
Bei der Amtseinführung des neuen katholischen Bischofs von Mendi im Südlichen Hochland führen drei Frauen eine Tanzgruppe der Huli aus der benachbarten Hela-Provinz an.
Foto: © Philip Gibbs
Seit 51 Jahren lebt Philip Gibbs als Missionar in Papua-Neuguinea. Im Interview berichtet er von seinen Lehren durch die Zusammenarbeit mit indigenen Völkern: dass manchmal er derjenige ist, der bekehrt werden muss; dass Gott schon vor der Ankunft der Missionare unter den Menschen war und dass sich Christentum und indigene Spiritualität nicht widersprechen.
Interview mit Philip Gibbs
Warum sind Sie Missionar geworden?
Ich bezeichne mich als Missionar-Ethnologe, weil mir immer wichtig war, missionarische Tätigkeit und ethnologische Forschung zu verbinden. Angefangen hat alles eher zufällig: Die Idee, Missionar zu werden, verfestigte sich, nachdem ich einen Unfall überlebte, bei dem meine beiden Kletterkameraden ertranken. Damals erkannte ich, dass das Leben ein Geschenk ist – und der Missionarsberuf ein guter Weg sein könnte, dieses Geschenk zu ehren. Auf die Idee eines Ethnologiestudiums brachte mich mein Novizenmeister. Der meinte, ich sollte vor meinen Gelübden erst noch einige „raue Kanten abschleifen” und bis dahin „irgendwas” studieren. Mit einem Bachelor in Soziologie von der Universität in Christchurch (Neuseeland) in der Tasche entschied ich mich für ein Masterstudium in Ethnologie in Sydney (Australien).
Sie sind zu den Steyler Missionaren (SVD) gegangen. Was waren die Gründe für genau diesen Orden?
Zum einen gefiel mir die starke ethnologische Tradition der SVD. Einige Leser haben vielleicht vom Anthropos-Institut gehört, das heute in Sankt Augustin bei Bonn seinen Sitz hat und die bekannte Fachzeitschrift Anthropos herausgibt, die es seit 1906 gibt. Als ein Mitglied der Steyler Missionare sah ich es fast als meine Pflicht an, die religiösen Vorstellungen der Menschen zu erforschen, unter denen ich arbeitete.
Zum anderen gefiel mir auch die Art und Weise, wie die SVD als Orden ihren missionarischen Auftrag versteht und lebt. Für mich bedeutet Mission im Kern, zu einer Verbesserung des Lebens der Menschen beizutragen und Foto: das Evangelium von „Gottes Zukunft”, manchmal auch als „Reich Gottes” bezeichnet, mit den Menschen zu teilen. Dieses Verständnis von Mission sehe ich auch in jüngeren Dokumenten der SVD, in denen Mission als „prophetischer Dialog” bezeichnet wird. Damit verbindet der Orden das lateinamerikanische Anliegen der sozialen Gerechtigkeit mit dem asiatischen Interesse am Dialog.
Ich habe mit der Zeit eine ganz ähnliche Spiritualität entwickelt. In einer dialogisch verstandenen Mission versuche ich, den Menschen zuzuhören, mit denen ich lebe, und mich mit ihnen zu verbinden, ihre Sprache, Kultur und Spiritualität zu lernen und wertzuschätzen. Und doch erfahre ich auch, dass die „Seele” der Menschen in Papua-Neuguinea für mich sehr häufig ein Mysterium bleibt. Ich durchdringe nicht alles. Dies anzuerkennen, kann eine Art „gelehrten Unwissens” sein, das auf Respekt gründet und ebenso kostbar ist.
Andererseits bedeutet eine prophetisch verstandene Mission, eine „verwundete Welt” zu umarmen, die Zeichen der Zeit zu erkennen und Zeugnis abzulegen für die Leben spendende Kraft des göttlichen Wortes – selbst wenn das verlangt, gegen kulturelle Traditionen vorzugehen. Der peruanische Theologe Gustavo Gutiérrez fordert von der Kirche ein, das Evangelium zu verkünden und Unrecht zu verurteilen. Oft läuft es auf die grundsätzliche Frage hinaus, was es braucht, damit die Menschen ein sinnvolles, humanes und würdevolles Leben für sich und ihre Lieben haben können.
