Bei der Amtseinführung des neuen katholischen Bischofs von Mendi im Südlichen Hochland führen drei Frauen eine Tanzgruppe der Huli aus der benachbarten Hela-Provinz an.
Foto: © Philip Gibbs

 

Die Weisheit der Enga-Kultur und die Weisheit der christlichen Tradition

Seit 51 Jahren lebt Philip Gibbs als Missionar in Papua-Neuguinea. Im Interview berichtet er von seinen Lehren durch die Zusammenarbeit mit indigenen Völkern: dass manchmal er derjenige ist, der bekehrt werden muss; dass Gott schon vor der Ankunft der Missionare unter den Menschen war und dass sich Christentum und indigene Spiritualität nicht widersprechen.

Interview mit Philip Gibbs

Um für HIV und AIDS zu sensibilisieren,
besuchte Philip Gibbs eine Gemeinschaft in der Hela-Provinz. Da die Straße zu schlammig und
rutschig für sein Auto war, ging er zu Fuß.
Foto: privat

 

Warum sind Sie Missionar geworden?

Ich bezeichne mich als Missionar-Ethnologe, weil mir immer wichtig war, missionarische Tätigkeit und ethnologische Forschung zu verbinden. Angefangen hat alles eher zufällig: Die Idee, Missionar zu werden, verfestigte sich, nachdem ich einen Unfall überlebte, bei dem meine beiden Kletterkameraden ertranken. Damals erkannte ich, dass das Leben ein Geschenk ist – und der Missionarsberuf ein guter Weg sein könnte, dieses Geschenk zu ehren. Auf die Idee eines Ethnologiestudiums brachte mich mein Novizenmeister. Der meinte, ich sollte vor meinen Gelübden erst noch einige „raue Kanten abschleifen” und bis dahin „irgendwas” studieren. Mit einem Bachelor in Soziologie von der Universität in Christchurch (Neuseeland) in der Tasche entschied ich mich für ein Masterstudium in Ethnologie in Sydney (Australien).

1970er Jahre: Der junge Philip Gibbs
unterwegs im entlegenen PaielaTal. Für die Besuche der kleinen christlichen Gemeinschaften brauchte er zwei bis drei Wochen. Sie lagen Tagesmärsche auseinander. Vor Ort angekommen, wurde er herzlich empfangen.
Foto: privat

Sie sind zu den Steyler Missionaren (SVD) gegangen. Was waren die Gründe für genau diesen Orden?

Zum einen gefiel mir die starke ethnologische Tradition der SVD. Einige Leser haben vielleicht vom Anthropos-Institut gehört, das heute in Sankt Augustin bei Bonn seinen Sitz hat und die bekannte Fachzeitschrift Anthropos herausgibt, die es seit 1906 gibt. Als ein Mitglied der Steyler Missionare sah ich es fast als meine Pflicht an, die religiösen Vorstellungen der Menschen zu erforschen, unter denen ich arbeitete.

Zum anderen gefiel mir auch die Art und Weise, wie die SVD als Orden ihren missionarischen Auftrag versteht und lebt. Für mich bedeutet Mission im Kern, zu einer Verbesserung des Lebens der Menschen beizutragen und Foto: das Evangelium von „Gottes Zukunft”, manchmal auch als „Reich Gottes” bezeichnet, mit den Menschen zu teilen. Dieses Verständnis von Mission sehe ich auch in jüngeren Dokumenten der SVD, in denen Mission als „prophetischer Dialog” bezeichnet wird. Damit verbindet der Orden das lateinamerikanische Anliegen der sozialen Gerechtigkeit mit dem asiatischen Interesse am Dialog.

