29.06.2005

ROMA UND ASCHKALI IM KOSOVO: Verfolgt, vertrieben, vergiftet!

Ergebnisse einer Recherche vom Dezember 2004 bis Mai 2005

Göttingen
INHALT: Vorwort ++ Einleitung ++ Humanitäre Situation ++ Medizinische Versorgung ++ Sicherheitslage ++ Lage der Kinder ++ Arbeitsmarktlage ++ Wohnungssituation ++

Vorwort

Der wohl bedeutendste lebende deutsche Philosoph Ernst Tugendhat hat über die Situation der deutschen und europäischen Zigeuner noch 1979 gesagt:" Im Dritten Reich galten wir Juden als Untermenschen. Die Zigeuner werden noch heute als Zigeuner zwar nicht offen bezeichnet, aber empfunden und behandelt." Ernst Tugendhat, aus einer deutschen jüdischen Familie entstammend und in Brünn geboren, ist mit den meisten Angehörigen seiner Familie dem Holocaust entkommen. Er wusste also, wovon er sprach und was Sinti und Roma im Dritten Reich auszustehen hatten. Tugendhat war Vorstandsmitglied und ist einer der Schirmherren der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). Er hat deren Menschenrechtsarbeit für diese unterdrückte und noch immer vielfach diskriminierte Minderheit immer tatkräftig unterstützt.

Während der Antisemitismus von Regierungen bekämpft und von vielen Instituten analysiert wird, finden Menschenrechtverletzungen, begangen an Sinti und Roma, wenig Aufmerksamkeit, wird der Antiziganismus vielfach toleriert. In den meisten Staaten Ost- und Südosteuropas werden die Roma-Minderheiten rassisch verfolgt; sie gelten als Menschen zweiter Klasse, ihre Kinder werden vielfach in Sonderschulen abgeschoben.

Während Europa schwieg, als die bosnischen Muslime 1992 bis 1995 Opfer von Genozid und Vertreibung wurden, fand das Schicksal der bosnischen Roma, die vielfach das Leiden der Bosniaken teilten, nicht einmal die Aufmerksamkeit der meisten westlichen Medien. Dabei wurden sie in den eingeschlossenen Städten ebenso wie die Muslime bombardiert oder erschossen, wurden in Konzentrations- und Vergewaltigungslagern gefoltert, missbraucht oder ermordet.

1998-1999 als die Armee Serbiens über eine Million Kosovo-Albaner zu Flüchtlingen und Vertriebenen machte, intervenierte die internationale Gemeinschaft militärisch und setzte deren Rückkehr in die Heimatorte durch. Gleich nach dem Einmarsch westlicher Truppen wandten sich große Teile der albanischen Bevölkerung gegen die Minderheiten der Roma und Aschkali. Sie verbrannten und zerstörten 14 000 von 19 000 ihrer Häuser und 75 ihrer Dörfer und Siedlungen ganz. Angehörige der Roma und Aschkali wurden bedroht, beleidigt, misshandelt, gefoltert, vergewaltigt, entführt und ermordet. Es erfolgte kein internationaler Aufschrei. Die Länder des Westens nahmen hin, dass etwa 80 % der einst 150 000 Angehörige zählenden Minderheiten aus dem Land gejagt wurden.

Die Häuser, Dörfer und Städte der Albaner wurden mit westlichen Spenden wieder aufgebaut. Die verbliebenen Roma und Aschkali, die zu Flüchtlinge im eigenen Land geworden waren, zwang man in Flüchtlingslager. Dort und in ihren zu Ghettos gewordenen Restdörfern leben sie verelendet, ohne Beschäftigung, meist ohne medizinische und humanitäre Versorgung, isoliert und ohne Möglichkeit, sich frei zu bewegen. Die Menschen in den Flüchtlingslagern wurden immer wieder von rassistischen Albanern bedroht. Die KFOR-Soldaten sahen allzu oft diesen Übergriffen zu, ohne zu intervenieren. Hunderte dieser Schutzlosen flüchteten in einem Konvoi nach Mazedonien.

Die UN, deren Zivilverwaltung UNMIK, der UNHCR, die EU, auch die NATO haben all das zugelassen, sehen weiter zu, wie zwei schrumpfende "farbige" Volksgruppen tagtäglich weiter wie Untermenschen behandelt werden. Selbst die jahrelange Ansiedlung von drei Flüchtlingslagern für Roma und Aschkali auf schwer bleiverseuchtem Boden führt weder zu einem Aufschrei in den Medien Europas, noch zu einem Handeln der genannten internationalen Institutionen. Wir wissen nicht, wie viele der bisherigen Todesfälle auf die Bleiverseuchung zurückgehen. Wir müssen aber davon ausgehen, dass sie in vielen Fällen Todesursache war oder das Sterben von Menschen beschleunigt hat.

Von den 150.000 einst im Kosovo vor Beginn der Verfolgung durch das serbische Regime (1990 bis 1999) und durch albanische Extremisten (seit 1999 bis heute) ansässigen Roma und Aschkali, sind 34.431 Kinder, Frauen und Männer als Flüchtlinge und Vertriebene nach Deutschland gelangt: 24.351 Roma, 8197 Aschkali, 1.138 Ägypter. Letztere sind eine Gruppe der Roma und Aschakli aus dem Kosovo, die glaubt, dass ihre Vorfahren aus Ägypten vertrieben worden seien – in historischer Zeit.

Alle diese Menschen leben nun seit mindestens sechs, viele von ihnen schon seit zehn oder fünfzehn Jahren in Deutschland. Die meisten ihrer Kinder sind schon hier geboren und sprechen inzwischen Deutsch als erste Sprache. Oft beherrschen sie die Sprache ihrer Eltern nicht einmal. In Deutschland werden sie von den Behörden als Menschen zweiter Klasse behandelt. Nur wenige erhielten eine Aufenthaltsgenehmigung und konnten ungehindert Arbeit aufnehmen. Die meisten erhalten nur kurzfristige Duldungen, oft sogar nur von Woche zu Woche. Die Jugendlichen erhalten so keinen Ausbildungsplatz, die Erwachsenen keine Arbeit. Eine Lebensplanung ist nicht möglich. Die Menschen sind mit ständiger Ausweisung bedroht.

