18.05.2011

Ignoriert mit System

Aserbaidschans ethnische Minderheiten

Aus bedrohte völker_pogrom 266, 3/2011

Jahrhunderte der Fremdherrschaft haben in Aserbaidschan unterschiedlichste kulturelle Spuren hinterlassen. Angehörige kleinerer Völker konnten ihre Kulturen bisher durch ihren starken sozialen Zusammenhalt bewahren. Doch Armut, Abwanderung und fehlende kulturelle Förderung könnten sie bald zerstören.

1992 erließ die aserbaidschanische Regierung unter Ebulfas Eltschibej ein Gesetz zum Schutz ethnischer Minderheiten und zur Förderung ihrer Sprachen und Kultur. Doch nach Beendigung des Krieges mit Armenien um Berg-Karabach (1988-1994) und der Unabhängigkeitserklärung der mehrheitlich von Armeniern bewohnten Region wurde die Minderheitengesetzgebung nicht umgesetzt. Zuvor war es zu gegenseitigen Vertreibungen von Armeniern und Aserbaidschanern gekommen. Nun befürchtete man, dass sich auch andere große Minderheiten wie die Lesginer und Talyschen durch dieses Gesetz in ihrem möglichen Bestreben nach Unabhängigkeit bestärkt fühlen könnten.

Alibi-Posten für Minderheitenvertreter in der Verwaltung

Die ethnischen Minderheiten in Aserbaidschan haben keine eigenen Verwaltungsstrukturen. Die Regierung besetzt deshalb einzelne Posten mit ausgewählten ethnischen Vertretern, solange diese ihre Loyalität gegenüber den herrschenden Familien zeigen. Man benutzt sie, um die Regierungspolitik in den Regionen mit ethnischer Bevölkerungsmehrheit durchzusetzen. Falls sich ethnische Gruppen widersetzen, müssen sie mit politischer und wirtschaftlicher Diskriminierung rechnen. So sind etwa die Lesginen und Awaren, die an der Nordgrenze zu Russland leben, von hoher Arbeitslosigkeit betroffen; sie verdienen ihren Lebensunterhalt mit dem Handel nach Russland. Als 2005 eine Regelung in Kraft trat, die für den Grenzübertritt einen Reisepass vorsieht, wurde die Bewegungsfreiheit der Händler deutlich eingeschränkt. Viele Bewohner der Gegend hatten noch ihre sowjetischen Pässe. Sie besaßen damals also oft noch nicht einmal aserbaidschanische Ausweise, geschweige denn Reisepässe. Außerdem ist es in Aserbaidschan ein ziemlicher Aufwand, diese zu bekommen. Hohe Schmiergelder müssen dafür gezahlt werden, es gibt lange Wartezeiten und viel Bürokratie.

Im August 2009 starb der talyschische Journalist Novruzali Mammadov in einem Gefängniskrankenhaus. Er war wegen angeblicher Diffamierung Aserbaidschans und Volksverhetzung des Hochverrats bezichtigt und zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt worden. In seinen Artikeln für die Zeitung "Tolyshi Sado" hatte er sich mit der Kultur und Sprache der Talyschen beschäftigt, was die Behörden als eine vom Ausland gesteuerte anti-aserbaidschanische Agitation und Spionagetätigkeit auffassten. Während seiner Haft litt der Journalist unter chronischer Venenthrombose, an der er starb, weil er keine angemessene Behandlung erhielt.

Assimilierung durch mangelnde staatliche Förderung

Die Regierung Alijews betreibt eine Assimilierungspolitik, die vor allem in der ausbleibenden kulturellen Förderung der Minderheiten ihren Ausdruck findet. Erst 2003 legte das Ministerium für Bildung und Kultur ein Programm fest, das muttersprachlichen Unterricht in der Grundschule vorsieht – allerdings nur zwei Stunden in der Woche. In lesginischer und talyschischer Sprache wurden zwar Schulbücher verfasst, doch deren Auflage ist sehr klein. Awaren und Taten dagegen müssen sich ganz ohne Bücher behelfen.

