Technische Hilfsmittel erleichtern das Knacken der harten Schale. Die Frauen können diese und alle weiteren Tätigkeiten zur Almendra-Produktion in ihren Alltag integrieren.
Foto: © FCBC/Claudia Belaunde
Im bolivianischen Tiefland wachsen zwei außergewöhnliche Pflanzen. Angehörige von Indigenen Völkern ernten deren Erträge seit Jahrhunderten, wissen sie nachhaltig zu nutzen. Heute übersteigt die Frage nach der Chiquitana Mandel und dem Copaiba-Öl das Angebot. Das verhilft zu festen Einkommen, schützt Territorien vor Landraub und trägt zum Wohle aller bei, ohne der Natur zu schaden.
von Jan Königshausen
Im Herzen der Chiquitanía, einer Region mit hoher Artenvielfalt im Südosten des bolivianischen Tieflands, entfaltet sich eine bemerkenswerte Geschichte von Widerstandsfähigkeit, Gemeinschaft und nachhaltiger Entwicklung. Eine Initiative zur Förderung der Almendra Chiquitana (Dipteryx alata), einer einheimischen Hülsenfruchtart, hat das Leben der Menschen in dieser Region grundlegend verändert. Seit die Almendra vor Ort nicht nur geerntet und verarbeitet, sondern von dort auch vertrieben wird, sichert sie Arbeitsplätze und die Selbstständigkeit indigener Gemeinschaften.
Die Geschichte der Almendra und ihre wirtschaftliche Bedeutung bietet inspirierende Einblicke in die Kraft der Gemeinschaft und den Wandel, den eine nachhaltige, lokale Produktion bewirken kann. Lokales, traditionelles Wissen und die Erfahrung Indigener Völker sind oft wahre Schatzkammern, um natürliche Lebensräume nachhaltig zu bewirtschaften und zu schützen, statt sie auszubeuten. Einen Nutzen für alle bringt dies aber nur, wenn mit den Menschen und deren Wissen respektvoll umgegangen wird.
Die Almendra Chiquitana und der Copaiba-Baum
Die Almendra, auch Chiquitana-Mandel genannt, wächst wild in den Wäldern der drei Naturräume Chiquitanía (Trockenwald und Savannenregion; Übergangsgebiet zwischen verschiedenen Ökoräumen), Chaco (Trockenwald und Dornbuschsavanne) und Cerrado (Savanne, die vom Südosten Brasiliens bis tief nach Bolivien und Paraguay reicht). Sie ist ein Symbol für die kulturelle Identität der Chiquitanía und für zahlreiche Indigene Völker und deren Familien ein Schlüssel zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit.
Der Almendra-Baum ist feuer- und dürreresistent und spielt eine wichtige Rolle im Ökosystem des Trockenwaldes der Chiquitanía. Er spendet Schatten und verbessert die Bodenqualität. Zudem dienen seine Früchte in der Trockenzeit als wichtige Nahrungsquelle für das Vieh in der Region. Rein optisch ähnelt der Kern der Almendra Chiquitana einer Mandel oder Nuss und wird entsprechend als solche bezeichnet. Sie ist jedoch weder das eine, noch das andere. Wie die Erdnuss, die Bohne oder die Erbse gehört die Pflanze in die botanische Familie der Hülsenfrüchte.
Der Kern der Almendra Chiquitana kann sowohl mitsamt der äußeren Pulpa, dem Fruchtfleisch, als auch als gerösteter Samen verzehrt werden. Die Frucht schmeckt leicht nach Vanille, enthält bis zu 20 Prozent Zucker, 26 Prozent Eiweiß und viel Kalzium. Zudem ist sie reich an Proteinen und essentiellen Fettsäuren. Traditionell wurden die Früchte gesammelt und nur in geringem Umfang genutzt. Doch gezielte Projekte zur Förderung der nachhaltigen Nutzung und Verarbeitung von dieser Ressource vor Ort leiteten einen bedeutenden Wandel ein: Nun bietet die Almendra eine wertvolle Einkommensquelle für die indigene Bevölkerung, vor allem für die Frauen in der Region.
Eine weitere wichtige Pflanze des lokalen Ökosystems der Chiquitanía ist der Copaiba-Baum. Dessen Öl wird besonders in ländlichen Gebieten und von indigenen Gemeinschaften traditionell zur Linderung von Entzündungen und Schmerzen genutzt. Dank dieser vielfältigen gesundheitlichen Vorteile erfreut es sich aktuell zunehmender Beliebtheit. Gewonnen wird das Öl aus dem Harz der Copaiba-Bäume. Zur Ernte bohren die Menschen die Bäume leicht an, damit Harz aus der Rinde tritt. Dieses wird gesammelt und schonend verarbeitet. Dabei wird das wertvolle Öl extrahiert.
