18.09.2006

Flüchtlingslager Osterode

Flüchtlingslager Osterode im Hintergrund: Berge von 100 Mio. Tonnen giftigem Bleierz - Foto: Miradija Gidzic

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) befasst sich seit 1999 mit der Situation in den Flüchtlingslagern für Binnenflüchtlinge (Internally Displaced Persons/IDP) im Kosovo, in denen sich Roma und Aschkali nach ihrer Vertreibung im Laufe des Kosovo-Krieges aufhalten. Insbesondere prekär war die Lage in den Lagern in Nord-Mitrovica/Nord-Mitrovicë: Česmin Lug/Cesminlukё, Žitkovac/Zhitkoc und Kablare/Kablar. Diese Lager wurden 1999 auf dem Gebiet einer Bleischmelzanlage, die von der "Trepca Mines Company" betrieben wurde, errichtet.

Seit 1999 befindet sich ein Team unter der Leitung des amerikanischen Journalisten und Schriftstellers Paul Polansky im Auftrag der GfbV im Kosovo, um die Lage der Flüchtlinge dort zu recherchieren und die besonders gefährdeten Roma zu unterstützen. Besondere Besorgnis erregte die Belastung der Lager mit Schwermetallen (u.a. Blei, Cadmium, Arsen, Quecksilber, Antimon, Mangan). Seit 2001 bemüht sich die GfbV um die Evakuierung der Roma aus diesen Lagern in eine unbelastete Region.

Die derzeitige Lage wird im Folgenden beschrieben. Die einzelnen Informationen gehen auf die Angaben des GfbV-Teams zurück, wenn keine andere Quelle angegeben ist.

Im Februar 2006 begann die Umsiedlung der Roma, Ashkali und "Ägypter" aus den beiden Flüchtlingslagern Kablare/Kablar und Žitkovac/Zhitkoc in Nord-Mitrovica/Nord-Mitrovicë (Kosovo) aufgrund der dortigen extrem hohen Schwermetallbelastung in ein neues – ca. 50 m von den kontaminierten bisherigen Lagern entferntes – Flüchtlingslager namens Osterode. Osterode ist ein im Norden von Mitrovica/Mitrovicë gelegenes ehemaliges Lager der französischen KFOR-Soldaten, das von diesen - wegen der hohen Schwermetallbelastung vor Ort - kurze Zeit später wieder geräumt wurde. Grund für die Umsiedlung waren extrem hohe Konzentrationen von Blei und anderen Schwermetallen im Boden, im Wasser und in der Luft, da sich auf diesem Gebiet eine Bleischmelzanlage der Firma "Trepca Mines Company" befindet. Im Jahr 2000 erfolgte die Schließung dieser Anlage durch die Vereinten Nationen. Doch auch im nahe gelegenen Camp Osterode, in dem (nach Angaben unseres Teams im Kosovo) zurzeit 457 Personen – davon 183 Kinder unter 15 Jahren (nach Angaben des SRSG/ Special Representative of the Secretary General/ vom 04.09.2006 sind es 593 Personen/150 Haushalte) – leben, gibt es ähnlich hohe gesundheitsschädliche Konzentrationen von Blei und anderen Schwermetallen im Boden und in der Luft.

Nur ungefähr 50 m von der mit Schwermetallen verseuchten Halde entfernt spielen Flüchtlingskinder an einem Fluss.

Die Flüchtlinge dürfen das Camp Osterode zu jeder Tageszeit verlassen. Da die Bedingungen für die Kinder innerhalb des Camps zum Spielen denkbar ungünstig sind, gehen sie häufig baden und fischen im nahe gelegenen Fluss Ibar/Iber, welcher - nach Aussage des Leiters des GfbV-Teams im Kosovo, Paul Polansky, - "in ganz Europa einer der am stärksten mit Schwermetallen verseuchtesten Flüsse ist."(1) Ganz in der Nähe des vergifteten Flusses baute die UN im Jahr 2000 unverantwortlicherweise zwischen den zwei Flüchtlingslagern Česmin Lug/Cesminlukё und Osterode die sog. "Alley of Health".

