18.10.2022

Teilmobilisierung trifft Indigene unverhältnismäßig stark

Indigene Gäste aus Russland in Berlin kritisieren

Indigene Gemeinschaften kritisieren gegenüber der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), dass sie von der Teilmobilisierung in Russland besonders stark betroffen sind. „In etlichen indigenen Siedlungen in der russischen Arktis, Sibirien und dem Fernen Osten wurden mehr als 20 Prozent der männlichen Bevölkerung zum Militärdienst einberufen“, berichtet Dmitry Berezhkov, indigener Aktivist des Internationalen Komitees indigener Völker Russlands (ICIPR). Er und andere Indigene halten sich zurzeit auf Einladung der GfbV für Gespräche mit Politik und Wirtschaft in Berlin auf. 

„Während die russischen Behörden behaupten, dass nicht mehr als ein Prozent der Wehrpflichtigen des Landes zum Militärdienst einberufen werden, sind es in den indigenen Gemeinschaften in den ländlichen und abgelegenen Regionen sehr viel mehr“, sagt Berezhkov. So sollen beispielsweise 181 Männer aus dem Dorf Bogorodsk in der Republik Komi ihre Einberufung bekommen haben. Das sind 26 Prozent der 700 Einwohner von Bogorodsk. Aus dem Dorf Olenek in der Republik Sacha in Jakutien sollen 50 Personen eingezogen werden. Das seien 39 Prozent der männlichen Bevölkerung im Alter zwischen 18 und 35 Jahren.

Darüber hinaus werde der Gesundheitszustand der Männer kaum überprüft, so dass in abgelegenen Siedlungen häufig auch Menschen mit chronischen Krankheiten zum Militärdienst zitiert worden seien, kritisiert Berezhkov. Familien mit vielen Kindern hätten unter den rauen klimatischen Bedingungen große Probleme zu überleben, wenn die Väter und Versorger in den Krieg ziehen müssten. Die Mobilisierung könne für manche traditionellen Kulturen sogar den Untergang bedeuten. So sei die Rentierzucht in vielen nördlichen Regionen vom Aussterben bedroht. Wenn junge Rentierzüchter in der Ukraine ihr Leben verlören, werde ihrer Gemeinschaft irreparabler Schaden zugefügt. In den Siedlungen Andryushkino, Kolymskoye, Sangar und Topolinoe in der Republik Sacha in Jakutien, in denen Tschuktschen und Ewenken leben, hätte es schon Einberufungen und auch Todesfälle gegeben.

Indigene Völker sind nach wie vor eine der sozial am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen Russlands. Sie leben zumeist in den wirtschaftlich am wenigsten entwickelten Regionen des Landes. Der Zugang zu alternativen Informationen, die nicht von den staatlichen Behörden bereitgestellt werden, ist dort stark eingeschränkt. Darüber hinaus nehmen Repressionen auch gegen indigene Menschenrechtsorganisationen spürbar zu. „Viele indigene Völker der russischen Arktis, Sibiriens und des Fernen Ostens sind extrem klein und einige dieser Völker zählen nur einige Hundert Menschen“, berichtet die GfbV-Referentin für indigenen Völker, Regina Sonk, „deshalb bedroht die Mobilisierung ohne jegliche vorherige Konsultation die physische Existenz der indigenen Völker Russlands und verstößt gegen ihre Rechte, die in der UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker verankert sind.“

Interviews mit den indigenen Gästen können auf Deutsch, Englisch und Russisch durchgeführt werden. Melden Sie sich gern direkt bei r.sonk@gfbv.de