25.06.2005

Darfur stirbt

Bis zu 400.000 Tote: Drei Jahre Krieg und Massensterben im Westen des Sudan

Göttingen
Jeden Monat sterben 15.000 Menschen in Darfur

Mehrere tausend Dörfer wurden gezielt zerstört

Jeder zweite Bewohner Darfurs ist auf der Flucht vor schwersten Menschenrechtsverletzungen der Janjaweed-Milizen und der mit ihr verbündeten sudanesischen Armee (Plünderung, Brandschatzung, Vergewaltigung, Bombardierung, Massaker, Vergiftung von Brunnen, Blockade humanitärer Hilfe)

2, 6 Millionen Menschen wurden vertrieben (220.000 leben als Flüchtling im benachbarten Tschad, 1,9 Millionen als Binnenflüchtlinge in den Städten Darfurs sowie in Flüchtlingslagern, 500.000 im Großraum der Hauptstadt Khartum)

Mehr als 3,5 Millionen Menschen sind im Sommer 2005 in Darfur auf humanitäre Hilfe angewiesen. Gegenüber dem Vorjahr hat die Zahl der Bedürftigen in Darfur nochmals um 25 Prozent zugenommen.

Nach dem Einsetzen der Regenzeit werden nun immer mehr Straßen unpassierbar. Auch werden Helfer immer häufiger Opfer von Überfällen, so dass ganze Regionen tagelang nicht von humanitären Helfern erreicht werden können. Angesichts der schwierigen Versorgungslage haben internationale Hilfsorganisationen damit begonnen, Luftbrücken einzurichten und Hilfsgüter einzufliegen.

Ende Mai warnte das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) vor einer Zunahme der Gewalt zwischen den Bevölkerungsgruppen Darfurs. Humanitäre Hilfe werde immer schwieriger angesichts zunehmender Auseinandersetzungen zwischen den 90 ethnischen Gruppen Darfurs. Die Bewaffnung von Milizen arabisierter Bevölkerungsgruppen durch die sudanesische Armee hat dazu geführt, dass große Mengen an Waffen in Darfur im Umlauf sind und es immer häufiger zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen kommt.

Schon heute mangelt es an Hilfsgütern in Darfur. In den nun beginnenden Monaten der Regenzeit werden die Hilfsgüter noch knapper werden.

Notleidende in Darfur leiden vor allem unter Infektionskrankheiten der Atemwege, Durchfall und Malaria. Kinder im Alter unter 5 Jahren sterben vor allem an Mangelernährung, erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Mitte Juni 2005. 20 Prozent der Toten sind schwangere Mütter, viele erkrankten an Hepatitis E, die nicht heilbar ist.

Es mangelt an humanitärer Hilfe für Darfur. Nur 40 Prozent der von den Vereinten Nationen im Jahr 2005 benötigten Gelder für die Darfur-Hilfe sind bislang von der internationalen Staatengemeinschaft geleistet worden.

Kinder und Frauen sind von der Massenflucht besonders betroffen!

Darfur ist die "Hölle auf Erden", erklären internationale Helfer!

Doch die Welt schaut weg und bleibt untätig!

"Als die Janjaweed unser Dorf überfielen, liefen wir zur Polizei und baten um Schutz", berichtet Fatouma, eine Mutter mehrerer Kinder. "Doch die Polizisten taten nichts, um uns zu schützen. Mehrere Tage lang terrorisierten uns die Milizionäre. Männer wurden erschossen, Frauen vergewaltigt". Fatoumas Schicksal ist typisch für die Lage vieler Frauen in Darfur. Ihnen bleibt nichts übrig als zu fliehen. Doch sogar auf der Flucht und in Flüchtlingslagern werden diese Vertriebenen weiter von ihren Häschern gejagt und vergewaltigt. Denn viele Janjaweed-Miliozionäre erhielten inzwischen von den Behörden Polizei-Uniformen und wurden mit der "Bewachung" der Flüchtlingslager betraut. So können sie ihren Terror gegen die Zivilbevölkerung ungehindert fortsetzen.

In zahllosen Berichten haben Menschenrechtsorganisationen seit 2003 dokumentiert, wie die Janjaweed gemeinsam mit der sudanesischen Armee Völkermord an der schwarzafrikanischen muslimischen Bevölkerung Darfurs verüben. Doch die Welt handelte nicht. Drei Jahre lang schaute sie dem Morden untätig zu. Außer Äußerungen der Betroffenheit über die schweren Menschenrechtsverletzungen und das Massensterben sowie Zuwendungen für die humanitäre Hilfe entwickelte die internationale Staatengemeinschaft keine gezielte Initiative, um das Morden zu stoppen.