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Dieses ist eine öffentlich zugängliche und – genutzte Allee, auf der Jogger Sport treiben - die "Grüne Lunge" in einer mit Schwermetallen verseuchten Umgebung. Nun muss dabei jedoch berücksichtigt werden, dass auch die Luft nicht "rein", sondern ebenfalls durch Bleiansammlungen verschmutzt ist. Je mehr Sport man dort treibt, umso mehr Bleipartikel aus der Luft sammeln sich im Körper an. {bild2}

"Die gesamte Region ist belastet. Sie werden keinen Ort (um Mitrovica/Mitrovicё, Anm. d. Ü.) finden, der nicht belastet ist." äußerte sich Charles Carron-Brown, der Manager von Trepca Mines in einem Interview mit der New York Times.(2) Insofern müssten wenigstens die Menschen aus den extrem kontaminierten Gebieten um die Abraumhalden herum evakuiert werden.

Keiner Wunder, dass Krankheitserscheinungen infolge der Bleivergiftungen wie Fehlgeburten, Wachstumsstörungen, Hörschwäche, Komazustände, verminderte Konzentration, Gehirn-, Nerven- und Nierenschäden etc. in den Flüchtlingslagern in Nord-Mitrovica regelmäßig auftraten.

Seit mehreren Jahren stellte sich die Frage, warum die für die Flüchtlingslager verantwortliche Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen im Kosovo/United Nations Mission in Kosovo-UNMIK und die World Health Organisation -WHO in diesem Punkt nicht einschritten und warum den Flüchtlingen die dringend notwendige medizinische Behandlung, das heißt Entgiftung, anstatt gewährt, vorenthalten wurde. Bereits in den Jahren 2000, 2004 und 2005 wurden von der WHO Berichte veröffentlicht, in denen deutlich die "umgehende Umsiedlung" der Roma aus den verseuchten Flüchtlingslagern und aus dem schwermetallbelasteten Gebiet empfohlen wird. Sämtliche Experten stimmten darin überein, dass die Roma vor Ort einer extrem starken Schwermetallbelastung unterliegen, welche vor allem durch den giftigen Staub in der Luft übertragen wird.

Dennoch wurde von Seiten der UNMIK und der WHO nichts unternommen, um die dort lebenden Menschen vor Vergiftungen zu schützen bzw. sie zu heilen. Erst als die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) sowie verschiedene andere NGOs im Jahr 2005 mit Nachdruck und unter Einschaltung der Öffentlichkeit die dringende Evakuierung der Flüchtlinge aufgrund der Verseuchung der gesamten Gegend forderten, fühlte sich die UNMIK endlich zum Handeln genötigt.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker warnte jedoch davor, dem Vorhaben der UNMIK, die kontaminierten Flüchtlinge nur wenige Schritte entfernt und noch im Bereich der giftigen Halde in der französischen Militärbasis Osterode unterzubringen, zuzustimmen, weil es im Gebiet um die ehemalige Kaserne hohe Konzentrationen von Blei und anderen Schwermetallen im Boden und in der Luft gibt. Die Evakuierung wurde seitens der UNMIK dadurch begründet, dass man durch Abtragen der bleibelasteten oberen und Abdeckung der unteren Erdschichten mit einem Zementbelag eine Gesundheitsgefährdung der im Camp Osterode untergebrachten Menschen reduzieren könne. Auch durch angeblich bessere Bedingungen wie die verbesserte medizinische Behandlung, die regelmäßige Lebensmittelversorgung sowie durch ausreichende sanitäre Anlagen sollten die Lebensbedingungen der Roma deutlich verbessert werden. Um auf den öffentlichen Druck zu reagieren, handelte die WHO verantwortungslos, überging ihre eigene Empfehlung der "umgehenden Umsiedlung" in eine unbelastete Region und stimmte im vergangenen Jahr den Plänen der UNMIK zu. Diese beinhalteten die Umsiedlung der Flüchtlinge nur 50 m weiter entfernt, auf das Gebiet des heutigen Lagers Osterode.

