
Zur Urteilsverkündung gegen den politischen Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadžić, reist die GfbV zusammen mit Angehörigen der Opfer nach Den Haag. Karadžić wird an dem Tag als Kriegsverbrecher und Völkermörder zu 40 Jahren Haft verurteilt.
Foto: © GfbV-Archiv
Die Arbeit in einer Menschenrechtsorganisation wie der Gesellschaft für bedrohte Völker ist oft hart: Täglich beschäftigen wir uns mit schwersten Menschenrechtsverletzungen, begegnen Menschen, denen unfassbares Leid angetan wurde. Viele Angehörige von während des Genozids von Srebrenica Ermordeten und Überlebende haben wir über Jahrzehnte begleitet. Im Mai feierten wir einen großen Schritt in Richtung Gerechtigkeit.
Von Jasna Causevic
Am 23. Mai 2024 war es endlich so weit: Die Vollversammlung der Vereinten Nationen (UN) stimmte auf Antrag Deutschlands und Ruandas über die Einführung eines internationalen Gedenktages an den Völkermord von Srebrenica (1995) ab: 84 Länder waren dafür; 68 Mitglieder enthielten sich, 19 Staaten stimmten dagegen – darunter Serbien, Russland und China. Resolution angenommen. Somit wird ab 2025 weltweit jährlich am 11. Juli offiziell der Opfer von Srebrenica gedacht und die Verpflichtung unterstrichen werden, dass historische Wahrheiten anerkannt und die Leugnung des Völkermords bekämpft werden müssen.
Bei dem Genozid von Srebrenica ab dem 11. Juli 1995 und den darauffolgenden Tagen fielen mindestens 8.372 bosnische Mulim*innen (Bosniaken), mehrheitlich Männer und männliche Jugendliche, Truppen der Armee der Republika Srpska, der Polizei und serbischen Paramilitärs unter der Führung von Ratko Mladić zum Opfer. Urteile des Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) sowie des Internationalen Gerichtshofs (IGH) stellten später den Genozid-Charakter des Massakers juristisch fest. Mit der Resolution wurde nun auch ein politischer Konsens auf weltweiter Ebene in der Frage des Völkermords von Srebrenica erzielt. Die Resolution verurteilt jede Leugnung des Völkermords als historisches Ereignis und jede Handlung, die Täter*innen verherrlicht.
Im heutigen Serbien unter Präsident Aleksandar Vučić und im bosnisch-serbischen Landesteil Bosnien und Herzegowinas, der Republika Srpska, unter dessen Präsidenten Milorad Dodik, ist die Leugnung des Genozids und die Heroisierung der Täter*innen Teil der Staatspolitik. Vučić argumentierte, die UN-Resolution würde das „serbische Volk“ kollektiv verurteilen. Dagegen spricht, dass die Resolution Serbien kein einziges Mal namentlich erwähnt.
Im Vorfeld der Abstimmung warnten Menschenrechtsorganisationen wie die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) vor dem anhaltenden Geschichtsrevisionismus, der Leugnung des Völkermords und der Hassrede hochrangiger politischer Führer*innen in der Region. Sie lobbyierten deswegen aktiv für die Einführung des Gedenktags: Gemeinsam mit den Organisationen Jews Against Genocide, der Gedenkstätte in Srebrenica und dem Helsinki Committee for Human Rights in Serbien hat die GfbV insgesamt 193 UN-Staaten angeschrieben und sie um ihre Unterstützung für die Resolution aber auch für eine friedliche Zukunft der Bürger*innen in Bosnien gebeten.
Die Annahme der Resolution: ein wichtiger Tag nicht nur für die Menschen auf dem Westbalkan
In unserem oft emotionsgeladenen und nicht beneidenswerten Alltag des Kampfs für die Wahrung von Menschen- und Minderheitenrechten weltweit, ist es wichtig, von Zeit zu Zeit einen Schritt zurückzutreten und eine Bilanz des Erreichten zu ziehen – besonders, wenn wir einen Grund zur Freude haben. Für mich war die Verabschiedung der Srebrenica-Resolution ein Anlass für große Zufriedenheit. Der politische Konsens über den Völkermord in Srebrenica – nachdem er rechtlich durch die Gerichtsurteile in Den Haag längst gebracht wurde – ist ein großer Schritt in Richtung Gerechtigkeit. Überlebende von Srebrenica standen am Tag der Abstimmung endlich nicht mehr abseits und außerhalb, sondern inmitten der UN-Staatengemeinschaft. Diese hat ihr Leid endlich anerkannt und gewürdigt. Dafür hat sich die jahrzehntelange Arbeit gelohnt!
Für die bisherigen Entwicklungen der Vergangenheitsbewältigung waren in Bosnien und Herzegowina (nachfolgend als Bosnien bezeichnet) Vereinigungen der Familien von Ermordeten und Vermissten von enormer Bedeutung: etwa die „Mütter von Srebrenica“, eine Bewegung der Mütter aus den Enklaven Srebrenica und Žepa; Vereinigungen ehemaliger Häftlinge oder Kriegs- und Folteropfer, Frauenorganisationen, Menschenrechtsorganisationen, darunter die GfbV. Sie alle sammelten akribisch Informationen und Daten zu Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen und stellten sie Institutionen wie dem ICTY und zuständigen lokalen Gerichten zur Verfügung. Wir kämpften zusammen für die Anerkennung der Verbrechen und die rechtskräftige Verurteilung der mutmaßlichen Täter*innen. Wir setzten uns für die Exhumierungen aus Massengräbern ein, kämpften unermüdlich für Wahrheit und Gerechtigkeit mit Öffentlichkeitsarbeit, Demonstrationen und Mahnwachen.