Aserbaidschan unterzeichnete bei seinem Beitritt zum Europarat 2001 das "Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten". Die Ratifizierung steht jedoch weiter aus. Die Ombudsfrau für Menschenrechte, Rabijat Aslanowa, die zugleich Mitglied des OSZE-Ausschusses des Landes ist, brachte 2006 die Position der Regierung zum Ausdruck, die ethnischen Minderheiten des Landes seien durch die gesetzlich verbrieften Rechte des Individuums ausreichend geschützt. Aserbaidschan habe keine Probleme mit seinen ethnischen Minderheiten, so Aslanowa, es gelte in der Hinsicht sogar als Vorbild für andere Länder.

Die kleinsten Völker leiden besonders

Unter den kleinsten indigenen Völkern Aserbaidschan ist insbesondere die Zukunft der Udinen und der Chinalug ungewiss. Wegen fehlender Förderung sind ihre Sprachen gefährdet. Hinzu kommt der massive Wegzug junger Menschen, die meist nur in anderen Regionen Arbeit finden können. Dabei leben beide Völker schon seit Jahrtausenden in der Region: Die Udinen sind seit 3.500 Jahren im Südkaukasus beheimatet und die Spuren der Chinalug lassen sich sogar 5.000 Jahre zurückverfolgen.

Die christlichen Udinen aus der Kleinstadt Nidzh nahe der Stadt Qabala gehören zu den Völkern, die das kaukasische Albanien im 4. Jahrhundert v. Chr. gegründet haben. Diese historische Region ist weder mit dem heutigen Albanien zu verwechseln, noch waren ihre damaligen Bewohner ethnische Albaner. Mit dem Untergang "Albaniens" zwölf Jahrhunderte später verschmolz der überwiegende Teil der Udinen mit anderen Völkern im Südkaukasus. Mit der Ankunft arabischer Eroberer waren viele gezwungen, zum Islam überzutreten. Udinische Kirchen wurden von den armenischen Christen und später von der russisch-orthodoxen Kirche vereinnahmt.

Wiedergutmachung für die Udinen?

In der jüngsten Geschichte litten die Udinen besonders unter staatlichen Repressalien im Konflikt um Berg-Karabach. Wegen der Ähnlichkeit mit armenischen Familiennamen wurden zahlreiche Udinen aus dem öffentlichen Dienst verdrängt und verloren ihre Arbeit. Eine Entschädigung haben sie nie erhalten. Man kann nur vermuten, dass der geplante Bau eines Heimatmuseums in Nidzh als inoffizielle Wiedergutmachung gelten soll. Die Udinen erhoffen sich, so das Interesse an ihrer Kultur lebendig halten und Touristen als Einnahmequelle anlocken zu können.

Die 2.200 Angehörigen der Chinalug sind von der wirtschaftlichen Entwicklung im Bezirk Quba ausgeschlossen, weil diese abgeschiedene Siedlung im Kaukasus schwer zugänglich und deshalb sehr isoliert ist. Die Chinalugen leben im gleichnamigen Dorf und betreiben hauptsächlich Viehzucht. Seit dem Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft versucht die aserbaidschanische Regierung Land zu privatisieren, das in der Ebene liegt und von Chinalugen als Weideland genutzt wurde. Die verbleibenden Flächen, die ihnen vom Staat zur Verfügung gestellt wurden, sind zu klein für ihren Viehbestand und so schrumpft ihr Einkommen –in einer Region, die von hoher Arbeitslosigkeit und großer Armut geprägt ist. Im Dorf Chinalug gibt es nur eine Ärztin, die für alle Erkrankungen zuständig ist. Da der Transport in ein Krankenhaus zu kostspielig ist, müssen auch die meisten Entbindungen zu Hause stattfinden.


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