Frauen im Mittelpunkt des Wandels
Ein zentraler Aspekt dieser Projekte war die Einbindung von Frauen in alle Phasen der Wertschöpfungskette. Die Rollenverteilung der Chiquitanos ist nämlich oftmals sehr streng und traditionell: Viele Frauen in der Chiquitanía tragen die Verantwortung für Haushalt und Familie, während ihre Männer in der Viehwirtschaft arbeiten. Frauen sind dadurch finanziell stark von ihren Männern abhängig und haben wenig Einfluss auf Entscheidungen und Entwicklungen in ihren Gemeinschaften.
Die Initiativen gaben den Frauen die Möglichkeit, ein eigenes Einkommen zu erwirtschaften: In den Gemeinden Concepción und San Ignacio de Velasco wurden beispielsweise 29 Sammelstellen eingerichtet, die die Frauen für ihre Mandelernte sofort auszahlen. Zudem ermöglichten technische Lösungen die Beteiligung von Frauen und älteren Menschen etwa bei Nachernteprozessen, insbesondere beim Knacken der Schale der Almendra Chiquitana. Frauen können die Arbeit – ob Sammeln, Verarbeiten oder Vermarkten – in ihren Alltag integrieren, ohne die ihnen zugeteilten familiären Verpflichtungen zu vernachlässigen. Dies ist zwar eine doppelte Belastung, doch viele Frauen sind gewillt, diese zu schultern.
Durch die Arbeit werden die Frauen wirtschaftlich unabhängig und stärken gleichzeitig ihre Gemeinschaften und Familien. Das zusätzliche Einkommen aus dem Verkauf trägt wesentlich zum Haushaltseinkommen bei und ermöglicht den Kauf von Grundbedarfsgütern wie Seife, Öl und Zucker. Diese kommen in den ländlichen, abgelegenen Gebieten Luxusgütern gleich.
Durch die Arbeit erwerben die Frauen wichtige Fähigkeiten in den Bereichen Organisation, Verarbeitung, Qualitätskontrolle und Vermarktung. Diese Fähigkeiten wenden sie nicht nur in der Almendra- und Copaiba-Öl-Produktion an, sondern auch in anderen Bereichen ihres Lebens. Sie gewinnen an Selbstbewusstsein und beanspruchen mehr Entscheidungsfreiheit und Mitbestimmung innerhalb der Gemeinschaften. Diese neu gewonnene Unabhängigkeit kann zudem ein entscheidender Faktor im Kampf gegen häusliche Gewalt sein. Durch eigene Einkommensquellen können sich Frauen effektiver gegen etwaigen Missbrauch oder Unterdrückung zur Wehr setzen.
Auf traditionelles Wissen zurückgreifen
Die Chiquitanía-Region in Bolivien beheimatet mehrere indigene Gemeinschaften, darunter die Chiquitano, Ayoreo, Guarayo und Moxeño. Jede dieser Gruppen hat ihre eigenen kosmologischen Vorstellungen und kulturellen Praktiken, die eng mit ihrer traditionellen Lebensweise verbunden sind.
Die Chiquitanos glauben an eine spirituelle Verbindung zu den natürlichen Elementen und haben einen tiefen Respekt vor der sie umgebenden Umwelt: der Casa Grande. Übersetzt heißt Casa Grande „Großes Haus“. Der Ausdruck versinnbildlicht, dass die Gemeinschaften ihre (natürliche) Umwelt wie ihr eigenes Haus bewohnen und pflegen wollen. Ein ausbeuterischer Umgang mit den natürlichen Ressourcen ist ihnen fremd. Die Vorstellung ergänzt das im Hochland Boliviens vorherrschende Konzept der Pachamama, der Verehrung der „Mutter Erde“, das auf der Kosmovision des Inkareichs fußt und von den Quechuas über den kompletten Andenraum verbreitet wird.
Auch die Ayoreo, deren Gemeinschaften im Gran Chaco Boliviens, Paraguays und Brasiliens sie zu dem Volk mit der größten in freiwilliger Isolation lebenden Gruppe außerhalb des Amazonas machen, verbinden ihre Kosmologie eng mit den natürlichen Kreisläufen. Diese entspringen vor allem aus der landwirtschaftlichen Praxis in ihren traditionellen Territorien. Die Guarayo und Moxeño wiederum haben ihre eigenen, einzigartigen Weltanschauungen und Traditionen, die stark von ihrer Geschichte und ihrem Lebensraum geprägt sind.