"Sie sagten uns, es gäbe dort weniger Blei, aber ich kann keinen Unterschied feststellen." äußerte ein Lagerbewohner, Latif Musurica, als er bemerkte, dass das neue Flüchtlingslager nur ca. 50 m von seiner derzeitigen Wohnung entfernt ist.(3)

Noch im März 2006 hieß es von Seiten der WHO:

Ein für die Behandlung notwendiges Medikament namens DMSA (Dimercaptosuccinic acid)(4) wurde von der WHO bisher nicht zur Verfügung gestellt, da (nach Angaben Patricia Warings, Director of Civil Administration der UNMIK) diese und UNMIK das Medikament erst durch das Gesundheitsministerium in Belgrad genehmigen lassen müssten.

Mit anderen Worten, Menschen mussten sterben, weil sich im de facto unter internationaler Verwaltung stehenden Kosovo WHO und UNMIK nicht über eine unsinnige Anordnung aus dem fernen, nicht mehr zuständigen Belgrad, hinwegsetzen wollten. Tatsächlich war aber sowohl der WHO als auch der UNMIK bekannt, dass dieses Medikament durchaus in den westlichen demokratischen Staaten zugelassen war. Absurderweise hatte die GfbV bereits ihrerseits einige Monate vor Beginn der Entgiftungsbehandlung der Flüchtlinge durch die UNMIK und die WHO 24 Packungen des Medikaments EDTA gekauft und die Erlaubnis des serbischen Gesundheitsministeriums erwirkt.

"Die WHO wird eine Therapieklinik für Bleivergiftungen betreiben, sobald die Genehmigung des Medikaments DMSA ( ) vom Gesundheitsministerium in Belgrad eintrifft.”(5) Eigentlich sollte eine Behandlung der Flüchtlinge schon im Februar 2006 beginnen.

Auf die Anfrage der Gesellschaft für bedrohte Völker im März 2006, wie es denn inzwischen mit der Genehmigung aussehe, antwortete die WHO: "Die Behandlung wird bald beginnen."(6)

Am 31. August 2006 haben nach Angaben des SRSG (Special Representative of the Secretary General)(7) Joachim Rücker endlich erste Behandlungen der Flüchtlinge in Osterode begonnen.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker erinnert in diesem Zusammenhang noch einmal an die Aussage des im Auftrag der WHO handelnden Arztes, Dr. Syla, der im Januar letzten Jahres äußerte, "Osterode" sei nicht der geeignete Ort, um Menschen zu behandeln, die an einer Bleivergiftung leiden, weil dort die Kontaminierung der Patienten weiterhin besteht.

Obwohl die WHO 1.000.000 Dollar vom amerikanischen Büro in Pristina für die medizinische Behandlung der Flüchtlinge erhält, werden die Roma, lt. Polansky, derzeit auf dem bleiverseuchten Gebiet behandelt. Nach aktuellen Angaben hat die WHO bei 39 Kindern einen Bleiwert von über 45 mg/dl festgestellt (Referenzbereich im Blut (Erythrozyten):

< 0,030 ppm; Referenzbereich im Haar: < 1,0 μg/g). Angeblich seien diese Werte, die wesentlich unter jenen der von der GfbV im November 2005 festgestellten Werten liegen, durch bessere Ernährung und hygienische Verhältnisse entstanden. So muss sich die UNMIK den Vorwurf machen, diese bis heute rassisch diskriminierte und seinerzeit offen verfolgte, vertriebene und in Flüchtlingslagern zusammengedrängte Minderheit sechs Jahre lang völlig unzureichend versorgt und in unhaltbaren hygienischen Verhältnissen gehalten zu haben. Indem sie Kontakte der Außenwelt zu den Flüchtlingen extrem erschwerte, blieb diese unerträgliche Situation der internationalen Öffentlichkeit weitgehend verborgen.

