17.03.2006

Goldgräberstimmung: Gold und Diamanten machen Erdöl und Erdgas Konkurrenz

Die Schatzkammer Russlands

aus: bedrohte völker_pogrom 235, 1/2006
Erdgas und Erdöl sind zwar die bekanntesten Exportprodukte Russlands, die auch in Deutschland für warme Wohnstuben sorgen. Aber auf auch dem Weltmarkt von Gold und Diamanten ist Sibrien, die Schatzkammer Russlands, längst führend vertreten. Goldabbau hat in Russland eine jahrhundertealte Tradition. Zwei Drittel der Goldreserven befinden sich in Sibirien und im Fernen Osten des Landes. 40% der Goldproduktion entfällt auf die Republik Sacha (russisch: Jakutien), die ansonsten in der Diamantenproduktion führend ist. Am produktivsten in der Goldgewinnung ist der Oblast Magadan. Allein 2002 wurden hier 33,5 Tonnen Gold gefördert, gefolgt von Krasnojarsk (29,3 Tonnen) und Sacha/Jakutien (17,5 Tonnen).

Der Oblast (Verwaltungsregion) Magadan liegt im Nordosten Sibiriens am Ochotzkischen Meer. Das subarktische Klima mit dauerhaft gefrorenen Permafrostböden bewegt sich zwischen Tiefsttemperaturen um die -38°C im Winter und höchstens +16°C im kurzen Sommer. Neben Gold verfügt das Gebiet auch über Vorkommen an Silber, Zinn, Wolfram, Quecksilber, Kupfer, Antimon, Kohle, Öl und Torf. Es gibt etwa 2.000 Fördergebiete, in denen Gold gewaschen wird, 100 Goldminen, die im Bergbau ausgebeutet werden, und 48 Silbererzvorkommen. Die Goldreserven im Oblast Magadan werden von der russischen Tageszeitung Kommersant auf etwa 4.000 Tonnen geschätzt, die Silberreserven auf mehr als 80.000 Tonnen.

Von den etwa 179.000 Einwohnern dieser Verwaltungsregion leben 99.800 in der gleichnamigen Hauptstadt Magadan, die 1939 unter Stalin als Transitstation für die Zwangsarbeiter der Kolyma-Goldminen gegründet wurde. Die Region ist berüchtigt als Standort zahlreicher GULAGs (Zwangsarbeitslager). Zweitwichtigster Industriezweig ist die Fischereiwirtschaft. Gerade sie hat jedoch zu leiden, wenn die Gewässer durch bei der Goldgewinnung freigesetztes Cyanid, Quecksilber oder andere Schwermetalle verseucht werden.

Der Goldabbau greift durch die Infrastruktur für die Produktionsstätten und die Arbeiter (Städtebau, Straßen, Vergnügungsstätten, Alkohol, Prostitution etc.) in die Lebensbedingungen der indigenen Völker Magadans ein. Evenen, Korjaken und Itelmenen leben hier noch immer vorwiegend von Fischfang, Zucht und Nutzung zahmer Rentiere und der Jagd auf wilde Rentiere und anderes Wild. Die Tiere verändern jedoch ihre Wildwechsel, wenn sie durch den Goldabbau und seine Folgeerscheinungen gestört werden, so dass sie für die Jäger immer schwerer zu erreichen sind. Bei der Trennung des Goldes vom Begleitgestein wird zudem Cyanid eingesetzt, dessen Rückstände die Gewässer verseuchen.

Die im Gebiet der Minen lebenden Ureinwohner werden nicht ausreichend über die Umweltschäden und die damit einhergehende Gefahr für ihre traditionellen Wirtschaftszweige informiert oder gar an den Entscheidungen über Bergbauprojekte beteiligt. Für die Beseitigung des Abraums still gelegter Minen fühlt sich niemand zuständig. Alles verrottet, so dass Rückstände unkontrolliert in Erde und Grundwasser gelangen können. Auf dem verlassenen Gelände der Karemkin Goldmine im Khasyn Raion wurde zum Beispiel eine Sondermülldeponie eingerichtet.

Die Einbeziehung der Öffentlichkeit als Kontrollinstanz der Minenbetreiber findet kaum statt, obwohl bei allen Projekten internationale Projektpartner beteiligt sind, denen die international üblichen Gepflogenheiten bekannt sein dürften.