Warum sind Sie nach Papua-Neuguinea und nicht in ein anderes Land gegangen?
Um Mission und meine Faszination für kulturelle Diversität miteinander zu verbinden, war Papua-Neuguinea genau richtig für mich: ein Land mit Hunderten von Sprachen, unzähligen Ethnologen und vielen Steyler Missionaren. Ich kam erstmals 1973 als 25-jähriger Student nach Papua-Neuguinea. Damals war ich in dem kaum erschlossenen Hochland-Distrikt Enga unterwegs. Dort arbeitete ich als Seminarist, konnte aber in meiner „Freizeit” auch Forschungsdaten für meine Masterarbeit in Ethnologie sammeln.
Wie kann man sich Ihre Arbeit als Missionar konkret vorstellen?
In den mehr als 50 Jahren als Missionar und Ethnologe hat meine konkrete Missionsarbeit viele verschiedene Foren angenommen. Ich gebe Ihnen einige Beispiele:
Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit mit indigenen Gemeinschaften in der Missionsarbeit? Eine unverzichtbare! Mein Leben in Papua-Neuguinea hat mich gelehrt, dass ich hier ein Gast bin und meine Aufgabe die des Dienstes ist; und dass es ein hoher Wert ist, die Gastfreundschaft der Menschen dankbar anzunehmen. Der südafrikanische Theologe David Bosch hat davon gesprochen, dass Christen sich mit „kühner Demut” der Praxis der Mission widmen sollten: Ihre Kühnheit in der Verkündigung sollte gepaart sein mit einer tiefen Demut in Anerkennung der großen Vergehen, die im Namen der Mission verübt worden sind, und im Wissen darüber, dass Gott lange vor der Ankunft der Missionare unter den Menschen gegenwärtig war. In meinen Forschungsprojekten habe ich gelernt, dass nicht ich, sondern die Menschen dieses Landes die Akteure ihrer eigenen Entwicklung sind und bleiben müssen.
Apropos „große Vergehen im Namen der Mission“: Wie sehen und beurteilen Sie die Verbindung zwischen Missionstätigkeit und Kolonialismus in Papua-Neuguinea?
Während der Kolonialzeit gab es eine unvermeidliche Verbindung zwischen Mission und der Kolonialverwaltung, aber gleichzeitig waren die Missionare nicht immer einverstanden mit den Kolonialbeamten und haben sie öffentlich wie privat kritisiert. Ich selbst kam nach Papua-Neuguinea einige Jahre bevor das Land 1975 unabhängig wurde. Ich unterstützte die Kolonialverwaltung in ihrem Bestreben, Frieden zu sichern, die öffentliche Ordnung herzustellen und eine grundlegende Gesundheitsversorgung zu etablieren. Aber es gab Zeiten, in denen es mir schwerfiel mitzumachen, etwa wenn es in sozialen Zusammenkünften getrennte Sitzordnungen gab oder in Autos und öffentlichen Verkehrsmitteln privilegierte Plätze für Weiße. Heute (Anfang 2025) blickt Papua-Neuguinea auf fast 50 Jahre Unabhängigkeit zurück, aber tatsächlich schlagen sich die Menschen mit Formen postkolonialer Abhängigkeit herum. Missionare müssen sich auch damit kritisch auseinandersetzen, besonders mit Korruption in der aktuellen politischen Situation.
Wie gehen Sie denn mit Kritik an Ihrer Arbeit um?
Ich bekomme ordentlich Kritik ab. Als Präsident einer Universität kann ich Beschwerden nicht weiterreichen und muss für das Wohl der Institution Entscheidungen treffen, die unpopulär sein können, etwa über die Einstellung und Entlassung von Mitarbeitenden. Wenn ich keine Neuerungen einführe, werde ich als konservativ kritisiert; wenn ich zu viele vorschlage, wird mir vorgeworfen, das Boot unnötig zum Schaukeln zu bringen. Gelegentlich gibt es Kritik von Einheimischen, dass ich ein Ausländer und kulturell unsensibel sei. Damit rechne ich, vor allem wenn ich mich gegen Praktiken stelle, die Korruption oder genderbasierte Gewalt unterstützen. Aber meistens gibt es genug einheimische Stimmen, die meine Sicht teilen.