Abschiebungen werden in den Kosovo zu Deportationen, weil für die Ausgewiesenen Gefahr für Leib und Leben droht. Ihre Häuser und Dörfer sind zerstört oder von Albanern besetzt. Oft können sie nicht einmal den Flughafen verlassen, weil Menschen mit dunkler Hautfarbe, weil Roma und Aschkalis rassistische Gewalt droht, jeder Zeit und überall. Tauchen sie in einem der Ghettos unter oder in den ganz wenigen Stadtteilen ihrer Landsleute, werden sie keine Arbeit finden, ist ihre Freizügigkeit beschränkt, werden sie keine Hilfe für den Wiederaufbau ihrer Häuser erhalten, werden Hilfsorganisationen ihnen in der Regel keine Hilfe zum Überleben vermitteln, werden ihre Kinder in den Schulen meist nicht willkommen sein, werden sie medizinische Betreuung sich nicht leisten können oder sie wird ihnen verweigert werden.

Deutschland ist den Opfern des Holocaust, ist Juden und Roma gleichermaßen verpflichtet. Die Lage der im Kosovo verbliebenen Roma und Aschkali ähnelt in vielem der Situation der im Dritten Reich verfemten und verfolgten Minderheiten, vor Kriegsbeginn. Wenn Innenminister und Ausländerbehörden eine derart existentiell bedrohte ethnische Minderheit deportieren, begehen sie eigentlich ein Verbrechen, gemeinsam mit dem UNHCR, der internationalen Kosovoverwaltung UNMIK und der so genannten Internationalen Gemeinschaft, die alle die tägliche unerträgliche Verfolgung dieser Menschen tolerieren.

Tilman Zülch

 

Paul Polansky:

Ergebnisse einer Recherche

vom Dezember 2004 bis Mai 2005

EINLEITUNG

Seit 1999 recherchieren der US-amerikanische Journalist und Menschenrechtler Paul Polansky und sein Team im Auftrag der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) die Menschenrechtslage der Roma-Minderheiten (Roma, Aschkali, "Ägypter") im Kosovo. In mehreren detaillierten Reporten wurden die erbärmlichen Bedingungen, unter denen die meisten noch im Kosovo verbliebenen Roma, Aschkali und "Ägypter" leben müssen, seitdem dokumentiert.

Die vorliegende Stellungnahme enthält die neusten Erkenntnisse des GfbV-Teams im Kosovo aus dem Zeitraum Dezember 2004 bis Mai 2005 und ist damit eine Aktualisierung des Berichtes vom 1. Januar bis 31. Oktober 2004".

Nach dem Ende des Krieges im Kosovo 1999 wurden 130 000 der ursprünglich 150 000 Roma, Aschkali und "Ägypter" aus ihren Häusern vertrieben. Zurückkehrende Albaner zerstörten 14 000 ihrer 19 000 Häuser und machten 75 von den Minderheiten bewohnte Stadtteile und Dörfer dem Erdboden gleich. Ein Resultat dieser Katastrophe war, dass die überwältigende Mehrheit der Roma, Aschkali und "Ägypter" aus dem Kosovo flohen.

Nur etwas mehr als 200 der 14 000 zerstörten Häuser wurden inzwischen wiederaufgebaut. Für die Binnenflüchtlinge (Internally Displaced Person), die das Kosovo nicht verlassen hatten, mussten deshalb Flüchtlingslager (IDP-Camps) errichtet werden. Noch heute, sechs Jahre nach dem Kosovo-Krieg, leben 744 Roma und Aschkali in vier Flüchtlingslagern in Cesmin Lug, Kablare (Nord-Mitrovica), Zitkovac (Zvecani) und Leposavic. Dort sind sie seit Jahren Vergiftungen durch Blei ausgesetzt, denn die Lager wurden 1999 auf Schutthalden mit verseuchtem Minenabraum errichtet. Rund 60 Roma-Kinder wurden seitdem in den drei Flüchtlingslagern Cesmin Lug, Kablare und Zitkovac geboren. Sie alle leiden unter Symptomen der Bleivergiftung. (Siehe dazu "Memorandum of the Society for Threatened Peoples; Lead Poisoning of Roma in IDP Camps in Kosovo", Anhang, Seite 5)

Die GfbV hat 1999 bereits zum ersten Mal vor den Gesundheitsrisiken für die Flüchtlinge gewarnt. Später schlugen wir mehrfach in persönlichen Gesprächen und Schreiben an die Verantwortlichen bei der UN-Mission im Kosovo (UNMIK) Alarm und forderten die Evakuierung der Flüchtlinge.

Außerhalb der Flüchtlingslager leben nach Einschätzung des Leiters des GfbV-Teams im Kosovo heute noch etwa 16 000 Aschkali und Ägypter (von 80 000 vor dem Krieg) in albanischen Gemeinden in größeren Städten und etwa 8 000 Roma (von 40 000 vor dem Krieg) in serbischen Gemeinden und den albanischen Städten Ferizaj/Urosevac, Gjakova/Djakovica, Peja/Pec und Kamenica.

Die monatlichen Berichte des GfbV-Teams für den Zeitraum Dezember 2004 bis Mai 2005 zeigen, dass sich während des langen und harten kosovarischen Winters die Situation der Minderheiten entgegen den Angaben von UNMIK keineswegs verbessert hat. Von einer Stabilisierung der Sicherheitslage kann keine Rede sein. Die Bewegungsfreiheit der Minderheitenangehörigen bleibt nach wie vor eingeschränkt. Sie bleiben auf den Schutz von KFOR-Soldaten und Polizisten angewiesen. Die humanitäre Lage der Minderheiten der Roma und Aschkali ist katastrophal. Es herrscht Mangel an allem. Es fehlt an Grundnahrungsmitteln, Heizmaterial, Kleidung und Schuhen. Ihre medizinische Versorgung ist nach wie vor unzureichend. Wirtschaftliches und soziales Elend, hohe Arbeitslosigkeit, Streitigkeiten zwischen der mehrheitlichen albanischen Bevölkerung und der zahlenmäßig größten Minderheitengruppe, den Serben, verunsichern Roma, Aschkali und Ägypter zusätzlich.