Zurzeit werden aber nur 16 Kinder behandelt. Den früheren WHO-Studien aus den Jahren 2000, 2004, 2005 und 2006 ist jedoch zu entnehmen, dass bei einigen Roma – Kindern die Bleiwerte über 70 mg/dl lagen. Zum Vergleich: die Gesundheitsbehörde von New York State (New York State Health Department) stellt für Kinder mit Bleiwerten von über 70 mg/dl fest, dass diese "umgehend ins Krankenhaus eingewiesen werden müssen" und nicht in die verseuchte Gegend zurück dürften.(8)

Kinder mit erhöhten Bleiwerten müssten aus dem Lager "Osterode" zur Behandlung nach Belgrad gebracht werden. Zurzeit steht jedoch nicht fest, wer die Erkrankten nach Belgrad befördern soll. Weder die UNMIK noch die WHO fühlen sich dafür verantwortlich.

Nach Angaben von Polansky nehmen sowohl die UNIMK als auch die WHO ihre Aufgaben nicht richtig wahr. Die Kinder leben immer noch in diesem bleiverseuchten Gebiet, sie werden immer noch nicht nach allgemein gültigen medizinischen Standards behandelt und es wird kein realistischer Versuch gemacht, ihnen eine bessere Zukunft zu gewährleisten.

Aktuelle Situation im Flüchtlingslager "Osterode"

Zurzeit leben im Flüchtlingslager Osterode ungefähr 114 Flüchtlingsfamilien - insgesamt 457 Personen, davon 183 Kinder unter 15 Jahren (nach Angaben des Special Representative of the Secretary General vom 04.09.2006 sind es 150 Haushalte/ 593 Personen). Weitere 41 Flüchtlingsfamilien (196 Personen) (nach Angaben des Special Representative of the Secretary General vom 04.09.2006 sind es 34 Haushalte/ 148 Personen) leben noch im Camp Česmin Lug/Cesminlukё, weil im Camp Osterode momentan nicht genügend Unterkünfte existieren, um alle Flüchtlinge zu beherbergen. Geplant ist deshalb der Bau von weiteren Hütten, damit auch die restlichen Familien nachziehen können. Um die medizinische Grundversorgung im Flüchtlingslager zu gewährleisten, stehen für die tägliche ärztliche Behandlung von 9-18 Uhr ein Arzt und eine Krankenschwester sowie eine kleine Klinik zur Verfügung. Zur Behandlung der Bleivergiftung wurden zusätzlich noch ein amerikanischer Arzt sowie zwei lokale Kinderärzte mit einem Assistenzarzt, fünf Krankenschwestern und fünf Roma Helfer eingesetzt. Kinder und Schwangere werden vorrangig behandelt.

Zudem haben die Flüchtlinge Zugang zu Elektrizität, Heizungen, fließendem Wasser etc. Die Versorgung im Lager ist nach Angaben von Paul Polansky teilweise besser als die des "Durchschnittsbürgers" in Mitrovica/Mitrovicё, weil das Camp über eigene Stromgeneratoren verfügt. Dennoch kommt es aufgrund der falschen Bedienung der Geräte und der veralteten Technik von Zeit zu Zeit zu technischen Ausfällen. Beispielsweise fiel im vergangenen Winter das Heizsystem für mehrere Wochen aus, so dass viele Kinder krank wurden und ins Krankenhaus mussten. Die Nahrungsmittelversorgung wird mit 27.000 Euro pro Monat durch die UNMIK finanziert und durch den offiziellen Betreuer des Camps, die Norwegian Church Aid /Norwegische Kirchenhilfe/, organisiert. Die Nahrungsmittel werden von lokalen Händlern gekauft. Laut Polansky sollte untersucht werden, ob diese Händler die Nahrungsmittel aus dem Ausland importieren oder ob sie sie von einheimischen Bauern kaufen. Wäre Letzteres der Fall, so wären auch Lebensmittel wie Gemüse und Obst mit Schwermetallen verseucht. Des Weiteren können die Roma in Nord-Mitrovica/Nord-Mitrovicё Gelegenheitsjobs finden. Auch für Kleidung und Schuhe ist dank dem United Nations Children`s Fund - UNICEF (Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen) und der NGO "Care" gesorgt.