Ich habe mit der Zeit eine ganz ähnliche Spiritualität entwickelt. In einer dialogisch verstandenen Mission versuche ich, den Menschen zuzuhören, mit denen ich lebe, und mich mit ihnen zu verbinden, ihre Sprache, Kultur und Spiritualität zu lernen und wertzuschätzen. Und doch erfahre ich auch, dass die „Seele” der Menschen in Papua-Neuguinea für mich sehr häufig ein Mysterium bleibt. Ich durchdringe nicht alles. Dies anzuerkennen, kann eine Art „gelehrten Unwissens” sein, das auf Respekt gründet und ebenso kostbar ist.

Andererseits bedeutet eine prophetisch verstandene Mission, eine „verwundete Welt” zu umarmen, die Zeichen der Zeit zu erkennen und Zeugnis abzulegen für die Leben spendende Kraft des göttlichen Wortes – selbst wenn das verlangt, gegen kulturelle Traditionen vorzugehen. Der peruanische Theologe Gustavo Gutiérrez fordert von der Kirche ein, das Evangelium zu verkünden und Unrecht zu verurteilen. Oft läuft es auf die grundsätzliche Frage hinaus, was es braucht, damit die Menschen ein sinnvolles, humanes und würdevolles Leben für sich und ihre Lieben haben können.

Warum sind Sie nach Papua-Neuguinea und nicht in ein anderes Land gegangen?

Um Mission und meine Faszination für kulturelle Diversität miteinander zu verbinden, war Papua-Neuguinea genau richtig für mich: ein Land mit Hunderten von Sprachen, unzähligen Ethnologen und vielen Steyler Missionaren. Ich kam erstmals 1973 als 25-jähriger Student nach Papua-Neuguinea. Damals war ich in dem kaum erschlossenen Hochland-Distrikt Enga unterwegs. Dort arbeitete ich als Seminarist, konnte aber in meiner „Freizeit” auch Forschungsdaten für meine Masterarbeit in Ethnologie sammeln.

 

Wie kann man sich Ihre Arbeit als Missionar konkret vorstellen?

In den mehr als 50 Jahren als Missionar und Ethnologe hat meine konkrete Missionsarbeit viele verschiedene Foren angenommen. Ich gebe Ihnen einige Beispiele:

  • Pastorale Besuche in abgelegenen Außenstationen einer Pfarrei
    In den 1970er Jahren brauchte ich für den Besuch unserer Außenstationen im entlegenen Paiela-Tal zwei bis drei Wochen. Zu Fuß besuchte ich die kleinen Gemeinschaften, die oft einen halben oder auch ganzen Tagesmarsch auseinander lagen. Es ist ein sehr gebirgiges Terrain, mit tosenden Bergbächen und schmalen Buschpfaden. Ich hatte einen Schlafsack dabei und etwas Proviant, ernährte mich aber hauptsächlich von dem, was die Leute mit mir teilten: Süßkartoffeln, Bananen oder Pandanus-Nüssen. Manchmal schlachteten die Leute auch ein Schwein und garten es im Erdofen, ein besonderes Zeichen der Wertschätzung meines Besuchs. Ein oder zwei Jugendliche begleiteten mich jeweils. In den Stationen kümmerte sich ein Katechist oder Gemeindeleiter um mich. Wo es kein einfaches Haus für den Priester gab, konnte ich auch in deren Haus übernachten. Gewaschen habe ich mich in einem Bach oder Wasserfall. Die Besuche boten mir die Gelegenheit, mit den Menschen über Neuigkeiten, Sorgen und Nöte zu sprechen, kleinere Verletzungen oder Gebrechen zu versorgen (mit Medikamenten, die ich besorgt hatte), Beichte zu hören und schließlich die Eucharistie mit ihnen zu feiern – alles in der lokalen Sprache. Solche Trips machte ich drei Mal im Jahr zu den verschiedenen Außenregionen der Pfarrei.
     
