19.07.2005

Hoher Preis für Öl und Gas

Sibiriens Ureinwohner werden dem Energiehunger der Industriestaaten geopfert

Göttingen/Genf
Einleitung

Russland ist der größte Erdöl- und Erdgasproduzent der Welt. Mit einem Fördervolumen von nahezu 500 Mio. Tonnen allein im ersten Halbjahr 2005 (Russian Information Agency/RIA, 30. Juni 2005) führt es die Reihe der Erdölproduzenten an. Etwa 200 bis 230 Mio. Tonnen davon werden exportiert, bald schon sollen es bis zu 270 Mio. Tonnen sein (RIA, 9. Juli 2005). Auch den Gasexport will Russland deutlich steigern.

Deutschland bezieht mit 35 Mio. Tonnen rund 30 % seines importierten Erdöls sowie 40% des importierten Erdgases (rd. 35 Mrd. m³) aus Russland (Deutsch-russische Beziehungen im europäischen Kontext; Diskussionspapier, Forschungsgruppe Russland/GUS, Stiftung Wissenschaft und Politik, Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit; 3. Mai 2005, S. 7/8). Diese Zahlen verdeutlichen bereits die große gegenseitige Abhängigkeit beider Länder voneinander für Energieversorgung auf der einen und Devisenbeschaffung auf der anderen Seite.

Doch während die Einfuhr von Öl und Gas aus Russland Sicherheit und stabile Preise auf dem deutschen Energiemarkt garantiert, führt sie zur ökologischen und humanitären Katastrophe in den Fördergebieten. Die Rohstoffreserven der Russischen Föderation befinden sich fast ausschließlich auf bzw. unter Ureinwohnerland in Sibirien. Auch Holzeinschlag, Kohle-, Diamanten-, Gold- und Uranförderung finden überwiegend dort statt, wo indigene Völker ihre Rentierweiden, Fischgründe, Wälder und Jagdgebiete haben. Schwerpunkte der Förderung von Erdöl und Erdgas sind Westsibirien und die Insel Sachalin im Osten Russlands. Über die Ausbeutung des noch nicht erschlossenen riesigen Erdgasfeldes Yushno Russkoje im westsibirischen Tiefland schloss die BASF-Tochter Wintershall bei der Hannover Messe im April 2005 ein umfassendes Kooperationsabkommen mit dem russischen staatlichen Konzern Gazprom.

Sibiriens Ureinwohner verlieren ihre Lebensgrundlage

Leidtragende des Exportbooms sind die in Sibirien ansässigen, etwa 200.000 Ureinwohner, denn die Förderung von Öl und Gas erfolgt zumeist ohne Rücksicht auf ihre traditionelle Lebensweise, die von einer intakten Umwelt abhängig ist. Dabei werden Lizenzen über Gebiete vergeben, auf die von indigenen Völkern Anspruch erhoben wird, bevor die Landrechte geklärt sind. Die indigenen Völker werden also faktisch enteignet. Die Folgen der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen sind verheerend: In Westsibirien waren 28 größere und 100 kleinere Gewässer schon 1989 biologisch tot. Andere Gewässer sind infolge maroder Pipelines und rücksichtsloser, jeden Umweltschutz missachtender Fördermethoden so stark mit Öl verseucht, dass der dort gefangene Fisch nicht mehr genießbar ist. Öllachen auf Rentierweiden vergiften das Futter der Tiere. Etwa 8 % - 10 % des russischen Erdöls gehen durch Lecks maroder Pipelines verloren.

Die Arbeitslosigkeit unter den Ureinwohnern, die kaum eine Chance auf alternative Einkommensquellen zu Jagd, Fischfang oder Rentierzucht haben, ist hoch. Alkoholmissbrauch - Index wachsender Resignation - ist enorm verbreitet, auch die Suizidrate ist sehr hoch. Die Lebenserwartung der Ureinwohner liegt um bis zu 25 Jahre unter dem Bevölkerungsdurchschnitt. Die Geburtenrate ging zwischen 1993 und 2003 dramatisch um 90% zurück. (The Right to Adequate Food (Art.11), and Violations of this Right in the Russian Federation; infoe, 2003).

Deutsche Beteiligung am Öl- und Gasgeschäft

Erdgas gewinnt zunehmend an Bedeutung. Im Zentrum der deutsch-russischen Unternehmerkonferenz, zu der Bundeskanzler Gerhard Schröder am 8. Juli 2004 nach Moskau reiste, stand der erfolgreiche Abschluss der Verhandlungen zwischen deutschen und russischen Erdgasunternehmen. Begleitet wurde Schröder von Managern der Unternehmen Eon/Ruhrgas, Wintershall, Siemens, Commerzbank, Deutsche Bank, Lufthansa, Daimler-Chrysler, Metro, Alfred Ritter, Hochland und Knauf. Das Treffen steht in einer Reihe politischer Bemühungen, die dazu dienen, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Russland zu verbessern.