Das Camp wird immer noch durch die Albanian Security Force bewacht, die durch die UNMIK engagiert wurde. Unverständlich ist, warum es unter dem Sicherheitspersonal keine Angehörigen der Roma gibt. Alle Nicht-Roma brauchen eine spezielle – von der UNMIK ausgestellte - Genehmigung, um das Lager besuchen zu dürfen.

Die Probleme der Bleivergiftung und einer hohen Schadstoffbelastung der Lagerbewohner überschatten die gesamte Lebenssituation der Roma und Aschkali. Auch der Umgang mit den Flüchtlingen nach der möglichen Behandlung ist nicht geklärt. Hinzu kommt die ungewisse Zukunft, die sie erwartet, wenn das Land in die Unabhängigkeit entlassen wird.

Im Folgenden seien nun einige Probleme genannt, die sich aus der momentanen Situation sowie für die Zukunft der Flüchtlinge ergeben.

Behandlung der Bleivergiftung

Die Behandlung der Betroffenen, die einen Bleiwert über 70 mg/dl haben, soll mit Infusionen von EDTA (Calcium Edetate Sodum) durchgeführt werden. Es ist notwendig, dass die Erkrankten zur Behandlung nach Belgrad gebracht werden. Bis jetzt steht, wie schon erwähnt, nicht fest, wer die Erkrankten nach Belgrad zu befördern hat.

Denjenigen, die einen Bleiwert über 45 mg/dl haben, werden DMSA -Tabletten (Dimercaptosuccinic acid) verabreicht (nach Angaben der WHO).(9)

Zur Behandlung mit Medikamenten wie DMSA und DMPS bekräftigt der Umweltmediziner Klaus-Dietrich Runow gegenüber der Gesellschaft für bedrohte Völker am 13. September 2006:

"Man kann mit diesen Stoffen tatsächlich eine Metallentgiftung durchführen - eine Entgiftung des Gehirns ist hierdurch jedoch nur schwer möglich, weil sie die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren. Außerdem besteht bei schwerstbelasteten Personen die Gefahr, dass die Gifte zu schnell mobilisiert werden und somit die Nieren und die Leber belastet werden. Eine andere Substanz, die gerne - auch in Kreisen von ` Naturheilärzten` - zur Entgiftung eingesetzt wird, ist das EDTA. Prof. William J. Rea aus Dallas/Texas berichtete von einem Todesfall bei einem autistischen Kind in einer "naturheilkundlichen Praxis" in Texas durch den Einsatz von EDTA. …Zu empfehlen wäre das Hepar-Tox Entgiftungsprogramm, bei dem nur natürliche, körpereigene Stoffe wie Glutathion und Alpha-Liponsäure per Infusion verabreicht werden. Unterstützt werden sollte die Therapie durch die orale Nährstofftherapie. Hierzu gehören neben Vitaminen auch Mineralstoffe und Spurenelemente wie Selen."(10)

