
In Uganda verfolgten damals viele Menschen die Eröffnung des Prozess gegen Dominic Ongwen an den Bildschirmen.
Foto: © International Criminal Court/Flickr
4.095 Opfer beteiligten sich an dem Prozess gegen den ugandischen Kriegsverbrecher Dominic Ongwen. Als solche stehen ihnen vor dem Internationalen Strafgerichtshof bestimmte Rechte zu, ihre Anliegen sollen bei dem Streben nach Gerechtigkeit Bedeutung erlangen. Der Anwalt Joseph Akwenyu Manoba hat mit seinem Team mehr als 2.500 dieser Menschen bei dem Verfahren vertreten. Im Interview zieht er ein gemischtes Fazit.
Von Sarah Neumeyer
Rebellengruppe Lord’s Resistance Army (LRA; dt.: Widerstandsarmee des Herrn) beging während des Kriegs gegen die ugandische Armee (1987 bis 2006) in Nord-Uganda (und später im Südsudan, in der Demokratischen Republik Kongo und in der Zentralafrikanischen Republik) schwerste Verbrechen: Mitglieder töteten Zehntausende Zivilisten, verstümmelten, folterten und vergewaltigten. Unter der Führung von Joseph Kony entführte die LRA zudem Tausende Kinder, die sie als Kindersoldaten missbrauchte.
Einer dieser Kindersoldaten stieg in den Reihen der LRA auf, wurde selbst zum Anführer: Dominic Ongwen. Für seine Verbrechen musste er sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) verantworten. 2021 wurde er wegen Mordes, Vergewaltigung, Zwangsrekrutierung von Kindern, sexueller Sklaverei und mehrerer Angriffe auf die Zivilbevölkerung verurteilt. Im IStGH-Verfahren gegen Ongwen nahmen insgesamt 4.095 Opfer teil – so viele, wie in kaum einem Prozess zuvor. Sie wurden durch zwei Teams von Anwälten vertreten: Der Anwalt Joseph Akwenyu Manoba aus Uganda leitete gemeinsam mit Fransisco Cox aus Chile eines der Teams.
Herr Manoba, wie sind Sie zum Opfervertreter im Prozess gegen Dominic Ongwen geworden?
Ich hatte bereits vor dem Prozess Informationsveranstaltungen zum Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Nord-Uganda unterstützt. Dadurch traf ich Personen, die Opfer der LRA Verbrechen geworden waren. Einige kannten mich daher als Anwalt, andere hatten von mir gehört. Mehr als 2.500 Menschen äußerten den Wunsch, von mir und meinem Kollegen Francisco Cox vertreten zu werden.
Welche Rolle hatten Sie als Vertreter der Opfer während des Prozesses?
Opfer haben in Verfahren vor dem IStGH bestimmte Rechte, dazu gehört der Zugang zu vertraulichen Akten, die Teilnahme an der Anhörung und die Einreichung von Stellungnahmen zu den Anträgen der Hauptparteien. Unsere Aufgabe als Opfervertreter ist, die Teilnahme unserer Mandanten am Verfahren sinnvoll und effektiv zu gestalten, indem wir ihre Ansichten und Bedenken in die Kammern tragen. Da ich und ein Teil unseres Teams in Uganda ansässig sind, konnten wir unsere Mandanten fast jeden zweiten Monat treffen. Wir waren vor Ort, um sie über die Entwicklungen im Verfahren zu informieren und sie dazu zu befragen. Auf der Grundlage dieser Besuche haben wir der Strafkammer Anträge zu einer Reihe von Themen vorgelegt, die für unsere Mandanten von Bedeutung waren. Wir hatten auch die Möglichkeit, vor Gericht zu erscheinen und die von der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung geladenen Zeugen zu befragen.
Hat das Gericht Ihre Anträge berücksichtigt?
Ja, in hohem Maße. Die Richter haben in mehreren Entscheidungen auf unsere Anträge verwiesen. Ein Beispiel ist die Entscheidung über Reparationszahlungen: Als die LRA-Kämpfer Binnenvertriebenenlager (IDP-Camps) angriffen, brannten sie Häuser nieder, töteten Menschen; viele unserer Mandanten verloren Angehörige, ihr Eigentum und ihre Dokumente. Diese Verbrechen wurden von der ugandischen Regierung kaum dokumentiert. Das machte es den Opfern fast unmöglich, zu beweisen, dass sie einen konkreten Schaden erlitten oder Eigentum verloren hatten. Wir haben das Gericht gebeten, den Opfern das Belegen von Schäden zu erleichtern. Dieser Bitte ist das Gericht gefolgt.
Der IStGH ist der erste Gerichtshof, der Opfern umfangreiche Rechte einräumt, am Prozess nicht nur als Zeugen, sondern auch in ihrer Rolle als Opfer teilzunehmen…
Ja, in der Praxis scheint es jedoch immer noch Widerstand gegen diese Opferbeteiligung zu geben. Der Gerichtshof betont zwar, dass es eine sinnvolle und effektive Beteiligung der Opfer geben müsse, aber es gibt keine Grundsätze oder Standards, die definieren, was genau das bedeutet.
Welche Grundsätze sollte es aus Ihrer Sicht geben?
Unserer Meinung nach sind eine Reihe von wichtigen Maßnahmen erforderlich. Dazu gehört, dass die Opfer regelmäßig über die Entwicklung des Falls informiert werden und sie die Möglichkeit haben, ihren Vertretern Anweisungen zu Fragen zu geben, die sich im Laufe des Verfahrens ergeben.
