Regionale Autonomie für den Sinjar
Die Situation im Irak ist politisch unübersichtlich, das Land gespalten und die Regierung war bislang nicht in der Lage, den Genozid des Islamischen Staates (IS) an den Yeziden und anderen Gruppen zu stoppen. Die ungelösten Konflikte zwischen Kurden, Schiiten und Sunniten sind dabei nicht nur zu einer Katastrophe für die Außen- und Sicherheitspolitik des Nahen Ostens, sondern auch der westlichen Welt geworden. Aufgrund der zunehmenden politischen und gesellschaftlichen Veränderungen im Nahen Osten sind neue Ansätze nötig, um sowohl die Region zu stabilisieren als auch religiöse und ethnische Minderheiten zu schützen. Wäre vielleicht eine regionale Autonomie des Sinjar, dem Hauptsiedlungsgebiet der Yeziden, ein Lösungsansatz? Und welche Schritte müssten dafür unternommen werden?
von Jan Ilhan Kizilhan
Die Europäische Union, die USA, die Kurden in der Autonomen Region Kurdistan und die Zentralregierung in Bagdad sollten zunächst eine umfassende, auf demokratischen Werten basierende Strategie für die Zeit nach dem Rückzug des IS aus dem Irak entwickeln. Doch zuerst sollte sichergestellt sein – um eine weitere humanitäre Katastrophe zu verhindern –, dass die Flüchtlinge ausreichend versorgt werden. Diese sollten vor allem dabei unterstützt werden, in ihre vom IS-Terror befreiten Gebiete zurückzukehren und die zerstörten Städte und Dörfer wieder aufzubauen. In einer Übergangsphase sollte die Region Sinjar, falls ein Schutz durch die kurdische Militäreinheit in Erbil, der Hauptstadt von Irakisch-Kurdistan, nicht möglich ist, zur internationalen Schutzzone wer-den. Das gäbe den gepeinigten Yeziden neues Vertrauen und würde sie motivieren, in ihr seit Jahrhunderten angestammtes Siedlungsgebiet zurückzukehren. In dieser Phase ist eine multinationale, militärische Einsatzgruppe unter dem Dach der Vereinten Nationen notwendig.
Die internationale Gemeinschaft sollte unter Beteiligung der drei Akteure – kurdische Regionalregierung in Erbil, irakische Regierung sowie legitime Vertreter der Yeziden – politisch und praktisch beratend zur Seite stehen, um eine Selbstverwaltung im Sinn einer Territorialautonomie im Sinjar zu ermöglichen. Dazu müsste ein Volksentscheid stattfinden. Das autonome Gebiet Sinjar, das historisch gesehen ein Teil der kurdischen Gebiete ist, sollte an die kurdische Regionalregierung in Erbil angegliedert werden. Hier könnte es auch als eine Provinz unter die politische Kontrolle der Regionalregierung Kurdistans gestellt werden.
Die yezidische Peschmerga-Einheit, der zurzeit mehr als 3.000 Kämpferinnen und Kämpfer angehören, wäre als eine militärisch geschulte Miliz für die Region Sinjar aufzubauen, um das Gebiet gegen zukünftige „Invasoren“ verteidigen zu können. Yezidische NGOs sollten Hilfe erhalten, um vor Ort effektive Basisarbeit für die Demokratisierung, die Einhaltung der Menschenrechte und den Umgang mit zivilen Konflikten zu leisten. Ein solches Sicherheitssystem dürfte weder von anderen Gruppen im Irak noch von den Nachbarn des Irak als bedrohlich wahrgenommen werden. Gleichzeitig muss die wirtschaftliche Situation in Zusammenarbeit mit Kurdistan aufgebaut und entwickelt werden. Die Reichtümer der Region sollten im Interesse der Bevölkerung eingesetzt werden. In den ersten Jahren wird finanzielle Hilfe durch die internationale Gemeinschaft, Erbil und Bagdad unabdingbar sein. Unterstützungsleistungen an regionale Partner sollten an Fortschritt bei der Demokratisierung und der Achtung der Menschenrechte geknüpft werden.
Eine internationale Konferenz mit der Europäischen Union, den USA, mit Russland, der Türkei, Irak, Iran und Syrien könnte ein erster Schritt sein, die Gefahr möglicher Konflikte einzudämmen und so schrittweise die Autonomie für die Region Sinjar einzuleiten.