  • Politik
    Spätestens ab den 2000er Jahren machte sich in verschiedenen Hochland-Provinzen eine politische Kultur der Gewalt und Einschüchterung breit. Besonders bei nationalen Wahlen stieg die Zahl an Opfern drastisch an. Deswegen leitete ich für die Parlamentswahlen 2007, 2012 und 2017 ein Wahlbeobachtungs-Team in der Enga-Provinz. Damit wollte ich auch diese Gewaltkultur besser verstehen lernen und geeignete Wege finden, ihr entgegenzutreten. Mir wurde klar, dass man Glaube und Politik nicht trennen kann und die Kirche biblische Werte fördern muss, die den Exzessen politischer und ökonomischer Gewalt Einhalt gebieten können.
Maramuni war bisher ein ziemlich isolierter Teil der Enga-Provinz. Konflikte zwischen verschiedenen lokalen Gruppen sind nicht ungewöhnlich. Dieser Vater führte Philip Gibbs sicher durch das Gebiet. Seit kurzem ist Maramuni auch mit Allradfahrzeugen erreichbar. Foto: Philip Gibbs

 

  • Verwaltungsarbeit in der SVD-eigenen Divine Word University (DWU) [dt.: Universität des Göttlichen Wortes]
    Nach einem Masterabschluss in Betriebswirtschaftslehre übernahm ich Verwaltungsaufgaben in der DWU der Steyler Missionare in der Küstenstadt Madang. Zunächst leitete ich die Abteilung für „Gouvernanz und Führungsqualität”. Dort lernte ich viel über die Bedürfnisse von höheren Staatsbeamten, die für ein Masterstudium in Öffentlicher Verwaltung an die DWU gekommen waren. Ich entwickelte eine Lehreinheit über Ethik in beruflichen Organisationen. Wir diskutierten zum Beispiel darüber, wie man in der Big-Man-Kultur [Männer mit Führungsanspruch und Ansehen aufgrund individueller Fähigkeiten, die sie aber ständig neu unter Beweis stellen müssen, auch gegen gruppeninterne Mitbewerber; Anm. d. Red.] des Hochlands definieren kann, was öffentliche und was private Ressourcen sind. Und wir debattierten, ob Korruption kulturrelativistisch [aus einer kulturellen Innenperspektive heraus; Anm. d. Red.] zu betrachten ist und man demnach von „guter” und „schlechter” Korruption sprechen kann.

    Als Universität mussten wir auch akzeptieren, dass sich die Zeiten rasend schnell ändern. Die Studierenden der Generation Z sind „digital natives” und von den sozialen Medien und ihren Werten stark beeinflusst. Ich merkte, wie vor allem während der Corona-Pandemie viele Studierende den internationalen Verschwörungstheorien im Netz Glauben schenkten. Ich habe auch eine Menge von anderen Initiativen der Universität gelernt, die zur Bildung von Werten beitragen: so etwa die „Toastmasters”, die jungen Menschen helfen, sich „in ihrer eigenen Haut wohl zu fühlen”, oder Bewegungen wie „Senisim PNG” [dt.: PNG verändern] oder „Y-peer PNG” [dt. etwa: Ebenbürtige Jugend PNG], die sich für das Empowerment [Eigenermächtigung; Anm. d. Red.] der Jugend engagieren und für Werte wie Integrität und Zielbewusstheit. Im Augenblick planen wir die Entwicklung eines Konfliktlösungs-Trainings. Die Universität ist ein privilegierter Ort, um Bildung in einem Glaubenskontext anzubieten und Männer und Frauen mit einem kritischen Urteilsvermögen und einem Bewusstsein für die transzendente Würde der menschlichen Person zu formen.
     
  • Soziale und Gesundheitsprobleme
    Papua-Neuguinea rangiert weit unten im Human Development Index der Vereinten Nationen (Platz 154 von 193) und im Korruptionsindex (Platz 133 von 180). HIV/AIDS gehört zu den größten Gesundheitsproblemen des Landes. Der erste Fall von HIV wurde 1987 berichtet. Aber erst nach 2002, als etwa 2.000 neue Infektionen jährlich gezählt wurden, fingen die Menschen an, AIDS ernst zu nehmen. Nachdem ich auch persönlich mit HIV/ AIDS-Erkrankten zu tun bekam, produzierte ich zusammen mit Schwester Zelia Cordeiro SSpS [den Steyler Missionsschwestern] den Film Mist in the Mountains [Nebel in den Bergen, www.youtube.com/watch esktop&v=LvCA2fCylkA] über die Auswirkungen von HIV/AIDS in der Bergbaustadt Porgera in Enga.

