28.04.2005

Aromunen (Vlachen) in Griechenland

Zwischen Kulturpflege und Sprachverdrängung

Wer in Griechenland von "Vlachen" spricht, wird leicht missverstanden. Während man im Norden des Landes unter "Vlachen" die Gruppe der Aromunen versteht, denkt man anderswo eher allgemein an rückständige Landbevölkerung. Dabei haben gerade die Aromunen durch zahlreiche Mäzene, Nationalhelden und Intellektuelle einen bedeutenden Beitrag zur geschichtlich-kulturellen Entwicklung Griechenlands geleistet. Das Bild der Aromunen als wildes Hirtenvolk wird heute noch durch die Medien geschürt. Die Identifikation mit dem Griechentum als altes Kulturvolk erleichtert es den Aromunen, dieses Image abzulegen. Die Mehrheit der Aromunen bezeichnet sich selbst nicht als Minderheit und erkennt diejenigen Personen, die als Vertreter der Minderheit entsprechende Rechte fordern, nicht als Aromunen an.

Im wissenschaftlichen Gebrauch wird zwischen Aromunen und dem umfassenderen Begriff der Vlachen unterschieden. Da der Begriff "Aromune" in Griechenland aber weitgehend unbekannt ist, werden die Bezeichnungen im folgenden parallel verwendet.

Die Aromunen machen in vielen Gebieten Nordgriechenlands eine starke Bevölkerungsgruppe aus. Da sie ursprünglich Nomaden und Händler waren, leben sie über die ganze Balkanhalbinsel verstreut und lassen sich schlecht zählen. In den Lausanner Verträgen von 1923 ist die Rede von 150.000 bis 200.000 Vlachen in Griechenland. Die letzten Volkszählungen in Griechenland, die zwischen einzelnen christlichen Ethnien unterscheiden, gaben nur 26.750 (1940) und 22.736 (1951) in Griechenland lebende Vlachen an. Die Aromunen dürften heute ca. 300.000 Personen in Griechenland ausmachen, die Zahl der Aktivsprecher scheint aber nicht wesentlich über 100.000 zu liegen. Neben den Aromunen leben noch Meglenorumänen (megenitische Vlachen) im Paiko-Gebirge nordwestlich von Thessaloniki (Distrikte Kilkis und Edessa) sowie im salwo-makedinischen Städtchen Gevgeljia. In ihrer Kultur und Sprache zeigen sich eher slawische Einflüsse, während die Aromunen viele griechische Elemente annahmen. Das Bewusstsein ihrer Unterschiedlichkeit von den Aromunen schwindet auf diesem Wege bei der jungen Bevölkerung. Die Meglenorumänen Griechenlands dürften 5.000 Personen nicht überschreiten.

Da in Griechenland offiziell lediglich die Minderheit der "Muslime" existiert, erfährt der Minoritätenbegriff für Nicht-Muslime eine negative Wertung. Die meisten Aromunen nennen heute ihre Sprache das einzige Merkmal, das sie von den (übrigen) Griechen unterscheidet. Ihre romanische Sprache ist eng mit dem Rumänischen verwandt und wird daher von vielen als ein Dialekt des Rumänisches angesehen. Wie bei anderen Minderheitensprachen, versuchen lokale Politiker auch im Fall des Aromunischen, die Sprache als minderwertiges Idiom abzustempeln, das weder über Grammatik noch Schriftlichkeit verfügt. Dazu kommt die Behauptung, die Minderheitensprache wäre zwangsweise oder versehentlich zusätzlich zum Griechischen erlernt worden, und man sollte die alte Muttersprache, das Griechische, schnellstmöglich wieder zur einzigen eigenen Sprache machen. Diese Denkweise hat sich sogar bei vereinzelten Sprachwissenschaftlern breitgemacht. Erwünschte Folge ist vielfach ein verschlechtertes Ansehen der Minderheitensprachen und die Bevorzugung der Staatssprache. Im "Optimalfall" geht mit dem Sprachverlust ein Identitätsverlust einher, und Griechenlands Bevölkerung wird ethnisch wieder ein Stückchen einheitlicher.

