12.04.2021

Nachruf auf Jovan Divjak (1937-2021)

Verteidiger von Sarajevo und Träger des Victor-Gollancz Preises der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) ist tot

Die Gesellschaft für bedrohte Völker  (GfbV) trauert gemeinsam mit den überlebenden Opfern des Bosnien-Krieges und ihren Angehörigen in Bosnien und Herzegowina den USA, Kanada und Westeuropa um Jovan Divjak. Der ehemalige bosnisch-serbische General ist am 8. April 2021 in Sarajevo gestorben.  Divjak wurde 1937 in Belgrad (damals Jugoslawien, heute Serbien) geboren. Nach seiner militärischen Ausbildung unterrichtete er in der Militärschule von Sarajevo. Als der Krieg gegen Bosnien-Herzegowina (1992-1995) ausbrach, verließ er die Jugoslawische Volksarmee (JNA) aus Protest gegen die Aufrüstung der Soldaten, Freischärler und Paramilitärs gegen die eigene Bevölkerung. Ein jugoslawisches Militärgericht verurteilte ihn 1991 zu einer neunmonatigen Haftstrafe, der er durch seinen Übertritt in die Armee Bosnien-Herzegowinas entging.

General Divjak distanzierte sich von der JNA, als sie das kroatische Vukovar angreifen sollte, und widersetzte sich dann der Aggression gegen Bosnien und der Verbrechen an der bosnischen Zivilbevölkerung: Mit Angehörigen seiner Garnison marschierte er in das bedrohte Sarajevo. Dort baute er mit Angehörigen aller bosnischen Nationalitäten - Zivilisten aller Berufsgruppen und ehemaligen Soldaten, Studenten und Schülern - eine Verteidigungstruppe auf. Als Brigadegeneral und Assistent des Generalstabschefs organisierte Divjak die Verteidigung Sarajevos gegen die Truppen der bosnisch-serbischen Kriegsverbrecher Radovan Karadži? und Ratko Mladi?. Europa sah der Belagerung Sarajevos 1.479 Tage lang tatenlos zu. Fast 11.000 Menschen fanden den Tod, unter ihnen 1.572 Kinder.

Trotz des ständigen Granatbeschusses, trotz der Heckenschützen, trotz Hunger und Kälte blieb Divjak mit seiner Familie in Sarajevo. Er fühlte sich den Menschen verpflichtet, die ohne jegliche Erfahrung kämpfen mussten. „Er hat die Olympiastadt  vor den ethnischen Säuberungen und dem Schicksal Srebrenicas, Focas, Visegrads und vieler anderer ethnisch gesäuberter bosnischer Städte bewahrt“, würdigte der damalige Generalsekretär der GfbV, Tilman Zülch, Divjak 2011 in einem Interview. Die GfbV engagierte sich für seine Freilassung aus der Untersuchungshaft in Wien. Divjak wurde von der serbischen Justiz wegen Verbrechen gegen Kriegsgefangene und der gesetzwidrigen Tötung beschuldigt. Sowohl das Internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag (ICTY) als auch die Staatsanwaltschaft Bosnien-Herzegowinas konnten bei ihren Untersuchungen keinerlei Beweise für Kriegsverbrechen durch Divjak feststellen.

Seit seiner Pensionierung 1997 widmete sich der Serbe seiner 1994 gegründeten Stiftung "Bildung baut Bosnien-Herzegowina auf". Diese hilft vor allem Waisenkindern und hat bis heute Tausende Stipendien vergeben. Oft besuchte er sie, verfolgt ihre schulische Laufbahn und freute sich mit ihnen über ihre Erfolge.

Jovan Divjak wurde mit der höchsten Auszeichnung der französischen Ehrenlegion ausgezeichnet, war  Ehrenbürger von Grenoble, Villerest, Saumur (Frankreich) sowie Padova und Montesilvano (Italien). Für seine Verdienste bei der Verteidigung Sarajevos, seinen mutigen Einsatz für seine Mitmenschen während der Belagerung Sarajevos, seinen unvergleichlichen Einsatz für den Frieden und sein beherztes Engagement für die Ausbildung von Kindern in Bosnien-Herzegowina verlieh ihm die GfbV ihren Victor-Gollancz-Preis für Menschenrechte 2008.

Wir behalten ihn in unseren Herzen und werden sein Vermächtnis pflegen und weiterleben lassen.

Für Fragen: Jasna Causevic, Referentin für Genozidprävention und Schutzverantwortung, Email: j.causevic@gfbv.de; Tel.: 0151 56086370

Belma Zulcic, Leiterin der GfbV-Sektion in Sarajevo (Bosnien und Herzegowina), Tel. 00387 61 220 883

Mehr dazu: https://www.gfbv.de/de/news/victor-gollancz-preistraeger-2008-144 

https://www.gfbv.de/de/aktiv-werden/kampagnen-petitionen/weitere-kampagnen/retter-von-sarajevo-auf-kaution-freigelassen/