    Ich habe so viel gelernt durch meine Beziehungen mit Menschen, die von HIV/AIDS infiziert oder betroffen waren. Zum Beispiel von Agnes, einer jungen Frau aus Enga. Sie pflegte in einer Siedlung der Küstenstadt Lae ihre Schwester, die schließlich an AIDS starb. Agnes war auch selbst am HI-Virus erkrankt. Sie engagierte sich ehrenamtlich in einem der Krankenhäuser der Stadt, wusch Kranke und sprach ihnen Mut zu. Sie mietete ein kleines Haus in der übervölkerten Siedlung, öffnete es für andere HIV-infizierte Frauen und teilte mit ihnen ihr weniges Essen. Bevor Agnes an AIDS starb, lehrte sie mich eine Menge darüber, was Inkarnation – Menschwerdung – bedeutet: Sie lebte eine Christus-ähnliche Liebe in sehr bodenständiger, menschlicher Weise. Mir ist klar geworden, dass soziale Probleme zur Mission werden, und dass ich derjenige bin, der bekehrt werden muss – in meinen Haltungen, meinen Werten und in meiner Offenheit gegenüber anderen kulturellen Perspektiven auf Leben und Sterben.
In der Hochlandprovinz Enga feiert der Ordenspriester mit den Menschen die Eucharistie
in der lokalen Sprache. Foto: privat
  • Hexerei-bezogene Gewalt 
    Anfang 2013 ist Leniata Kepari, eine junge Frau aus Paiela in der Enga-Provinz, in der Stadt Mount Hagen der Hexerei beschuldigt und lebendig verbrannt worden. Die Tat wurde international verurteilt und konfrontierte mich mit dem Problem von Gewalt im Kontext von Hexereianschuldigungen. Seit damals hat sich mein Leben verändert; denn ich habe noch viele Menschen kennengelernt, die gefoltert und aus ihren Häusern verjagt wurden. Der Grund war immer ähnlich: Man klagte sie an, durch Hexerei andere Menschen angegriffen oder gar getötet zu haben. Viele Familien haben Angst, sich einer Mitschuld verdächtig zu machen, wenn sie einer der Hexerei beschuldigten Person helfen. In Erinnerung daran, dass Menschen in Europa eine ähnliche Geschichte erlebt, aber auch überwunden haben, suchte ich nach Wegen, wie diese Situation in Papua-Neuguinea gelindert werden könnte. Zusammen mit einer spanischen Volontärin habe ich einen Film gedreht, in dem die Opfer dieser Gewalt in ihrer ganzen Menschlichkeit gezeigt werden: „Geht alle an: Überlebende” (Everybody’s Business: Survivors www.youtube.com watch?v=uZ0kVLlR_Mw).


Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit mit indigenen Gemeinschaften in der Missionsarbeit? Eine unverzichtbare! Mein Leben in Papua-Neuguinea hat mich gelehrt, dass ich hier ein Gast bin und meine Aufgabe die des Dienstes ist; und dass es ein hoher Wert ist, die Gastfreundschaft der Menschen dankbar anzunehmen. Der südafrikanische Theologe David Bosch hat davon gesprochen, dass Christen sich mit „kühner Demut” der Praxis der Mission widmen sollten: Ihre Kühnheit in der Verkündigung sollte gepaart sein mit einer tiefen Demut in Anerkennung der großen Vergehen, die im Namen der Mission verübt worden sind, und im Wissen darüber, dass Gott lange vor der Ankunft der Missionare unter den Menschen gegenwärtig war. In meinen Forschungsprojekten habe ich gelernt, dass nicht ich, sondern die Menschen dieses Landes die Akteure ihrer eigenen Entwicklung sind und bleiben müssen.