Das deutsche Unternehmen Eon, das über seine Essener Tochter Ruhrgas schon jetzt mit 6,5 % am größten russischen Gasunternehmen Gazprom beteiligt ist und 31 % seines Gasbedarfs aus Russland bezieht, konnte ein milliardenschweres Kooperationsabkommen über den Ausbau der gemeinsamen Energiegewinnung abschließen. Die Verträge der Ruhrgas AG mit Gazprom laufen noch bis 2020. Vor allem im westsibirischen Tiefland erschließen beide Konzerne neue Gasvorkommen. Die Förderung des Erdgases wird von acht regionalen Vereinigungen organisiert, die drei wichtigsten befinden sich in dem Gebiet der autonomen Jamal-Nenzen-Region und im benachbarten Bezirk der Chanten und Mansen. Der Eon-Konzern, der sich auf seiner Homepage ausdrücklich zu Umweltschutz und Effizienz verpflichtet, wird damit direkt im Land der ethnischen Minderheit aktiv.

Während der Hannover Messe im April 2005 landete dann die BASF-Tochter Wintershall durch einen Vertrag mit Gazprom, der am 11. April unterzeichnet wurde, einen Coup im Geschäft mit der Erschließung des Gasfeldes Yushno Russkoje in Westsibirien. Erstmals ist nun ein deutsches Unternehmen bereits an der Erschließung eines russischen Gasfeldes beteiligt. Teil dieses Projektes ist eine Pipeline, die von St. Petersburg durch die Ostsee bis an die deutsche Ostseeküste führen wird. 2008 soll die Förderung beginnen und 2010 dann ihre volle Kapazität von 25 Mrd. m³ im Jahr erlangen. Das Vorkommen wird auf 700 Mrd. m³ veranschlagt, der Gesamtverbrauch Deutschlands für fünf Jahre.

Der Deal: Gazprom erhöht seinen Anteil an der gemeinsamen 1990 gegründeten deutschen Vertriebstochter Wingas von 35 auf 50 %, Wintershall erhält im Gegenzug 50 % Anteil am Gasfeld Yushno Russkoje und einen Anteil von 49 % an der Pipeline. Damit hat Wintershall Eon und die Eon-Tochter Ruhrgas im Gasgeschäft mit Russland überflügelt (Angaben nach FAZ, 12. April 2005).

Sibirische Energieexporte speisen wachsende Märkte in Asien

Die Nachfrage nach Erdöl und Erdgas steigt auch in Asien kontinuierlich. Russland kommt dabei seine geografische Lage zu Gute, es kann sowohl Europa als auch Asien aus den Vorkommen in Westsibirien bzw. Sachalin versorgen. Vor der Küste der Insel Sachalin lagern die größten noch unangetasteten Öl- und Gasvorkommen der Welt. Insgesamt sechs Erdöl- und Erdgasfelder werden dort erschlossen. Am Block Sachalin 1 sind mit jeweils 30 % der Anteile der Exxon - Mobil Konzern und die japanische Sadeco, mit jeweils 20 % die russische Gazprom (früher Rosneft) und die indische India´s Oil & Natural Gas Corp beteiligt. Erdgas soll von hier aus u.a. nach Korea und Japan exportiert werden.

An Sachalin 2 ist Royal Dutch/Shell mit einem Anteil von 55 % größter Eigner. Die japanischen Firmen Mitsubishi (20 %), Mitsui (25 %) und Shell gründeten 1998 die "Sakhalin Energy Investment Company" (SEIC). Dieses Konsortium schloss mit der Russischen Regierung eine Vereinbarung über die Gewinnbeteiligung ab ("Production Sharing Agreement"). Shell werden hierbei deutlich über das übliche Maß hinausgehende Gewinnanteile zugesprochen. Geldgeber des Projekts sind die US- amerikanische Private Übersee Investment Körperschaft (OPIC), die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) und die Japanische Bank für Internationale Kooperation (JBIC). Die EBRD hat allerdings im Juni 2005 ihren Sachalin-Kredit für Shell eingefroren – aufgrund von schweren Bedenken hinsichtlich des Schutzes von Umwelt und Gewässern. (The Observer, 19. Juni 2005)

Gegen diesen Projektabschnitt konzentrieren sich derzeit die Proteste der ansässigen indigenen Völker, die mit Straßenblockaden im Januar und Juni 2005 gegen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage protestierten und ihre Forderungen nach einer unabhängigen Umweltexpertise, einem Fonds zur Entwicklung alternativer Erwerbsmöglichkeiten sowie nach einer unabhängigen Arbeitsgruppe zur Überwachung der Umsetzung genannter Forderungen zu unterstreichen.

Forderungen:

• Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) fordert den UN-Sonderbeauftragten für indigene Völker Rodolfo Stavenhagen dringend auf, die Folgen der Erdöl- und Erdgasförderung für die Landrechte, Lebensweise, Gesundheit, das Sozialgefüge und das kulturelle Überleben der indigenen Völker im Norden und Osten Russlands und in Sibirien zu untersuchen.

• Die GfbV bittet die UN-Subcommmission on the Protection and Promotion of Human Rights, auf diejenigen Mitgliedsstaaten, die an der Förderung von Erdöl und Erdgas in Russland beteiligt sind, einzuwirken, damit sie die Unternehmen auf die Einhaltung der grundlegenden Menschenrechte der Ureinwohner und der elementarsten Grundregeln des Umweltschutz, wie sie in westlichen Industrienationen Standard sind, verpflichten.

• Die GfbV bittet die UN-Subcommmission on the Protection and Promotion of Human Rights ferner, auf die Regierung Russlands einzuwirken, die von ihr unterzeichneten Abkommen des internationalen Menschenrechts endlich durch Verabschiedung entsprechender Ausführungsbestimmungen in Kraft zu setzen.