Die Angaben des GfbV-Teams zeigen deutlich, dass die Aussichten für eine schnelle und deutliche Verbesserung der Lage der Roma, Aschkali und "Ägypter" mittelfristig düster sind. Laut Einschätzung unseres Teamleiters können sie kein normales Leben im Kosovo führen. Sie haben dort keine Zukunftsperspektive. In den zurückliegenden vier Monaten hat die GfbV intensiv die Presse, internationale Behörden im Kosovo und die Öffentlichkeit über die allgemeine Notlage der Roma - Minderheit und insbesondere die Situation in den Flüchtlingslagern im Kosovo informiert: durch Presseerklärungen , Hintergrundinformationen für Presse, Radio und Fernsehen , ein Memorandum und offene Briefe . Auch auf die Behörden wurde Druck ausgeübt, aktiv zu werden. Vor kurzem veröffentlichte die britische Tageszeitung International Herald Tribune einen Bericht unseres Teamleiters Paul Polansky. Die lokalen Behörden und die internationale Öffentlichkeit müssen aber weiter alarmiert und mobilisiert werden, damit sie die zum Minderheitenschutz im Kosovo notwendigen Maßnahmen ergreifen und dadurch die Bewegungsfreiheit und das Vertrauen in den Sicherheitsapparat und das Justizwesen wieder herstellen. Es sind unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um eine humanitäre Katastrophe für die Flüchtlinge im Kosovo abzuwenden. Eine sofortige Evakuierung der 550 Binnenvertriebenen Roma, Aschkali und "Ägypter" aus den Flüchtlingslagern Cesmin Lug, Kablare und Zitkovac muss dabei Priorität haben.

HUMANITÄRE SITUATION

Die humanitäre Situation der Roma, Aschkali und "Ägypter" hat sich in den letzten Monaten durch den ungewöhnlich harten Winter weiter verschlechtert. Die Roma, Aschkali und "Ägypter" in den Lagern für Binnenflüchtlinge (IDP Camps) erleben die bislang schwerste humanitäre Krise in der Region. Ihnen fehlen Öl und Mehl und überhaupt sämtliche Grundnahrungsmittel. Frauen und Kinder suchen häufig auf Müllhalden nach Essbarem. In den Lagern für Binnenflüchtlinge herrscht außerdem Mangel an Öfen und Brennholz.

Zurzeit werden Roma nur von dem GfbV-Team, der Kosovo-Stiftung für Roma-Flüchtlinge (KRRF) sowie den Organisationen Balkan Sunflowers und "Voice of Roma" regelmäßig unterstützt. Einige wenige weitere Organisationen versorgen unregelmäßig und meistens nur an Feiertagen mit begrenzten und eher symbolischen Lieferungen hungernde Roma - Gemeinschaften. Der "Danish Refugee Council" ist im Mai 2005 beauftragt worden, ein Projekt zur Bekämpfung der Bleivergiftung in drei Flüchtlingslagern Cesmin Lug, Kablare und Zitkovac zu beaufsichtigen. Dafür wurden von der UNMIK 150 000 Euro zur Verfügung gestellt. Auch aus Serbien kommen einige Hilfsorganisationen, die aber ineffektiv und offensichtlich überfordert sind. Das GfbV-Team hat zum Beispiel oft feststellen müssen, dass das Haltbarkeitsdatum der aus Serbien gespendeten Konservendosen bereits abgelaufen war.

Die Stromversorgung ist ein weiteres großes Problem. Unter der neuen albanischen Verwaltung wurde in den Enklaven, die von Serben und Roma bewohnt sind, der Strom abgeschaltet. Roma betrachten dies als Versuch, die verbliebenen Angehörigen ihrer Minderheit aus dem Kosovo zu vertreiben. Für die Roma, Aschkali und "Ägypter" war der strenge Winter in ihren Baracken ohne Strom und damit ohne Heizung lebensbedrohlich.

Frauen leiden am meisten unter den Härten des Alltagslebens der Roma im Kosovo. Um ihre Familie und vor allem die Kinder vor Hunger zu bewahren, suchen sich viele von ihnen Essensreste aus dem Abfall. Ohne Seife, Shampoo, Reinigungsmittel und sanitäre Einrichtungen können sie ebenso wenig Läuse, Ringelflechte, Hautinfektionen und viele andere Gesundheitsprobleme bekämpfen.

BEISPIELE AUS DEN GEMEINDEN:

- Ajnur Tahiri, 37, aus dem Flüchtlingslager Plementina, drückt die Notlage seiner Familie und der meisten Roma Familien in den Flüchtlingslagern folgendermaßen aus: "Jetzt lebe ich in einem Raum von 20 Quadratmetern mit meiner Frau und sechs Kindern. Wir erhalten keinerlei Hilfe. Es ist wirklich schwierig, in diesem Winter zu überleben. Es ist kalt und wir haben kein Holz für Feuer. Ich habe meine Arbeit nach dem Krieg verloren. Das Einkommen meiner Familie besteht derzeit aus Sozialhilfe von 50 Euro pro Monat. Was kann ich mit 50 Euro in einem Monat machen? Es reicht nicht einmal für die Ernährung. Am Anfang war das Leben gut in diesem Flüchtlingslager. Wir erhielten genug Nahrungsmittel und Milch für die Kinder. Jeden Monat bekamen wir einen Kubikmeter Feuerholz; das war sogar genug für zwei Monate." (Dezember 2004)

- Fatmir Jakupi, 58, aus demselben Flüchtlingslager wie Ajnur Tahiri, bekräftigt den Bedarf an Öfen und Feuerholz: "Die lokale Verwaltung von Plementina gab uns einige Öfen, aber die reichten nur für die ärmsten Familien. Allerdings braucht jeder einen Ofen. Alle bekamen Feuerholz, aber nur zwei Kubikmeter pro Familie. Manche verkauften das Holz und kauften einen alten Ofen. Heute verbrennen sie alte Schuhe." (Dezember 2004)

- Osman Kurteshi und Ljatif Kurteshi, beide 51 Jahre alt, berichten von ihrer entmutigenden Erfahrung mit Hilfsorganisationen (NGOs): "Es gab viele Organisationen, die versprachen, dass sie uns nicht vergessen werden; sie nahmen allerdings nur Informationen von uns und kamen nie wieder." "Ich sprach mit einigen Organisationen, die in das Lager kamen. Ich bat sie, mir so schnell wie möglich Hilfe zu bringen, weil ich Essen brauchte. Sie sagten, dass sie Hilfe senden werden. Nach ein paar Wochen kamen sie wieder, brachten jedoch keine Hilfe mit; sie sprachen noch nicht einmal mit mir. Ich weiß nicht, die NGOs helfen uns nicht. Manchmal frage ich mich selbst: Sind wir Roma unsichtbar? Organisationen ziehen an uns vorbei, grüßen noch nicht einmal." (Dezember 2004)

MEDIZINISCHE VERSORGUNG

Roma, Aschkali und "Ägypter" erhalten vollkommen unzureichende medizinische Versorgung. Hygiene bedingte Erkrankungen wie Läuse, Ringelflechte und andere Hautinfektionen sind in den Lagern für Binnenflüchtlinge weit verbreitet. Trotzdem wurden Spenden an Seife oder Shampoo limitiert, weil solche Produkte Selbstmordversuche von Flüchtlingen, die an einem posttraumatischen Stresssyndrom leiden, unterstützen können. Auch das GfbV-Team berichtete von einigen Selbstmordversuchen mit Läuseshampoo in den letzten Monaten.