Traditionell leben diese Gemeinschaften als Selbstversorger: vom Sammeln von Wildfrüchten, der Jagd und dem Fischfang. Aber auch ihr Wissen über Heilpflanzen und nachhaltige Landnutzung ist von unschätzbarem Wert für den Erhalt der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme, in denen sie leben. Genau daran setzten die Initiativen zur Inwertsetzung der lokalen Produkte an – und schützen damit zudem vor Landraub: Denn in Bolivien gilt seit der Agrarreform aus dem Jahr 1953, dass nicht wirtschaftlich genutzte Fläche vom Staat eingezogen werden kann. Jeder muss also eine Produktion auf seinem Grundstück nachweisen können.
Ein Zeichen gegen den Raubbau an der Natur
Die Förderung der Almendra Chiquitana wurde durch die enge Zusammenarbeit verschiedener Akteure ermöglicht. Zentrale Rollen spielten ein Zusammenschluss der verschiedenen Gemeinden der Chiquitanía – die sogenannte Mancomunidad de Municipios Chiquitanos (dt. etwa: Gemeinschaft der Chiquitano-Gemeinden) –, die Organisation Asociación MINGA und die Fundación para la Conservación del Bosque Seco Chiquitano (dt.: Stiftung für die Erhaltung des Trockenwaldes von Chiquitano, kurz FCBC). Sie steigerten die Produktion und Vermarktung der Almendra erheblich, ohne dabei die Natur und ihre Bewohner auszubeuten.
Eine solche Vorgehensweise verkommt in Bolivien immer mehr zur Seltenheit. Die Regel ist eher, dass einer Natur, die man sich aneignet, Ressourcen entnommen und exportiert werden: eine extraktivistische Wirtschaftsform. So konterkarierte die nationale Regierung des angeblich ersten indigenen Präsidenten Südamerikas, Evo Morales (von 2006 bis 2019 Präsident Boliviens), einen Diskurs von Pachamama und Nachhaltigkeit mit umweltschädlichem Bergbau und der Fokussierung auf fossile Brennstoffe.
Demgegenüber steht diese Erfolgsgeschichte von lokaler Teilhabe und Koordination. Denn Naturschutz kann nur funktionieren, wenn ein attraktives Konzept hinsichtlich der Inwertsetzung der vorhandenen Ressourcen vor Ort angeboten wird. Andernfalls drohen Gemeinschaften aufgrund wirtschaftlicher Notwendigkeiten auf konventionelle und potenziell schädliche Ansätze zurückzugreifen, wie der Raubbau an der Natur durch Bergbau, Monokulturen oder Holzeinschlag. Diese entziehen den Gemeinschaften aber über die Zeit ihre Lebensgrundlage und führen zu noch mehr Armut.
Ohnehin sind indigene Gemeinschaften zahlreichen Bedrohungen ausgesetzt. Vor allem die Entwaldung durch illegalen Holzeinschlag und die Ausdehnung landwirtschaftlicher Nutzflächen, meist in Verbindung mit gelegten Waldbränden, sorgt für den Verlust von Territorien und traditionellen Rechten. Dies setzt die Gemeinschaften zunehmend unter Druck. Die Folgen des Klimawandels und sozioökonomische Veränderungen wie Lohnarbeit stellen zusätzliche Herausforderungen dar, die ihre traditionellen Lebensweisen und ihre kulturelle Integrität bedrohen.
Diese Gefahren gehen am Ende die gesamte Menschheit etwas an: Denn der traditionelle Lebensraum dieser indigenen Gemeinschaften, die Chiquitanía mit ihren Bergketten, spielt als Wassereinzugsgebiet, als Pufferzone und ob ihrer Biodiversität für das Amazonasbecken und entsprechend für das Weltklima eine elementare Rolle. Der Erhalt dieses besonderen Ökosystems ist ein elementarer Faktor, um das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens noch erreichen zu können.
Der Schutz und die Förderung der Rechte Indigener Völker und die Unterstützung ihrer nachhaltigen Praktiken sind also nicht nur für den Erhalt ihrer Kulturen, sondern auch für den Erhalt der natürlichen Umwelt, die sie seit Jahrhunderten schützen, von entscheidender Bedeutung. Dafür gibt es viele unterschiedliche Ansätze – aber nur eine Handvoll Initiativen, die eine nachhaltige, wirtschaftliche Entwicklung der Gemeinschaften miteinbezieht, werden auch umgesetzt. Dabei bieten indigene Kosmologien und Konzepte wie Sumak Kawasy der Quechua aus dem Andenland oder das darauf aufbauende Buen Vivir, das es sogar in einzelne Landesverfassungen Lateinamerikas geschafft hat, diese durchaus an.