Der Bergbau verbraucht enorme Flächen an Land. Untertagebau wird bei dem sinkenden Goldgehalt im Gestein zunehmend unrentabel, der Tagebau wird entsprechend favorisiert. So wird das Vorkommen Natalkinskoje, das ab 2010 ausgebeutet werden soll, von vornherein als Tagebaumine konzipiert. In 50 Jahren Betriebszeit sollen dort mehr als 1.080 Tonnen Gold gefördert werden. "Das Abbaugebiet wird eine Fläche von ungefähr zehn Quadratkilometern umfassen. Vorerst sind an der Stelle noch alte technische Anlagen eines Bergwerkes und eine Siedlung zu sehen. Es ist aber geplant, dass jährlich an die 40 Millionen Tonnen Erz verarbeitet werden, was 200.000 Tonnen Gestein täglich entspricht, das 1,7 Gramm Gold pro Kubikmeter enthält" (Nachrichtenagentur RIA Nowosti, 4. Juli 2005).

Dieser um sich greifende Landverlust gefährdet die traditionelle Lebensweise der indigenen Völker. Im Severo-Evenski-Gebiet im nördlichen Teil der Verwaltungsregion Magadan bilden Evenen, Korjaken und Itelmenen die Bevölkerungsmehrheit. Sie sind Jäger, Rentierzüchter und Fischer. In ihrem Gebiet liegt die Kubaka Goldmine, die mit etwa 14 Tonnen Goldproduktion pro Jahr der zweitgrößte Goldproduzent Russlands ist. Betreiber ist die Omolon Mining Company, die zu 98,1% der kanadischen Kinross Gold Corporation gehört. Die Verwaltungsregion Magadan bestreitet die Hälfte ihres Jahreseinkommens aus Einnahmen der Kubaka Mine, die seit 1997 in Betrieb ist. Auf dem Landweg ist sie nur vier Monate im Jahr über eine Eispiste erreichbar. Deshalb verfügt die Mine über zwei eigene Landebahnen für die Versorgung der Arbeiter.

Die US-amerikanische Umweltorganisation Pacific Environment beobachtet das Kubaka-Projekt von Anfang an sehr kritisch. Sie wirft den Betreibern der Mine die Verletzung zahlreicher internationaler Umweltstandards vor (www.pacificenvironment.org/reports/ kubakareport.htm). So wurden zum Beispiel die Niederschlagsmengen falsch berechnet, so dass die Rückhaltebecken für den Minenabraum überliefen und den Kubaka-Fluss verseuchten. Auch wurden in den Becken undichte Stellen festgestellt, durch die das cyanidhaltige Abwasser austreten konnte. Für die Zeit nach der Schließung der Mine existieren weder Pläne für eine Sanierung des Geländes und der Umwelt noch entsprechende Rücklagen. So liegt der Verdacht nahe, dass auch dieses Minengelände nach der Schließung sich selbst überlassen bleibt. Omolon soll zwar den ansässigen Indigenen eine Entschädigung für den durch die Mine entstandenen Schaden zugesagt haben, Geld gesehen haben diese jedoch bislang nicht. Sollte sich die Meldung der Nachrichtenagentur RIA Nowosti (22. November 2005) bewahrheiten, derzufolge künftig auch Privatpersonen legal nach Gold schürfen dürfen (bislang war dies nur Unternehmen erlaubt), könnte bald ein ungehemmter Goldrausch zahlloser Glücksritter einsetzen, deren Verhalten gegenüber den indigenen Völkern und der Umwelt unkontrollierbar wäre.

Auch in der Republik Sacha ist die Wirtschaft vor allem durch den Bergbau geprägt. Gefördert werden Gold, Diamanten und Eisenerz. Die Republik Sacha ist etwa so groß wie Indien und besser bekannt unter der offiziellen russischen Bezeichnung Jakutien. Siedlungszentrum ist Jakutsk. Seit 1992 ist die Republik offiziell anerkannt und untersteht direkt der Jurisdiktion der Russischen Föderation. Die drei größten Gruppen der mit durchschnittlich 30 Jahren sehr jungen Bevölkerung sind Russen (50,3%), Sacha/Jakuten (33,4%) und Ukrainer (7%). Insgesamt lebten in der Republik 2002 rund 950.000 Menschen (Zahlenangaben nach wikipedia.org). Russisch und Sacha/Jakutisch sind auch die beiden offiziellen Sprachen der Republik. Weitere Bevölkerungsgruppen sind Ukrainer, Ewenken, Ewenen, Tataren, Burjaten, Jukagiren und Tschuktschen. Die Ureinwohner sind traditionell Jäger, Fischer und Rentierzüchter.