Allen Roma, Aschkali und "Ägyptern" aus den Lagern für Binnenflüchtlinge wie aus den Enklaven fehlt es an Geld, um die Fahrtkosten zu Krankenhäusern in der Umgebung oder gar in Belgrad, die Medikamente oder Arztgebühren zu bezahlen. Albanische Ärzte fordern für die Behandlung von Aschkali und Ägyptern ein Honorar. Da sich jedoch die meisten Aschkali und Ägypter weder einen Arzt noch Medizin leisten können, werden sie kaum behandelt. Serbische Ärzte bieten Roma eine freie Behandlung unter dem freien serbischen medizinischen System an. Sie behandeln sie häufig jedoch widerwillig. Das GfbV-Team berichtete vor kurzem, dass serbische Ärzte sich geweigert hätten, schwer kranke Roma im Krankenhaus zu behandeln. Man sagte ihnen, dass sie nur eine Grippe hätten, und schickte sie nach Hause. Die meisten Minderheitenangehörigen bleiben somit ohne jede medizinische Behandlung.

Am schwerwiegendsten für die Roma, Aschkali und Ägypter ist das bereits erwähnte Problem der Bleivergiftung. Der UNHCR und seine ausführenden Partner, der ACT (Action by Churches Working Together), ignorierten 1999 die Warnungen von Gesundheitsexperten und errichteten die Lager für Binnenflüchtlinge auf verseuchtem Gelände. Die Lager werden von Abraumhalden einer stillgelegten Mine eingerahmt, die toxische Dämpfe abgeben, welche sich konstant über dem Gelände und den Menschen ausbreiten. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO ist es wegen der Nähe zu der alten Bergbaumine auf 88 % des Geländes für Menschen gefährlich zu leben, denn der Grenzwert an Blei im Boden wird um das Vier- bis Siebenfache überschritten. Die 744 Roma, Aschkali und "Ägypter", die in den Lagern Cesmin Lug, Zitkovac und Kablare leben, nehmen daher unweigerlich enorme Mengen an Blei in sich auf, entweder über die Atemwege oder mit der Nahrung. Da auch die ungeborenen Kinder über die Plazenta mit Blei belastet werden, kommt es zu Fehlgeburten. Schädigung des Gehirns und der Nieren sowie der Spermaproduktion sind weitere Folgen.

Im Februar 2005 haben die Vertreter des European Roma Right Center (ERRC) und des Humanitarian Law Center (HLC) in Pristina einen Anwalt beauftragt, Beschwerde vor Gericht gegen UNMIK (United Nations Mission in Kosovo) und den UNHCR einzureichen. Doch beide Institutionen sind pessimistisch in Bezug auf den Ausgang des Prozesses, da das UN- Personal Immunität genießt.

In den vergangenen vier Monaten (Februar bis Mai 2005) haben wir mehrfach die Öffentlichkeit, Presse und die Behörden über diese Zustände informiert. Zeitungsberichte weckten das Bewusstsein der Weltöffentlichkeit. Lokale und internationale Institutionen nahmen das Thema in ihren Agenden auf. Im März 2005 wurde eine Arbeitsgruppe u.a. aus der UNMIK, dem UNHCR, der OSCE und dem Gesundheitsministerium des Kosovo gebildet, um den akuten Bedarf der Gemeinden an humanitärer Hilfe und der Grundversorgung zu decken und auf eine längerfristige Lösung des Problems der Bleivergiftung hinzuarbeiten.

UNHCR und UNMIK sprachen sich gegen eine Umsiedlung der Roma und Aschkali aus, weil es noch keine dauerhafte Lösung der Wohnungsfrage gebe und es an Geldmitteln für die Umsiedlungen fehle. Die Optionen der Evakuierung der Binnenflüchtlinge in ein anderes Land, ihrer Umsiedlung nach Serbien oder an einen Ort innerhalb des Kosovo aber außerhalb ihrer Heimat in Süd-Mitrovica wurden von Sören Jessen-Petersen, Leiter der UN-Mission im Kosovo, verworfen. Er bevorzugte den Wiederaufbau der Häuser der Roma und Aschkali in Süd-Mitrovica, was aber die albanischen Stadtverwaltungen ablehnten.

Im April 2005 stellte Sören Jessen-Petersen ein Budget von 150 000 Euro zur Bekämpfung der Bleivergiftungen zur Verfügung. Damit werden folgende Maßnahmen finanziert: Aufbau eines Gesundheitsmanagements und eines Teams für die Bekämpfung der Vergiftungen mit Schwermetallen; Behandlung im Krankenhaus für diejenigen, die am schwersten erkrankt sind; vorübergehende Unterkunft und medizinische Nachsorge für diejenigen, die wegen einer Bleivergiftung behandelt wurden; Sammeln von Blutproben und deren Untersuchung in den Flüchtlingslagern; Notfallmaßnahmen (Magermilch für Kinder, Läusesprays und Rattenbekämpfung); Kauf von Geräten zur Untersuchung von Bodenproben. Ferner hat die WHO 400 000 Euro für ein Projekt gefordert, das den toxischen Abraum, auf dem die Flüchtlingslager gebaut sind, umpflügen soll. Die Minderheitenberaterin der UNMIK, Laurie Wiseberg, initiierte eine Geldgeberkonferenz für den Aufbau der Roma-Mahala (Fabricka) in Süd-Mitrovica. Am 7. Juni 2005 gab sie bekannt, dass sich mehrere Länder (u.a. die USA, die Niederlande, Schweden, Deutschland) bereit erklärt haben, sich an dem Wiederaufbauprojekt der Roma-Mahala in Süd-Mitrovica zu beteiligen.

