22.04.2005

"Kolumbien braucht Hilfe, nicht Waffen"

Die ehemalige indianische Abgeordnete Eulalia Yagarí im Gespräch mit Michael Kraus

Eulalia Yagarí vom Volk der Embera-Chamí stammt aus dem resguardo indígena Cristianía im kolumbianischen Departamento Antioquia. Sie lebt heute mit ihren beiden Töchtern in Medellín. 1992 war Eulalia Yagarí die erste indianische Frau, die für die ein Jahr zuvor gegründete ASI (Alianza Social Indígena) in Medellín in die Abgeordnetenversammlung der Provinz Antioquia einzog.

Die Embera-Chamí sind eines von 81 indianischen Völkern in Kolumbien, welche zusammen ungefähr 1,75% der Gesamtbevölkerung (ca. 40. Millionen Menschen) ausmachen. In der im nordwestlichen Teil des Landes gelegenen Provinz Antioquia leben ca. 16.000 Indianer, neben den Embera vor allem Zenú und Tule (Cuna). Viele von ihnen siedeln im Gebiet von Urabá, das eine der höchsten Gewaltraten des ganzen Landes aufweist. Die Organización Indígena de Antioquia (O.I.A.) setzt sich seit ihrer Gründung 1985 für die Interessen der Indianer Antioquias ein und unterhält eine Reihe verschiedener Programme zu Landrechten, Ernährungssicherung, Umweltschutz, zweisprachiger Erziehung, Gesundheit und politischer Arbeit.

Vor dem Hintergrund der zunehmenden gewaltsamen Auseinandersetzungen in Kolumbien erklärten indianische Vertreter aus Urabá 1994 öffentlich ihre Neutralität. Darunter verstanden sie die Weigerung, mit den bewaffneten Streitkräften, sei es dem Heer, der Guerilla oder den paramilitärischen Gruppen, zusammenzuarbeiten. Weder als Soldat, noch als Informant, Führer oder Kurier einer Gruppe, wollten die Indianer in die kriegerischen Aktivitäten hineingezogen werden. Sie sahen dies als einzige Möglichkeit, den Anschuldigungen aller Kriegsparteien, mit der jeweils anderen Seite zusammenzuarbeiten, entgegenzutreten. 1996 wiederholten die indianischen Gemeinschaften Antioquias, die Cabildos und die O.I.A. öffentlich diese Neutralitätserklärung. Dennoch wurden in den folgenden Jahren allein in Antioquia mehr als 40 Indianer ermordet. Für die Attentate werden sowohl die Guerrillaverbände, die paramilitärischen Einheiten sowie in einigen Fällen auch das kolumbianische Militär verantwortlich gemacht.

bedrohte Völker: Frau Yagarí, wie sind Sie zur Politik gekommen?

Eulalia Yagarí: Als ich 14 war, wurde ich sehr rebellisch. Ich legte mich immer mit meinem Vater an, der die Auffassung hatte, dass sich eine Frau, die zu studieren anfängt, prostituieren würde. Ich war da ganz anderer Meinung. Ich hatte auch große Lust, ihn zu den politischen Versammlungen in Cristianía zu begleiten, aber er sagte "Nein!" So bin ich ihm nachts heimlich nachgegangen, ohne Laterne, durch die Kaffeepflanzungen, um bei den Versammlungen zuzuhören. Bevor mein Vater zurückkam, bin ich nach Hause geschlichen, wie ein Tier durch die Felder. Dann habe ich mir die Hände gewaschen, mich ins Bett gelegt und schlafend gestellt. Auf diese Weise ist mir viel klar geworden. Damals war ich auf Protest aus, ich habe meine Rechte verteidigt. Ich hatte noch keine Ahnung, ob man das jetzt Menschenrechte nennt, oder Indianerrechte oder Recht der Frau. Ich wollte frei sein und die gleichen Möglichkeiten haben wie ein Mann.

bedrohte Völker: Sie übten in Ihrer Gemeinde bald ein öffentliches Amt aus?

Eulalia Yagarí: Ich wurde Sekretärin im Cabildo Indígena von Cristianía. Das Cabildo ist die oberste Autorität im Dorf. Ich koordinierte die Arbeit der indianischen Frauen im Südwesten von Antioquia. Die Frauen wurden missbraucht, das ganze Leben war ein schrecklicher Missbrauch. Sechs Jahre arbeitete ich als Lehrerin in einer Vorschule. Ich begann, mich als Indianerin zu schätzen. Im Dorf hat man immer die Sachen von außerhalb geschätzt, in der Musik zum Beispiel Salsa und Rock. "Warum singen wir immer nur die Lieder der Weißen und tanzen auch so wie sie?", dachte ich mir, und beschloss, die alten Traditionen wieder aufleben zu lassen. Ich begann eine Untersuchung bei den Alten in der comunidad, wie sie früher Musik gemacht haben, wie sie sangen, wie Geschichten erzählt wurden.

bedrohte Völker: Sie kamen nach Medellín, um Rechte zu fordern?