Bei Aufenthalten in westlichen Ländern wie Australien begegne ich gelegentlich Menschen, für die die Bezeichnung „Missionar” negativ konnotiert ist. Sie haben natürlich ein Recht auf ihre Meinung, aber es scheint mir, dass ihre Bedenken mehr vom Hörensagen kommen als von den realen Gegebenheiten in Entwicklungsländern wie Papua-Neuguinea.
Wie hat sich die Missionsarbeit im Lauf der Zeit verändert?
Lassen Sie mich zuerst sagen, dass die Missionsarbeit in Papua-Neuguinea mich verändert hat, und zwar in mindestens dreifacher Hinsicht: Erstens lernte ich, die Bedeutung kommunaler Spiritualität wertzuschätzen, die es einer Person ermöglicht, sowohl ein gläubiger Christ als auch ein echtes Enga Stammesmitglied zu sein. Zweitens hat mich das Leben in Enga die Priorität von Beziehungen gelehrt. Anfangs hatte ich eine romantisierende Vorstellung vom dörflichen Leben. Diese wandelte sich radikal, als ich mit einer Familie zusammenlebte, um richtig Enga sprechen zu lernen. Durch dieses Leben in vielfältigen Beziehungen übernahm ich von den Menschen in Enga als wichtigste Sorge die Frage, wie man angesichts von Angst und Tod zu Freiheit und Leben finden kann. Drittens haben mir die Gemeinschaften in Enga geholfen, ein stärkeres politisches Bewusstsein zu entwickeln. Darüber hinaus hat mir der Kontakt mit Menschen, die mit HIV/AIDS leben, geholfen, eine andere Seite von Mission zu entdecken, bei der es nicht zwingend darum geht, die Machtlosen zu ermächtigen, den Unsicheren Sicherheit zu geben und zu heilen, was verwundet oder gebrochen ist. Vielleicht ist es essenziell, Wunden und Schwachheit zu akzeptieren, manchmal loszulassen statt Sicherheit zu suchen. Kann es sein, dass das Leben nicht dazu gemacht ist, perfekt zu sein, und dass Gebrochenheit ein wichtiger Teil unserer menschlichen Erfahrung ist, die Christus gesegnet hat?
Nun zur Frage, wie sich die Missionsarbeit selbst verändert hat: Sie wird nicht mehr von ausländischen (und weißen) Missionarinnen und Missionaren dominiert, sondern von lokalen Mitgliedern der katholischen Kirche des Landes ausgeführt. Diese entwickeln ihre eigenen Formen der Verkündigung. Ich habe beobachtet, dass ländliche Gemeinden nur gelegentlich von Priestern besucht werden, aber Katechisten und andere Laien das Gebetsleben und die Liturgie des Wortes in den kleinen christlichen Gemeinden pflegen und feiern. Es war mein Privileg, diese Reise iner mündig werdenden Kirche zu begleiten – von der „Selbststudie” der katholischen Kirche in den 1970er Jahren bis zu den Generalversammlungen von 2003 und 2013. Alle diese Ereignisse haben eine partizipatorische Kirche ans Licht gebracht, die tief eingebettet ist in der Gesellschaft des Landes. Und doch haben wir noch einen langen Weg zu gehen, um die Implikationen eines „prophetischen Dialogs” in Papua-Neuguinea und Ozeanien zu entdecken. In der heutigen Zeit braucht Papua-Neuguinea dringend sowohl Prophetentum als auch Dialog, und beides könnte sich verbinden in dem Streben nach integraler menschlicher Entwicklung. Die Menschen sehen sich in der gegenwärtigen Welt mit neuen Fragen konfrontiert. Aber sie haben auch immer noch grundlegende Fragen darüber, wie ein sinnvolles, menschliches, sicheres und würdevolles Leben möglich ist. Unglücklicherweise können viele moderne Entwicklungen entmenschlichend sein. Die Herausforderung für die Mission besteht darin, den Menschen zu dienen, einen guten Umgang mit den neuen Identitäten und Logiken zu finden und Ausschau zu halten, wo Gott in diesem lokal-globalen Komplex am Werk sein könnte.
Welche Bedeutung hat das Konzept der Inkulturation, also der Bewahrung und Integration der lokalen Kultur in den christlichen Glauben, für Ihre Arbeit?