99% der Diamantenvorräte Russlands – mehr als 13% der Diamantenvorkommen der Welt – lagern in Sacha. Entsprechend entfallen auf Sacha 90% der Diamanten- und 40% der Goldproduktion Russlands. 2003 lieferte Russland aus den Minen Sachas 20% der weltweiten Diamantenproduktion. 2004 lag Russland mit einer Diamantenproduktion im Wert von 1.470 Millionen US Dollar weltweit auf Rang 2 (bezogen auf den Wert der geförderten Steine). Aktiv ist in erster Linie der Staatskonzern Alrosa (Almazy Russii-Sakha/Diamanten aus Russland und Sacha) mit 97,3% Beteiligung. Die Reserven Russlands sind so groß, dass die Diamantenproduktion mindestens weitere 25 Jahre auf dem jetzigen Niveau gehalten werden kann, sofern alle Vorkommen erschlossen werden.

Ein Vorkommen, das bereits ausgebeutet wird, liegt am Viliui, einem Nebenfluss der Lena im Gebiet der Viliui-Sacha. 1949 wurden im Viliui Diamanten entdeckt, 1955 begann die Förderung der Edelsteine in den Minen Mir und Udachnyi. Mir war bis 2001, als sie stillgelegt wurde, die weltweit größte Tagebaumine für den Diamantenabbau. In der Sowjetzeit wurde dem Umweltschutz keine große Beachtung geschenkt, das Interesse galt ausschließlich der industriellen Entwicklung. Um den enormen Energiebedarf der Diamantenförderung zu befriedigen, wurde hier sogar das weltweit erste Wasserkraftwerk auf Permafrostboden errichtet. Das Kraftwerk hat den Wasserhaushalt der ganzen Region stark verändert. So ist das Wasser flussabwärts des Dammes kälter als zuvor. Fische wie Stör oder Lachs, von denen der Fluss einst wimmelte, sind inzwischen zu einer Rarität geworden. Leidtragende sind die Fischer unter den Viliui-Sacha. Außerdem überschwemmte der Stausee 356.000 acre (1 acre = ca. 0,4 ha) wertvolles Weideland und eine Siedlung, in der vorher 600 Sacha lebten. Durch den Zersetzungsprozess der unter der Wasseroberfläche verrottenden Vegetation werden Kupfer und Karbol freigesetzt. Wenn Wasser aus dem Staubecken abgelassen wird, verseucht es daher den Viliui-Fluss. Gleiches gilt für Thallium, Bestandteil einer Chemikalie, die zur Trennung der Diamanten vom Wirtsgestein verwendet wird.

Um diesen Prozessen der Umweltzerstörung und der Vernichtung der Existenzgrundlage der Indigenen entgegenzuwirken, müssen die Ureinwohner Sibiriens auch im Bergbau nach Diamanten, Gold und anderen Edelmetallen in alle Entscheidungen einbezogen und an den Gewinnen mit einem fairen Anteil, der ihnen den Aufbau alternativer Wirtschaftsformen erlaubt, beteiligt werden. Die internationalen Konzerne, die an dem Abbau beteiligt sind, müssen dieselben Auflagen erfüllen, als wären sie in ihren eigenen Staaten aktiv. Russland sollte überdies endlich die aus seinen internationalen Verpflichtungen erwachsenen Menschenrechts- und Umweltklauseln gegenüber der eigenen indigenen Bevölkerung in geltendes Recht umsetzen und die Konvention 169 der ILO, das einzige internationale Rechtsinstrument für die Grundrechte von indigenen Völkern, ratifizieren.

 

Zum Weiterlesen:

Gesellschaft für bedrohte Völker

www.gfbv.de

Tageszeitung Kommersant

www.kommersant.com

Nachrichtenagentur RIA Nowosti

de.rian.ru

Umwelt – NGO Pacificenvironment

www.pacificenvironment.org/reports/kubakareport.ht