Afrikanische Union ist mit Friedenseinsatz überfordert

Es war zynisch und Menschen verachtend, wie die internationale Staatengemeinschaft zwei Jahre lang wider besseres Wissen den Eindruck erweckte, die Afrikanische Union (AU) werde mit ihrer Beobachtertruppe den Genozid stoppen. Zehntausende Menschen in Darfur mussten diesen Zynismus mit ihrem Leben bezahlen. Es war eine politische Entscheidung, die AU mit der Mission zu stoppen, um die regionale Konfliktschlichtung in Afrika zu fördern. Auch wollte man die Arabische Liga und die AU nicht vor den Kopf stoßen. Doch schon wenige Wochen nach dem Beschluss des AU-Einsatzes im April 2004 wurde deutlich, dass die AU nicht dazu in der Lage war, die schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu stoppen. So benötigte die Mission monatelang, um einige Dutzend Beobachter in Darfur zu stationieren. Dann hatte ihr Hubschrauber wochenlang keinen Treibstoff oder die Beobachter wurden von der sudanesischen Armee am Verlassen ihres Stützpunktes gehindert. Von Beginn an hatte die sudanesische Regierung die AU-Mission nicht ernst genommen. Denn die teilnehmenden afrikanischen Staaten werden von Khartum anders als die NATO nicht gefürchtet. So hatten die AU-Proteste gegen die Verletzung des Waffenstillstandsabkommens auch keine Wirkung. Auch war es absurd, zu glauben, zwanzig Beobachter könnten mit einem Hubschrauber ein Gebiet von der Größe Frankreichs wirksam überwachen. Für die Menschen in Darfur ist die AU unglaubwürdig, weil sie sich nicht vorstellen können, dass afrikanische Staaten konsequent für ein Ende des Genozids in Darfur eintreten, während der Afrikanische Staatenblock zur gleichen Zeit in der UN-Menschenrechtskommission in Genf im April 2005 eine Verurteilung der sudanesischen Regierung für die schweren Menschenrechtsverletzungen in Darfur verhindert.

Inzwischen ist die AU-Mission aufgewertet worden und es sollen bis Ende September 2005 7.700 afrikanische Soldaten im Westen des Sudan stationiert werden. Im Frühjahr 2005 fragte die AU bei der NATO und der EU um logistische Hilfe für diese Mission an. NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer forderte daraufhin am 31. Mai angesichts des Leidens im Westen des Sudan müsse die NATO und EU eine "strategische Partnerschaft" entwickeln. Die NATO werde keine Kampftruppen entsenden, aber logistische Hilfe vor allem beim Truppentransport leisten. Aber wiederum versagten Europäer und NATO. So brach ein wochenlanger Streit zwischen NATO und EU aus, wer das Oberkommando über den Darfur-Einsatz haben solle. Während die NATO auf einer Führungsrolle bestand, lehnte dies Frankreich ab. Schließlich einigten sie sich darauf, "nicht einig" zu sein, so dass sowohl NATO als auch EU ihren Einsatz eigenhändig leiten. Nach dem monatelangen Versagen des Weltsicherheitsrates ist dieser Streit zwischen Amerikanern und Europäern ein neues Beispiel dafür, dass die Rettung von Menschenleben in Darfur für viele Staaten zweitrangig ist.

Ausländische Helfer werden eingeschüchtert

Nach der monatelangen Blockade humanitärer Hilfe in den Jahren 2003 / 2004 durch die sudanesischen Behörden, hat Khartum nun mit einer Einschüchterungskampagne gegen internationale Helfer begonnen. Seit November 2004 wurden mindestens 21 internationale Helfer verhaftet. Mit diesen Festnahmen soll erreicht werden, dass Hilfsorganisationen nicht mehr über Menschenrechtsverletzungen berichten. So warnte Sudans Außenminister Mustafa Osman Ismail am 1. Juni 2005 internationale Helfer, nicht das Ansehen des Sudan zu schädigen und sich in die inneren Angelegenheiten des Sudan einzumischen. Ende Mai hatten die Behörden zwei führende Mitarbeiter der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" verhaften lassen, weil das Hilfswerk im März 2005 einen Bericht über systematische Vergewaltigungen in Darfur veröffentlicht hatte. Drei Wochen lang ließen die sudanesischen Behörden die Hilfsorganisation im Ungewissen über das weitere Schicksal ihrer Mitarbeiter. Zwar wurden die Helfer vorläufig aus der Haft entlassen, doch drei Wochen lang ermittelten die sudanesischen Behörden gegen sie wegen Verbreitung falscher Informationen und Spionage. Nach massiver internationaler Kritik stellten die Behörden schließlich am 20. Juni 2005 die Ermittlungen gegen die Helfer von "Ärzte ohne Grenzen" ein.

