22.07.2013

Ein neues Zeitalter für die Maya?

Die antike Maya-Stadt Tikal. Foto: CC by 2.0 clurr (flickr.com)

Aus bedrohte völker_pogrom 275, 1/2013

Esoteriker und Verschwörungstheoretiker hatten 2012 Hochkonjunktur, denn das vergangene Jahr stand ganz im Zeichen eines drohenden Weltuntergangs. Diesen hatten die Maya vor Jahrtausenden vermeintlich prophezeit – es endete lediglich ein B’aktun, ein 400-jähriger Zyklus im Kalendersystem der Maya, und ein neuer begann. Bücher zu dem Thema stapelten sich meterhoch in den Geschäften, abstruse Ideen für ein „Danach“ verbreiteten sich – wie die Erwartung eines neuen Zeitalters der Erleuchtung und die Landung von Außerirdischen. Die heutigen Maya fanden in der Berichterstattung indes kaum Erwähnung. Die Medien stellten sie unablässig als eine ausgestorbene Hochkultur dar, obwohl mehr als sechs Millionen von ihnen in Nord- und Mittelamerika leben.

Mit dem tatsächlichen Kalender der Maya hat all das wenig zu tun, denn eine konkrete Prophezeiung für das Jahr 2012 hat es nie gegeben. Zwar berichten Überlieferungen von früheren Schöpfungen, die durch die Götter zerstört wurden. Vielmehr deuten Hieroglyphentexte jedoch an, dass die Maya an den Bestand dieser Welt für viele Milliarden Jahre glaubten. Ihr Zeitverständnis war zyklisch geprägt und jedes Ende eines Zeitabschnitts mit einem Neubeginn verbunden. Dies sollte sich erst mit der spanischen Eroberung des amerikanischen Kontinents seit dem 16. Jahrhundert ändern. Nachdem 90 Prozent der indigenen Bevölkerung an europäischen Seuchen gestorben waren, und nachdem ihr Glauben verboten worden war, fielen die von christlichen Missionaren verbreiteten Vorstellungen der Apokalypse auch bei den Maya auf fruchtbaren Boden. Nach Jahrhunderten des Verbots durch die Kirche und der heimlichen mündlichen Überlieferung existierten im 20. Jahrhundert nur noch Fragmente des alten Kalenderwissens in wenigen entlegenen Gemeinden Guatemalas. Während des verheerenden guatemaltekischen Bürgerkriegs von 1960 bis 1996, dem zehntausende Indigene zum Opfer fielen, kamen vielerorts die alten Riten sogar gänzlich zum Erliegen. Seit den 1990er Jahren wird die Maya-Kultur jedoch wieder neu belebt. Einige Forscher wie Nikolai Grube teilen bereitwillig ihr Wissen mit den heutigen Maya, das sie durch die Entzifferung alter Inschriften erhalten haben. Ruinenstätten werden erneut für Zeremonien genutzt und das Interesse an der Kultur der Ahnen steigt zunehmend.

Die mediale Hysterie um ihren Kalender und dessen Umdeutung kritisieren die heutigen Maya stark. Ihre Kritik richtet sich auch gegen den Ausverkauf ihrer Kultur. Manche esoterischen Autoren bezweifeln sogar, dass die Maya ihr beachtliches Wissen um Architektur und Mathematik aus eigener Kraft hervorgebracht haben. Ihre Kultur sei vielmehr das Werk von Außerirdischen oder von „weißen Herrenmenschen“, die in grauer Vorzeit Amerika besuchten. Diese rassistische Weltsicht, die allein Europa als die Wiege der Zivilisation anerkennt – und auch seit Jahrhunderten die ideologische Grundlage der politisch Mächtigen in Lateinamerika dafür ist, die Indigenen an den Rand der Gesellschaft zu drängen – wird durch die Sensationsgier deutscher Medien sogar noch gefördert: Die „Bild“ organisierte im Sommer 2011 für den Pseudowissenschaftler Joachim Rittstieg eine Expedition nach Guatemala, über die die Zeitung wochenlang online berichtete. Rittstieg behauptete, dass Plattdeutsch sprechende Wikinger aus Atlantis die Maya-Städte gegründet haben. Seine Expedition hatte das Ziel, einen Goldschatz in Guatemala zu finden. Seriöse Maya-Forscher stellten zwar die Lächerlichkeit dieses Unternehmens klar, dennoch kursieren nach wie vor Gerüchte über ungehobene Schätze in Guatemala. Illegale Raubgrabungen und damit die Zerstörung von archäologischen Stätten sind die Folge.

Kritik kassierte auch die nationale Regierung: In der Hoffnung, Urlauber anzulocken, erarbeitete die guatemaltekische Tourismusbehörde spezielle Reiserouten, die jedoch ärmere Gegenden der Maya umgingen. Zudem veranstaltete die Behörde am 21. Dezember 2012 ein Großereignis mit Lichtshows und folkloristischen Darbietungen in der antiken Stadt Tikal im Norden des Landes – die Maya wurden nur unzureichend bei der Planung der Veranstaltung berücksichtigt. Verschiedene Maya-Organisationen richteten deshalb Gegenveranstaltungen zu den nationalen Feierlichkeiten aus. Neben religiösen Zeremonien an 20 heiligen Stätten in allen Teilen Guatemalas fand in der Stadt Sololá auch ein Protestmarsch statt, mit dem die Einwohner ein Umdenken der Regierung bewirken wollten. Sie forderten den Verzicht auf Vergabe weiterer Bergbaukonzessionen, eine Verbesserung des Gesundheitswesens und die Beachtung der ILO-Konvention 169 über die Rechte indigener Völker, die Guatemala bereits 1995 ratifiziert hat. Selbst in ihren anderen Heimatländern wie Mexiko, Belize, Honduras und El Salvador zählen die Maya zu den ärmsten und am stärksten von Diskriminierung betroffenen Gruppen. Bergbauprojekte und die damit verbundenen Umweltschäden stellen heute eine ebenso existenzielle Bedrohung für viele Maya-Gemeinden dar wie der Hunger der Welt nach Biomasse für den Kraftstoffmarkt. Für den Anbau von Energiepflanzen werden Maya von ihren Ländereien vertrieben.

Allen aktuellen Problemen zum Trotz sehen viele Maya zuversichtlich in die Zukunft, denn ein neues B’aktun hat begonnen. Für den bekannten Literaten Gaspar Pedro Gonzales – selbst Q’anjobal-Maya – ist der 21. Dezember 2012 eine Chance für die Maya. Wenn denn nun ein neues Zeitalter begonnen hat, dann soll es eins werden, in dem die Maya endlich Anerkennung finden und Indigene und Nicht-Indigene gemeinsam ökologische, soziale und politische Probleme angehen, sagt er. Anders als UFO-Jünger und Weltuntergangsfanatiker glauben viele Maya nämlich nicht, dass sie ihrem Schicksal passiv ausgeliefert sind, sondern dass sie selbst entscheiden können, in was für einer Welt sie leben wollen. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Hoffnungen auf einen Neuanfang eines Tages erfüllen.

Zum Autor

Dr. Lars Frühsorge ist Ethnologe und lehrt er an den Universitäten Hamburg und Heidelberg. Er hat 15 Monate in den Maya-Gemeinden Guatemalas gelebt und über ihr Verständnis von Zeit und Geschichte promoviert.