Das Konzept der Inkulturation ist ganz zentral für meine Arbeit. Gerade in Enga werde ich mit Kursanfragen zur Inkulturation überschüttet. Durch den zunehmenden Einfluss fundamentalistischer christlicher Kirchen sind in den vergangenen Jahren auch viele Katholiken in Enga versucht, ihre eigene Kultur und ihre alten Traditionen als böse und sündhaft zu verurteilen. Zusammen mit einigen jungen Enga habe ich einen einwöchigen Workshop entwickelt, um dieser Tendenz entgegenzuwirken. Wir haben ihn auch schon mehrfach erfolgreich durchgeführt. Mit darstellendem Spiel, Gruppenarbeiten und anderen Methoden reflektiert die Gruppe über verschiedene Themen wie Kindheit, Erziehung, Partnersuche, eheliches Leben, Geburt, Krankheit, häusliches und religiöses Leben, Konflikt und Versöhnung, Alt werden und Sterben.
Besonders für viele ältere Menschen bietet der Workshop die Gelegenheit, Erfahrungen aus ihrer Kindheit und Jugend mit anderen zu teilen. Der Kurs endet mit einem speziellen Gottesdienst, in dem die Menschen ihre Identität als Enga Christinnen und Christen feiern. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen danach mit neuen Augen auf ihr kulturelles Leben und dessen Werte schauen können. Ich bin sehr dankbar, dass so viel Vertrauen in mich und diese Form der Mission als Dialog gesetzt wird, in der die Weisheit der Enga-Kultur mit der Weisheit der christlichen Tradition ins Gespräch kommen kann.
Gab es je einen kritischen Moment, durch den Sie versucht waren, die Missionsarbeit aufzugeben?
Ja, viele. Zum Beispiel, als es bei den jüngsten Parlamentswahlen [2022] zu solch massiver Gewalt kam, dass Einrichtungen wie Schulen oder Kirchen, die ich mit aufgebaut hatte, aus politischer Rivalität niedergebrannt wurden; oder wenn die Regierung ihre Zahlungen von studentischen Stipendien nicht einlöst, sodass unsere Universität nur ein Minimum an Dienstleistung für Personal und Studierendenschaft aufrechterhalten kann. Oder wenn ich auf der Straße mit vorgehaltener Waffe von arbeitslosen Jugendlichen, die häufig auf Drogen sind, bedroht werde und ich gezwungen bin, sie (oder mich) zu verletzen beim Versuch, dem Überfall zu entkommen. An welchen Moment Ihrer Missionsarbeit denken Sie stets gerne zurück? Nach mehr als 50 Jahren in Papua-Neuguinea bin ich dankbar dafür, dass dieses Land und seine Menschen geholfen haben, mich zu dem zu machen, der ich jetzt bin. Indem ich Papua-Neuguinea besser kennenlernte, habe ich mich selbst tiefer erkannt. Meine Beschäftigung mit der Politik hat das Prophetische in mir offenbart. Soziale Probleme haben meine Geduld und meinen Glauben bis zum Äußersten auf die Probe gestellt. Gender- und Hexerei-bezogene Gewalt haben mich mit unvorstellbarer Grausamkeit konfrontiert. Ich denke, der Moment, den ich gerne erinnere, ist die Erfahrung von Kirche und von der Art und Weise, wie sie meinen Glauben herausgefordert, aber auch gestärkt hat. Die Suche nach Gottes Zukunft in Papua-Neuguinea hat es mir ermöglicht, Gottes Mission als prophetischen Dialog zu erfahren.
[Info]
Hans Reithofer stimmte die Antworten mit Philip Gibbs ab und übersetzte sie aus dem Englischen. Reithofer war selbst einmal Steyler Missionar und versuchte im entlegenen Paiela-Tal, in die großen Fußstapfen von Philip Gibbs zu treten. Heute arbeitet und forscht er am Institut für Ethnologie der Georg-August-Universität Göttingen.
Elena Dellmuth, Mitarbeiterin der Gesellschaft für bedrohte Völker, erarbeitete die Fragen für das Interview.
Philip Gibbs, Ordenspriester der Steyler Missionare, wurde 1947 in Neuseeland geboren. Seit 53 Jahren ist er Mitglied des Missionsordens. 1973 kam er als Missionar nach Papua-Neuguinea, wo er – mit Ausnahme einiger Studienaufenthalte in Italien und den USA – bis heute lebt und tätig ist.
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