Um optimale Bedingungen für eine Genesung und Behandlung gewährleisten zu können, ist es einerseits notwendig, dass die Erkrankten an einen deutlich entfernten nicht kontaminierten Ort umgesiedelt werden. Zum Zweiten ist es nach der erfolgreichen Behandlung nicht sinnvoll, den gesunden Patienten erneut in die vergiftete Gegend zurückkehren zu lassen. Das bekräftigte auch der Umweltmediziner Klaus-Dietrich Runow11 in einem Brief an die GfbV: "Aus umweltmedizinischer Sicht ist die Umsiedlung in das ehemalige KFOR-Camp "Osterode" überaus problematisch. Aus meinen Untersuchungen geht hervor, dass die Roma-Flüchtlinge extrem belastet sind. Um sie zu retten, muss die Umsiedlung an einen deutlich entfernten Ort eingeleitet werden. Es reicht nicht, die Blei belasteten Böden zu betonieren, denn der Kontakt mit dem giftigen Schwermetall kommt immer noch durch die Luft zustande. Ich habe selbst das ehemalige KFOR-Camp besucht und sah die Berge von toxischem Erdmaterial, die sich in unmittelbarer Nähe von "Osterode" befinden und nicht nur den Boden, sondern auch die Luft kontaminieren. Therapie und Entgiftung sind an einem Ort dieser Belastung nicht möglich. Man kann die Flüchtlinge erst heilen, wenn sie aus diesem vergifteten Gebiet umgesiedelt werden. Natürlich sind die Lebensbedingungen auf dem ehemaligen Militärstützpunkt besser, doch was haben die Flüchtlinge davon, wenn sie weiter an Schwermetallvergiftung leiden müssen?" (Siehe: Dossier und Fotodokumentation der Gesellschaft für bedrohte Völker über die Familie von Shaban Mustafa /Vater Shaban und 7 Kinder aus dem Flüchtlingslager Žitkovac/Zhitkoc/, die im Institut für Functional Medicine und Umweltmedizin (IFU) in Bad Emstal in der Zeit April-August 2006 entgiftet wurde.)

Da nur 24 Wohnungen in Roma Mahala12 wieder aufgebaut werden, müssen mehr als 100 Familien nach der Behandlung zurück ins Camp Osterode. Hinzu kommt, dass es im Kosovo keine Ärzte gibt, die dafür ausgebildet sind, DMSA zu verabreichen. Aus diesem Grund versucht die WHO in Belgrad serbische Ärzte zu finden, die die Flüchtlinge medizinisch behandeln können.

Gedanken über die Zukunft des Kosovo

Nach Angaben von Paul Polansky ist "die Angst aller Roma im Camp ( ), dass Osterode auch in Zukunft ihr ständiger Wohnsitz bleiben wird und dass, wenn die UNMIK das Land verlässt, sich keiner mehr um sie kümmert. Niemand wird die komplizierte und gefährliche Lage im Auge behalten, niemand wird sich um die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Medizin kümmern." Auch bezüglich des Erfolgs des Projektes Roma Mahala, das im Süden von Mitrovica/Mitrovicё liegt, besteht Ungewissheit. Wann wird der Wiederaufbau abgeschlossen sein? Wie wird die Situation nach der Unabhängigkeit des Landes aussehen? Wer bekommt eine Wohnung in Roma Mahala?

All diese Fragen führen auch im Flüchtlingscamp Osterode zu Streit zwischen den Familien, darüber wer geht und wer bleibt, wer eine Wohnung bekommt und wer nicht.

"Die Familien, mit denen wir sprachen, haben nicht die Absicht in den Wohnungen zu leben, wenn sie eine davon zugewiesen bekommen. Niemand will wieder im Süden von Mitrovica/Mitrovicë leben. Alle fürchten, dass sie erneut von ihren albanischen Nachbarn angegriffen werden." (Paul Polansky)

