25.02.2012

Besuch des Barzan-Tals in Irakisch-Kurdistan

© GfbV

Begleitet von Frau Nazdar Asaad, Vorstandsmitglied des Opferverbandes „Vejîn“ und aktives Mitglied der GfbV Sektion Kurdistan/Irak, besuchte ich am 30.01. 2012 das Barzan-Tal nahe der türkischen Grenze am großen Zab. Hier liegt der legendäre Kurdenführer Mustafa Barzani begraben. Hier befindet sich auch der Friedhof, wo die Überreste von Männern und Knaben aus Barzan beerdigt sind.

Ich besuchte den Friedhof, auf dem die Überreste der Barzanis beigesetzt worden sind. Mit einigen jungen Männern und Frauen, die damals ihre Väter verloren hatten und von den Müttern unter schwierigsten Umständen aufgezogen worden sind, durfte ich sprechen. Die Überreste der Väter könnten auch unter den Toten sein.

Ein junger Mann, mit dem ich gesprochen habe, wurde im Alter von zwei Jahren verwaist. Im Verlauf des Gespräches wurde mir klar, dass der Mann nicht weiter erzählen konnte, daher haben wir das Gespräch beendet. Auf dem Weg zum Sitz des Opferverbandes „Vejîn“ erzählte man mir, dass einige Frauen die Kleidung, Bücher, Hefte und andere Gegenstände ihrer jungen Söhne als Erinnerung immer noch aufbewahren.

1975 schlossen die Regime von Saddam Hussein und des Shahs von Iran unter Vermittlung der USA einen Deal. Der Shah machte die irakisch-Iranische Grenze so dicht, dass die kurdischen Aufständischen unter Mustafa Barzani keinen Nachschub mehr erhalten konnten. Danach begann das Regime von Saddam Hussein die Kurden aus den Stammesgebieten Barzan, Mizori Balla, Sherwan, Dolamari zu vertreiben und in Sammellager wie Quchtapa, Diana und Harir zu transportieren. 1983 wurden dann 8000 Männer, Angehörige des Barzan-Stammes aus den Sammellagern, in LKWs gesteckt und in den Süd- und Zentralirak verschleppt. Dort wurden die meisten Barzanis getötet. Nach dem Einmarsch der US-Amerikaner 2003 in den Irak wurden die Leichen einiger Hundert Barzanis in Massengräbern im Süden des Landes entdeckt. Die Überreste der Opfer wurden exhumiert und nach Kurdistan, in das Barzan-Tal, überführt und dort beerdigt.

Die kurdischen Frauen, die in ihren Häusern allein zurückgelassen wurden, wissen zum Teil bis heute nichts über das Schicksal ihrer Söhne, Brüder, Väter und Großväter.

Frauen waren auf sich allein gestellt

Nach der Deportation waren die Frauen in der Region lange Zeit auf sich allein gestellt und lebten meist unter dem Existenzminimum. Dennoch versuchten sie, ihre alten Traditionen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Nach 2003, als das Regime von Saddam Hussein durch die USA gestürzt wurde und sich die wirtschaftliche Lage stabilisierte, verbesserte sich allmählich die Lage der Frauen. Sie erhalten Unterstützung von der Regionalen Regierung Kurdistan (KRG).

„Vejin“ – Das Sprachrohr der Witwen von Barzan

mit Unterstützung der GfbV und einiger engagierter Männern aus Barzan wurde Anfang 2007 der Verein „Vejin“ (deutsch: Wiedergeburt) ins Leben gerufen. Sein Hauptsitz ist in Barzan. Die NRO recherchiert zum einen das Schicksal der Genozid-Opfer im Barzan-Tal, um ihren Angehörigen Gewissheit zu geben, zum anderen versucht sie die Lebensbedingungen der Überlebenden durch humanitäre und logistische Hilfe zu verbessern. „Vejin“ bietet auch Aus- und Weiterbildungskurse an, damit die überlebenden Frauen wieder in den Arbeitsalltag finden können. Um diese Ziele zu erreichen, will der Verein verstärkt mit lokalen und internationalen Organisationen sowie mit Regierungsinstitutionen kooperieren.

Handarbeit als Waffe gegen das Vergessen

Ausgehen soll das Projekt „Handarbeit als Waffe gegen das Vergessen“ für die Herstellung von Trachten und Alltagsgegenständen zunächst von dem Dorf Kaniabote. In diesem Ort leben etwa 95 Frauen, die Opfer der Ereignisse von 1983 oder der so genannten „Anfal-Operation“ (1988/89) wurden. Neben dem Erhalt der kurdischen Tradition im Barzan-Tal würde eine Unterstützung des Projektes in erster Linie den 95 Frauen helfen, ein eigenes Einkommen zu erwirtschaften sowie ein eigenständiges Leben zu führen. Weiterhin würde die Förderung dieses Projekts auf Dauer der gesamten Region zu Gute kommen, auch weil die Frauen bei ihren Arbeiten voll und ganz auf den Kauf lokaler Materialien setzen.