Die Entscheidung des Europarates von 1997, die das Aromunische als eine schützenswerte Minderheitensprache in Griechenland unterstützt, stieß auf heftige Kritik der Panhellenischen Vereinigung Kultureller Vereine der Vlachen (der größten aromunischen Organisationen Griechenlands). Bei der Betrachtung der über 200 aromunischen Vereine Griechenlands fällt auf, dass keiner von ihnen einen aromunischen Namen trägt und keiner sich die Erhaltung des Aromunischen zum Hauptziel erklärt hat (mit Ausnahme des Vereins von Véria). Zwar finden seit 1994 gelegentlich an der Aristoteles-Universität von Thessaloníki Kurse statt, in denen Aromunisch unterrichtet wird - von Sprachpflege kann aber keine Rede sein. Die meisten heutigen Vereine verfügen über eine Tanz- und Trachtengruppe und organisieren Ausstellungen mit lokaler Volkskunst. Die seit 15 Jahren meist in Métsovo stattfindenden Vlachentreffen stellen mit über 40.000 Teilnehmern die weltweit größten Zusammentreffen von Aromunen dar. Die aromunische Kulturarbeit, die in Griechenland stattfindet, sucht in ganz Südosteuropa ihresgleichen. Sobald bei Veranstaltungen jedoch Aromunisch gesprochen wird oder irgendwelche prorumänischen Tendenzen gewittert werden, werden sie so gut wie möglich boykottiert und kritisiert. Entsprechend gibt es in Griechenland heute keine Zeitschriften, die sich des Aromunischen bedienen.

Mit Sicherheit aber ist die schlechte Sprachsituation nicht allein in der starken Identifikation mit griechischer Kultur zu begründen, sondern geht auch auf Repressalien in der Vergangenheit zurück. Viele Aromunen Griechenlands erinnern sich aus ihrer Kindheit an Verbote, in den Schulen Aromunisch zu sprechen. Aromunen der Diaspora können sogar von gewalttätigen Auseinandersetzungen und Vertreibung berichten. Die Einschüchterungen durch lokale Politiker, Lehrer, Priester sowie eine rechte Presse (z.B. Stóchos, Chrysí Avgí) haben bewirkt, dass Themen wie Abstammung, Sprache und Identität der Aromunen tabu waren. Minderheitensprachen wurden heimlich zu Hause gesprochen. Auch heute noch halten viele Kreise in Griechenland nahezu jede nicht rein kulturelle Beschäftigung mit den Aromunen für "ethnisch gefährlich". Die Enttabuisierung des Themas und die politische Lockerung der letzten Jahre erlaubt zwar heute in Griechenland eine offenere Diskussion über Identitätsfragen der Aromunen, dennoch kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen. 1998 fanden unmittelbar hintereinander zwei aromunische Veranstaltungen statt. Das kulturell ausgerichtete Aromunentreffen in Velestino wurde perfekt organisiert und von Politikern unterstützt, der eine Woche später in Lárisa stattfindende Kongress zur Situation des Aromunischen, der von Aromunen der Diaspora organisiert worden war, wurde mit allen Mitteln boykottiert und in Tageszeitungen als staatsfeindliche Propaganda verurteilt.

Im Ausland stattfindende Initiativen zur Bewahrung der aromunischen Sprache werden in Griechenland schnell als rumänische Propaganda verstanden, und man ist nicht zimperlich damit, vermeintlichen Akteuren aus Rumänien Einreiseverbote für Griechenland zu erteilen. Auch Organisationen, die sich heute mit Minderheitensprachen in Griechenland beschäftigen, haben unter diesem Misstrauen zu leiden (z.B. das heftig kritisierte Zentrum zur Bewahrung von Minderheitensprachen KEMO).

Gipfel der Intoleranz ist der aktuelle Fall der Inhaftierung des Aromunen Sotiris Bletsas, Mitglied der Gesellschaft für Aromunische (Vlachische) Kultur in Athen, der am 2. Februar zu 15 Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe von 500.000 Drachmen (ca. 3.000 DM) verurteilt wurde. Die Begründung lautete, er habe nach Artikel 191 des griechischen Strafrechts "falsche Informationen verbreitet". Die Anklagen bezogen sich auf den Juli 1995, als Sotiris Bletsas die Sprachenkarte des Brüsseler European Bureau for Lesser Used Languages auf einem aromunischen Kulturfestival in Náusa verteilte, auf der die Sprachminderheiten in Griechenland (u.a. aromunisch) dargestellt sind. Wer hoffte, man könne aufgrund der Lockerungen der letzten Jahre auf einen neuen Umgang Griechenlands mit seinen Minderheitensprachen schließen, der hat etwas zu früh gehofft.

Anm. d. Red.: Gegen das o.g. Urteil gegen Sotiris Bletsas protestierte die Gesellschaft für bedrohte Völker am 8. Februar mit einer Presseerklärung, die auch unter griechischen Medienvertretern verbreitet wurde.

Thede Kahl ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geographie in Münster und häufig auf Feldforschung in Südosteuropa unterwegs.