21.07.2009

Die Drina ist zu Bosniens größtem Massengrab geworden – 3000 Morde sind noch ungesühnt

Tribunal verhängt hohe Haftstrafen für Massenmorde in Visegrad


"Den größeren Teil ihres Laufes fließt die Drina zwischen steilen Bergen durch enge Schluchten (…) Nur an einigen Stellen des Flusslaufes erweitern sich diese zu offenen Niederungen und bilden zu beiden Seiten sonnige und fruchtbare (…) Flächen, die zur Bestellung und Besiedlung geeignet sind. Eine solche Erweiterung entsteht auch hier bei Visegrad …" Aus Ivo Andric, "Die Brücke über die Drina – Eine Visegrader Chronik".

 

 

Mit der Verurteilung der serbischen Kriegsverbrecher Milan und Sredoje Lukic zu lebenslanger, bzw. 30-jähriger Haft wurden am Montag zwei der berüchtigsten Hauptverantwortlichen des Genozidverbrechens in und um die bosnische Stadt Visegrad an der Drina zur Rechenschaft gezogen. Das Tribunal in Den Haag hatte sich in dem Prozess gegen die beiden Cousins vor allem auf den Mord an 140 muslimisch-bosnischen Zivilisten konzentriert, die in zwei Häusern der Stadt lebendig verbrannt wurden. Die Verurteilung von zahlreichen anderen beteiligten mutmaßlichen Kriegsverbrechern steht jedoch noch aus.

 

Bei der Berichterstattung über den Prozess ist unerwähnt geblieben, dass die Opfer der Hinterbliebenen- und Flüchtlingsverbände die Zahl der in der Stadt und Großgemeinde (Opstina) Visegrad Ermordeten heute auf bis zu 3.000 schätzen. Damit ist Visegrad neben Srebrenica einer der Hauptschauplätze des Genozids an den bosnischen Muslimen. Die Massenmorde in der Drina-Stadt wurden in den Monaten Mai und Juni 1992 verübt, nachdem zunächst die jugoslawische Armee und dann serbische Milizen die Stadt besetzt hatten. Unter den Opfern sollen sich auch etwa 600 Frauen und 120 Kinder befinden. Viele der Namen der Ermordeten sind bis heute nicht bekannt. Oft wurden ganze Familien ausgelöscht, so dass es niemanden mehr gab, der seine Angehörigen vermisst melden konnte. So wurde im Vorort Bikavac die gesamte Familie Kurspahic, etwa 60 Personen, ermordet.

 

Zu Bosniens größtem Massengrab ist der Fluss Drina geworden. Nicht nur in Visegrad, sondern in fast allen bosnischen Städten und Dörfern entlang des Flusses wurden zahlreiche Massaker begangen und die Leichen in die Drina geworfen. Ihre Überreste wurden vom Fluss fortgetragen. Von Hydrozentralen oder Fabrikturbinen erfasst werden sie wahrscheinlich niemals gefunden werden. In Visegrad selbst, Schauplatz des Hauptwerkes des Nobelpreisträgers Ivo Andric ("Die Brücke über die Drina - Eine Visegrader Chronik") wurden hunderte muslimische Zivilisten ausgerechnet an dieser weltbekannten Brücke "Mehmed Pasa Sokolovic" hingerichtet. Auch diese Opfer wurden in den Fluss geworfen.

 

Erst im vergangenen Jahr wurden in Visegrad 152 von 202 Exhumierten auf einem dafür extra geschaffenen Gedenkfriedhof beerdigt. Nur 21 von ihnen wurden identifiziert. Auf den Grabsteinen der Übrigen steht noch immer nur ein N.N. (unbekannt). Ein weiteres Massengrab mit den Gebeinen von 133 Ermordeten wurde im Dorf Slap bei Zepa gefunden. Die vier Jahre von serbischen Truppen eingeschlossenen Einwohner dieser in einem Canyon an der Drina gelegenen Gemeinde hatten die Leichen aus dem Fluss bergen und vorläufig beerdigen können. Zepa war wie Srebrenica für vier Jahre eine eingeschlossene Enklave und zuletzt eine der sogenannten UN-Schutzzonen.