Aktuelles Projekt im Kosovo – Roma Mahala

Im Kosovo-Krieg wurde die Stadt Kosovska Mitrovica/Mitrovicё "ethnisch gesäubert" und in einen Südteil mit fast ausschließlich albanischer (ca. 60 000 Einwohner) und einen Nordteil mit überwiegend serbischer (ca. 13 000 Einwohner) Bevölkerung geteilt. Die beiden Stadtteile sind durch eine Brücke über den Fluss Ibar/Iber verbunden, die von Polizeikräften der UNMIK und der Kosovo-Polizei (KPS) bewacht wird. Im Norden leben viele serbische Flüchtlinge, u.a. auch die Angehörigen der Minderheiten Roma, Aschkali, die ihr Hab und Gut im Süden (Roma-Mahala) verloren haben und nicht in diesen albanisch verwalteten Teil der Stadt zurückkehren können. Mitrovica/Mitrovicë ist keine Enklave, der Norden des Kosovo grenzt an Serbien. Im Frühjahr gab es Übergriffe der Albaner auf Serben. UNMIK lehnte ab, diese Übergriffe als ethnisch motiviert zu kategorisieren und bezeichnete sie als Raubüberfälle und kleine Kriminaldelikte. Nach diesen Übergriffen wurde nicht nur die Präsenz der Polizeikräfte der UNMIK in Nord-Mitrovica/Nord-Mitrovicё verstärkt, das Kosovo-Team der GfbV bestätigte die Rückkehr der "bridge watchers" nach Nord-Mitrovica/Nord-Mitrovicë. Auch militärische Berater und serbische Polizisten seien inzwischen infiltriert worden, berichtete Polansky. Die mangelnde Sicherheit und Bewegungsfreiheit, nicht nur in Nord-Mitrovica/Nord-Mitrovicё, die Spannungen zwischen den ethnischen Gruppen wie auch die gegensätzlichen Positionen Pristinas und Belgrads bezüglich der Zukunft des Landes sind ein eindeutiger Beweis dafür, dass die Lage im Kosovo noch immer viel zu gefährlich ist.

Die Minderheitenangehörigen der Roma, Aschkali und "Ägypter" leben nicht nur im Norden, sondern auch in den serbischen Enklaven im Zentralkosovo wie im Gefängnis, ohne jede Perspektive.

Der geplante Wiederaufbau der Roma Mahala im Süden von Mitrovica/Mitrovicё wird als das größte urbane Wiederaufbauprojekt innerhalb des Kosovos bezeichnet. Speziell dafür wurden zwei Projektgruppen gegründet – eine für die Umsiedlung der Roma nach Camp Osterode und eine für den Wiederaufbau der Roma Mahala.

Zurzeit findet der Bau von zwei Miethäusern mit jeweils 24 Wohnungen statt. Spenden dafür kommen vom kontingentierten Fond für Wiederaufbau des SRSG (Special Representative of the Secretary General) und vom Fond der PISG (Provisional Institutions of Self-Government). Die Fertigstellung des Baus ist für das Ende des Jahres 2006 geplant. Zusätzlich sollen zwei Mietshäuser erreichtet werden, die von der norwegischen Regierung finanziert werden und deren Fertigstellung für das Frühjahr 2007 angesetzt ist. Darüber hinaus beteiligt sich der Dänische Flüchtlingsausschuss (DRC – Danish Refugee Council) am Projekt "Wiederaufbau Roma Mahala". Der DRC ist hierbei der ausführende Partner für den Zeitraum Juli bis November 2006 für insgesamt 57 Haushalte in Roma Mahala. Finanziert wird der Bau durch die Gesamtsumme von 2 Millionen Euro, von der die EAR (European Agency for Reconstruction) und die schwedische Regierung jeweils einen Teil der Kosten tragen. 57 Familien aus Serbien, Montenegro und der Provinz Vojvodina unterzeichneten das Projekt und werden sich am Wiederaufbau ihrer Wohnungen beteiligen.

Forderungen der Gesellschaft für bedrohte Völker

- Die Lagerbewohner müssen in eine unbelastete Region umgesiedelt und dort medizinisch behandelt werden.