 

Apropos „große Vergehen im Namen der Mission“: Wie sehen und beurteilen Sie die Verbindung zwischen Missionstätigkeit und Kolonialismus in Papua-Neuguinea?

Während der Kolonialzeit gab es eine unvermeidliche Verbindung zwischen Mission und der Kolonialverwaltung, aber gleichzeitig waren die Missionare nicht immer einverstanden mit den Kolonialbeamten und haben sie öffentlich wie privat kritisiert. Ich selbst kam nach Papua-Neuguinea einige Jahre bevor das Land 1975 unabhängig wurde. Ich unterstützte die Kolonialverwaltung in ihrem Bestreben, Frieden zu sichern, die öffentliche Ordnung herzustellen und eine grundlegende Gesundheitsversorgung zu etablieren. Aber es gab Zeiten, in denen es mir schwerfiel mitzumachen, etwa wenn es in sozialen Zusammenkünften getrennte Sitzordnungen gab oder in Autos und öffentlichen Verkehrsmitteln privilegierte Plätze für Weiße. Heute (Anfang 2025) blickt Papua-Neuguinea auf fast 50 Jahre Unabhängigkeit zurück, aber tatsächlich schlagen sich die Menschen mit Formen postkolonialer Abhängigkeit herum. Missionare müssen sich auch damit kritisch auseinandersetzen, besonders mit Korruption in der aktuellen politischen Situation.

Wie gehen Sie denn mit Kritik an Ihrer Arbeit um?

Ich bekomme ordentlich Kritik ab. Als Präsident einer Universität kann ich Beschwerden nicht weiterreichen und muss für das Wohl der Institution Entscheidungen treffen, die unpopulär sein können, etwa über die Einstellung und Entlassung von Mitarbeitenden. Wenn ich keine Neuerungen einführe, werde ich als konservativ kritisiert; wenn ich zu viele vorschlage, wird mir vorgeworfen, das Boot unnötig zum Schaukeln zu bringen. Gelegentlich gibt es Kritik von Einheimischen, dass ich ein Ausländer und kulturell unsensibel sei. Damit rechne ich, vor allem wenn ich mich gegen Praktiken stelle, die Korruption oder genderbasierte Gewalt unterstützen. Aber meistens gibt es genug einheimische Stimmen, die meine Sicht teilen.

Bei Aufenthalten in westlichen Ländern wie Australien begegne ich gelegentlich Menschen, für die die Bezeichnung „Missionar” negativ konnotiert ist. Sie haben natürlich ein Recht auf ihre Meinung, aber es scheint mir, dass ihre Bedenken mehr vom Hörensagen kommen als von den realen Gegebenheiten in Entwicklungsländern wie Papua-Neuguinea.

Philip Gibbs (2. v. l.) gemeinsam mit
Mitgliedern des Studierendenrats der Divine Word University. Die Studentin ganz links auf dem Foto wurde später zur „Miss Papua-Neuguinea“ und dann sogar zur „Miss Pacific Islands“ gekürt. Foto: privat

 

Wie hat sich die Missionsarbeit im Lauf der Zeit verändert?