Eulalia Yagarí: Wir kamen durch Medellín, als mein Vater mit uns zum unteren Cauca zog. Wir hatten kein Land, und so musste mein Vater mit der ganzen Familie losziehen und Land suchen. Wir kamen alle krank zurück, einer meiner Brüder ist unterwegs gestorben. So kam ich 1977 oder 1978 hierher, zum Büro der INCORA (Instituto Colombiano de la Reforma Agraria) – die sollte uns das Land besorgen, denn wir lebten in schrecklicher Armut. Als ich Ende 20 war, bin ich dann wieder nach Medellín zurückgekehrt; es war die Zeit, als wir für das Recht auf jenes Land kämpften, von dem mir die Mutter immer erzählt hatte, dass es uns gehört. Wir wollten es den Reichen wieder abnehmen, es gab ja auch die alten Dokumente. Ich bin dann ganz nach Medellín gekommen, um in der Indianerorganisation von Antioquia mitzuarbeiten.

Mit der neuen Verfassung von 1991 wurden auf einmal auch wir Indianer wichtig. Es galt, die ganze Politik des Landes neu zu gestalten. Damals begann ich, politisch zu arbeiten. Die O.I.A. hat mich gefragt, ob ich als Abgeordnete kandidieren wolle, und so wurde ich 1992 von Antioquia als Delegierte der Alianza Social Indígena gewählt, eine alternative Bewegung, weder liberal noch konservativ. Dann wurde ich wieder gewählt. Mit fast doppelt soviel Stimmen wie beim ersten Mal. 1997 haben mich die Menschen von Antioquia dann erneut gewählt. Die Stimmenzahl hatte sich noch einmal mehr als verdoppelt.

bedrohte Völker: Wofür setzen Sie sich am meisten ein?

Eulalia Yagarí: Wir wollen das Recht auf unser Land bekommen sowie Programme für Gesundheit, Bildung, Kultur. Wir fordern Autonomie und Respekt. Wenn wir Indianer von Land sprechen, ist alles, was wir sagen, dass man uns nicht belästigen soll, dass man uns einfach wie Menschen leben lässt, dass man uns gestattet, unsere eigenen Produktionssysteme zu erhalten und Alternativen zum Überleben zu entwickeln. Aber wir müssen uns auch weiterbilden, müssen unsere Kultur und die westliche gebrauchen. Dann das Beste aus beiden Kulturen übernehmen und den Rest beiseite lassen. Zudem wollen wir, dass unsere Sprache als Erinnerung unserer Völker überlebt und dass sie nicht mit Füßen getreten wird. Denn unsere Sprache ist genauso wichtig wie Englisch oder Deutsch.

bedrohte Völker: Haben Sie sich durch die politische Arbeit verändert?

Eulalia Yagarí: Ich würde sagen, dass ich eher Veränderungen bewirkt habe. Ich habe mich nicht verändert, aber andere haben sich verändert, im Departamento, im Land, in den indianischen Gemeinden. Durch meine Beteiligung im Landtag hat die Gesellschaft von Antioquia gelernt, die Indianer zu schätzen, zu respektieren und sich mit ihnen zu solidarisieren. Früher gab es das nicht, früher hat man uns als Ferkel, Indios, Wilde beschimpft. Was sich aber nicht geändert hat, ist die Korruption, die es in der Politik dieses Landes gibt.

bedrohte Völker: Wie ist die indianische Neutralitätserklärung entstanden und welche Auswirkungen hatte sie?

Eulalia Yagarí: Die Indianer haben sich zunächst im Norden von Urabá für neutral erklärt, wo es Landstreitigkeiten gibt aufgrund der verschiedenen Interessen von Guerilla und Paramilitärs. Es gab mehr als 80 Fälle von Menschenrechtsverletzungen gegen Indianer, Indianer wurden sowohl von den paramilitärischen Truppen als auch von der Guerrilla ermordet. Die Guerilla beschuldigt uns, dass wir mit den Paramilitares zusammenarbeiten, die Paramilitärs wiederum behaupten, dass wir mit der Guerilla zusammenarbeiten. Daher haben wir uns für neutral erklärt, damit das Morden ein Ende hat.

bedrohte Völker: Welche Möglichkeiten haben die Indianer in ihrem politischen Kampf?

Eulalia Yagarí: Es gibt eine sehr gute Verfassung, es gibt nur keinen politischen Willen, sie auch umzusetzen. Die Verfassung spricht von der Anerkennung indianischer Rechte, Artikel 22 spricht vom Frieden, Artikel 43 von den Rechten der Frau. Neutral sein bedeutet auch, gegen die Verletzung von Menschenrechten zu sein. Solche Fälle zeigen wir an, all die Gewalttaten und Morde in diesem Land. So ist unsere Politik, und wir verpflichten die Regierung, dass es auf nationaler Ebene und auf Provinzebene spezielle Regelungen für Indianer gibt. Es hält sich aber keiner daran, daher ist es notwendig, dass wir uns in die Politik des Landes einmischen. Ein sozialer Kampf ohne politische Partizipation bringt nichts. Die Schwierigkeit dabei ist immer, dass wir kaum ökonomische Mittel haben.

bedrohte Völker: Wie sehen Sie die Zukunft der Indianer in Kolumbien?

Eulalia Yagarí: Die Zukunft hängt von einer guten Regierung ab, sei sie nun konservativ oder liberal, ob sie das anerkennt, wofür wir Indianer immer eingetreten sind. Es ist sehr traurig, all die Toten und Verschwundenen in unserem Land zu sehen. Kolumbien braucht viel Hilfe, aber keine Waffen. Was wir hier brauchen, ist genug zu essen, der Boden muss bestellt werden, wir brauchen Frieden und Menschenrechte. Wir Indianer müssen endlich gehört und akzeptiert werden von einer Gesellschaft, die uns an den Rand gedrängt hat.