28.04.2005

Albanischsprachige und Albaner in Griechenland sowie Griechen in Albanien

Die albanischsprachigen Bevölkerungsteile in Griechenland sind nach Geschichte, Sprache und Bewusstsein keine einheitliche Gruppe. Insofern ist ihre auf griechisch übliche Bezeichnung als "Arvaniten" irreführend. Die internationale Wissenschaft bezeichnet als "Arvaniten" deshalb nur die Angehörigen der Nachfahren von Zuwanderern aus dem südalbanischen Bereich. Die erste und hauptsächliche Einwanderungswelle fand auf Einladung der örtlichen Herrscher ab dem 13. und dann v.a. im 14. und bis in das 15. Jahrhundert statt.

Seit damals siedeln die Arvaniten in etwa 300 Orten in Südgriechenland. So in Böotien, im östlich daran angrenzenden Attika (dem Umland von Athen), auf einigen Ägäisinseln (u.a. Euböa, Hydra) und auf der Peloponnes. Als Eigenbezeichnung verwenden sie teils ein früher gesamtalbanisches Ethnonym, arbërorë. Die Sprache heißt dann entsprechend arbërisht. Der Großteil hat inzwischen aber auch im eigenen Sprachgebrauch die griechischen Bezeichnungen (arvanitika für die Sprache) übernommen. Die Zahl der Arvaniten wird nach den Kriterien von Sprachgebrauch oder Bewusstsein heute oft auf 150.000 - 200.000 geschätzt. Allerdings ist das Arvanitische nicht nur stark mundartlich gegliedert, sondern seine Sprecher sind inzwischen alle zweisprachig, mit starker Tendenz zu griechischer Einsprachigkeit in der jüngeren Generation.

Zu der sprachlichen Assimilation trägt bei, dass die Kultur der Arvaniten fast rein dörflich geprägt ist. Wie die griechische Gesellschaft insgesamt orientieren sie sich jedoch stark am urbanen, "nicht-arvanitisch"-griechischen Muster. Verstädterung, Migration und soziale Mobilität haben daher regelmäßig Sprachwechsel und in der Folge auch eine Veränderung der Identität zur Folge. Sogar bewusste Arvaniten sehen sich sowohl als Griechen als auch als Arvaniten, d. h. eine politisierbare ethnische Identität gibt es nicht. Die griechischnationale Seite propagiert, dass man zugleich griechisch und arvanitisch sein kann. Die nie erfolgte Förderung von arvanitischer Sprache und Kultur und die jahrzehntelange, auf allen Ebenen der staatlichen Institutionen sowie vielfach auch in der griechisch-orthodoxen Kirche (der die Arvaniten angehören) betriebene Verdrängung und Prestigeminderung der Minderheitensprache zeigt, dass die Vereinbarkeit im Grunde nur solange akzeptiert wird, wie das noch vorhandene Arvanitische als Übergangsstadium zur völligen Angleichung an die griechischsprachige Umwelt verstanden werden kann. Dies und die albanerfeindliche Stimmung im Griechenland der 1990er Jahre hat dazu geführt, dass arvanitische Vereinigungen sich an der Idee des "Albanertums" orientiert haben. Die Vereinigungen waren Ende der 1970er Jahre gegründet worden.

Eine kleine zweite Gruppe von Albanischsprachigen bilden die Bewohner einiger Ortschaften im griechisch-bulgarisch-türkischen Grenzgebiet in Thrakien. Sie sind der Rest einer bis 1922/23 größeren örtlichen Konzentration im heutigen Dreiländereck, die sprachlichen Befunden zufolge wohl auf das 16. Jahrhundert zurückgeht. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kamen hierher noch einige Vertreter der albanischen Nationalbewegung, während heute auf der griechischen Seite zwar die albanische Sprache auch bei den jüngeren noch verbreitet ist, das Selbstverständnis aber "arvanitisiert" und griechisch ist.