Ein Repräsentant des Internationalen Roten Kreuzes (ICRC) stellte fest, dass einige Organisationen zwar mit Gesundheitsfragen wie Läusen und Ringelflechte befasst sind, aber nicht mit dem Problem der Bleivergiftung, weil es ein politisches Thema sei. So lange aber die Flüchtlingslager nicht evakuiert werden, sind die Lagerbewohner weiter den toxischen Dämpfen und vergifteten Böden ausgesetzt, und alle Vorsichtsmaßnahmen und jede Behandlungen der erkrankten Roma und Aschkali werden vergebens sein. (Bericht Februar 2005)

BEISPIELE AUS DEN GEMEINDEN:

- Mirsada N., eine 28-jährige Mutter, die von der GfbV interviewt wurde, lebte zwei Monate in den Parks und Straßen Belgrads mit mehreren Kindern. Während eines ihrer Kinder dort im Krankenhaus lag, brachte sie ihr jüngstes Kind in einem Park in der Nähe des Krankenhauses zur Welt. Als sie beschloss, mit ihrer Familie in den Kosovo in das Flüchtlingslager Zitkovac zurückzukehren, musste sie ihre Kinder betteln schicken, um für das Busticket zahlen zu können.

-Vebi Selimi, 25 Jahre alter Rom aus dem Flüchtlingslager Kablare, starb in einem Krankenhaus in Belgrad im März 2005. Zehn Tage vor seinem Tod hatte er den Abflussgraben vor seiner Baracke gereinigt, der voll mit Schlacke war. Das Wasser war rot von dem vergifteten Boden. Vebi kam mehrere Tage bei der Arbeit mit dem Wasser in Berührung und brach dann zusammen. Seine Familie sagte, dass er Probleme mit dem Atmen gehabt habe; sie waren sich sicher, dass es von dem vergifteten Wasser kam. Er wurde in dem Krankenhaus in Mitrovica behandelt, dann nach Belgrad überwiesen. Er hinterlässt eine Frau und vier kleine Kinder. Seine Frau ist im sechsten Monat schwanger und droht mit Suizid. (März 2005)

- Die Geschichte von Djenita und Nikolina Memheti zeigt das Ausmaß der durch Bleivergiftung verursachten Tragödie in den Flüchtlingslagern im Kosovo besonders deutlich. Im Juli 2004 starb die vierjährige Djenita Mehmeti im Flüchtlingslager Zitkovac, nachdem sie in Serbien wegen einer Bleivergiftung behandelt worden war. Kurz danach wurde ihre jüngere Schwester Nikolina mit Krämpfen in das Krankenhaus in Mitrovica eingeliefert; dabei zeigte sie dieselben Symptome wie ihre Schwester. In demselben Monat nahm die WHO nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Blutproben in den Flüchtlingslagern und stellte bei allen untersuchten Kindern so hohe Bleiwerte fest, dass die Skala des Messgerätes nicht mehr ausreichte, um sie anzuzeigen. Die WHO entnahm auch Bodenproben mit dem Ergebnis, dass der zulässige Grenzwert um das vier- bis siebenfache überschritten wurde. Diese Bedingungen sind für ihre Bewohner und besonders für die Kinder lebensgefährlich.

Obgleich das Krankenhaus in Mitrovica die sofortige Überweisung von Nikolina zur Behandlung nach Belgrad befürwortete, ließ die lokale Gesundheitsbehörde einige Zeit verstreichen, bevor sie eine schriftliche Anfrage an den UNMIK - Gesundheitsbeauftragten Sergey Schevchenko richtete. Auch dieser kümmerte sich lange nicht darum, so dass erst das GfbV-Team sie und ihre Mutter nach Belgrad und dort heimlich in das Institut za zdravstvenu zastitu majke i deteta Dr. Vukan Cubic" brachte. Der Bluttest bestätigte, dass Nikolina dringend eine Behandlung gegen Bleivergiftung benötigte. Nikolina wurde mit gespendeten Medikamenten behandelt. Danach fuhr das GfbV-Team sie mit ihrer Mutter zu ihrem Onkel nach Priluzje im Kosovo zurück, wo das Rote Kreuz einen kleinen Raum für die beiden mietete, weit entfernt von dem verseuchten Gelände. (März 2005)

- Im April brachte das GfbV-Team erneut sieben Kinder, die einen Bleigehalt von über 65 mg/dl im Blut hatten, in das Belgrader Institut za zastitu majke i deteta. Die Kinder wurden dort erneut getestet. Nach drei Tagen gab eine Ärztin, die nicht namentlich erwähnt werden will, an, dass der höchste Wert "nur" bei 38 mg/dl liege und dass die Kinder deshalb keine Behandlung bräuchten. Der Leiter des GfbV-Teams führte mehrere Gespräche mit Ärzten des Hospitals in Belgrad, des Hospitals in Mitrovica, das die Kinder nach Belgrad überwiesen hatte, mit dem ICRC und der WHO. Schließlich musste er dennoch die Kinder unbehandelt zurück bringen. (April 2005)

Um die Behandlung von Kindern mit Bleivergiftung zu unterstützen, hat die GfbV den Transfer der notwendigen Medikamente für 12 Kinder von Paris nach Belgrad organisiert, die durch Spenden erworben wurden. In den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens oder im benachbarten Ausland sind sie nicht erhältlich.

Während ihres Aufenthalts in dem Institut za zastitu majke i deteta in Belgrad wurden die Mütter der kranken Kinder diskriminiert. So musste Nikolinas Mutter auf einem Stuhl in dem Zimmer ihrer Tochter schlafen, nachdem ihr ein Bett, wie es die meisten anderen Mütter erhielten, verweigert worden war. Obwohl das GfbV-Team mit dem Krankenhaus abgesprochen hatte, dass sie Mahlzeiten erhalten sollten, wurden die Mütter von den Krankenschwestern nie informiert, wann und wo das Essen ausgegeben wurde. Die beiden Mütter, die die sieben Kinder begleitet hatten, bekamen noch nicht einmal einen Stuhl. Sie wurden ständig von den Krankenschwestern belästigt und aufgefordert zu gehen, da ihre Kinder keine Behandlung bräuchten. (März und April 2005)

In einem anderen Fall, über den das GfbV-Team berichtete, wurde eine schwer kranke, schwangere 24jährige Roma-Frau (Suzana Gidzic, Spitzname Suzi) von dem Krankenhaus in Mitrovica in ein Krankenhaus nach Belgrad überwiesen. Dort Belgrad zerbrach sie Patientin unabsichtlich ein Glasinstrument. Der Arzt erlaubte ihrem Vater nicht, seine Tochter zu besuchen, bevor er nicht das Instrument ersetzt hätte und klärte ihn nicht darüber auf, dass seine Tochter im Sterben lag. Ihm wurde nur gesagt, dass sie Fieber habe. Am nächsten Morgen starben Suzi und ihr Baby. (März 2005)