Der internationale Handel mit seinen Freihandelsabkommen und Zöllen ist bei der Umsetzung solcher Initiativen ebenso ein Hemmnis wie kurzgedachte Maßnahmen gegen den Klimawandel. Diese versuchen Umweltschutz und Indigene Rechte zu oft gegeneinander auszuspielen, anstatt beides zu verbinden. Das ist auch darin begründet, dass der Begriff „indigen“ oft konservativ ausgelegt wird und dadurch wenig Fortschritt oder Entwicklung zulässt.
Langfristige Wirkungen und Visionen
Die Geschichte der Almendra Chiquitana und des Copaiba-Öls ist ein inspirierendes Beispiel dafür, wie nachhaltige Ressourcennutzung und gemeinschaftliche Anstrengungen zu bedeutenden positiven Veränderungen führen können. Die Initiative hat nicht nur zur wirtschaftlichen Stärkung der lokalen Bevölkerung beigetragen, sondern auch wichtige ökologische Sicherheit gebracht: Lokale Gemeinschaften können sich im Einklang mit der Natur wirtschaftlich entwickeln. Dies widerspricht dem Mantra des Weltmarkts, dass wirtschaftliche Entwicklung in Lateinamerika nur durch Ausbeutung möglich wäre, was auch mittels Abkommen, Zöllen und Gesetzen zementiert wird.
Darüber hinaus können nach bolivianischer Rechtsprechung Territorien, die wirtschaftlich genutzt werden, nicht mehr konfisziert oder gerodet werden. Damit trägt die Initiative ebenfalls hoffentlich dazu bei, die biologische Vielfalt zu erhalten, sodass Bolivien weiterhin zu den zehn artenreichsten Ländern der Welt gehören kann. Einige Gemeinden erwägen sogar, die Almendra in das Schulfrühstücksprogramm aufzunehmen, was die lokale Wertschöpfung und die Ernährungssicherheit weiter stärken würde.
Die Inwertsetzung der Almendra-Mandel und des Copaiba-Öls in der Chiquitanía beweist, wie lokale Ressourcen zur Stärkung von Gemeinschaften und zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen können, wenn traditionelles Wissen mit starken Gemeinschaften verbunden wird und eine eigenständige, lokale Wertschöpfungskette entsteht. Die Existenz des Almendra-Baums wurde lange Zeit kaum wahrgenommen. Nun übersteigt die Nachfrage der Almendra das Angebot. Diese Entwicklung zeigt das enorme Potenzial, das entsteht, wenn Projekte respektvoll und im Einklang mit der Natur und ihren Bewohnern umgesetzt werden – zum Wohle aller Beteiligten.
Diese Erfolgsgeschichte zeigt, dass durch die gezielte Förderung lokaler Initiativen nachhaltige und gerechte Lösungen gefunden werden können, die sowohl die Umwelt schützen als auch die Lebensgrundlagen der Menschen stärken. Die Kettenreaktion, die durch den Schutz traditioneller Lebensweisen und der Rechte indigener Gemeinschaften zum Erhalt von Biodiversität und Ökosystemen beiträgt, unterstreicht die weitreichenden positiven Auswirkungen dieser nachhaltigen Entwicklung. Diese Geschichte ermutigt dazu, durch die Würdigung traditionellen Wissens, durch Engagement und Zusammenarbeit eine vielversprechende Zukunft für alle zu gestalten.
[Der Autor]
Jan Königshausen ist Referent für Indigene Völker bei der Gesellschaft für bedrohte Völker. Sein Schwerpunkt liegt auf Südamerika.
Wir würden uns besonders darüber freuen, wenn Sie unsere Zeitschrift regelmäßig lesen möchten: Das Abonnement umfasst vier Ausgaben im Jahr und kostet inklusive Versand 25 Euro pro Jahr (ermäßigt 20 Euro).
Privatsphäre Einstellungen
Diese Website verwendet Cookies, um die Kernfunktionalität zu ermöglichen und den Inhalt zu personalisieren und die Besuche auf der Website zu analysieren. Einige dieser Cookies sind unerlässlich, während andere uns helfen, Ihre Erfahrungen zu verbessern, indem sie uns einen Einblick in die Nutzung der Website geben. Weitere Informationen über die von uns verwendeten Cookies finden Sie auf unserer Datenschutzerklärung.
Notwendige Cookies
Drittanbieter Cookies
Privatsphäre Einstellungen
Diese Website verwendet Cookies, um die Kernfunktionalität zu ermöglichen und den Inhalt zu personalisieren und die Besuche auf der Website zu analysieren. Weitere Informationen finden Sie in unseren Datenschutzerklärung.
Einstellungen