Eine dritte albanischsprachige Gruppe ist heute nur noch teilweise vorhanden: die Çamen (griech. Tsamides) in einem schmalen, im Norden an Albanien angrenzenden Küstenbereich von Epirus. Anders als die beiden anderen Teilgruppen sind sie historisch und sprachlich ein Teil des geschlossenen albanischen Sprachgebiets und hatten bzw. haben ein albanisches ethnisches Bewusstsein. Die eigene Sprachbezeichnung z. B. lautet wie in Albanien shqipja. Als etwa je zur Hälfte muslimische und christlich-orthodoxe Minderheit durch die Grenzziehung von 1913 entstanden, wurde der muslimische Teil zwar offiziell vom griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausch ausgenommen, tatsächlich jedoch wurde diese muslimische Minderheit diskriminiert. Als Folge der angeblichen Kollaboration mit den italienischen bzw. deutschen Besatzungstruppen und mit der von diesen eingesetzten albanischen Zivilverwaltung im 2. Weltkrieg wurden die verbliebenen ca. 20.000 muslimischen Albaner 1944 von griechischen Truppen kollektiv nach Albanien vertrieben. Die verbliebenen christlichen Çamen gibt es nach griechischer Lesart nicht. Sie sind wenig erforscht, scheinen aber immer noch ein Sonderbewusstsein und ihre Sprache zu besitzen und einem erheblichen amtlichen Druck ausgesetzt zu sein. Sie artikulieren sich jedoch nicht öffentlich.

Insgesamt hat der griechische Staat die albanischsprachigen Bevölkerungsgruppen nicht gefördert oder nur in ihrer kulturellen Eigenart akzeptiert. In einigen muslimischen çamischen Orten wurde einzig von 1936 bis 1939 halbherzig versucht, muttersprachlichen Unterricht anzubieten. Bis heute trägt Griechenland also wegen seiner verfehlten Minderheitenpolitik nicht zur grenzüberschreitenden Verständigung in Südosteuropa bei.

Griechen in Albanien

Die griechische Minderheit in Albanien und die albanische im nordwestlichen griechischen Epirus werden in der jeweiligen national gefärbten Sicht meist ohne Zusammenhang untersucht. Tatsächlich sind beide jedoch Ergebnis des gleichen Vorgangs: In der Folge der Balkankriege 1912/13 wurden durch das vorher einheitliche osmanische Gebiet Grenzen gezogen. Dadurch entstand eine griechische Minderheit in Südalbanien, welche heute teils räumlich kompakt (südlich der Stadt Gjirokastër), teils gemischt mit der albanischen Bevölkerung (im benachbarten Küstengebiet von Saranda und Himara) lebt. Durch Migration kamen die Griechen auch in die Städte Gjirokastër und die Hauptstadt Tirana. Es handelt sich dabei meist um überdurchschnittlich gebildete Angehörige der Minderheit, die für deren Interessenvertretung besonders wichtig sind. Noch unter kommunistischer Herrschaft wurde das Minderheitengebiet definiert. Es umfasst außer Himara die gesamte griechischsprachige Region. Der Minderheitenschutz beschränkte sich damals jedoch auf rudimentäre muttersprachliche Volksschulbildung. Weiterführende griechischsprachige Schulen entstanden erst in den letzten Jahren.

Wie viele Griechen gibt es in Albanien? Für die Zeit zwischen den Weltkriegen schätzt die beste, vom Völkerbund vorgenommene Zählung 35.000 - 40.000 Griechen. Die letzte albanische Volkszählung sprach 1989 von 58.758 Griechen, während die griechische Regierung zwar keinen offiziellen Standpunkt hat, aber häufig die in der griechischen Öffentlichkeit verbreitete Schätzung von 300.000 - 350.000 Albaniengriechen verwendet. Beide Angaben sind Ausdruck ethnopolitischen Wunschdenkens: Anhand der Wahlergebnisse der 1992 besonders erfolgreichen Sammelpartei der Minderheit, der "Partei der Union zur Verteidigung der Menschenrechte", läßt sich die Zahl (noch vor der großen ökonomisch bedingten Abwanderungswelle nach Griechenland) mit großer Sicherheit auf 100.000 - 120.000 bestimmen. Die Schätzung auf 300.000 - 350.000 schließt einen großen Teil der orthodoxen Albaner und vor allem der aromunischen Minderheit ein. Dieser gleichsam "expansive" Begriff wird auch von den politischen Vertretern der Albaniengriechen verfochten und trägt wesentlich zu albanischen Ängsten vor der Minderheit und vor Griechenland bei. Die mögliche Folge sind ethnonationale Polarisierungen wie bei den Kommunalwahlen im Bereich Himara im Herbst 2000. Es ist insofern bedauerlich, dass albaniengriechische Organisationen zum Boykott der Volkszählung vom April 2001 aufriefen. Der Streit um die Definition der Minderheit ist für diese selbst eine der wichtigsten Belastungen.

Dr. Konrad Clewing ist Historiker am Südostinstitut München und Spezialist für Albaner