Lassen Sie mich zuerst sagen, dass die Missionsarbeit in Papua-Neuguinea mich verändert hat, und zwar in mindestens dreifacher Hinsicht: Erstens lernte ich, die Bedeutung kommunaler Spiritualität wertzuschätzen, die es einer Person ermöglicht, sowohl ein gläubiger Christ als auch ein echtes Enga Stammesmitglied zu sein. Zweitens hat mich das Leben in Enga die Priorität von Beziehungen gelehrt. Anfangs hatte ich eine romantisierende Vorstellung vom dörflichen Leben. Diese wandelte sich radikal, als ich mit einer Familie zusammenlebte, um richtig Enga sprechen zu lernen. Durch dieses Leben in vielfältigen Beziehungen übernahm ich von den Menschen in Enga als wichtigste Sorge die Frage, wie man angesichts von Angst und Tod zu Freiheit und Leben finden kann. Drittens haben mir die Gemeinschaften in Enga geholfen, ein stärkeres politisches Bewusstsein zu entwickeln. Darüber hinaus hat mir der Kontakt mit Menschen, die mit HIV/AIDS leben, geholfen, eine andere Seite von Mission zu entdecken, bei der es nicht zwingend darum geht, die Machtlosen zu ermächtigen, den Unsicheren Sicherheit zu geben und zu heilen, was verwundet oder gebrochen ist. Vielleicht ist es essenziell, Wunden und Schwachheit zu akzeptieren, manchmal loszulassen statt Sicherheit zu suchen. Kann es sein, dass das Leben nicht dazu gemacht ist, perfekt zu sein, und dass Gebrochenheit ein wichtiger Teil unserer menschlichen Erfahrung ist, die Christus gesegnet hat?

Nun zur Frage, wie sich die Missionsarbeit selbst verändert hat: Sie wird nicht mehr von ausländischen (und weißen) Missionarinnen und Missionaren dominiert, sondern von lokalen Mitgliedern der katholischen Kirche des Landes ausgeführt. Diese entwickeln ihre eigenen Formen der Verkündigung. Ich habe beobachtet, dass ländliche Gemeinden nur gelegentlich von Priestern besucht werden, aber Katechisten und andere Laien das Gebetsleben und die Liturgie des Wortes in den kleinen christlichen Gemeinden pflegen und feiern. Es war mein Privileg, diese Reise iner mündig werdenden Kirche zu begleiten – von der „Selbststudie” der katholischen Kirche in den 1970er Jahren bis zu den Generalversammlungen von 2003 und 2013. Alle diese Ereignisse haben eine partizipatorische Kirche ans Licht gebracht, die tief eingebettet ist in der Gesellschaft des Landes. Und doch haben wir noch einen langen Weg zu gehen, um die Implikationen eines „prophetischen Dialogs” in Papua-Neuguinea und Ozeanien zu entdecken. In der heutigen Zeit braucht Papua-Neuguinea dringend sowohl Prophetentum als auch Dialog, und beides könnte sich verbinden in dem Streben nach integraler menschlicher Entwicklung. Die Menschen sehen sich in der gegenwärtigen Welt mit neuen Fragen konfrontiert. Aber sie haben auch immer noch grundlegende Fragen darüber, wie ein sinnvolles, menschliches, sicheres und würdevolles Leben möglich ist. Unglücklicherweise können viele moderne Entwicklungen entmenschlichend sein. Die Herausforderung für die Mission besteht darin, den Menschen zu dienen, einen guten Umgang mit den neuen Identitäten und Logiken zu finden und Ausschau zu halten, wo Gott in diesem lokal-globalen Komplex am Werk sein könnte.

 

Welche Bedeutung hat das Konzept der Inkulturation, also der Bewahrung und Integration der lokalen Kultur in den christlichen Glauben, für Ihre Arbeit?

Das Konzept der Inkulturation ist ganz zentral für meine Arbeit. Gerade in Enga werde ich mit Kursanfragen zur Inkulturation überschüttet. Durch den zunehmenden Einfluss fundamentalistischer christlicher Kirchen sind in den vergangenen Jahren auch viele Katholiken in Enga versucht, ihre eigene Kultur und ihre alten Traditionen als böse und sündhaft zu verurteilen. Zusammen mit einigen jungen Enga habe ich einen einwöchigen Workshop entwickelt, um dieser Tendenz entgegenzuwirken. Wir haben ihn auch schon mehrfach erfolgreich durchgeführt. Mit darstellendem Spiel, Gruppenarbeiten und anderen Methoden reflektiert die Gruppe über verschiedene Themen wie Kindheit, Erziehung, Partnersuche, eheliches Leben, Geburt, Krankheit, häusliches und religiöses Leben, Konflikt und Versöhnung, Alt werden und Sterben.