Ein großes Problem für Ihr Team war die Finanzierung der Prozesskosten.
Der Richter im Vorverfahren stellte infrage, wie wir ausgewählt wurden. Er befand, dass es kein geeignetes Auswahlverfahren gab. Daher verweigerte er uns den Zugang zur Prozesskostenhilfe des Gerichts, sodass wir uns ein Jahr lang selbst finanzieren mussten. Ich bin der festen Überzeugung, dass diese Entscheidung nicht fair war. Die einzige Schlussfolgerung, die ich ziehen kann, ist, dass er vielleicht nicht wollte, dass wir in diesen Fall involviert sind.
Warum glauben Sie das?
Rechtsbeistand für die Vertretung von Opfern bereitzustellen, ist zwar eine gängige Praxis des Gerichts, aber es gibt einige Leute, die glauben, dass das Opferbüro des IStGH am besten dafür geeignet sei. Entweder, weil sie denken, dass externe Anwälte zu teuer seien oder dass es nicht relevant oder notwendig sei. Ein unabhängiger Experte, der vom IStGH mit der Überprüfung des Gerichtssystems beauftragt wurde, wies jedoch darauf hin, dass die externe Rechtsberatung sehr relevant und vielleicht sogar nützlicher für die Vertretung der Rechte der Opfer ist.
Sehen Sie weitere Versäumnisse des Gerichts?
Es mangelt an Verständnis dafür, wie die Beteiligung der Opfer vor Ort funktioniert. Wir vertreten eine große Anzahl von Menschen. Einige wurden Opfer sexualisierter und geschlechtsspezifischer Verbrechen oder haben andere Formen extremer Gewalt erlebt. Es kam mehrfach vor, dass Menschen emotional vor uns zusammengebrochen sind. Es besteht immer die Gefahr einer Retraumatisierung. Als Anwälte sind wir nicht dafür ausgebildet, mit solchen Situationen umzugehen. Das Gericht lehnte jedoch unseren Antrag auf Begleitung durch einen Psychologen ab.
Es gab also keine psychologische Unterstützung für die Opfer?
Die, die als Zeugen aussagten, wurden auf ihren Gesundheitszustand hin untersucht. Einige von ihnen erhielten psychologische Unterstützung. Die übrigen Opfer erhielten keine solche Unterstützung – außer sie hatten Zugang zu den Aktivitäten des Treuhandfonds für Opfer. In dieser Hinsicht waren Opfer, die als Zeugen aussagten, – in Ermangelung eines besseren Wortes, – privilegierter als andere Opfer, die am Prozess teilnahmen.
Wie haben die Opfer, die Sie vertreten haben, das Verfahren wahrgenommen?
Anfangs gab es viele Vorbehalte. Die meisten dachten, dass es reine Zeitverschwendung sei, mit einem langwierigen Verfahren die Schuld von Dominic Ongwen festzustellen. Aber im Laufe der Zeit änderten sich diese Meinungen aufgrund des ständigen Austauschs. Als das Urteil verlesen wurde, herrschte große Genugtuung. Ebenso bei der Anordnung der Entschädigungen.
Würden Sie sagen, dass es dem Gericht gelungen ist, den Opfern von Dominic Ongwen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen?
Zu 100 Prozent. Ich erinnere mich an den Moment, als wir den Opfern die Gründe des Gerichts für die Verurteilung erläuterten. Das war sehr emotional. Das Gericht nannte in seinem Urteil eine Reihe von Personen, die am Tag des Angriffs auf die IDP-Camps umgebracht worden waren. So schmerzhaft es auch war, die Namen ihrer getöteten Verwandten zu hören, gab es vielen doch Genugtuung, dass Dominic Ongwen zur Verantwortung gezogen wurde.
Der Interviewpartner
Joseph Awenyu Manoba ist ein Anwalt für internationales Strafrecht aus Uganda. Er und Francisco Cox vertraten gemeinsam 2.605 Opfer im Ongwen-Prozess vor dem IStGH. Manoba war zuvor auch als Rechtsberater für das African Youth Initiative Network (AYINET) und die Ugandan Victims Foundation tätig.
[Info]
Sarah Neumeyer führte das Interview am 29. August 2024 per Videoanruf. Anschließend transkribierte und kürzte sie es und übersetzte es aus dem Englischen.
Wir würden uns besonders darüber freuen, wenn Sie unsere Zeitschrift regelmäßig lesen möchten: Das Abonnement umfasst vier Ausgaben im Jahr und kostet inklusive Versand 25 Euro pro Jahr (ermäßigt 20 Euro).
Privatsphäre Einstellungen
Diese Website verwendet Cookies, um die Kernfunktionalität zu ermöglichen und den Inhalt zu personalisieren und die Besuche auf der Website zu analysieren. Einige dieser Cookies sind unerlässlich, während andere uns helfen, Ihre Erfahrungen zu verbessern, indem sie uns einen Einblick in die Nutzung der Website geben. Weitere Informationen über die von uns verwendeten Cookies finden Sie auf unserer Datenschutzerklärung.
Notwendige Cookies
Drittanbieter Cookies
Privatsphäre Einstellungen
Diese Website verwendet Cookies, um die Kernfunktionalität zu ermöglichen und den Inhalt zu personalisieren und die Besuche auf der Website zu analysieren. Weitere Informationen finden Sie in unseren Datenschutzerklärung.
Einstellungen