SICHERHEITSLAGE

Entgegen den Behauptungen der UN - Ziviliverwaltung (UNMIK) im Kosovo, die Lage in dieser Provinz habe sich nach den Märzunruhen von 2004 verbessert, ist nach Erkenntnissen unserer Menschenrechtsorganisation die Sicherheitslage nach wie vor besorgniserregend. Schwelende interethnische Spannungen können über Nacht in blutige Auseinandersetzungen eskalieren. Den Institutionen der UNMIK ist es bis heute nicht gelungen, die wichtigsten Standards zu verwirklichen, deren Erfüllung die UN zur Voraussetzung für eine Änderung des Status des Kosovo im Jahr 2005 gemacht hat. Die Rückkehr der serbischen Flüchtlinge sowie der Minderheitenangehörigen (Roma, Aschkali und Ägypter) ist nicht durchgesetzt worden. Die Märzunruhen haben sämtliche Projekte der Rückkehr zum Stillstand gebracht. Tausende Flüchtlinge leben seit Jahren in katastrophalen Verhältnissen in den Nachbarländern Serbien, Montenegro, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina. Die politische Atmosphäre der vergangenen Monate verschlechtert die Situation der im Kosovo verblieben Roma, Aschkali und Ägypter immer mehr.

Einem Positionspapier des UNHCR von März 2005 zufolge "hat sich die allgemeine Sicherheitslage seit den inter-ethnischen Gewaltausbrüchen von März 2004 gemessen am Rückgang von gegen Minderheiten begangenen schwerwiegenden Verbrechen zwar verbessert, bleibt jedoch sehr komplex. Bestimmte ethnische Minderheiten sind besonders gefährdet, Opfer von Körperverletzung, Einschüchterung, Schikane oder Raub zu werden". Roma, Aschkali und "Ägypter" gehören zu diesen Minderheiten, die noch immer stark gefährdet sind.

Im Zuge ihrer Unabhängigkeitskampagne schikanieren extremistische Kosovo-Albaner die Minderheiten, um Roma, Aschkali und "Ägypter" aus dem Kosovo zu vertreiben. Nach den Erkenntnissen der GfbV haben die meisten Roma-Familien nach den Angriffen von März 2004 ihre Koffer gar nicht erst wieder ausgepackt; schon der bloße Gedanke an Unabhängigkeit versetzt sie in Angst und Schrecken, denn sie befürchten, in einem unabhängigen Kosovo, der Verfolgung der albanischen Extremisten schutzlos ausgeliefert zu sein.

Die Auslieferung des Premierministers des Kosovo Ramush Haradinaj an das Haager Tribunal im März 2005 hat ebenfalls große Ängste unter den Minderheiten ausgelöst. Das GfbV-Team wagt die Vorhersage, dass jede Form von Gewalt einen Massenexodus aus dem Kosovo nach Serbien auslösen wird.

Parallel zu der Verschlechterung der politischen Lage im Kosovo ist auch die Bewegungsfreiheit der Roma, Aschkali und "Ägypter" stark eingeschränkt. Zwar ist es seit der Zeit zwischen dem 17. und 19. März 2004 nicht mehr zu größeren Übergriffen gegen die Roma und Aschkali gekommen, aber aus Angst vor Schikanen der Kosovo-Polizei ( KPS) wagen sie es nicht mehr, auf Land- und Fernstraßen zu reisen. Die Polizei hält jeden Fahrer mit dunkler Hautfarbe an, und wenn an den Personalpapieren erkennbar ist, dass er aus einer serbischen Gemeinde stammt, wird er entweder gezwungen, als Schikane stundenlang am Straßenrand zu parken oder man behauptet, der Führerschein wäre möglicherweise eine Fälschung. In so einem Fall werden Führerschein und Fahrzeug beschlagnahmt. Beides erhalten die Besitzer zwar regelmäßig durch ein Gericht zurück mit der Bemerkung, es habe sich um einen Irrtum gehandelt, aber solche Schikanen halten die Roma von den Straßen fern. Paul Polansky machte auch selbst Erfahrung mit Polizeischikanen an der Fernstraße. Er war vor kurzem in dem Kleinbus des Projekts unterwegs, sein Roma-Mitarbeiter Dzafer (Jacky)Buzoli saß hinter dem Steuer. Sobald der Polizist festgestellt hatte, dass Jacky zu den serbischen Roma gehört, versuchte er, ihm ein angebliches Verkehrsvergehen anzulasten und ihn stundenlang grundlos am Straßenrand warten zu lassen. Erst als Polansky seinen amerikanischen Ausweis zeigte, konnten die beiden ihre Fahrt fortsetzen. (Dezember 2004)

Es gibt vereinzelt auch Fälle, bei denen dunkelhäutige Menschen, wenn sie nachts eine Fernstraße überqueren oder daran entlanglaufen, aus vorbeifahrenden Autos beschossen werden. Dies wird insbesondere von der Fernstraße zwischen Prishtine/Pristina und Lipjan/Lipljan berichtet. Noch hat es dabei keine Todesfälle gegeben, aber die Roma haben Angst, irgendjemandem mit Ausnahme des GfbV-Teams über solche Vorfälle zu berichten. Manche Roma, die nur wenige Kilometer außerhalb von Prishtine/Pristina leben, haben auch Angst davor, zum Einkaufen in die Stadt zu gehen. Roma, deren Häuser in Prishtine /Pristina wieder aufgebaut wurden, halten sich manchmal nur am Tag dort auf und gehen zum Schlafen wieder nach Gracanica, wo sie seit 1999 als Binnenvertriebene (IDPs) leben.