Besonders für viele ältere Menschen bietet der Workshop die Gelegenheit, Erfahrungen aus ihrer Kindheit und Jugend mit anderen zu teilen. Der Kurs endet mit einem speziellen Gottesdienst, in dem die Menschen ihre Identität als Enga Christinnen und Christen feiern. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen danach mit neuen Augen auf ihr kulturelles Leben und dessen Werte schauen können. Ich bin sehr dankbar, dass so viel Vertrauen in mich und diese Form der Mission als Dialog gesetzt wird, in der die Weisheit der Enga-Kultur mit der Weisheit der christlichen Tradition ins Gespräch kommen kann.

Philip Gibbs versteht sich als Missionar und Ethnologe. Im Hochland forscht er und sucht gemeinsam mit den Menschen nach Lösungen
für Probleme. Foto: privat

 

Gab es je einen kritischen Moment, durch den Sie versucht waren, die Missionsarbeit aufzugeben?

Ja, viele. Zum Beispiel, als es bei den jüngsten Parlamentswahlen [2022] zu solch massiver Gewalt kam, dass Einrichtungen wie Schulen oder Kirchen, die ich mit aufgebaut hatte, aus politischer Rivalität niedergebrannt wurden; oder wenn die Regierung ihre Zahlungen von studentischen Stipendien nicht einlöst, sodass unsere Universität nur ein Minimum an Dienstleistung für Personal und Studierendenschaft aufrechterhalten kann. Oder wenn ich auf der Straße mit vorgehaltener Waffe von arbeitslosen Jugendlichen, die häufig auf Drogen sind, bedroht werde und ich gezwungen bin, sie (oder mich) zu verletzen beim Versuch, dem Überfall zu entkommen. An welchen Moment Ihrer Missionsarbeit denken Sie stets gerne zurück? Nach mehr als 50 Jahren in Papua-Neuguinea bin ich dankbar dafür, dass dieses Land und seine Menschen geholfen haben, mich zu dem zu machen, der ich jetzt bin. Indem ich Papua-Neuguinea besser kennenlernte, habe ich mich selbst tiefer erkannt. Meine Beschäftigung mit der Politik hat das Prophetische in mir offenbart. Soziale Probleme haben meine Geduld und meinen Glauben bis zum Äußersten auf die Probe gestellt. Gender- und Hexerei-bezogene Gewalt haben mich mit unvorstellbarer Grausamkeit konfrontiert. Ich denke, der Moment, den ich gerne erinnere, ist die Erfahrung von Kirche und von der Art und Weise, wie sie meinen Glauben herausgefordert, aber auch gestärkt hat. Die Suche nach Gottes Zukunft in Papua-Neuguinea hat es mir ermöglicht, Gottes Mission als prophetischen Dialog zu erfahren.

[Info]

Hans Reithofer stimmte die Antworten mit Philip Gibbs ab und übersetzte sie aus dem Englischen. Reithofer war selbst einmal Steyler Missionar und versuchte im entlegenen Paiela-Tal, in die großen Fußstapfen von Philip Gibbs zu treten. Heute arbeitet und forscht er am Institut für Ethnologie der Georg-August-Universität Göttingen.

Elena Dellmuth, Mitarbeiterin der Gesellschaft für bedrohte Völker, erarbeitete die Fragen für das Interview.

Philip Gibbs, Ordenspriester der Steyler Missionare, wurde 1947 in Neuseeland geboren. Seit 53 Jahren ist er Mitglied des Missionsordens. 1973 kam er als Missionar nach Papua-Neuguinea, wo er – mit Ausnahme einiger Studienaufenthalte in Italien und den USA – bis heute lebt und tätig ist.


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