind es andere Hintergründe, die ebenfalls dazu beitragen.
Die Konflikte sind vielerorts Resultat der jahrelangen Misswirtschaft, ganz ähnlich zu Wayre. Das macht etwa ein Projekt der Weltbank deutlich: Das Vorhaben in der Séno-Ebene förderte Brunnenbohrungen zur Unterstützung lokaler nomadischer Rinderhirten. Im Umkreis einer der Bohrungen im kleinen Örtchen Tolodié ließen sich jedoch nicht nur Pastoralisten, sondern auch andere Menschen nieder, unter anderem Dogon. Diese verfolgten dann sesshafte Landwirtschaft. 

Trotz des Zuzugs wurden Wasserrechte nicht festgeschrieben. In der Gegend mehrten sich die Dispute um das Land. Eine staatlich-administrative Lösung blieb erfolglos. Ein weiteres Gerichtsurteil, das die Lösung bringen sollte, wurde durch die lokale Administration nie implementiert. Dass eine Lösung ausblieb, förderte Mobilisierung unter den Pastoralisten und verschlimmerte den Konflikt. Dogon wurden vertrieben. Einige Jahre später kehrten Dogon-Gemeinschaften zurück und verlangten Gebühren von den Fulani, die ihre Viehherden in der Umgebung grasen ließen. 

Häufen sich solch ungelöste Konflikte, führen sie schrittweise zu gewaltsamer Mobilisierung. 2016 gründete sich zum Beispiel Dan Na Ambassagou, eine Miliz hauptsächlich, aber nicht ausschließlich, aus Dogon bestehend. Gleichzeitig umwerben diverse bewaffnete dschihadistische Gruppen Fulani-Pastoralisten. Es ist beinahe unbestreitbar, dass Dschihadisten im Sahel-Gebiet solche kleinen, lokalen Konflikte bewusst ausnutzen und sich als alternative Lokalautorität präsentieren. Sie versprechen, sich der Interessen von Gruppen anzunehmen, die durch die Politik der staatlichen Autoritäten jahrelang vernachlässigt worden sind.

Religion spielt im Sahel-Gebiet nur eine vergleichsweise geringe Rolle für den Eintritt in dschihadistische Gruppen. Stattdessen ist Alphabetismus, die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben, ausschlaggebender. Die dschihadistischen Gruppen bieten zwar vermeintliche Repräsentation, nehmen Mitstreiter jedoch in eine Art Geiselhaft, der sie nur schwer wieder entkommen. Die dschihadistischen Gruppen in der Gegend sind selbst divers und verfolgen vielfältige und widersprüchliche Ziele. Somit kommt es auch vor, dass sich dschihadistische Milizen untereinander bekämpfen.

Dogon Frauen in Mali ernten Hirse. Die Gemeinschaft lebt traditionell vom Ackerbau.
Foto: BluesyPete/Wikipedia CC BY-SA 3.0

Parallel zu diesen Entwicklungen sind Dogon überproportional in Malis Armee repräsentiert. Das führt dazu, dass sie dort stärker wahrgenommen werden als Fulani, die nur 0,5 Prozent im malischen Militär ausmachen. Die malische Armee unterstützte die Dan Na Ambassagou finanziell und durch militärisches Training. Die Dogon-Milizen wiederum ergänzten die malische Armee bei Anti-Terror-Einsätzen. Dafür rüstete die malische Regierung die Miliz hoch: mit Sturmgewehren und Raketenwerfern. 
Doch der Fokus der Miliz veränderte sich schrittweise. Sie startete vorsätzliche Präventivangriffe auf Dörfer, die vorrangig von Fulani-Familien bewohnt sind. Die wiederholten Attacken auf Fulani-Dörfer provozierten Gegenattacken. Eine Spirale der Gewalt entstand. Mittlerweile ist die Unterstützung der Dogon-Milizen durch die malische Regierung zunehmend zurückgegangen. Aber der Schaden in den zwischengemeinschaftlichen Beziehungen ist angerichtet. Bis die soziale Spaltung gekittet ist, werden Jahre vergehen.

 

Ein Hauch der Hoffnung

Der eindimensionale Eindruck darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass innerhalb der Gemeinschaften Initiativen aktiv ein Ende der Gewalt fordern und den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern. Mitten in der Zeit der Unruhen gründeten Dogon-Gemeinden der Séno-Ebene die Gegenbewegung Dana Atem als Friedenspendant zur Dogon-Miliz Dan Na Ambassagou. Dana Atem verurteilte regelmäßig die brutale Gewalt der nicht-staatlichen bewaffneten Gruppe. 2020 trat Dana Atem in Verhandlungen mit verschiedenen gewaltsamen Fulani-Gruppen und handelte in lokalen Gesprächen mit den dschihadistischen Gruppen und ohne staatliche Beteiligung erfolgreiche Friedensprozesse aus. Die Gespräche hatten die Verbannung von Waffen, Scharia-Gesetzen und Steuern zur Folge. 

Die Ergebnisse machen Hoffnung auf weitere positive Erfolge in Zukunft und zeigen die komplexen und widersprüchlichen Gegebenheiten vor Ort, in denen sich Dogon- und Fulani-Gemeinschaften in der Séno-Ebene wiederfinden und mit denen sie sich nicht zufriedengeben. Lokale Friedensinitiativen suchen weiter nach Lösungen. Egal ob Dogon oder Fulani: Sie brauchen eine kurzfristige friedliche Lösung und die langfristige politische Bereitschaft, sich der Landkonflikte zwischen Fulani-Viehhirten und Landwirtschaft der Dogon anzunehmen. Nur so kann ihnen das gemeinsame Rüstzeug zur Verfügung stehen, falls der lang prognostizierte Einfluss des Klimawandels letztendlich wirklich die Séno-Ebene treffen sollte. 

 

[Der Autor]
Christoph Hahn ist Referent für Genozid-Prävention und Schutzverantwortung bei der Gesellschaft für bedrohte Völker. Sein Schwerpunkt liegt auf Ländern in Subsahara-Afrika.
 

 



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