LAGE DER KINDER

Gefährdet ist auch die Ausbildung der Kinder der Roma, Aschkali und "Ägypter". Die Kosten für Schulbücher, geeignete Schuhe und Kleidung verhindern den Schulbesuch insbesondere der weiterführenden Schulen. Außerdem müssen die Kinder zum Familieneinkommen beitragen und werden daher zum Betteln geschickt anstatt zur Schule. Nach den Märzausschreitungen in Vushtrri/Vucitrn 2004 haben viele Eltern auch Angst, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Heute gehen nach Einschätzung von Polansky nur noch 20 % der Roma-Kinder zur Schule. Die meisten Roma-Mädchen verlassen die Schule ohnehin bereits mit 11 Jahren, damit die Mütter sie auf ihr Leben als Haus- und Ehefrau vorbereiten können. Die Mädchen werden oft schon mit 13 oder 14 Jahren verheiratet (vor dem Krieg lag das Durchschnittsalter noch bei 16 oder 17), denn auch ihre Heirat erhöht (durch einen Brautpreis, der an die Familie des Mädchens ausgezahlt wird) das Einkommen der Familie.

ARBEITSMARKTLAGE

Zuverlässige Statistiken zur Arbeitslosigkeit unter Roma, Aschkali und "Ägyptern" im Kosovo gibt es noch immer nicht. Doch ist bekannt, dass fast alle Roma, Aschkali und "Ägypter" ohne Einkommen sind.

Ursache dieser erschreckenden Arbeitslosenquote ist die stark eingeschränkte Bewegungsfreiheit. Denn sie hindert Roma, Aschkali und "Ägypter" daran, zu ihren alten Arbeitsstellen zurück zu kehren oder sich neue Arbeit zu suchen. In ihren Dörfern und Wohnvierteln gibt es nicht genug Arbeitsstellen. Viele Roma verdienten früher ihren Lebensunterhalt, indem sie auf Märkten in vielen Städten Kosovos ihre Waren, landwirtschaftliche Erzeugnisse usw. verkauften. Aber heute sind die meisten dieser Märkte geschlossen. Roma, Aschkali und "Ägypter" finden auch bei internationalen Organisationen keine Arbeit, denn diese sind zumeist in Prishtine/Pristina ansässig, wohin die Minderheiten sich nicht trauen. Außerdem konnte das GfbV-Team bereits in seinen frühren Berichten belegen, dass die Angehörigen der Roma-Minderheiten bei der Suche nach Arbeitsplätzen von internationalen Organisationen und Hilfswerken diskriminiert werden. Albanische Mitarbeiter, die bei diesen Organisationen oft leitende Positionen innehaben, lehnen es strikt ab, mit Roma zusammenzuarbeiten. Auch bei UNMIK werden keine Roma beschäftigt.

Auch die Roma-Frauen leiden enorm unter der eingeschränkten Bewegungsfreiheit. In ganz Kosovo können sie Opfer von Übergriffen, Entführungen und Vergewaltigungen durch albanische Extremisten werden, so dass es für sie gefährlich geworden ist, eigenständig zu reisen. Die Angst vor dieser greifbaren Gefahr hält die Frauen von der Arbeit, vom Betteln und sogar vom Arztbesuch ab. Daher leiden Roma-Frauen unter schwerwiegenden psychischen Problemen.

Ein positives Beispiel für hoffnungsvolle Ansätze in Serbien:

Im benachbarten Serbien wecken kleine Projekte unabhängiger Organisationen einen Hoffnungsschimmer, die tragischen Arbeitslosenquoten zu überwinden. Eine jüdische Organisation zum Beispiel bietet den ansässigen Roma Kurse zur Ausbildung als Schweißer an. Die Kosovo Roma Flüchtlingsstiftung (KRRF) hat ein Projekt begonnen, in dem ehrenamtlich arbeitende Amerikaner ansässigen serbischen Geschäftsleuten kostenlos Englischunterricht geben unter der Voraussetzung, dass sie einen Rom einstellen. Dank dieses "Englischunterrichts für Geschäftsleute" – Projektes des KRRF haben sich schon 17 serbische Geschäftsleute für die Kurse eingetragen und dadurch 17 neue Arbeitsplätze für Roma geschaffen. Auch wenn diese Projekte nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind angesichts der großen Menge der Arbeitslosen, so geben sie doch einigen wenigen Roma eine Chance und hoffentlich einen Anreiz dafür, dass ähnliche Projekte nicht nur in Serbien sondern auch im benachbarten Kosovo entstehen.

WOHNUNGSSITUATION

Die Wohnungssituation der 20.000 Roma, Aschkali und "Ägypter", die 1999 oder kurz darauf nicht aus dem Kosovo geflohen sind, ist beklagenswert. Während das Wiederaufbauen der albanischen Häuser, die während des Krieges von 1999 zerstört wurden, fast abgeschlossen ist, wurden gerade etwas mehr als 200 der 14.000 Häuser, die einst Roma, Aschkali und "Ägyptern" gehört haben, wieder errichtet. In der größten Vorkriegssiedlung der Roma in Süd-Mitrovica (vor dem Krieg 8 000 Menschen) ist kein einziges Roma-Haus wieder aufgebaut worden. Folglich ist auch keine der Familien zurückgekehrt. Diese Menschen leben noch immer in Flüchtlingslagern für Binnenflüchtlinge. Im März 2005 kamen die verschiedenen Behörden, Organisationen und Personen, die mit der Evakuierung und Umsiedlung der Roma-Flüchtlinge befasst sind, d.h. UNMIK, ein Minderheitenrechtsberater im Büro für Rückkehrer, Vertreter des Dänischen Flüchtlingsrates und Sprecher der Roma aus den Lager für Binnenflüchtlingen mehrfach zu einem Gespräch zusammen. Ermutigend dieses Mal ist die Tatsache, dass Roma an diesen Diskussionen überhaupt beteiligt wurden, da sie bis dahin grundsätzlich aus der Entscheidungsfindung ausgeschlossen blieben. Entmutigend dagegen ist, dass diese Gespräche nicht etwa zu Lösungen der Frage der Ansiedlung der Roma führten, sondern zum Schauplatz eines Interessenkonflikts wurden: Während der Vertreter des Dänischen Flüchtlingsrats ( DRC) ein Projekt unterstützte, die Roma in ihrer eigenen Siedlung (Fabricka Mahala) im Süden von Mitrovica wieder anzusiedeln, drängte der (aus Albanern zusammengesetzte) Stadtrat darauf, die Roma in achtstöckigen Wohnblocks unterzubringen und dort, wo sie einst gelebt haben, einen Park anzulegen. Trotz offener Drohungen seitens der Albaner weigerten sich die Roma, diesen Plan zu akzeptieren und forderten stattdessen, dass ihnen ihr Land zurückgegeben werde, dass alle Roma und Aschkali zusammenleben könnten, dass zu ihrem Schutz eine Mauer um ihre Siedlung gezogen werden solle mit einer Fußgängerbrücke als Fluchtweg im Norden.