"Milde" Sanktionen stoppen nicht den Völkermord

Nach wochenlangem Hin und Her rang sich der Weltsicherheitsrat am 29. März 2005 zu sehr begrenzten Sanktionen durch. Ein Ölembargo scheiterte am Widerstand Chinas und Russlands sowie muslimischer Staaten. Doch auch die US-Regierung hat außer verbaler Kritik nur wenig unternommen, um den Genozid zu beenden. Statt über wirksame Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung zu beraten, stritten der Weltsicherheitsrat während mehrerer Wochen über den besten Weg, die Verantwortlichen für den Völkermord zur Rechenschaft zu ziehen. Erneut ging es nicht um die Völkermordopfer in Darfur, sondern um grundsätzliche Fragen des Internationalen Strafrechts. Während die USA die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofes ablehnten, bestanden die übrigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates auf einer Überweisung des Falles nach Den Haag. Schließlich wurde der Internationale Strafgerichtshof mit einigen Einschränkungen für zuständig erklärt. Massive Kritik an dieser Entscheidung wurde von der Regierung in Khartum geübt. Um ein Verfahren in Den Haag abzuwenden, ordneten die sudanesischen Behörden ein Gerichtsverfahren gegen 162 Beschuldigte in Darfur an, das am 14. Juni 2005 begann. Doch in diesem Falle blieb die internationale Staatengemeinschaft konsequent und erklärte unmissverständlich, ein innersudanesisches Verfahren könne nicht einen Prozess in Den Haag abwenden. Denn im Sudan ist weder eine Unabhängigkeit der Justiz garantiert, noch ist davon auszugehen, dass die Hauptverantwortlichen des Genozids zur Rechenschaft gezogen werden.

Auch beschloss der Weltsicherheitsrat Reisebeschränkungen sowie eine Einfrierung von Bankkonten der Verantwortlichen für die Verbrechen. Doch auch zwei Monate nach dieser Entscheidung sind diese Sanktionen noch immer nicht näher bestimmt. So ist noch unklar, wer in seiner Reisefreiheit begrenzt und wessen Konten eingefroren werden sollen. So werden Sanktionen zur Farce, wenn Geldtransfers nur noch Minuten dauern und der Weltsicherheitsrat es nicht in zwei Monaten schafft, festzulegen, wessen Konten eingefroren werden sollen.

Wirkungslos wird auch das vom Weltsicherheitsrat verhängte Waffenembargo bleiben, da alle Konfliktparteien bereits im Jahr 2004 mit massiven Rüstungskäufen ihren Waffenbedarf für die nächsten Jahre gedeckt hatten. Ein Waffenembargo ist auch nicht das geeignete Mittel, um den Terror der Janjaweed-Milizen zu stoppen. Denn für ihre Überfälle auf die Zivilbevölkerung benötigen sie keine kostspieligen Waffensysteme aus dem Ausland, sondern können Angst und Schrecken auch mit Jahrzehnte alten G3-Gewehren aus deutscher Lizenzproduktion verbreiten, die in großen Mengen überall im Sudan verfügbar sind.

Frieden ist in weiter Ferne

Die Perspektiven für eine Friedenslösung in Darfur sind düster. Denn während die Zivilbevölkerung immer mehr unter den Kämpfen und den schweren Menschenrechtsverletzungen leidet und angesichts der katastrophalen Sicherheitslage jede Rückkehr der Flüchtlinge in ihre zerstörten Dörfer ausscheidet, zeigen der Weltsicherheitsrat, die Europäische Union und die USA wenig Bereitschaft, sich stärker in die Suche nach einer Friedenslösung und einem wirksamen Schutz der Zivilbevölkerung einzuschalten. Nur die konsequente Durchsetzung der beschlossenen Sanktionen sowie eine Verhängung eines Ölembargos könnten den Druck auf die sudanesische Führung erhöhen, um das Morden zu stoppen. Weder die USA, noch die EU nutzen bislang ihren gesamten politischen Einfluss in der arabischen Welt, um das Massensterben zu beenden. Von einem Einsatz internationaler Friedenstruppen wollen die meisten EU-Staaten und die US-Regierung nichts wissen. Doch alleine werden Truppen afrikanischer Staaten den Terror in Darfur nicht stoppen können. So geht das Massensterben im Westen des Sudan weiter und die internationale Staatengemeinschaft schaut tatenlos zu, obwohl sie noch vor wenigen Monaten beschwor, sie habe aus ihrem Versagen während des Völkermordes in Ruanda gelernt.