Die Arbeit des UN-Tribunals hat die GfbV in den vergangenen Jahrzehnten intensiv begleitet: Augenzeugen vertrauten uns, wir ermutigten sie, ihre Berichte in die Prozesse einzubringen. Mit unseren Recherchen und Dokumentationen trugen wir zur Verurteilung der mutmaßlichen Kriegsverbrecher bei, arbeiteten mit dem Bundeskriminalamt (BKA) und den Chefanklägern in Den Haag zusammen. Zahlreiche Aktionen und Mahnwachen der GfbV, unsere Anwesenheit bei den Anhörungen und Urteilsverkündungen standen jahrelang auf der Agenda. Wir organisierten lange Busfahrten aus Srebrenica und Ostbosnien, aus Berlin und Göttingen, damit Angehörige von Opfern und deren Unterstützer*innen in Den Haag dabei sein konnten. Das war nicht immer leicht – etwa, wenn Überlebende und Angehörige der Opfer im Gerichtssaal von Tätern beleidigt wurden. Wir unterstützten bosnische Überlebende in Gesprächen mit internationalen Medien. Wir signalisierten: Ihr seid nicht allein. Alles das war wichtig im Kampf für Wahrheit und Gerechtigkeit. Den Dolmetscher und Überlebenden aus Srebrenica, Hasan Nuhanović, begleiteten wir in Den Haag. Er hat dort das Königreich Niederlande verklagt, weil die Blauhelmsoldaten des niederländischen Bataillons (Dutchbat) seinen Bruder und seine Eltern den Henkern von Mladić ausgeliefert hatten.
Nachdem die Arbeit des Tribunals als abgeschlossen erklärt wurde, haben wir die Arbeit des Internationalen Residualmechanismus für die Adhoc-Strafgerichtshöfe unterstützt. Er ist der Rechtsnachfolger des ICTY sowie des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda. Chefankläger Serge Brammertz erklärte anlässlich der Verurteilungen von zwei hochrangigen Beamten des Staates Serbiens für Verbrechen im Krieg gegen Bosnien, dass diese „eine weitere Bestätigung dafür seien, dass es sich bei den Geschehnissen in Bosnien-Herzegowina nicht um einen Bürger- oder internen Krieg, sondern um einen internationalen Konflikt“ gehandelt habe.
Ein Instrument zur Verteidigung des fragilen Friedens
Im Laufe der Jahre hatte ich das Privileg, die unermüdliche Arbeit von so vielen Überlebenden und Familienangehörigen der Opfer zu unterstützen. Insbesondere sie waren es, organisiert als gemeinsame Bewegung aber auch als Einzelpersonen, die in internationalen Foren und Gerichten aber auch vor Ort in Bosnien darum kämpften, die Wahrheit über den Völkermord herauszufinden, die Rechenschaftspflicht sicherzustellen und die Wiederaufnahme eines Völkermordkonflikts zu verhindern. Die Gesetze über Folteropfer und gegen Genozidleugnung in Bosnien waren schließlich große Erfolge und kamen in erster Linie auf Druck von Nichtregierungsorganisationen zustande.
Es ist traurig, dass GfbV-Gründer Tilman Zülch und unsere geschätzte Srebrenica-Koordinatorin Hatidža Mehmedović die Verabschiedung der UN-Resolution nicht mehr erleben konnten. Beide sind bereits verstorben. Sie hätten gewusst, dass die Erinnerung der internationalen Gemeinschaft an den Völkermord nicht nur als wichtiger Fortschrittsindikator verstanden werden muss, sondern auch als wichtiges Instrument in den Händen der Verteidiger*innen des fragilen Friedens auf dem Westbalkan.
Zu hoffen ist, dass nun, nach der Verabschiedung der Resolution, eine ehrliche Aufarbeitung stattfindet, das würdige Erinnern an die Opfer und eine wirkliche Versöhnung möglich wird. Es bleibt ein langer Weg, bis das multinationale, multireligiöse und multikulturelle Bosnien als einheitlicher Staat in die Europäische Union findet. Aber die Änderungen des Strafgesetzbuchs und die Srebrenica-Resolution sind erste Schritte gegen Nationalismus, Hassrede und Genozidleugnung auf dem Westbalkan.
Die Autorin
Jasna Causevic ist Referentin für Genozid-Prävention und Schutzverantwortung bei der Gesellschaft für bedrohte Völker. Einer ihrer Arbeitsschwerpunkte liegt seit vielen Jahren auf Themen der internationalen Gerichtsbarkeit und der Transitional Justice.
Wir würden uns besonders darüber freuen, wenn Sie unsere Zeitschrift regelmäßig lesen möchten: Das Abonnement umfasst vier Ausgaben im Jahr und kostet inklusive Versand 25 Euro pro Jahr (ermäßigt 20 Euro).
Privatsphäre Einstellungen
Diese Website verwendet Cookies, um die Kernfunktionalität zu ermöglichen und den Inhalt zu personalisieren und die Besuche auf der Website zu analysieren. Einige dieser Cookies sind unerlässlich, während andere uns helfen, Ihre Erfahrungen zu verbessern, indem sie uns einen Einblick in die Nutzung der Website geben. Weitere Informationen über die von uns verwendeten Cookies finden Sie auf unserer Datenschutzerklärung.
Notwendige Cookies
Drittanbieter Cookies
Privatsphäre Einstellungen
Diese Website verwendet Cookies, um die Kernfunktionalität zu ermöglichen und den Inhalt zu personalisieren und die Besuche auf der Website zu analysieren. Weitere Informationen finden Sie in unseren Datenschutzerklärung.
Einstellungen