- In einer sicheren Entfernung zu der belasteten Gegend um Nord-Mitrovica/Nord-Mitrovicё muss ein umweltmedizinisches Behandlungszentrum eingerichtet werden. Dort sollten die modernen umweltmedizinischen Erkenntnisse in die Therapie einfließen und nicht nur Standardmedizin praktiziert werden. Die behandelnden Ärzte sollten im International Board for Environmental Medicine zertifiziert sein. Selbstverständlich sollte diese Einrichtung für alle Bürger der Region Mitrovica/Mitrovicë als umweltmedizinische Beratungsstelle dienen.

- Die Sicherheitskräfte, die in Roma-Siedlungen, Stadtteilen oder Flüchtlingslagern eingesetzt werden, sollten zu 2/3 aus den Reihen der Roma-Bevölkerung rekrutiert werden.

 

Konzept: Jasna Causevic, Tilman Zülch

Recherche: Paul Polansky, Miradija Gidzic

Texte, Übersetzungen und redaktionelle Bearbeitung: Dana Singula, Jasna Causevic

Fotos: Frank Witte, Miradija Gidzic

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1 E-Mail des Leiters des GfbV-Teams im Kosovo, Herrn Paul Polansky, an die GfbV Göttingen vom

24.08.2006

2 Artikel "Displaced Gypsies at Risk > From Lead in kosovo Camps", Mitrovica, 05.02.2006, Nicolas Wood, New York Times

3 Artikel "Displaced Gypsies at Risk > From Lead in kosovo Camps", Mitrovica, 05.02.2006, Nicolas Wood, New York Times

4 DMSA ist ein Chelatbildner, der von der FDA zur Bleientgiftung von Kindern freigegeben wurde. Dieser orale Chelatbildner, auch Bernsteinsäure genannt, hat die Fähigkeit die Blutgehirnschranke zu durchdringen und entgiftet somit Gehirnzellen." (Zitat nach Firma: Micro Trace Minerals GmbH)

Quelle: www.microtrace.de/html_deutsch/Labordiagnostik.htm

%20und%20Schwermetalluntersuchung %20vor%20und%20nach%20DMSA %20Ausleitung %20(2%20Tests)

5 Brief der UNMIK (Patricia Waring, 18.07.2006) an die GfbV

6 E-Mail von der WHO (Julien Bibeau, 16.08.2006)

7 SRSG - Pressemitteilung vom 04.09.2006 "SRSG Welcomes Start of Lead-Toxicity Treatment of IDPs in Camp Osterode"

8 www.health.state.ny.us/nysdoh/lead/handbook/phc5.htm

9 Quelle: E-Mail des Leiters des GfbV-Teams im Kosovo, Herrn Paul Polansky an die GfbV Göttingen vom 08.09.2006; Treffen am 05.09.2006 von Miradija Gidzic (Mitarbeiterin des GfbV-Teams im Kosovo), Dr. Syla (albanischer Arzt , der für die WHO in Pristina arbeitet) und Gerry Mc Weeney (Leiter der WHO in Pristina/ Mitrovica)

10 mehr dazu: "Nervenschutz durch Entgiftung" von Klaus-Dietrich Runow, ISBN 3-86516-504-4, Printed in Germany 2005

11 Klaus-Dietrich Runow besuchte im Auftrag der GfbV im November 2005 die Flüchtlingslager im Kosovo und nahm 66 Haar- und Blutproben von Kindern und Erwachsenen. Siehe dazu "Höchste jemals in menschlichem Haar nachgewiesene Bleibelastung" – Unter den Augen der UNMIK: 560 Roma-Flüchtlinge im Kosovo seit 1999 tödlich giftigen Schwermetallen ausgesetzt.

12 Roma Mahala war 1999 der Wohnort für ungefähr 8000 Aschkali, Roma und "Ägypter". Viele von ihnen sind Flüchtlinge und leben heute in "Osterode".