Jeder Plan zur Ansiedlung, wofür man sich auch entscheidet, wird laut Polansky Zeit brauchen, um verwirklicht zu werden. Deshalb befürchten viele, dass solche Pläne verwirklicht werden.

Berichten des GfbV-Teams zufolge erscheint vielen dieser Minderheitenangehörigen der Weg ins Ausland als einzige Chance zu überleben. Auszureisen ist aber für die vielen Arbeitslosen unbezahlbar und für die etlichen, die nicht einmal Ausweise besitzen, unvorstellbar.

Polansky berichtete in seinem letzten Bericht (Mai 2005) über die Panik unter den Roma und Aschkali im Kosovo wegen der Ankündigungen der deutschen Regierung, Angehörige der Aschkali und "Ägypter" ab Mai 2005 in das Kosovo zurückzuführen. (Am 25. und 26. April schlossen UNMIK und die Regierung der Bundesrepublik Deutschland eine Vereinbarung, ab Mai mit der Rückführung von Aschkali und "Ägyptern" nach Kosovo zu beginnen. Die Vereinbarung sieht vor, zunächst 300 Menschen pro Monat und ab Juli möglicherweise 500 monatlich zurückzuführen.) Da es in Kosovo für sie weder Wohnung noch Arbeit gibt, wird ihre Rückkehr für ihre Verwandten eine enorme Belastung werden. Und nicht nur das. Polansky befürchtet große interethnische Spannungen und eine humanitäre Katastrophe. Eine Rückkehr aus dem Ausland hält Polansky für äußerordentlich gefährlich und riskant.

SCHLUSSFOLGERUNG

Wie die Ausschreitungen im März 2004 auf tragische Art und Weise gezeigt haben, ist eine Mehrheit der albanischen Bevölkerung durch den ungelösten politischen Status des Kosovo, andauernde wirtschaftliche und soziale Probleme dermaßen frustriert, dass extremistische albanische Gruppierungen mit vorhandenem großen Gewaltpotential eine Eskalation interethnischer Konflikte leicht provozieren können. Nicht nur Serben sondern auch Angehörige nichtserbischer Minderheiten der Roma, Aschkali und "Ägypter" aber auch Angehörige anderer Minderheiten sind nach wie vor besonders gefährdet und können Opfer von Gewalt werden. Und während sich die Kosovo-Serben durch eigene Institutionen und die Hilfe (auch militärische) aus Belgrad albanischen Extremisten widersetzen können, sind Angehörige anderer Minderheitengemeinschaften im Kosovo zu schwach, um ihre Interessen zu artikulieren und durchzusetzen.

In Anbetracht der unzulänglichen Aufmerksamkeit, die den Roma, Aschkali und "Ägyptern" des Kosovo von der internationalen Gemeinschaft entgegengebracht wird und angesichts des harten Winters, der politischen Instabilität und schwerer Bleivergiftungen in Flüchtlingslagen waren deutliche Fortschritte für die Situation dieser Minderheiten in den zurückliegenden fünf Monaten nicht zu erwarten. Vertrauensmangel in Sicherheits- und Justizwesen sowie ein Misstrauen gegenüber der jeweiligen örtlichen Mehrheitsbevölkerung bleibt besonders für die Minderheitenangehörigen der Roma, Aschkali und "Ägypter" eines der Hauptprobleme im Kosovo.

Durch unbefriedigte tägliche Bedürfnisse, eingeschränkte medizinische Versorgung, hohe Arbeitslosigkeit und Streitereien um die Ansiedlungsfrage sind Roma, Aschkali und "Ägypter" in den Flüchtlingslagern und in den Enklaven zum Vegetieren verurteilt.

Auf Veranlassung der GfbV hat die internationale Gemeinschaft in den vergangenen Monaten einige Maßnahmen ergriffen, um die gegenwärtigen Härten zu mildern und eine langfristige Lösung zu entwerfen, die die Not der Minderheiten beseitigen soll. Diese Maßnahmen reichen aber bei weitem nicht aus und sie müssen mit Entschlossenheit und Dringlichkeit verfolgt werden, damit nicht noch mehr Menschen Opfer der unsicheren Situation, von Bleivergiftung oder Diskriminierung werden.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker ist entsetzt über die neue Vereinbarung der UN-Zivilverwaltung UNMIK und des deutschen Bundesinnenministers vom April dieses Jahres, wonach bis zu 10000 Angehörige der Minderheiten der Aschkali und der Kosovo-Ägypter , die in Deutschland Zuflucht gefunden haben, zurückgeführt werden sollen.

Die Rückkehr dieser Minderheiten ist unseren Erkenntnissen nach nicht nur außerordentlich riskant sondern lebensbedrohlich. Die Angehörigen der Aschkali, Roma und Kosovo- Ägypter dürfen in eine politisch äußerst brisante, chaotische und fragile Situation im Kosovo nicht zurückgeführt werden. Da sie im Kosovo auch nicht entsprechend mit Nahrungsmitteln und Medikamenten versorgt werden und kein normales Leben führen können, legen wir die folgenden Forderungen und Empfehlungen vor:

-Vor den Verhandlungen über den endgültigen Status des Kosovo muss der Minderheitenschutz im Kosovo gewährleistet werden

Die UNMIK-Zivilverwaltung im Kosovo, die Kosovo-Regierung und albanische Behörden müssen dafür sorgen, dass

-alle Flüchtlingslager aufgelöst und

-Wiederaufbau-und Sozialprogramme für Minderheiten initiiert werden

- alle Rückkehrer müssen entsprechend untergebracht werden. Der Zugang zum Arbeitsmarkt muss gewährleistet werden

-Roma, die aus ihrer ursprünglichen Siedlung (Fabricka Mahala) in Süd-Mitrovica vertrieben wurden, sollen dort wieder angesiedelt werden

- Roma, Aschkali und "Ägyptern" muss in Deutschland Schutz gewährt werden.

- Roma, Aschkali und "Ägyptern" soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Ihnen soll der Zugang zum Arbeitsmarkt gewährt werden. Diejenigen, die integriert sind, sollen eine Zukunftsperspektive in Deutschland und ein Bleiberecht bekommen.

-Eine Rückkehr der Roma, Aschkali und "Ägypter" darf nur auf freiwilliger Grundlage in Betracht kommen. Sie sollte durch Hilfsangebote vor Ort unterstützt werden.